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Die Rechnung ohne den Wirt gemacht? "Die Rechnung steht auf dem Bierdeckel drauf, doch beim Wirt, da hat jeder Kredit", sang schon Udo Jürgens. Ist damit jetzt Schluss?

Die Rechnung ohne den Wirt gemacht?

Schwerpunkt

Registrierkassenpflicht gegen Schwarzgeld im Gasthaus - eine Spurensuche.

Im Mittelalter unterschied ein Schild zwischen „Wirt mit Schildgerechtigkeit“ oder „Heckenwirt“. Das erste Schild erhielt man nach sorgfältiger Prüfung durch die Obrigkeit. Das zweite Schild hingegen wies darauf hin, dass der Wirt überwiegend abgabenfrei gestellt und eher schlecht beleumundet war. Dieser Tage scheint die Rolle dieser Schilder die Registrierkasse zu übernehmen. Die geplante Einführung manipulationssicherer Registrierkassensysteme für Betriebe mit überwiegend Bareinnahmen (ab einem Jahresnettoumsatz von 15.000 Euro) soll den Mehrwertsteuerbetrug bekämpfen und 900 Millionen Euro einspielen. Dies betrifft zwar alle Branchen, am lautesten aber war die Empörung der Gastronomie. Christoph Matznetter, Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes, erklärt sich den Unmut aus der Summe der Maßnahmen in letzter Zeit so: „Der Brocken ist schon enorm“, und gerade das Rauchverbot bringe für Gasthäuser auf dem Land viele Probleme: da „dreht der Letzte dann das Licht ab“.

Beisl ums Eck – bald weg?

Gasthof-Pension Waltner, Wilhelmsburg: PensionistInnen sitzen neben ArbeiterInnen und genießen Hausmannskost. Das Schwein für die Schlachtplatte kommt aus der Region, wird selbst zerlegt und gesurt, die Weine selbst gekeltert, selbst gemachte Säfte und Marmeladen stehen zum Verkauf. Atmosphärisch erinnert es an das von Udo Jürgens besungene „kleine Beisl“: „Die Rechnung steht auf dem Bierdeckel drauf, doch beim Wirt, da hat jeder Kredit.“ Damit ist am 1. Jänner 2016 Schluss. Den Tagesumsatz ermittelte man bisher mittels Kassasturz, ergänzt um schriftliche Einzelaufzeichnungen, kunstfertig stehen Zahlen, Getränke, Speisen nebeneinander. Bei der Finanzamtsprüfung wurden diese mit dem Handy abfotografiert – alles in Ordnung. Das achtköpfige Team gehört zur Familie oder arbeitet schon so lange dort, dass man so gut wie verwandt ist. Insgesamt rechnet Wolfgang Waltner mit Kosten von 15.000 Euro für das neue System. Ärgerlich macht ihn nur ein Punkt: „Wir werden alle als Verbrecher hingestellt. Es ist eine Frechheit, dass die Kleinen die Steuerreform zahlen.“ Seine Kinder werden das Geschäft nicht übernehmen, die „sollen was Gscheites machen“.
„Schwarzarbeit kann doch kein Geschäftsmodell sein“, kommentierte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner die Aufregung der Wirte. Doch Branchenkenner behaupten genau das Gegenteil. „Wenn du ehrlich bist in der Branche, verdienst du nichts“, lautet ihr Urteil. „Wer gekränkelt hat und nur dank Schattenwirtschaft überlebte, bei dem wird durch die Registrierkassenpflicht der Stecker gezogen“, meint auch vida-Vorsitzender Berend Tusch.
Der Tourismus liegt mit ca. 16 Prozent an zweiter Stelle im österreichischen Schattenwirtschafts-Ranking, sagt Friedrich Schneider von der Johannes Kepler Universität Linz. 3,4 Milliarden an Wertschöpfung werden so am Staat vorbeigewirtschaftet. Die Höhe des Schwarzgelds wird äußerst unterschiedlich eingeschätzt. Die AK etwa schätzt, dass ein Drittel der Umsätze schwarz eingefärbt ist. Schneider wiederum, der seit 1999 Repräsentativbefragungen (1.200 Personen) und Makroschätzungen durchführt, schätzt, dass 80 bis 90 Prozent der Umsätze legal sind. Schwarzgeld und Schwarzarbeit gehen Hand in Hand, Gründe dafür gibt es viele. Zu hohe Lohnkosten und Sozialabgaben, kurzzeitig benötigte Aushilfen bei Auslastungsschwankungen, sagt die eine Seite – „besser einen schwarz bezahlten Job als gar keinen“, meint die andere.

Fluchtbranche

„A Wirt ist immer a Treffer“, kommentierte ein Finanzprüfer sein Erscheinen in einem Wiener Gasthaus. Die Zahlen geben ihm recht: 2014 folgten bei den 5.590 überprüften Gastronomiebetrieben 2.110 Anzeigen. Die Finanzpolizei überprüft neben Abgaben- und Finanzstrafrecht vielfältige Vergehen wie Ausländerbeschäftigung und die ASVG-Anmeldung. Seit 16 Jahren kennt Julia Vazny-König von der AK die Arbeitsrechtsfälle im Gastgewerbe: „Früher bezahlte man die Überstunden, heute werden viele nur geringfügig angemeldet und der Rest auf die übliche 60-Stunden-Woche wird schwarz bezahlt.“ Um diesen Eindruck zu überprüfen, führte die AK 2013 eine Stichprobe von 371 Fällen durch, die sich an die Arbeiterkammer gewandt hatten. Bei 45 Prozent stimmte die Lohnabrechnung nicht mit der tatsächlichen Arbeitszeit überein. Wer sich auf diesen Deal einlässt, unterschätzt die negativen Auswirkungen auf die eigene Pension. „Man findet keine anderen Jobs, sagen manche. Andere wissen es gar nicht und erfahren erst beim Arzt, dass sie nicht richtig angemeldet sind.“ Das Gastgewerbe steht in dem Ruf, „Fluchtbranche“ zu sein – ohne viel Vorkenntnisse in den Job rein, Geld verdienen  und wieder raus, viele sehen es als Übergangsjob, und gerade für MigrantInnen ist es ein Einstiegsjob. Die mangelnde berufliche Identität schlägt sich auch in einem niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad nieder. Dies wiederum ist mit ein Grund für die niedrigen Kollektivverträge: Der Mindestlohn liegt bei 1.400 Euro brutto. Mit der Registrierkassenpflicht erfüllt sich eine langjährige Forderung der Gewerkschaft vida. Zur Bewusstseinsbildung der KonsumentInnen für Mehrwertsteuerbetrug führte sie die Aktion „Schick uns deine Rechnung“ durch und verloste unter den TeilnehmerInnen Preise.

Misstrauen auf allen Seiten

Die erste Registrierkasse wurde im Übrigen Ende des 19. Jahrhunderts in den USA gebaut. Trotz guter Besucherfrequenz fehlte dem Saloon-Besitzer in Dayton, James Jacob Ritty, abends Geld in der Kassa. Die Mitarbeiter seines „Pony House“ mussten in die eigene Tasche gearbeitet haben, vermutete er. Ganz so wie sich die Umdrehungen der Schiffsschraube zählen ließen, müsse sich doch auch die Anzahl der Getränke und Speisen mitzählen lassen, überlegte er sich. Aus einer Holzkiste baute er die erste Registrierkasse, die er 1879 zum Patent anmeldete. Jede Bestellung wurde durch Drehen an der Kurbel bestätigt, erst dann öffnete sich – mit lautem Klingeln – die Bargeldlade: Gäste wie Chef waren nun über die registrierte Bestellung informiert. „Es ist eine Tatsache, dass sich vor allem größere Betriebe elektronische Kassensysteme zur Eigenkontrolle angeschafft haben, um zu verhindern, dass sich das Personal heimlich am Umsatz bedient“, so der Fachverband für Gastronomie. Aber selbst Kassensysteme helfen nicht, wenn Küche und Service gezielt kriminell zusammenarbeiten. Deshalb wird in einigen Tiroler Großbetrieben die Bonausgabe videoüberwacht. So wird kontrolliert, ob irgendwelche unauffälligen Vermerke am Bon gemacht werden, die der Verständigung dienen: Dann werden etwa zwei Schnitzel zubereitet und bezahlt, aber nur eines boniert. Bereits bisher war für Betriebe ab einem Umsatz von 150.000 Euro ein Kassensystem vorgeschrieben. Getrickst wurde dennoch: durch einen „Trainingskellner“, Zwischenabrechnungen oder gleich durch ein System mit einem „Schwarzschlüssel“. Diese Manipulationen verunmöglicht der geplante INSIKA-Standard der neuen Regelung. Diese „Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme“ bietet über einen Smartcard-Schlüssel eine abgesicherte Verbindung, die alle Transaktionsdetails automatisiert weitergibt, jedes Storno bleibt sichtbar. Zusätzlich zur Rechnungsnummer gibt es einen Code, der die Echtheit der Belege und Vollständigkeit der Aufzeichnung bestätigt. Was allerdings kein Kassensystem verhindern kann, ist die Nichterfassung von Umsätzen. Da hilft nur eines – Vertrauen: gegenüber Personal und GastronomIn. Vertrauen ist Bindemittel unserer Gesellschaft, es fördert Selbstständigkeit wie Arbeitszufriedenheit. Misstrauen ist teuer und führt zu Überwachung und irgendwann zu Stillstand.
Es gehöre zur österreichischen Lebensart, gut (und im europäischen Vergleich) günstig essen zu gehen, meinen viele. Muss man also höhere Preise akzeptieren, wenn man mehr Transparenz und bessere Arbeitsbedingungen haben will? Ja, meint vida-Vorsitzender Berend Tusch, außerdem böte die Billiggastronomie ohnehin keine guten Jobs für ArbeitnehmerInnen. Bei den GastronomInnen wiederum führt ein anderes Thema die Forderungsliste an: die Lohnnebenkosten spürbar zu senken. Diesem schließt sich auch Christoph Matznetter an.

Geschäftsmodell Schwarzgeld?

Dass die Branche schon jetzt unter einem schlechten Image leidet und entsprechend mit Nachwuchsproblemen kämpft, erklärt wohl auch den Unmut bei vielen GastronomInnen. Auch kann es kaum Ziel der Registrierkassenpflicht sein, Wirtsleute in den Ruin zu treiben. Sehr wohl aber wird man sich in der Branche und darüber hinaus überlegen müssen, wie man erreichen kann, dass Schwarzgeld und -arbeit nicht länger das erfolgversprechende Geschäftsmodell in der Branche ist.

Internet:
Klaus Maack (u. a.): Die Zukunft des Gastgewerbes. Reihe Personalarbeit im Betrieb:
www.boeckler.de/pdf/p_edition_hbs_188

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info  oder die Redaktion aw@oegb.at

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