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Univ.-Prof. Mag. Dr. Sylvia Kritzinger Die österreichischen Jugendlichen gehen zwar seltener zur Wahl, als Personen über 30, auf der anderen Seite sind sie politisch sehr interessiert. Sie wissen ganz genau, welche Partei am besten zu ihnen und ihren Interessen passt.

Wahlvolk ist nicht so manipulierbar

Interview

Sylvia Kritzinger ist Leiterin der akademischen Wahlstudie AUTNES, die das Wahlverahlten der ÖsterreicherInnen wissenschaftlich untersucht.

Arbeit&Wirtschaft: Frau Univ.-Prof. Dr. Sylvia Kritzinger, Sie sind Projektleiterin bei der nationalen Wahlstudie AUTNES – was ist das? 

Sylvia Kritzinger: AUTNES ist die Abkürzung für Austrian National Election Study und das ist die erste akademische Wahlstudie zu den österreichischen Nationalratswahlen. Das Projekt wird im Rahmen der Exzellenzinitiative Nationales Forschungsnetzwerk vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) in Österreich gefördert.
Unser Bestreben ist es, verschiedene theoretische Modelle und Indikatoren, die sich in der internationalen Wahlforschung etabliert haben, auch in Österreich zu untersuchen. Wir haben den Anspruch, einerseits höchsten wissenschaftlichen Standards zu entsprechen und diese auch weiterzuentwickeln, um international einen Beitrag zur Forschung zu liefern, andererseits Aussagen über Österreich und das österreichische Wahlverhalten bei den Nationalratswahlen zu machen – auf akademischer Ebene, komplett unabhängig, also nicht im Auftrag politischer Parteien.  

Diese Art Wahlstudie ist neu für Österreich? 

Akademische Wahlstudien haben in anderen Ländern eine sehr lange Tradition. In Schweden und Großbritannien gibt es sie z. B. seit den 1950ern bzw. 1960ern. Seit den 1980er-Jahren gibt es solche Studien in allen westeuropäischen Demokratien und selbst bei den neuen Demokratien wurde in den 1990er-Jahren darauf geachtet, akademische Wahlstudien einzuführen. Als wir 2009 starteten, waren wir neben Griechenland die einzige  westeuropäische Demokratie ohne nationale akademische Wahlstudie. Wahlanalysen wurden vorher sehr stark von Parteienseite betrieben. Es hat aber auch mit den Veränderungen an den Universitäten zu tun. Erst jetzt hat man die Methoden, die diese Forschung überhaupt erst möglich machen, an den Unis verankert.   

Was genau ist akademische Wahlforschung? 

Die akademische Wahlforschung geht davon aus, dass Wahlen sehr komplexe Systeme sind, in denen jede Menge an Faktoren, Indikatoren und Variablen Wahlentscheidungen beeinflussen.   
Da gibt es viele Theorien, die alle seit den 1940er-Jahren hauptsächlich in den USA weiterentwickelt worden sind, die dann auch mit den empirischen Daten in Österreich gestestet werden. Es geht nicht darum, wer die Wahlen gewinnt, wer sie verliert. Uns geht es darum, zu erklären, wieso die Leute zur Wahl gegangen sind und wieso nicht. Oder auch, wieso wer was gewählt hat.
Im Rahmen der Meinungsforschung geht es vor allem darum: Wer wählt am Wahltag welche Partei, was muss diese im Wahlkampf noch tun, damit ihr Wahlergebnis besser aussieht als aktuell? Die Medien wollen das Publikum informieren – Wahlen sind natürlich spannende News und dementsprechend machen sich Umfragen auch sehr gut.  
Aber uns geht es nicht darum, zu sagen, diese Partei ist zwei Prozentpunkte vor der anderen und die haben aufgeholt um 1,5 Prozent, sondern: Warum wählt man diejenigen, die man wählt bzw. welche Veränderungen gibt es dabei während des Wahlkampfs und worauf sind diese Veränderungen zurückzuführen? Hat es etwas damit zu tun, wie die Parteien kommunizieren? Oder wie die Medien kommunizieren? Hat es damit zu tun, in welchem persönlichen Umfeld man gerade ist, was Familie, Freunde gesagt haben oder ob man in Kontakt mit Parteien, PolitikerInnen, MitarbeiterInnen gekommen bin und, und, und. Es geht uns da um mehr, als wer gewinnen wird und wieviel Männer und wieviel Frauen gewählt haben.


Nämlich?

Wir befragen WählerInnen, und zwar österreichweit und ab dem Alter von 16 Jahren, weil ja „Wählen ab 16“ eine österreichische Besonderheit ist. Wir befragen sie vor der Wahl, während des Wahlkampfes und nach der Wahl, damit wir eventuelle Unterschiede und Entwicklungen feststellen können. Wir analysieren Parteikommunikation, wir analysieren Wahlprogramme, Aussagen in den Medien, Webauftritte etc. Wir analysieren aber auch die Medien selbst. Wie berichten sie über den Wahlkampf? Und wir schauen uns genau an, welche Person konsumiert welches Medium und mit welchen Informationen kommt sie in Kontakt, um eben Aussagen darüber machen zu können, wieso er oder sie die Meinung im Vorfeld der Wahl eventuell geändert hat und eine andere Wahlentscheidung getroffen hat.

Und Social Media? 

Bei der Nationalratswahl 2013 werden wir uns zum ersten Mal auch das Web 2.0 ansehen. Das wird immer wichtiger, auch in Österreich, weil wir eben die wahlberechtigten 16-Jährigen und 17-Jährigen haben. Vor allem JungwählerInnen sind in diesen Foren aktiv. Uns interessiert dabei, ob die sich die politischen Informationen hauptsächlich aus diesem Bereich der Kommunikation holen. Wir wissen ja, dass Parteibindung und Parteimitgliedschaft stark im Sinken begriffen sind. Aber das heißt eben nicht, dass die Menschen nicht trotzdem politisch sind. Vielleicht wurden dazu bisher die falschen Fragen gestellt.  

Welche Ergebnisse brachte AUTNES bisher? 

Was wir uns sehr detailiert angesehen haben, weil Österreich in diesem Bereich eben sehr außergewöhnlich ist, ist das Wahlverhalten bzw. die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen. Es gab ja im Vorfeld viel Kritik an der Entscheidung, das Wahlalter zu senken. Manche haben gemeint, die JungwählerInnen sind nicht reif genug, haben kein Interesse, kein Wissen und dementsprechend ist das auch eine Wahlentscheidung, die nicht gut begründet ist. Das haben wir uns angesehen. 

Und was haben Sie festgestellt? 

Wir können den Kritikern sagen: Das stimmt alles nicht. Die österreichischen Jugendlichen gehen zwar seltener zur Wahl, als Personen über 30, auf der anderen Seite sind sie politisch sehr interessiert. Sie wissen ganz genau, welche Partei am besten zu ihnen und ihren Interessen passt. Sie gehen nicht einfach zur Wahl und machen spontan ein Kreuz bei irgendjemandem, sondern sie wählen sehr bewusst jene Partei, die ihnen ideologisch am nächsten steht. Wir haben dazu sehr positive Ergebnisse aus der Wahl 2008. Und dementsprechend hat sich diese Entscheidung „Wählen mit 16“ bewährt. Natürlich ist das 2008 stark medial begleitet worden, die Parteien haben sich bemüht. Wir werden sehen, wie es sich 2013 weiter bewährt. 

Wie sind die Unterschiede zwischen den Generationen? 

Wenn wir uns die Politikbereiche ansehen, sehen wir, dass die älteren Generationen eher sozioökonomische Politikfelder heranziehen, um z. B. SPÖ oder ÖVP zu wählen, während Jüngere mehr auf soziokulturelle Aspekte Wert legen. Das hat natürlich damit zu tun, dass in der Nachkriegszeit mehr auf Folgendes geachtet wurde: Ist meine Arbeitsstelle sicher, wächst mein Einkommen, fühle ich mich in einer sozialen Hängematte gut aufgehoben? Bei Jüngeren ist das weniger wichtig als soziokulturelle Aspekte, wie Frauenpolitik, Umweltpolitik, Ausländerpolitik. Das kann sich mit der Euro-Krise ändern. Die hat ja großen Einfluss auf die jüngere Generation, die Jugendarbeitslosigkeit steigt. Die Finanzmarktkrise kann durchaus Einfluss auf das Wahlverhalten haben und hier zu Veränderungen bei der jüngeren Generation führen.

Das Phänomen Stronach werden Sie ja erst 2013 untersuchen – wie sieht es aus mit anderen Splitterparteien? 

Wir haben bei der europäischen Parlamentswahl die Liste Hans-Peter Martin untersucht, auf nationaler Ebene wird die Liste jedoch von uns nicht untersucht. In unsere Vorwahlstudie nehmen wir auch das Team Stronach auf. Wie viel Vertrauenswürdigkeit besitzt Stronach? Wo würde man ihn einordnen auf einer Skala von links bis rechts? Diese Fragen werden wir zu Herrn Stronach stellen. Und die Frage: Würden Sie ihn als Bundeskanzler sehen, wenn man ihn direkt wählen könnte? Meines Erachtens wird jedoch seine Stärke überschätzt – selbst in dieser Konstellation von sehr viel politischem Zynismus und Korruptionsvorwürfen.

Haben Sie festgestellt, inwieweit eher Personen und inwieweit eher Ideen gewählt werden? 

Das ist eine lange diskutierte Frage in der Wahlforschung und in der Politikwissenschaft. Es ist tatsächlich immer wieder die Hypothese aufgetreten, dass auch in Ländern wie Österreich Personen wichtiger werden als Parteien. Das kommt ja sehr stark aus den USA, wo sich die Wahlkämpfe stark auf die Personen konzentrieren. Ich würde das ein bisschen für Österreich abschwächen, weil ich glaube, dass es natürlich ein paar WählerInnen gibt, die Persönlichkeiten, Leadership-Eigenschaften als wichtigen Aspekt in ihrer Wahlentscheidung sehen, aber das österreichische Wahlsystem, das ja sehr stark auf Parteien aufbaut, ist weniger anfällig für Persönlichkeitswahl. Wichtiger sind die Positionen der Parteien: Wo stehen sie und welche Vorschläge machen sie zu für mich relevanten Themen?  

Welche Rolle spielen die Medien? 

Wir haben in Österreich sicher sehr mächtige Medien. Da muss ich auch wieder auf die Arbeit der Kollegen Dr. David Johann und Dr. Günther Lengauer verweisen, die das unterucht haben. Und zwar, ob in manchen Zeitungen eher über bestimmte Personen und Parteien berichtet wird – und das fanden sie tatsächlich bestätigt. Die zweite Frage war dann: Hat das auch einen Einfluss darauf, wie die WählerInnen, die diese Zeitungen lesen, über diese Personen denken? Da haben sie auch einen leichten Einfluss feststellen können. Das darf man jetzt nicht überbewerten, aber es gibt diese Tendenzen.  

Woher beziehen die Menschen ihre Informationen über die Parteien noch? 

Es gibt die direkte Parteienkommunikation – vor allem am Land, wo sich die Leute ja sehr gut kennen –, die man nicht unterschätzen darf. Das soziale Umfeld sollte man auf keinen Fall unterschätzen: Mit wem spricht man über welche politischen Themen? Welche Meinungen werden übertragen? Verändert das irgendetwas an meinem Verhalten, an meinen Meinungen? Ich glaube, es wäre falsch zu sagen, dass die WählerInnen komplett ungeschützt den Medien ausgesetzt sind. Sie haben durchaus auch andere Aspekte, die auf sie einwirken und außerdem haben sie eine eigene Persönlichkeit. 
 
Das Wahlvolk ist nicht so einfach manipulierbar, wie manche glauben? 

Alle Modelle des Wahlverhaltens, die von einem extrem einfachen Ansatz ausgehen, würde ich als ungültig betrachten. Wahlentscheidungen sind komplexe Entscheidungen.  

Ist die Entscheidung, nicht zur Wahl zu gehen, ebenso komplex? 

Durchaus. Wenn wir jetzt von einer rationalen Perspektive ausgehen, würde man sagen: Es ist eigentlich rationaler, nicht zur Wahl zu gehen. Was soll meine Stimme unter sechs Mio. Wahlberechtigten schon ausrichten. Wenn man von einer reinen Kosten-Nutzen-Rechnung ausgeht, ist der Nutzen im Vergleich zu den Kosten gering. Wir gehen aber in der Forschung davon aus, dass für viele Menschen ein großer Nutzen allein darin begründet ist, dass man so etwas wie ein staatsbürgerliches Pflichtgefühl hat, das einen dazu bringt, zur Wahl zu gehen. Auch wenn man glaubt, dass man etwas dazu beitragen kann, dass sich die Politik, die Welt ändert, geht man eher zur Wahl.
Wir haben nur in der Umfrageforschung ein großes Problem, was die Erfassung der Wahlbeteiligung anbelangt: Aufgrund dieser sozialen Erwünschtheit behaupten sehr viele, sie waren bei der Wahl, obwohl dies nicht der Fall war. Das gehört sich einfach. 2013 wollen wir es den Personen leichter machen, in diesem Punkt die Wahrheit zu sagen.


Wer nützt AUTNES? 

Wir haben keine Kunden. Alles steht auf unserer Homepage. Wer auch immer daran interessiert ist, kann sich unsere Datensätze, Arbeiten usw. runterladen. Wir sagen, wir haben akademische Arbeit geleistet, auf die soll jeder Zugriff haben. Neben der Verwendung in unseren Forschungsarbeiten nützen wir die Daten vor allem natürlich in der Lehre, weil das auch einer unserer wichtigen Aspekte ist, dass wir unsere Studierenden dahin gehend ausbilden wollen, dass sie mit Daten umgehen können und dass sie Daten kritisch reflektieren können.  

Was für ein Urteil würden Sie unserer Demokratie ausstellen? 

Das ist eine schwierige Frage. Wahlen kann man immer wieder als korrigierendes Element betrachten – WählerInnen sprechen Urteile aus. Und Parteien sollten diese Urteile, die an einer Wahlurne abgegeben werden, sei es bei der Wahlbeteiligung oder bei der Abstimmung, durchaus gründlich reflektieren. Was zwischen den Wahlen passiert, glaube ich, da sind wir  demokratiepolitisch auf einem guten Weg. Alles in allem haben wir eine gesunde Demokratie, wenn man sich ansieht, was wie diskutiert wird, von den Medien aufgegriffen wird.
  
Wir danken für das Gespräch.

Mehr Infos unter: www.autnes.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion aw@oegb.at

Zur Person
Univ.-Prof. Mag. Dr. Sylvia Kritzinger

Geboren 1974 in Bozen, Italien
Studium der Politikwissenschaft, Publizistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien
1997–1999 Hochschullehrgang für Markt- und Meinungsforschung, Universität Wien
1998 Magisterium
1998–2000 Postgraduate-Scholarin am Institut für Höhere Studien, Wien, Abteilung Politikwissenschaft
1998–2002 Doktoratsstudium der Politikwissenschaft, Universität Wien, Dissertation zum Thema „Die Legitimität und Bewertung der Europäischen Union in Italien: politische und ökonomische Faktoren“
2000 Studienassistentin am Institut für Staatswissenschaften, Universität Wien
2000 TMR-Kandidatin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), Abteilung „Institutionen und Sozialer Wandel“
2001–2002 TMR-Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Trinity College Dublin, Abteilung Politikwissenschaft
2002–2003 Lehrbeauftragte (Lecturer) ebenda
2003–2007 Assistenzprofessorin am Institut für Höhere Studien, Abteilung Politikwissenschaft
2004 Expertin für das Belgische Föderale Forschungspolitikbüro für die Ex-post-Evaluierungen von Forschungsberichten
2004 Gastprofessorin an der Donauuniversität Krems
2004–2005 Generalsekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft
2005–2006 Lehrbeauftragte am Institut für Staatswissenschaften, Universität Wien
2006-2012 Vorstandsmitglied des Programms „Quantitative Methoden der Sozialwissenschaft (QMSS I und II)“ der European Science Foundation
seit September 2007 Professur für Methoden der Sozialwissenschaft am Fakultätszentrum für Methoden der Sozialwissenschaft, Universität Wien

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