topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
In der Europäischen Union werden Mindeststandards definiert. Den Mitgliedstaaten steht es frei, bessere Regeln zu beschließen. Die jetzige Gold-Plating-Diskussion ist vor allem eins: ein Wunschprogramm der Wirtschaft, um lästige, mit Kostenaufwand verbundene Standards loszuwerden.

Gefährliches Spiel mit Standards

Schwerpunkt Gesellschaftspolitik im Regierungsprogramm

Streichung von Gold Plating: Abbau von Schutzstandards für die Bevölkerung im Eiltempo.

Bevor Österreich der Europäischen Union beitrat, wurden Verschlechterungen befürchtet. In Österreich galten viel bessere Regelungen, als sie von der EU verlangt wurden. Würde der Beitritt zur Folge haben, dass hierzulande die Standards sinken? Damals beruhigte man zu Recht: Die EU lege Mindeststandards fest und es stehe jedem Mitgliedsland frei, bessere Regelungen zu beschließen. Der Fachbegriff für diesen Umstand lautet Gold Plating. Die türkis-blaue Koalition hat dem nun den Kampf angesagt. Im Regierungsprogramm ist gleich mehrmals davon die Rede, dass Gold Plating beseitigt werden soll. Damit wären ganz erhebliche negative Auswirkungen in Bereichen wie der Beschäftigung, dem Konsum und der Umwelt für breite Teile der Gesellschaft verbunden. Darüber spricht die Regierung freilich nicht, vielmehr wird Gold Plating als Fessel der Wirtschaft dargestellt, die es zu zerreißen gelte.

Gold Plating – was ist das?
Worum geht es beim sogenannten Gold Plating? Regelmäßig werden auf EU-Ebene Richtlinien verabschiedet, die Mindeststandards für die jeweiligen Politikbereiche enthalten, beispielsweise Beschäftigung, VerbraucherInnenschutz oder Umwelt. Diese Richtlinien müssen in nationales Recht umgesetzt werden, wobei die im EU-Rechtstext definierten Mindeststandards nicht unterschritten werden dürfen.
Bereits im Vorfeld zu Verhandlungen für neue EU-Rechtsakte kämpfen Mitgliedsländer, die selbst niedrige Schutzniveaus haben, dafür, dass die Minimumstandards dieser Rechtsakte möglichst tief angesetzt werden. Damit wollen diese Länder die Aufwendungen möglichst gering halten, die eine Hebung ihrer rückständigen, teils veralteten Standards mit sich bringen würde.
Viele EU-Staaten haben demgegenüber wesentlich fortschrittlichere Gesetze mit weit besseren Standards für ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen oder die Umwelt. Diese fortschrittlichen Regelungen mit überbordender Bürokratie oder besonderem Luxus in Verbindung zu bringen, ist irreführend. Im Gegenteil: Es geht um selbstverständliche, teilweise seit Jahrzehnten bestehende Standards, die nun unter dem Vorwand des Gold Plating infrage gestellt werden sollen.
Grundsätzlich finden sich schon in früheren Gesetzen Ansätze, die dem jetzigen Vorhaben der Regierung ähneln. Sowohl im Deregulierungsgesetz von 2001 als auch im Deregulierungsgrundsätzegesetz vom April 2017 findet sich der Passus, dass vorgegebene Standards in EU-Richtlinien nicht ohne Grund übererfüllt werden sollen. Allerdings ist diese Formulierung eher als genereller Grundsatz zu verstehen. Davon, dass der Gesetzgeber ohne jeglichen Grund fortschrittlichere Regeln erlässt, als an EU-Mindeststandards vorgesehen, ist wohl kaum auszugehen.
Die jetzige Gold-Plating-Diskussion ist jedoch vor allem als eines zu sehen: Als Wunschprogramm der Wirtschaft, um lästige, mit Kostenaufwand verbundene Standards loszuwerden. Die neue Regierung verliert dabei keine Zeit, die Wünsche der Großindustriellen und -unternehmerInnen zu erfüllen: Bis Mai haben Ministerien und Interessenvertretungen die Möglichkeit, Bestimmungen zu melden, die (aus Sicht der jeweiligen VertreterInnen) eine „Übererfüllung“ der im EU-Recht vorgegebenen Mindeststandards darstellen. Nach einer Begutachtungsphase könnte die Debatte im Nationalrat über die eingebrachten Vorschläge bereits im Herbst folgen.

Über das Mindestmaß hinaus
Die Standards, die letztlich gestrichen werden sollen, könnten en bloc gegen Ende des Jahres bzw. Anfang kommenden Jahres verabschiedet werden. Viele der Regeln, die in einem durchdachten demokratischen Prozess – abgestimmt mit den VertreterInnen der früheren Regierungskoalitionen, zumeist unter Mitwirkung der Sozialpartner – beschlossen wurden, wären damit ohne viel Diskussion weggewischt. Dass es zu einer Streichung von Beschäftigten-, KonsumentInnen- oder Umweltstandards kommen könnte, streitet der zuständige Bundesminister Josef Moser allerdings ab. Seiner Darstellung nach sollen die infrage stehenden gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, Beschäftigung und Sozialstandards untersucht werden.
Österreich geht in vielen gesellschaftspolitischen Bereichen über das in den EU-Richtlinien formulierte absolute Mindestmaß hinaus:

  • Gemäß der Arbeitszeitrichtlinie ist ein bezahlter Jahresurlaub von mindestens vier Wochen im Jahr vorgesehen. Das österreichische Arbeitsrecht sieht im Vergleich dazu einen bezahlten Jahresurlaub von mindestens fünf Wochen bzw. nach 25 Jahren Dienstzeit sechs Wochen vor. Das Gold Plating bringt in diesem Fall also ein bis zwei Wochen mehr Jahresurlaub – ermöglicht durch nationale Regelungen.
  • Beim VerbraucherInnenschutz geht Österreich ebenso in vielen Fällen über die EU-Mindeststandards hinaus. Bei Strom und Gas etwa ist eine Grundversorgung auch bei Zahlungsschwierigkeiten in Österreich gesetzlich verankert. Auch diese Regelung geht über die Vorschriften in den EU-Rechtstexten hinaus. Ein weiteres Beispiel ist die Deckelung der Pönale, wenn der Konsument bzw. die Konsumentin seinen bzw. ihren VerbraucherInnenkredit vorzeitig zurückzahlt. Diese beträgt ein Prozent des vorzeitig zurückgezahlten Betrags (früher waren es sogar fünf Prozent). In der EU-Verbraucherkreditrichtlinie ist eine derartige Deckelung nicht vorgesehen.
  • Aus den Erfahrungen mit (illegalen) Mülldeponien und deren kosten- und zeitaufwendiger Sanierung hat Österreich strenge Standards für die Errichtung von Deponien und deren Betrieb entwickelt. Diese gehen weit über die vagen Formulierungen in der EU-Deponienrichtlinie hinaus. Sie haben vor allem bei Bevölkerung und Wirtschaft Vertrauen geschaffen. Müllentsorgungsprobleme, wie es sie beispielsweise in Italien gibt, kennt Österreich daher nicht.

Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, die der Definition nach als Gold Plating eingestuft werden müssten. Regelungen zum Mutterschutz, zur Elternkarenz, zu LeiharbeitnehmerInnen, zur Entsendung von Beschäftigten, zur Berufsqualifikation, aber auch zu wirtschaftspolitischen Bereichen wie der Energiepolitik und der Kontrolle von Unternehmen fallen beispielsweise ebenso darunter.
Eine ähnliche Entwicklung wie in Österreich kann man auch auf EU-Ebene verfolgen. Seit vielen Jahren arbeitet die Europäische Kommission daran, die „überbordende Bürokratie“ auf EU-Ebene abzubauen. Die Beteuerung der Kommission: Es gehe ihr um die BürgerInnen, um die Gesellschaft und auch um die kleinen Unternehmen. Im Rahmen von REFIT, dem Programm zum Abbau von Verwaltungslasten, soll mehr Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung gewährleistet werden – auf den ersten Blick eine begrüßenswerte Initiative. Ein Blick hinter die Kulissen sorgt jedoch für Ernüchterung. Eine eigene von der Kommission eingesetzte hochrangige Gruppe unter dem Vorsitz des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber stellt im Abschlussbericht klar: Es ist die konsequente Anwendung des Prinzips „Vorfahrt für Klein- und Mittelunternehmen“ vorzusehen. Die Gruppe um Stoiber empfiehlt im Bericht darüber hinaus den Mitgliedstaaten ausdrücklich, das Gold Plating auf nationaler Ebene zu überprüfen.
Von den Anliegen der Beschäftigten und der Gesellschaft ist in der weiteren Folge nichts mehr zu lesen, ganz im Gegenteil: Die derzeit in Verhandlung befindliche REFIT-Initiative zur Einführung der sogenannten Europäischen Elektronischen Dienstleistungskarte würde beispielsweise Scheinselbstständigkeit und Scheinentsendungen fördern. Sie schadet also den Beschäftigten.

Parallelen zum Steueroasen-Skandal
Bei der Gold-Plating-Diskussion zeigen sich Parallelen zu den Gewinnverlagerungen der Konzerne in Steueroasen: Das Verhalten von Steuersumpf-Ländern führt zu einem Wettlauf um die niedrigsten Gewinnsteuersätze auf Kosten anderer Staaten. Ähnliches könnte beim Gold Plating passieren. Die Mitgliedsländer könnten einen Wettkampf um die schlechtesten möglichen Standards beginnen. Dieses Verhalten hätte gravierende negative Folgewirkungen für die gesamte Gesellschaft. Gewinner wären wie schon bei den Steueroasen-Skandalen hauptsächlich Großindustrielle und multinationale Konzerne.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor frank.ey@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum