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Die Belegschaft der mittlerweile stillgelegten Glanzstofffabrik St. Pölten 2002 beim Kampf um einen fairen KV. Kollektivvertragsverhandlungen sind meistens sehr hart und oft geht es nicht ohne zusätzlichen Druck aus den Betrieben. Die Belegschaft der mittlerweile stillgelegten Glanzstofffabrik St. Pölten 2002 beim Kampf um einen fairen KV. Kollektivvertragsverhandlungen sind meistens sehr hart und oft geht es nicht ohne zusätzlichen Druck aus den Betrieben.

Immer herausgefordert

Schwerpunkt

Vor 70 Jahren wurde der Österreichische Gewerkschaftsbund gegründet. Das brachte den ArbeitnehmerInnen viel, auch wenn nicht alles gelang.

Im April 1945 wurde die österreichische Gewerkschaftsbewegung nach Diktatur, Faschismus und Krieg wieder „aktiviert“. Hier sollen nur zwei der Herausforderungen angesprochen werden, denen sie sich von Anfang an zu stellen hatte – vielleicht ein Beitrag zu weiterer Diskussion und weiterem Nachdenken.
Die eine Herausforderung bestand darin, die bestmögliche Organisation zur Vertretung der Interessen von ArbeitnehmerInnen zu schaffen. Ihr begegneten die GewerkschafterInnen von 1945 mit einem Konzept, das noch immer das Prädikat „weltweit einmalig“ verdient. Es mussten Verletzungen geschluckt und Traditionen aufgegeben werden, um dieses Konzept eines überparteilichen, einheitlichen Gewerkschaftsbundes zu verwirklichen. Immerhin hatten christliche GewerkschafterInnen unter dem austrofaschistischen Regime 1934 bis 1938 führende Positionen, während sozialistische und kommunistische GewerkschafterInnen in die Illegalität gedrängt worden waren. Ohne die gemeinsame Ablehnung des Nationalsozialismus und die Erfahrungen unter dem NS-Regime hätte das „Projekt ÖGB“ wohl keine Chance gehabt. ÖGB-Generalsekretär Anton Proksch betonte diesen Umstand noch 1951: Die in der österreichischen Gewerkschaftsbewegung von heute führenden Männer waren zum großen Teil schon früher hervorragende Funktionäre und haben für die Befreiung der Arbeiterschaft auch im illegalen Kampf schwere Opfer auf sich genommen. Die „führenden Frauen“ aus dem Widerstand vergaß Proksch allerdings zu erwähnen.

Die sehr schwierigen Verhandlungen in Wien dauerten vom 11. bis zum 30. April, die Chefverhandler waren für die ehemaligen Freien Gewerkschaften der Bauarbeiter Johann Böhm, für die Christlichen GewerkschafterInnen Lois Weinberger von den Angestellten und für die kommunistische Seite der Lederarbeiter Gottlieb Fiala. Auch Vertreter der EisenbahnerInnen, der ChemiearbeiterInnen, der Land- und ForstarbeiterInnen und der Buchdrucker gehörten dem Verhandlungsteam an. Als die Verhandlungen begannen, wurde in manchen Bezirken noch gekämpft. Als die Einigung erreicht war, hatte die Rote Armee Wien bereits von der NS-Herrschaft befreit, die Sozialistische Partei und die Volkspartei hatten sich konstituiert und mit der Kommunistischen Partei am 27. April die Zweite Republik ausgerufen. Am 30. April genehmigte die sowjetische Kommandantur die provisorischen ÖGB-Statuten. Die in ihnen festgeschriebenen, auch nach 70 Jahren noch geltenden Grundsätze sind:

  • Überparteilichkeit: statt Richtungsgewerkschaften eine überparteiliche, aber nicht unpolitische Organisation.
  • Einheitlichkeit: statt vieler nur locker verbundener Vereine ein einheitlicher Gewerkschaftsbund, der alle Einzelgewerkschaften einschließt.
  • Flexibles Industriegruppenprinzip: Es gibt keine Fachgewerkschaften. Das heißt: In einem Betrieb sind die ArbeitnehmerInnen unabhängig von ihrem Beruf in einer oder, soweit es die Angestellten in der Privatwirtschaft betrifft, in zwei Gewerkschaften organisiert.

Der erste ÖGB-Kongress erhob diese Prinzipien 1948 zum gültigen Beschluss und auch die Organisation in damals 16 Gewerkschaften wurde festgelegt. Fraktionen gab es offiziell bis in die 1980er-Jahre keine, aber sie bildeten sich in Nachfolge der alten Richtungsgewerkschaften trotzdem heraus. Das Prinzip der Überparteilichkeit blieb dabei anerkannt, trotz mancher Verlockungen, es aufzugeben – zuletzt unter den rechtskonservativen Regierungen nach dem Jahr 2000.

Eine der entscheidenden Leistungen des ÖGB war es, die in den Parteien durchaus umstrittene rasche Wiedererrichtung der 1934 gleichgeschalteten und 1938 abgeschafften Arbeiterkammern durchzusetzen. Ihre in den 1920er-Jahren wichtige Funktion des politischen Interessenausgleichs übernahm zwar ab dem April 1945 der ÖGB selbst, aber im Rahmen des sich entwickelnden Konfliktregelungsmechanismus der Sozialpartnerschaft wurden sie neuerlich unverzichtbar. Gerade wegen der engen Verbindungen kam es öfter zu Spannungen, etwa hinsichtlich der Anerkennung der politischen Vorrangstellung der Gewerkschaftsbewegung. Aber alle Versuche, AK und ÖGB gegeneinander auszuspielen, misslangen. Der Schulterschluss bei der Verteidigung des Sozialstaats, vor allem gegen die Sozialabbaupläne ab 2000, brachte den österreichischen ArbeitnehmerInnen immerhin die Abwehr von ähnlichen Maßnahmen, wie sie in Deutschland unter den Schlagworten „Hartz IV“ und „Riester-Rente“ umgesetzt wurden.

Die Kooperation zwischen der AK, dem ÖGB und seinen Gewerkschaften erhielt mit dem Arbeiterkammergesetz 1992 eine Rechtsgrundlage. Ihre Zusammenarbeit wurde aber über Jahrzehnte ohnehin als selbstverständlich akzeptiert. Das gilt auch für die Vernetzung von betrieblicher Interessenvertretung und Gewerkschaft, die 1974 mit dem Arbeitsverfassungsgesetz ihre Rechtsgrundlage erhielt. Seitdem dürfen GewerkschaftsvertreterInnen von den Betriebsräten zu ihren Beratungen beigezogen werden und im Notfall kandidieren, auch wenn sie nicht in dem betreffenden Betrieb arbeiten. Die sofort nach der Befreiung spontan und bis 1947 noch ohne Rechtsgrundlage gewählten Betriebsräte bildeten 1945 die Basis für den Aufbau der ÖGB-Organisation und blieben für die meisten Gewerkschaften die Organisationsbasis. Mit der Erschwernis der Errichtung von Betriebsräten in der neoliberalen Wirtschaft und/oder der häufigeren Wahl gewerkschaftsferner Betriebsräte steht dieses Konzept auf dem Prüfstand. Die konsequente Beteiligung von Betriebsratsmitgliedern an den Kollektivvertragsverhandlungen ist ein Ansatz, hier eine neue Kontakt- und Verantwortungsebene einzuziehen.

Die erste und allergrößte Herausforderung, der sich der ÖGB und seine Gewerkschaften wie jede Gewerkschaftsbewegung zu stellen hatten und haben, ist selbstverständlich das Sichern und Verbessern von Lebensgrundlagen und Lebenschancen für die ArbeitnehmerInnen. Unter der Vielzahl an Instrumenten, die genutzt werden können, um diese Ziele zu erreichen, war und ist der Abschluss von überbetrieblichen und möglichst flächendeckenden Kollektivverträgen das entscheidende. Die Betonung liegt auf „überbetrieblich“, denn was passiert, wenn auf Firmenverträge umgestiegen wird, zeigte sich im neoliberalen Großbritannien der Margaret Thatcher in den 1980er-Jahren: Der Anteil der ArbeitnehmerInnen unter KV-Schutz sank innerhalb von zehn Jahren von 70 auf 47 Prozent – mit entsprechenden Folgen für Lohnniveau und Arbeitsbedingungen.
Dass der ÖGB die Existenz überbetrieblicher Kollektivverträge mit Zähnen und Klauen verteidigt, ist also auch volkwirtschaftlich sinnvoll, ebenso das Festhalten an der seit 1930 bestehenden „Außenseiterwirkung“ von Kollektivverträgen. Dadurch und weil die Verhandlungspartnerin Wirtschaftskammer für alle ihr zugehörigen Arbeitgeber abschließt, gelten in Österreich Kollektivverträge nicht nur für Gewerkschaftsmitglieder. Dies half unter anderem bei der Kurzarbeitsregelung zu Beginn der Wirtschaftskrise 2009, fairere Bedingungen zu schaffen als etwa in Deutschland.

Das Zunehmen der Schere zwischen Arm und Reich und spürbare Reallohnverluste ab den 1990er-Jahren konnten trotz der Breitenwirkung der Kollektivverträge nicht verhindert werden, und das bei zum Teil durchaus gut verhandelten KV-Abschlüssen. Der Vorwurf einer zu lange zu zurückhaltenden Lohnpolitik mag für manche Bereiche sicher zutreffen, zeigt aber kaum den Kern des Problems auf. Ab der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre und massiv ab 2000 war eine Steuer- und Budget-Politik festzustellen, die die ArbeitnehmerInnen deutlich benachteiligte. Mit der seit 2014 laufenden Kampagne zur Senkung der Lohnsteuer, die den notwendigen Druck auf die politischen EntscheidungsträgerInnen erzeugte, um eine ArbeitnehmerInnen-freundliche Steuerreform zu erreichen, konnte der ÖGB diesen Trend stoppen. Er machte sich damit das richtige „Geburtstagsgeschenk“.

Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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