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Symbolbild: Big Bang! Schwerpunkt Start-ups V wie Versuchung: Es ist schwer, nicht von der schönen neuen Welt der Start-ups fasziniert zu sein.
Symbolbild: Big Bang! Schwerpunkt Start-ups E wie Entrepreneurship: Flexibel, innovativ, kreativ, beweglich, risikobereit - und vor allem nicht scheu, die eigenen Ärmel aufzukrempeln.

Coverstory: Zwischen Märchen und Innovation

Schwerpunkt Start-ups

Start-ups sind für viele der Prototyp der neuen Wirtschaft: flexibel und damit besser in der Lage, auf rasche Veränderungen zu reagieren, als große Unternehmen. Sie sollen Innovationen bringen und idealerweise auch das große Geld. Ein Streifzug.

Ende Mai hoch über den Dächern von Wien. Während draußen dunkle Gewitterwolken vorüberziehen und den tollen Blick noch spektakulärer erscheinen lassen, haben sich in der Sky Lounge der Universität Wien Investoren zusammengefunden. Einige Teilnehmer kommen aus den Nachbarländern Slowenien, Ungarn oder Tschechien. „Ich suche nach Investoren, in Tschechien gibt es nämlich nicht so viele potente“, erzählt ein Teilnehmer, der aus Prag angereist ist. Ausgerichtet wurde das Treffen von der Austrian Angel Investors Association (AAIA), der die beiden erfolgreichen österreichischen Investoren Hansi Hansmann und Selma Prodanovic vorstehen. Die Jagd nach dem großen Geld in Form eines Einhorns (siehe auch Goldgräberstimmung 4.0), also einem Start-up, das eines Tages eine Milliarde US-Dollar wert sein könnte, war Thema von gleich zwei Vorträgen. Der Verdacht, dass es den Investoren vor allem ums große Geld gehen könnte, lag entsprechend nahe. Selma Prodanovic, von der AAIA als „Grande Dame des Unternehmertums“ präsentiert, sieht das anders: „Das ist mehr ein Schmäh! Natürlich gibt es welche, die wirklich danach jagen. Und natürlich hofft jeder, dass er eines findet.“ Es zu finden sei so etwas wie „ein Maß für einen bestimmten Status“.
Prodanovic plädiert für mehr Realismus, denn so viele Einhörner gibt es schlichtweg nicht. Ihr Anteil liegt bei gerade einmal 0,071 Prozent der privaten Unternehmen, wie einer der Vortragenden ebenfalls relativiert. Aus Europa stammen die wenigsten, wenn man der Einhorn-Liste des US-Magazins „Fortune“ Glauben schenken kann. Darin aufgelistet sind Unternehmen mit einem Marktwert von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Kein einziges stammt aus der EU: Sechs sind in den USA beheimatet, drei in China und eines in Indien. An Stelle 15 findet sich das schwedische Start-up Spotify. In Europa sind die Märkte zu kleinteilig, genau deshalb müssten Start-ups hier erst recht auf die internationalen Märkte blicken, heißt es.
Auch das scheint einigermaßen ambitioniert, wenn man sich die Anfänge der meisten Start-ups vor Augen hält. Da stehen meist junge Menschen, die eine Idee haben, die sie unternehmerisch umsetzen wollen. Friends, Family and Fools: So werden nicht umsonst die ersten Investoren von Start-ups genannt. Es sind Menschen, die an die GründerInnen glauben (es sind derweil mehrheitlich Männer) und dabei in die eigenen Taschen greifen, um die Ideen ihrer Lieben zu unterstützen. Dies klingt nach einer großen Portion Idealismus, die wohl tatsächlich die meisten Start-up-GründerInnen auszeichnet. Eben dieser Idealismus und die Kreativität, die mit Start-ups verbunden wird, machen wohl auch die Faszination aus, die viele für Start-ups empfinden. Nicht umsonst schmücken sich auch PolitikerInnen gerne mit diesen empfundenen Vorreitern der Wirtschaft.

Faszination
Von Start-ups geht wohl auch deshalb eine Faszination aus, weil sie einen Weg gefunden haben, Alternativen zu den klassischen Finanzquellen von Unternehmen zu finden. Denn Banken sind bei der Vergabe von Krediten immer zurückhaltender, was nicht zuletzt eine Folge der Finanzkrise ist. Allerdings sollten die strengeren Regeln im Austausch für staatliche Garantien eigentlich dazu führen, das spekulative Geschäft zu bremsen, faktisch aber sind Banken insgesamt geizig geworden. Zudem ist es bei vielen Start-up-Ideen eben alles andere als klar, ob sich daraus tatsächlich ein erfolgreiches Geschäft machen lässt. Das Versprechen der Innovation hat im Gegenzug Risikokapital auf den Plan gerufen, das nun diese Lücke zu schließen versucht.
Dass von all dem sogar für die Politik eine große Faszination ausgeht, ist erstaunlich. Denn wenn man sich in diesen Wirtschaftszweig vertieft, landet man bei einem Fachsprech, der manche vielleicht an die Zeit vor der großen Dotcom-Blase erinnert, die meisten aber wohl jedenfalls an die Zeit vor der letzten großen Wirtschaftskrise, als ähnliche Begriffe Hochsaison hatten – während die Realität dahinter die ganze Welt nahe an den Abgrund brachte. Schnell wachsen, große Märkte erobern, viel Geld beim Verkauf bringen: Sind nicht ebendiese Ansprüche dazu geeignet, die nächste Blase hervorzubringen?

„Real-life problems“
Zumindest Selma Prodanovic hat andere Ansprüche an Start-ups. Interessant seien für sie jene, die „real-life problems“ lösen wollen. Als „schönstes Beispiel“ dafür nennt sie die App „mySugr“, die von Diabetes-PatientInnen auf die Beine gestellt wurde, um den Alltag mit der Zuckerkrankheit zu erleichtern: „Die Gründer hatten selbst ein Problem und haben auf der Fun-Ebene eine Lösung gefunden.“ Im Vordergrund stehe nicht nur die „Technologie mit Profit“, sondern jene „mit Purpose“, betont der Business Angel.
Und doch müssen auch Business Angels Geld verdienen, denn wie Prodanovic selbst betont: Sie sind keine PhilanthropInnen. Doch auch abgesehen davon scheint es ein legitimer Anspruch zu sein, dass Start-ups keine Spielwiese sind. Nicht zuletzt investiert auch der Staat einiges an Geld in diesen Sektor.
Einen völlig anderen Zugang könnte von daher Crowdfunding bieten. Die Idee: Interessierte oder künftige KonsumentInnen geben Geld aus, um einer Idee, die sie für sinnvoll halten, auf die Welt zu helfen. Damit wird sichergestellt, dass Bedürfnisse nicht erst über kostspielige Marketingmaßnahmen geweckt werden müssen, um die entsprechenden Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen. Die Vielzahl an Finanziers sorgt dafür, dass die MacherInnen nicht von Einzelinteressen gesteuert werden, sondern ihren eigenen Weg gehen können – ganz ohne allzu hochgestochene Profiterwartungen erfüllen zu müssen.
Einen Schritt weiter geht der Investor Nikolaus Hutter mit dem Konzept der „Impact Economy“, das er in der Wiener Sky Lounge präsentiert: Die Millennials oder Generation Y suchen nach Sinn in ihrer Arbeit und wollen vor allem keine Produkte mehr kaufen, die unter Ausbeutung von Menschen oder der Umwelt erstellt werden. Deshalb müsse die Start-up-Szene umdenken: Zukunft hätten Start-ups nur, wenn sie auf diese Bedürfnisse Rücksicht nehmen – und somit auch Investoren, wenn sie diesen Anspruch an die Stelle von alleinigen Profitinteressen stellen.
 
Lösungen und Spaß
Start-ups setzen nur auf Entertainment, die Investoren wollen nur das große Geld, für große Unternehmen sind Start-ups nur Auslagerungen im anderen Gewand: In all diesen Vorwürfen stecke ein Körnchen Wahrheit, gesteht Prodanovic ein. Sie hält die europäische Szene aber für durchaus bodenständiger: „In den USA gibt es Investoren, die offen sagen: ‚We are in the exit-business.‘“ Sprich: Sie streben nach den großen Gewinnen, die ein Exit/Verkauf eines erfolgreichen Start-ups mit sich bringt. Ihr hingegen gehe es um die „Lösungen, die daraus entstehen“ – und um den Spaß, den viele GründerInnen zweifellos versprühen.
Doch wie steht es eigentlich um die Rechte und Arbeitsbedingungen von ArbeitnehmerInnen? Sind Start-ups wirklich imstande, Jobs zu schaffen? Zumindest auf die letzte Frage antwortet Prodanovic kategorisch: „Auf jeden Fall.“ Die Investitionen ihres Kollegen Hansi Hansmann hätten jedenfalls 500 Arbeitsplätze geschaffen. Der Großteil der neuen Arbeitsplätze gehe auf das Konto von Start-ups oder EPUs (mehr dazu siehe „Das unbekannte Wesen“ und „Start-ups als Beschäftigungsmotor?“). Was die Bezahlung und Arbeitsbedingungen betrifft, beruft sie sich auf allgemeine Prinzipien. „Das ist eine besondere Welt, das muss man wollen“, sagt sie. Und immerhin werde niemand gezwungen, dort zu arbeiten. Wenn man sich aber dafür entscheide, lohne sich das jedenfalls: „Ein oder zwei Jahre in einem Start-up gearbeitet zu haben, das ist eine großartige Erfahrung. Man kann dabei sein, wie etwas Neues entsteht.“
Dann wechselt sie die Position. „Ein Start-up zu gründen ist keine leichte Entscheidung“, hält sie fest. Für jede/n GründerIn sei es schmerzhaft, wenn die beste Idee dann doch nicht reüssiert: „Da hat man Blut geleckt und muss einen lnsolvenz- oder Konkursantrag stellen. Das macht man sicher nicht leichtfertig.“ Auch würden die ArbeitnehmerInnen nicht in der Arbeitslosenstatistik aufscheinen.

Großer Diskussionsbedarf
Der große Hype um die Start-ups scheint von daher ebenso berechtigt wie unberechtigt. Berechtigt deshalb, weil sie in der Tat ein Innovationspotenzial haben, das sehr wohl dem Anspruch der Weltverbesserung Genüge tun kann. Unberechtigt, weil die Frage der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung von ArbeitnehmerInnen allzu sehr auf die leichte Schulter genommen wird. Was nach dem Streifzug bleibt, ist jedenfalls eine Menge Diskussionsbedarf.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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