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Symbolbild zum Bericht Die Beispiele von Prominenten, die des Steuerbetrugs verdächtigt werden oder deshalb bereits verurteilt wurden, zeigen, wie viel Zeit, Geld und Manpower nötig ist, um die komplexen Konstrukte von Briefkastenfirmen, Stiftungen und Co. zu entwirren.
Gabriel Zucman Gabriel Zucman ist Assistenzprofessor an der London School of Economics.
Buchtipp

Kern der europäischen Krise

Interview

Der Ökonom und Piketty-Schüler Gabriel Zucman über seine drei Vorschläge, wie die globale Steuerhinterziehung in großem Stil bekämpft werden kann.

Zur Person: Gabriel Zucman
Er ist 1986 in Paris geboren und studierte Wirtschaftswissenschaften an der École normale supérieure de Cachan. 2012 promovierte er an der École d’Économie de Paris bei Thomas Piketty. Schon in seiner Dissertation beschäftigte er sich mit der Verteilung des Reichtums in der Welt. 2013 erschien Zucmans Buch über Steueroasen auf Französisch. Darin liefert er erstmals nachvollziehbare Schätzungen darüber, wie viel Geld sich in Steueroasen befindet. Die deutsche Übersetzung kam im Sommer 2014 bei Suhrkamp heraus. Zucman ist Assistenzprofessor an der London School of Economics.


 

Arbeit&Wirtschaft: Was glauben Sie – wie ist es um das Wissen über Steueroasen in der Bevölkerung bestellt?

Gabriel Zucman: Wir wissen heute viel mehr als noch vor 15 Jahren. Es wurde sehr wichtige Arbeit von Journalisten und NGOs geleistet, die unser Verständnis von Steueroasen deutlich verbessert hat.

Wieso forschen Sie seit fünf Jahren zum Thema Steueroasen? 

Dafür gibt es zwei Gründe. Ein Ausgangspunkt war die Finanzkrise. Ich wollte wissen, was da vor sich geht, und habe begonnen, internationale makroökonomische Daten zu untersuchen, zum Beispiel über grenzüberschreitende Kredite, Depots etc. Diese Daten zeigen, dass Milliarden von Dollars in Offshore-Finanzzentren wie die Cayman Islands oder die Schweiz transferiert werden. Ich wollte verstehen, was dabei legal, was illegal ist und welche Konsequenzen diese Cashflows haben. Der zweite Ausgangspunkt ist mein Interesse an der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen und dessen Messung. In der Regel messen wir Einkommen und Vermögen anhand von Steuerdaten. Doch es muss uns bewusst sein, dass diese Daten unvollständig sind, weil die Summen fehlen, die in den Steuererklärungen nicht deklariert werden. Mir ging es also darum, unsere Messmethoden von Einkommen und Vermögen zu verbessern und zu vervollständigen und zu untersuchen, wie diese Erkenntnisse unseren Blick auf Ungleichheit verändern.

Welche Ergebnisse Ihrer Untersuchungen haben Sie am meisten überrascht?

Dass die Offshore-Vermögen immer noch sehr dynamisch ansteigen. Obwohl es bereits Fortschritte im Hinblick auf die Lockerung des Bankgeheimnisses gegeben hat, fällt auf, dass das Geschäft der Vermögensverwaltung bei den Schweizer Banken extrem gut läuft und andere Steueroasen sogar noch mehr florieren. Ich war außerdem überrascht, dass es dasselbe Phänomen bei internationalen Unternehmen gibt, die immer größere Teile ihrer Profite in Länder mit niedrigen Steuern verlagern wie nach Bermuda, Irland oder auf die Cayman Islands – und die Zeichen deuten darauf hin, dass es so weitergeht.

Die ungleiche Verteilung von Vermögen ist das Thema unserer Zeit. Zugleich gibt es eine globale Steuerflucht. Wie eng sind die beiden Themen miteinander verknüpft?

Ich weiß es nicht. Es liegen uns kaum Daten darüber vor, wer Steuern hinterzieht und warum. Ich versuche derzeit, mehr darüber herauszufinden. Was klar ist: Steuerflucht ist ein wichtiger Bestandteil der steigenden Ungleichheit. Die Steuern, die multinationale Konzerne zahlen, sind – auf einem globalen Level – stark zurückgegangen, was vor allem den Aktionären zugute kommt. Der Rückgang der Kapitalsteuern und besonders der Einkommensteuern, die Firmen bezahlen, fördert die Ungleichheit auf kraftvolle Art. Wenn es keine Kapitalsteuern mehr gibt, weil die Regierungen Angst davor haben, dass die Unternehmen ihr Geld auf die Bermudas überweisen, könnte das einen dramatischen Effekt auf die Ungleichverteilung von Vermögen haben.

Ihre Arbeit zeigt starke Anknüpfungspunkte an die Thesen, die Thomas Piketty vertritt. Wie stehen Sie zu seiner Arbeit?

Thomas Piketty hat in Paris meine Doktorarbeit betreut und wir arbeiten sehr viel zusammen. Ich war durch seine Arbeit inspiriert und fühle mich als Teil der Bewegung, die über die Ursachen der Ungleichheit nachdenkt – und darüber, welche Art von Institutionen und demokratischen Mitteln wir brauchen, um darauf zu reagieren. Ich frage mich, wie Steuersysteme des 21. Jahrhunderts gestaltet sein sollten oder wie wir multinationale Unternehmen besteuern können.

Sie geben in Ihrem Buch konkrete Empfehlungen, um die Verluste, die weltweit durch Steuerhinterziehung entstehen, in den Griff zu bekommen. Wie sind Sie zu Ihren drei Vorschlägen gekommen?

Eine der Hauptideen in meinem Buch ist, Steueroasen durch Sanktionen zu bekämpfen. Diese Idee war zuvor in der Debatte nicht wirklich präsent, denn die Politiker waren bisher eher der Ansicht, dass es reicht, die Steueroasen freundlich um Kooperation zu bitten. Doch das ist aus meiner Sicht ein naiver Ansatz. Die wirtschaftliche Perspektive auf dieses Problem zeigt, dass Länder nicht auf solche Aufforderungen und Anreize reagieren, solange es sehr profitabel ist, Menschen und Unternehmen zur Steuerhinterziehung zu ermutigen. Nur wenn dieses Verhalten für die Steueroasen sehr unprofitabel wird, werden sie damit aufhören. Das heißt, die Strafen müssen den Kosten, welche Steuerhinterziehung verursacht, proportional entsprechen. Diese ökonomische Sichtweise hat bisher gefehlt. Es gab zwar zum Thema Steuerhinterziehung viele sehr gute Untersuchungen, aber sie kamen vor allem von Journalisten, NGOs und Politikwissenschaftern.

Welche Reaktionen hat Ihr Buch bisher ausgelöst?

Einen großen Fortschritt hat es bereits beim automatischen Informationsaustausch zwischen den Staaten gegeben – hier passieren derzeit substanzielle Veränderungen. Vor fünf oder sechs Jahren hielten die Politiker den automatischen Datenaustausch auf globaler Ebene noch für völlig utopisch – heute entwickelt er sich zum Standard. Weit weniger hat sich bei der Entwicklung eines weltweiten Wertpapierregisters getan. Die Idee ist, dass dort namentlich verzeichnet wird, wer welche Aktien und Anleihen besitzt. Das braucht noch ein bisschen Zeit, aber das Bewusstsein wächst, dass ein solches Register für Transparenz sorgt. Und der dritte Punkt, die Idee der Sanktionen, gewinnt gerade an Popularität. Die USA etwa haben konkrete Strafen für Banken eingeführt, die den automatischen Informationstransfer mit dem Finanzamt verweigern.

Sie haben erstmals Zahlen publiziert, die eine Idee davon geben, wie viel Geld den Staaten durch Steueroasen entgeht. Wie reagierte die Öffentlichkeit darauf?

Die Öffentlichkeit zeigt weltweit Interesse, denn es gab bisher wenig zuverlässiges Zahlenmaterial. Aber es gibt nach wie vor sehr viele Unsicherheiten, denn die Wirtschaftswissenschafter haben sich bisher nicht viel mit diesem Thema befasst. Insofern ist mit meiner Forschung jetzt einmal ein erster und vorbereitender Schritt passiert. Ich hoffe, dass diese Basis zu mehr Forschung in diesem Gebiet führen wird.

Glauben Sie, dass große soziale Probleme aufkommen könnten, wenn wir die Reichen nicht davon abhalten, noch reicher zu werden, unter anderem indem sie Steuerflucht betreiben?

Ungleichheit in einem gewissen Ausmaß ist sicher gut, denn sie motiviert zum Beispiel dazu, hart zu arbeiten oder zu sparen. Aber es kann zu viel Ungleichheit geben, wobei niemand weiß, an welchem Punkt es zu viel wird. Wenn aber der weltweite Trend in Richtung ungleiche Verteilung von Vermögen weitergeht, insbesondere in den USA und den angelsächsischen Ländern, werden wir diesen Punkt in naher Zukunft erreichen. Für den Fall, dass die Ungleichheit zu extrem wird, müssen wir schon jetzt überlegen, mit welchen Maßnahmen wir wieder die Kontrolle darüber gewinnen können.

An Ihren Handlungsempfehlungen fällt auf, dass Sie vor allem an Maßnahmen auf globaler Ebene denken. Glauben Sie nicht, dass individuelle Strafen für Steuerhinterzieher wichtig wären?

Ich halte alle Ebenen für wichtig: Es muss Strafen sowohl für einzelne Steuerhinterzieher geben als auch für Firmen, die Steuerhinterziehung unterstützen, sowie für Länder, die dasselbe tun. Besonders wichtig finde ich es, dass niemand eine Sonderbehandlung bekommt. Das Recht muss bei allen angewandt werden, ohne Ausnahmen.

Die Beispiele von Prominenten, die des Steuerbetrugs verdächtigt werden, zeigen, wie viel Zeit, Geld und Manpower nötig ist, um die komplexen Konstrukte von Briefkastenfirmen, Stiftungen und Co. zu entwirren.

Das Schlüsselproblem dahinter ist die fehlende Transparenz bei Finanzvermögen. Für Grundstücke und Immobilien gibt es Register, wenn sie auch nicht lückenlos sein mögen. Bei Finanzvermögen gibt es hier ein Informationsdefizit: Es fehlt ein weltweites Finanzkataster, auch weil es in vielen Ländern keine Vermögenssteuern gibt. Vermögenssteuern zwingen dazu, Informationen über Finanzvermögen zu sammeln.

Ihr Buch ist auffallend einfach zu lesen. War es Ihre Intention, dass das Thema von möglichst vielen Menschen verstanden wird?

Ja, das war mir sehr wichtig. Das Buch richtet sich an ein breites Publikum, und ich habe mich wahnsinnig bemüht, sehr klar und verständlich zu schreiben. Es freut mich, dass mir das offenbar gelungen ist. Die Informationen und Daten sollen den Bürgern dazu dienen, einen demokratischen Prozess in Gang zu setzen. Sie haben damit Argumente in der Hand, um die Politik zu Veränderungen auf diesem Gebiet zu bewegen.

Sie schreiben, die bisherigen Maßnahmen gegen Steuerbetrug hätten kaum Wirkung gezeigt. Warum ist das so? Müssen wir den Regierungen unterstellen, dass sie eigentlich gar nichts dagegen unternehmen wollen?

Über einen langen Zeitraum war der politische Wille tatsächlich zu gering. Es herrschte die Einstellung, gegen Steuerbetrug könne man ohnehin nichts unternehmen. Doch jetzt gibt es Fortschritte seitens vieler Regierungen. Natürlich braucht es noch mehr davon. Es geht jetzt vor allem darum, das Problem genau zu erklären, und es braucht Druck seitens der Zivilbevölkerung.

Brauchen wir mehr politische Bekenntnisse gegen Steuerbetrug?

Was wir brauchen, sind Politiker mit dem Willen, Sanktionen und Strafen gegen Länder zu verhängen, die nicht kooperieren. Wir brauchen starke politische Führer, die bereit sind, dem Anreizsystem der Steueroasen etwas entgegenzusetzen.

Warum existiert ein weltweites Wertpapierregister, wie Sie es vorschlagen, nicht längst?

Es muss intensiv darüber diskutiert werden, wie ein solches Register konkret funktioniert. Natürlich kostet das auch etwas, nur dürfen die Kosten nicht übertrieben hoch sein. Es geht auch um Fragen der Datensicherheit, damit es hier keinen Missbrauch gibt. Da ist noch sehr viel zu tun. Aber schlussendlich muss es ein solches Register geben.

Selbst wenn all Ihre Vorschläge realisiert werden würden: Würden einige es sich nicht wieder richten und neue Wege finden, um ihrer Steuerschuld zu entkommen?

Nein, das glaube ich nicht. Wir sind dem Steuerbetrug nicht schicksalhaft ausgeliefert. Es gibt Wege, damit fertig zu werden. Natürlich müssen die Instrumente und Steuerinstitutionen laufend neu erfunden und dann konstant immer wieder angepasst werden – wenn zum Beispiel neue Anlageformen wie etwa Bitcoins entstehen.

Die Maßnahmen und Sanktionen, die Sie vorschlagen, sind ziemlich hart. Geht es wirklich nur auf diese Tour? Oder haben Sie auch andere Möglichkeiten in Betracht gezogen und überprüft?

Natürlich gibt es verschiedene andere Möglichkeiten, zum Beispiel Strafzahlungen für Banken. Ich versuche in meinem Buch, sehr konkrete Vorschläge zu machen. Was wichtig ist, ist ein Prinzip: Die Strafen müssen den Steueroasen teurer kommen, als sie durch die Steuerhinterziehung gewinnen.

Wie wichtig ist es, ständig an diesem Thema dranzubleiben und die Daten aktuell zu halten?

Das ist sehr wichtig. Ich versuche laufend, meine Schätzungen zu aktualisieren, denn, wie gesagt, das Offshore-Vermögen steigt nach wie vor sehr rasch an. Ich stelle regelmäßig neue Daten auf meine Website (gabriel-zucman.eu) und schreibe immer wieder neue Aufsätze. Im September 2015 wird mein Buch in aktualisierter und erweiterter Auflage auf Englisch erscheinen. Die Welt ändert sich ständig, und es ist sehr wichtig, am Ball zu bleiben, aktuelle Entwicklungen zu verfolgen und immer die neuesten Daten einzubeziehen.

Würden Sie Österreich als Steuerparadies bezeichnen?

Bis vor Kurzem wehrte sich Österreich gegen den automatischen Informationsaustausch innerhalb der EU. Von diesem Standpunkt aus gesehen, hat Österreich die Steuerflucht bis dahin ermöglicht und wurde zu Recht auf der Liste der Steuerparadiese geführt. Nun hat es seinen Widerstand aufgegeben.

Sind Sie in dieser Einschätzung nicht sehr milde, immerhin ist Österreich das einzige EU-Land, das seine Teilnahme am automatischen Informationsaustausch auf OECD-Ebene auf 2018 verschoben hat?

Es gibt dennoch positive Entwicklungen. Vor allem aber waren in Österreich nie große Summen an ausländischem Vermögen geparkt. Die Beträge sind vergleichsweise bescheiden, laut Oesterreichischer Nationalbank sind es 30 Milliarden Euro. Zum Vergleich: In Luxemburg sind es zehnmal so viel, in der Schweiz 60-mal so viel. Österreich war also nie ein bedeutender Finanzplatz. Von daher ist es eigentlich nicht nachvollziehbar, warum man so lange weiterhin am Bankgeheimnis festgehalten hat und sich über Jahre hinweg aufseiten Luxemburgs so engagiert hat, um das Bankgeheimnis aufrechtzuerhalten oder den automatischen Informationsaustausch und die EU-Sparrichtlinie zu verzögern.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Anonymer Beitrag 28.01.2015 06.30 Ungleiches Einkommen Die Wissenschaft liefert immer mehr Belege, dass jeder Mensch ein Genie ist.
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