topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Symbolbild zum Beitrag: Stimmung gegen Arbeitslose Der Verdacht mangelnder Arbeitswilligkeit ist so alt wie die Arbeitslosenversicherung selbst.

Stimmung gegen Arbeitslose

Schwerpunkt

Wer zumutbare Arbeit ablehnt, dem droht eine Sperre. Schärfere Bestimmungen ändern nichts am Problem der Arbeitslosigkeit und schüchtern ein.

Arbeitslosigkeit erleben viele Menschen als Ohnmacht – ausgeliefert an Arbeitsmarkt und AMS-BeraterIn. „Man ist ja abhängig. Man muss wirklich alles tun, was die sagen, weil sie am längeren Hebel sitzen“, beschreibt ein Arbeitsloser die Situation in einer AK-Studie. Im Sommer 2015 sorgte eine launige Bemerkung des Finanzministers über die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Aufregung. AMS-Chef Johannes Kopf stellte damals klar: „Im Zusammenhang mit Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist das Thema überbewertet.“ Es sei zudem eine „hoch politische Thematik“. Bei fast einer halben Millionen Arbeitssuchender mangelt es immerhin an Stellen und nicht an Motivation. „In den letzten 30 Jahren folgte jedem neuen Höchststand der Arbeitslosigkeit eine Sozialschmarotzerdiskussion. Es vermittelt der Bevölkerung, dass die Arbeitslosen selbst an ihrem Schicksal schuld seien. Anders dürfte der Skandal der Arbeitslosigkeit nicht zu verkraften sein“, kommentierte der Soziologieprofessor Jörg Flecker die Debatte.

Stempeln gehen

Der Verdacht mangelnder Arbeitswilligkeit ist so alt wie die Arbeitslosenversicherung selbst. Auch 1933, am Höhepunkt der Wirtschaftskrise, warnte der christlich-soziale Alexander Hryntschak vor der „immer mehr auf öffentliche Betreuung und öffentliche Unterstützung eingestellten Psychologie der Massen“. Der Bezug war mit starken Kontrollen verbunden, in puncto Zumutbarkeit und Lebensumstände. Die Behörde, oder am Land die Gendarmerie, befragte Angehörige, NachbarInnen und vormalige Arbeitgeber zum Lebenswandel des Arbeitslosen und überprüfte den Verdacht auf Pfusch oder Gelegenheitsarbeit. Die Kriterien zumutbarer Arbeit beruhten auf den gleichen Säulen wie heute, 1920 hieß es etwa im Gesetz, dass Arbeitslose eine Arbeit anzunehmen hätten, „die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in dem erlernten Beruf nicht wesentlich erschwert“.
Doch welche Arbeit wird heute als zumutbar erachtet? Im Arbeitslosenversicherungsgesetz sind verschiedene Bedingungen festgehalten: Die Zumutbarkeit muss seitens der Behörde bewiesen werden. Günther Krapf, Arbeitslosenversicherungs-Experte der AK, nennt ein Beispiel: „Eine Stubenfrau trat eine Stelle nicht an, weil sie nach längerer Arbeitszeit starke Rückenschmerzen bekommt. Sie wurde gesperrt, aber seitens des AMS gab es einen Feststellungsmangel. Jetzt muss der medizinische Nachweis der Zumutbarkeit erbracht werden.“ Zumutbare Arbeit muss mit den Betreuungspflichten von Eltern für Kinder bis zum zehnten Lebensjahr vereinbar sein, das entspricht einer Wochenarbeitszeit von 16 Stunden. Erhält eine alleinerziehende Mutter eine Stelle als Kellnerin mit Nachtdienst, kann sie diese ablehnen. AlleinerzieherInnen geraten öfters in ein Dilemma: Ohne Job kein Anspruch auf einen öffentlichen Kinderbetreuungsplatz, ohne Kinderbetreuung kein Arbeitslosengeld. Eine Arbeitssuchende brachte ihr Kind zu einem Kontrolltermin mit, was mit den Worten quittiert wurde: „Dafür können Sie gesperrt werden, es bedeutet, dass Sie für den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen“ – ein weiteres Beispiel aus der bereits erwähnten AK-Studie. Ein anderer Punkt ist angemessene Wegzeit: Für einen Vollzeitjob sind es zwei Stunden für den Hin- und Rückweg, für Teilzeit bis zu 1,5 Stunden.
Zentral für die Zumutbarkeit einer Arbeit ist der Berufs- und Entgeltschutz, der seit 2000 beständig abgebaut wird. Nur noch in den ersten 100 Tagen des Arbeitslosengeldbezugs darf in keinen anderen Tätigkeitsbereich vermittelt werden. Vor 120 Tagen braucht keine Stelle angenommen zu werden, bei der das Entgelt nicht mindestens 80 Prozent des letzten Entgelts der vorhergehenden Beschäftigung entspricht. Bis zum Ende der Arbeitslose reduziert sich der Entgeltschutz auf 75 Prozent, bei der Notstandshilfe fällt er gänzlich weg.

KundInnen strafen

Im Jahr 2015 wurde in über 102.000 Fällen das Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe gesperrt. Deutlich mehr als die Hälfte der Sanktionen geht auf versäumte Termine zurück. Die zweithäufigste Ursache sind Sperren aufgrund von Selbstkündigung. 14 Prozent der Sperren fallen unter den Paragrafen „Verweigerung oder Vereitelung einer Arbeitsaufnahme bzw. Schulungsmaßnahme“. Schulungen sollen die Chancen des Arbeitssuchenden am Arbeitsmarkt verbessern. Niemand kann zu einer Schulung gezwungen werden, allerdings reicht die persönliche Einschätzung zur Ablehnung einer Maßnahme nicht aus. Vielmehr geht es um einen objektiven Maßstab. Zumutbarkeit betrifft auch Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt wie die Beschäftigung in einem sozialökonomischen Betrieb oder bei einem gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlasser.
Bei gänzlicher Arbeitsunwilligkeit kann das Arbeitslosengeld gestrichen werden. Das kam 2015 in 225 Fällen vor – eine Steigerung von 14 Prozent. Mit der wachsenden Zahl von Arbeitssuchenden steigt die Zahl der Rückmeldungen der Unternehmen, die der Ausgangspunkt für Sanktionen sind. „Besonders problematisch ist, dass sofort gesperrt wird und es keine aufschiebende Wirkung gibt“, so AK-Experte Krapf: „Dahinter steht die Idee der generalpräventiven Wirkung der Sanktion.“ Für viele Arbeitslose hat der Entfall des Geldbezugs aber eine existenzbedrohende Wirkung. Hier führt sich der „KundInnen-Begriff“ ad absurdum, der in der Kommunikation mit Arbeitslosen üblich ist. Eine zentrale Forderung von Arbeitsloseninitiativen lautet daher, die Sperren gänzlich aufzuheben oder erst nachträglich durchzuführen, sobald sich ihre Richtigkeit herausgestellt hat.

Autoritäres Verhältnis

Im Vorjahr waren über 950.000 Menschen (mindestens einen Tag) von Arbeitslosigkeit betroffen. Da nimmt sich die Zahl der tatsächlich verhängten Sperren bezüglich Arbeitsverweigerung vergleichsweise gering aus: 14.260. Auch von den über 8.300 Beschwerden beim Ombudsmann des AMS betrafen nur 50 das Thema. Bedrohlich und abschreckend wirken die Zumutbarkeitsbestimmungen dennoch. Aus Angst vor Sperren werden Angebote akzeptiert, auch wenn man sie für unsinnig hält. Man bewirbt sich für eine Stelle, ohne ausreichend qualifiziert zu sein, oder besucht einen Kurs, der bereits mehrmals besucht wurde. Dazu sagt ein Teilnehmer einer unverbindlichen Informationsveranstaltung: „Das Schlusswort war: Wer jetzt gehen will, kann gehen, aber der muss damit rechnen, dass ihm das Geld gestrichen wird.“
Oder der Fall des 22-jährigen Maturanten, BMS-Bezieher und damit ohne Berufs- und Entgeltschutz, der sich am FH-Technikum beworben hatte und eine Stelle in der IT-Branche suchte. Der Berater meinte, in diesem Bereich gäbe es beim AMS kaum offene Stellen, und bot ihm eine völlig andere Arbeit bei einem Arbeitskräfteüberlasser an. Auf die Frage, ob er sich nun dort bewerben müsse, antwortete der Berater: „Sie haben nicht nur Grüß-Gott-Termine.“ Dies ist eines von 20 Beratungsgesprächen in Wien, die Karola Blaha im Zuge einer teilnehmenden Beobachtung analysiert hat. Ein Ergebnis der Studie: Wer glaubhaft seine/ihre Interessen vertreten kann, verfügt „über höhere soziale Intelligenz“ und „kann aus dem Bargaining (Verhandeln) mit der staatlichen Bürokratie mehr herausholen“.
Arbeitslosigkeit verunsichert schichtunspezifisch. Es gibt ein starkes Machtungleichgewicht. Sperren funktionieren als implizite Drohung. In Summe liefern die Eindrücke des Berichts das Bild eines autoritären Systems.

Nicht um jeden Preis

Der Arbeitslosen- bzw. Transfergeldbezug macht es möglich, Arbeit nicht zu allen Bedingungen annehmen zu müssen. Das ist für den Arbeitsmarkt und auch für die Wirtschaft gut. Wenn Menschen unter ihrer Qualifikation arbeiten, verlieren sie Kompetenzen und kommen in psychisch belastende, krank machende Situationen. „Ist es nicht sinnvoller“, fragt Jörg Flecker, „die mehrfach verschärften Zumutbarkeitsbestimmungen zu lockern, wo längst klar ist, dass das Problem der Arbeitslosigkeit nicht an der mangelnden Arbeitswilligkeit liegt?“

Linktipps:
Plattform zum Thema Erwerbsarbeit und Erwerbsarbeitslosigkeit:
www.arbeitslosennetz.org
AK Wien „Offen gesagt 2013 – Dialogforum für Wiener Arbeitsuchende“:
tinyurl.com/hqum6qe
Irina Vana. Gebrauchsweisen der öffentlichen Arbeitsvermittlung. Österreich 1889–1938, Dissertation, 2013:
tinyurl.com/gkuyj4j

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum