topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Apfel vom Baum der Erkenntnis Der biologische Apfel ist aus dieser Perspektive also nicht fragwürdig, weil er trotz allem der Umwelt schadet oder gar nicht biologisch hergestellt wurde, sondern weil er die KonsumentInnen in die Irre führt. Selbstzufriedenheit statt Klimarettung.
Buchtipp

Apfel vom Baum der Erkenntnis

Schwerpunkt

Ein schlechtes Gewissen kann uns den Appetit verderben. Daher versuchen wir uns als bewusste KonsumentInnen. Doch bio muss nicht fair sein.

Der Fotograf Michael Morawec kauft gerne und oft im Biosupermarkt Maran in Wien. "Ich möchte keinen Industriefraß essen", sagt er, "normale Supermarktware schmeckt nicht und wird abartig hergestellt." Die, laut eigenen Aussagen, nur ein paar Euro betragenden Mehrkosten sind ihm die gesunden und nachhaltigen Lebensmittel wert. Herr Morawec ist beileibe nicht der Einzige, der so denkt. Überall in Österreich sprießen die Bioläden, Biosupermärkte, Fair-Trade-Geschäfte aus dem Boden und auch große heimische und internationale Firmen legen mehr oder weniger wert auf Nachhaltigkeit, Bio und/oder Fair Trade.

Kultureller Kapitalismus

Der Philosoph Slavoj Žižek, einer der kreativsten Querdenker unserer Zeit, wartet mit einer interessanten Interpretation dieser unserer Konsumkultur auf. Seine These ist, dass seit den Achtundsechzigern der Kapitalismus in eine neue Phase eingetreten ist, und sich zu einem sogenannten kulturellen Kapitalismus gewandelt hat. In diesem System werden kapitalistisches und moralisches Handeln verschmolzen: Beim Konsum wollen wir immer auch die Welt retten und setzen uns zum Beispiel für Menschen in armen Ländern ein: "Charity is the basic constituent of our economy." Dies, so Žižek, zeigten die vielen Produkte, die als "fair trade", "nachhaltig" oder "ökologisch" verkauft werden. Das Besondere an dieser Zugangsweise ist, dass Žižek im Gegensatz zum klassischen Greenwashing-Diskurs nicht das Verhältnis zwischen Produkt/Produktion und Kommunikation/Marketing hernimmt, sondern das Verhältnis zwischen semantisch aufgeladenen Produkten und KonsumentInnen. Der biologisch angebaute Apfel ist so also nicht fragwürdig, weil er möglicherweise trotz allem der Umwelt schadet oder gar nicht biologisch hergestellt wurde, sondern weil er die KonsumentInnen über ihre eigenen Motive in die Irre führe. Selbstzufriedenheit statt Klimarettung: "It makes you feel warm."

Kaschierte Motive

Damit knüpft Žižek an Traditionen der Motivforschung an, deren Interesse darin besteht, herauszufinden, was Kunden/-innen unterschwellig eigentlich antreibt. Werbung funktioniert nämlich deshalb so gut, wie schon Niklas Luhmann in den 80er-Jahren feststellte, weil sie die tatsächlichen Motive der Umworbenen kaschiert. Ökologische Produkte können eine Reihe von Funktionen erfüllen: das Gewissen beruhigen, ein wohliges Gefühl verschaffen, Status symbolisieren oder soziale Zugehörigkeit durch Lifestyle ausdrücken. All dies geschieht relativ unreflektiert. Wer von uns sieht sich denn nicht gerne als einen aufgeklärten und rational entscheidenden Konsumenten?
Žižek kommt zu dem Schluss, dass der Mechanismus des moralisch aufgeladenen Konsums deshalb problematisch ist, weil er den unreformierten Status quo des Kapitalismus legitimiert und aufrechterhält. Die in den Konsum integrierte Ethik läuft auf ein System hinaus, das er "global capitalism with a human face" nennt. Seine Kritik an diesem Zustand verwundert allerdings, da er gleichzeitig feststellt, dass nie ein so großer Teil der Menschheit in Wohlstand, Sicherheit und Freiheit gelebt hat. Statt einem radikalen Bruch, den Žižek auch selbst gar nicht ausformuliert, sind vielmehr realistische Entwicklungen nötig, die auch in einem marktwirtschaftlichen System funktionieren können: ProduzentInnen müssen auf sehr viel strengere soziale und ökologische Standards festgelegt werden. So beseitigt man die zumindest zweifelhafte Aufteilung des Marktes in moralisch einwandfreie und nachhaltige Produkte auf der einen, und böse, weil unsoziale und umweltverschmutzende Produkte auf der anderen Seite. Größtmögliche Nachhaltigkeit per Gesetz wäre also die Antwort. Daran arbeiten bereits europaweit die Gewerkschaften. Die guten Absichten der KonsumentInnen können dann, befreit vom moralischen Druck des politisch korrekten Shoppings, auf wirklich zielführende Verhaltensmuster gelenkt werden. Verzicht zum Beispiel. Eine solche tief greifende Verhaltensänderung auf europäischer Ebene hat auch die globalisierungskritische Organisation Attac im Auge, die in dem kürzlich von ihr herausgegebenen Buch "Ernährungssouveränität" einen Ansatz propagiert, der eine Alternative zur derzeitigen EU-Agrarpolitik darstellt. Der orientiert sich an einem ökologisch und sozial nachhaltigen Landwirtschafts- und Lebensmittelsystem, das von bäuerlicher Landwirtschaft getragen wird, gesunde und leistbare Lebensmittel für alle erzeugt und den Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, ein gerechtes Einkommen durch Verkauf ihrer Produkte sichert. Dass der Großteil der öffentlichen Gelder heute in die Hände von GroßgrundbesitzerInnen und an die exportorientierte Lebensmittelindustrie fließt, und die fortschreitende Industrialisierung und Überproduktion in Europa die Landwirtschaft des globalen Südens zerstört bringt immer mehr Menschen dazu, die Sinnhaftigkeit einer solchen Agrarpolitik vehement anzuzweifeln.

Die konkreten Forderungen von Attac in einer zurzeit laufenden Kampagne sind daher folgende:

  • Den Zugang zu gesunden, vorwiegend lokal produzierten, Lebensmitteln für alle in Europa zu gewährleisten.
  • Eine vielfältige bäuerliche Landwirtschaft in ganz Europa etablieren, stabile und gerechte Preise für Bauern, Bäuerinnen sowie für KonsumentInnen.
  • Der Umstieg auf ökologisch und sozial nachhaltige Formen der Landwirtschaft, welche Grenzen der natürlichen Ressourcen respektieren.
  • Das alsbaldige Ende des Dumpings europäischer Überproduktion in die Lebensmittelmärkte des globalen Südens, welche dort die lokale Produktion zerstört, die mit subventioniertem und daher billigem Import nicht konkurrieren kann.
  • Das Ende der industriellen Tierhaltung, die kaum von Tierquälerei zu unterscheiden ist, und unserer Abhängigkeit von importiertem Soja als Futtermittel.

Und natürlich gibt es Firmen, die auf den Zug des Zeitgeists aufspringen, aber nur am Imagegewinn mitnaschen wollen, ohne notwendige Änderungen vornehmen zu wollen. Der Biomarkt Maran ist so ein Fall. "Eine hohe Verantwortung der Umwelt und den ProduzentInnen gegenüber sollte sich auch auf die eigenen MitarbeiterInnen erstrecken", sagt Alois Bachmeier, stellvertretender Regionalgeschäftsführer der GPA-djp Wien. "Man hat ja ein schweres Glaubwürdigkeitsproblem, wenn man sich nicht seinen eigenen Zielen entsprechend verhält. Amnesty International foltert ja auch nicht." Die GPA-djp wie auch die AK ziehen für einige KollegInnen, bei denen Überstunden nicht ausbezahlt wurden, vor Gericht. In letzter Zeit hat sich die allgemeine Situation im Handel leicht gebessert, allerdings ist stetes Kontrollieren und Aufpassen seitens der Gewerkschaft notwendig. "Wir wollen, dass alle Betriebe die Gesetze einhalten. Seien es Biomärkte oder in die Jahre gekommene Einkaufszentren am Gürtel, die an der Sonntagsruhe sägen", sagt Bachmeier.

Nachhaltig für wen?

Neben dem Biomarkt in Wien, der letztens unrühmliche Schlagzeilen produzierte, ist es der Weltkonzern Kraft Foods, der das Wort Nachhaltig eher kreativ interpretiert. "Kraft Foods ist sehr bedacht auf Nachhaltigkeit. Aber Arbeitsplätze streichen hat sicher nichts mit einer nachhaltigen Unternehmensstrategie zu tun. Schon gar nicht, wenn es nur der Gewinnmaximierung dient", kritisiert Gerhard Riess, Branchensekretär der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE), die Ankündigung, im Bludenzer Schokoladewerk im kommenden Jahr 40 Arbeitsplätze zu streichen. Der Nahrungsmittel-Konzern will eigentlich für "nachhaltiges Wachstum" stehen. "Aber offensichtlich sind damit nicht Arbeitsplätze gemeint. Kostensenkungsprogramm trifft es wohl eher", betont Riess.

Internet:
Slavoj Žižek - Aussagen gezeichnet (Englisch):
www.youtube.com/watch?v=hpAMbpQ8J7g 
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
dinomail@gmx.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum