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Symbolbild zum Beitrag: Besser gut leben als besser Ein gutes Leben laut Aristoteles ist ein aktives, für das der Mensch selbst die Verantwortung trägt.
Buchtipp

Besser gut leben als besser

Schwerpunkt

Die Frage nach dem guten Leben beschäftigt den Menschen seit den Anfängen der Philosophie. Ein Überblick.

Gibt man den Begriff „Besser leben“ in eine Suchmaschine ein, so finden sich unter den Ergebnissen vorrangig Wohlfühlpakete von Versicherungen, Anzeigen von Wellnesseinrichtungen und Lifestyle-Magazinen. Die Thematik des „guten Lebens“ hingegen ist wesentlich komplizierter, ist sie doch „ein philosophisches Grundthema, mit dem nicht das individuelle Glück, sondern die Reflexion über die richtige Lebensweise“ gemeint ist, „die sich an einem höchsten Ziel orientiert“, wie etwa die Wirtschafts- und Sozialwissenschafterin Elisabeth Schmid meint. In diesem Zusammenhang ist Aristoteles nicht weit.

Aristoteles

„Wir haben viele ethisch-moralische Argumente, Ideen der Gerechtigkeit, Tugend, des rechten Maßes, des guten Lebens, des Glücks, die alle Zentralbegriffe einer nicht christlichen Philosophie sind, nicht zuletzt der Begriff der ‚Ethik‘ selbst“, verweist der Philosoph Konrad Paul Liessmann auf eine Denktradition, die in der Antike, vorwiegend der aristotelischen Philosophie, wurzelt.
Ein gutes Leben, so bestimmte es der im 4. Jahrhundert vor Christus geborene Aristoteles, ist ein aktives, für das der Mensch selbst die Verantwortung trägt. Sein Handeln orientiert er an einer bestimmten Zielhierarchie: Niedere, aber dennoch legitime Ziele sind etwa das Streben nach Reichtum und Besitz, die nur als Mittel zu einem höheren Zweck gelten. Ehre, Lust und Vernunft stehen darüber, wobei das höchste Ziel, die Glückseligkeit (Eudaimonia), ein von einem guten Geist beseeltes Leben ist. Das oberste Ziel erreicht jener (niemals jene), der die ihm eigenen Fähigkeiten voll entfaltet. Dazu gehört nicht nur die Übung des Geistes, sondern auch die Teilnahme am politischen Geschehen. Die politische Gemeinschaft wiederum zeichnet sich durch ihr gemeinsames Interesse an Recht und Gerechtigkeit aus, die wesentlich zu einem guten Leben gehören.

Privileg weniger

Diese Lehre war sozusagen ganzheitlich, blieb allerdings das Privileg weniger. Die angestrebte „vollkommene Gemeinschaft“ basierte auf strenger Hierarchisierung, die dem freien Mann und Bürger mehr Rechte einräumte als Frauen, Kindern, SklavInnen und allen Nicht-GriechInnen.
Ende des 20. Jahrhunderts verzeichneten die einschlägigen Überlegungen eine Art Renaissance. In enger Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Moralphilosophin Martha C. Nussbaum entwickelte der indische Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen Konzepte zum guten Leben jenseits von westlicher Fixierung auf materiellen Wohlstand und Wirtschaftswachstum. Zwar mündete die philosophische Kooperation der beiden zunächst in dem (1993) gemeinsam herausgegebenen Buch „The Quality of Life“, doch trennten sich die intellektuellen Wege anschließend in zwei Ansätze, die gerne verwechselt werden. Schließlich haben beide die gleiche sperrige Bezeichnung, nämlich „capability approach“ (Befähigungsansatz oder auch Fähigkeiten-Ansatz). Der westlich gebildete Inder Sen geht von der Vorstellung eines autonomen Individuums aus, das seine Chancen wahrnimmt und so ein selbstgewähltes, freies Leben verwirklicht. Ein (finanzielles) Einkommen ist zwar kein hinreichendes, aber notwendiges Mittel, um die eigenen Wahlmöglichkeiten zu erweitern. Wirtschaftswachstum ist in seinem Fähigkeiten-Ansatz nur ein Mittel, um das höhere Ziel, die Erweiterung der Freiheit zu erreichen.

Eigenständige Theorie

Martha Nussbaum entwickelte eine eigenständige Theorie, die universelle Aussagen über ein gutes und gerechtes Leben ermöglichen soll. „Man fange mit dem Menschen an“, heißt es in ihrem Buch „Gerechtigkeit oder das gute Leben“, „mit den Fähigkeiten und Bedürfnissen, die allen jenseits der Schranken von Geschlecht und Klasse, Rasse und Nation gemeinsam sind.“ Sie erstellte eine Art Kriterienkatalog auf zwei Ebenen, der von der Grundstruktur des Menschen zu seinen Grundfähigkeiten führt. So legen es unsere kognitiven Fähigkeiten („erste Schwelle“) nahe, diese auch zu verwenden. Etwa dazu, Sinne und Fantasie zu gebrauchen, zu urteilen oder eine angemessene Erziehung zu erfahren („zweite Schwelle“).
Unsere Grundstruktur der praktischen Vernunft ermöglicht es uns, eine Vorstellung des Guten zu entwickeln und kritische Überlegungen zur eigenen Lebensplanung anzustellen. Diese beinhaltet laut Nussbaum die politische Teilhabe und die berufliche Tätigkeit außer Haus. Das stellt die Philosophin Martina Schmidhuber in ihrem Aufsatz „Ist Nussbaums Konzeption des guten Lebens interkulturell brauchbar?“ infrage: „Ist nicht davon auszugehen, dass gutes Leben für jeden Menschen anders aussieht?“ Eine Kritik, die für Nussbaum nicht neu ist. Sie konstatiert, dass viele Benachteiligte sich mit ihrer Situation abfinden würden. Deshalb gehe es auch darum, den Menschen zu vermitteln, was zu einem guten Leben gehört bzw. sei es Aufgabe des Staates, die erforderlichen Mittel dafür bereitzustellen.

Buen vivir

Auch in den indianischen Traditionen Lateinamerikas gibt es Konzepte des guten Lebens, die in der aktuellen Auseinandersetzung mit den Folgen von Neokolonialismus und Neoliberalismus neu aufgegriffen wurden. 2008 wurde der indigene Begriff „sumak kawsay“ (Leben in Fülle) als Staatsziel in der ecuadorianischen Verfassung verankert. 2009 fand das „suma qamaña“ (gut leben) Eingang in die Magna Carta von Bolivien. Indigene Intellektuelle verweisen darauf, dass ihre Weltanschauung zunächst eine Lebenspraxis ist, ein Konzept, das ständig an neue Lebenszusammenhänge angepasst wird.
Das gute Leben, so Fernando Huanacuni, Philosoph der bolivianischen Aymara, definiere sich durch das Wissen um ein Leben in Harmonie im Gleichklang mit der Natur, wo alles mit allem verbunden und alles Teil des Ganzen ist. Trotz einiger Kritik – schließlich sind die Bodenschätze der beiden südamerikanischen Staaten wichtige Devisenbringer – gilt die Hinwendung zu indigener Kosmovision vielen doch als radikale Alternative zum herrschenden Verständnis von Entwicklung und als Antwort auf die Krise des Westens mit seinem Glauben an Wachstum und Fortschritt.

Gutes Leben für alle

„Als politischen Slogan finden wir das ‚gute Leben‘ bei so unterschiedlichen Gruppen wie Attac, der Grünen Bildungswerkstatt, der IG Metall oder feministischen Gruppen“, schreibt der Ökonom Andreas Novy in seinem Aufsatz „Ein gutes Leben für alle – ein europäisches Entwicklungsmodell“. Des Weiteren: „Ist er bloß Mode oder eröffnet dieses Konzept Raum für eine Suchbewegung, die nicht nur Alternativen zum Neoliberalismus, sondern langfristig den Weg in eine andere Gesellschaft weist?“ Die Idee, so beantwortet er die Frage selbst, „kann handlungsanleitend für ein europäisches Wohlfahrtsmodell im 21. Jahrhundert sein, wenn es um eine ökologisch sensible Transformation des europäischen Wohlfahrtskapitalismus geht“.

Unbeeindruckter Mainstream

Die Bewegung der Weltsozialforen, die 2001 in Brasilien ihren Ausgang nahm, hat sich zur größten globalen zivilgesellschaftlichen Initiative für ein gutes Leben für alle entwickelt. Mit dem Slogan „Wir wollen nicht besser leben, wir wollen gut leben“ wurde beim Treffen in Belém 2009 der Ideologie des Wachstums erneut eine Absage erteilt.
„Seit Jahren gibt es eine blühende Avantgarde, die Wirtschaft und Gesellschaft neu denkt und lebt“, heißt es auf der Website des Kongresses 2015 und der Dialogreihe „Gutes Leben für alle“. Trotz Klimawandel und besorgniserregenden Sozialberichten blieben der politische und gesellschaftliche Mainstream davon weitgehend unbeeindruckt. „Es geht um die Politisierung der Frage nach dem gelungenen Leben und seinen Voraussetzungen.“
 
Linktipp:
Dialogreihe „Gutes Leben für alle“:
www.guteslebenfueralle.org

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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