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Christian Knill, Sprecher der Arbeitgeberseite, und PRO-GE-Chef Rainer Wimmer bei der Übergabe des Forderungsprogrammes. Christian Knill, Sprecher der Arbeitgeberseite und Obmann FMMI, und PRO-GE-Chef Rainer Wimmer bei der Übergabe des Forderungsprogramms.
Im Vorfeld der Herbstlohnrunde am 18. September kamen 900 BetriebsrätInnen zusammen und einigten sich auf eine gemeinsame Linie für die KV-Verhandlungen. 900 BetriebsrätInnen hielten auf dem Gelände des ehemaligen Elin-Werks in Hirschstetten eine Konferenz ab und einigten sich auf eine gemeinsame Linie für die KV-Verhandlungen.
ÖGB-Präsident Katzian ÖGB-Präsident Katzian warnt vor dem neuen Arbeitszeitgesetz.

Reportage: Scharfe Verhandlungen

Schwerpunkt Klassenkampf von oben

Länger arbeiten, weniger Mitbestimmung - die Regierung agiert derzeit im Dienste der Arbeitgeber. Unter diesen Voraussetzungen startet die Herbstlohnrunde. Lange und zähe Verhandlungen stehen bevor.

Der Startschuss für die Herbstlohnrunde der Metaller ist gefallen. Sie hat eine besondere Bedeutung, denn zwar werden jährlich mehr als 450 Kollektivverträge (KVs) verhandelt und abgeschlossen, die eine Reihe von wichtigen Spielregeln für das Arbeitsleben beinhalten, etwa Essenzielles wie Einkommen und faire Arbeitszeiten festlegen. Allerdings gilt der Lohnabschluss für die rund 192.000 Beschäftigten der Metallindustrie als richtungsweisend für alle anderen KV-Verhandlungen. „Wir sind der Schneepflug, ihr seid die, die hinter uns nachschieben“, verdeutlicht es Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE.

Mit Frankfurter Richtung Paprikahendl
Traditionell wird der erfolgreiche Abschluss des Metallgewerbekollektivvertrags mit einem Paprikahendl zelebriert. Der Weg zum erfolgreichen KV 2019 scheint jedoch heuer ein sehr weiter zu werden. Das Arbeitszeitgesetz – der 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche –, welches die ÖVP/FPÖ-Regierung auf Wunsch der Wirtschaft mit 1. September in Kraft gesetzt hat, heizt die Stimmung an.
Es ist Donnerstag, 20. September, 11.30 Uhr in der Wirtschaftskammer Österreich, Wien Wieden. Zum Auftakt der Verhandlungen überreicht das Verhandlungsteam der Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp das Forderungsprogramm, darunter die fünfprozentige Lohnerhöhung. Eine deftige Jause mit Frankfurter, Senf und – dem Anlass entsprechend – Pfefferoni soll die Teams für die Gespräche stärken.
An der Wand über dem Buffettisch ziert ein Portrait von Franz G. Dworak den Raum. Zwischen 1953 und 1961 war Dworak Präsident der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und parallel auch Zensor bei der Nationalbank, also praktisch ein Vorreiter von Harald Mahrer, der somit nicht als Erster gleichzeitig ein hohes Amt in Wirtschaftskammer und Nationalbank besetzt.
Die ArbeitnehmerInnen haben sich auf die heurigen Verhandlungsrunden (und die kommenden im Jahr 2019) gut und präzise vorbereitet. Erstmals wurde von den Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp per Fragebogen im Vorfeld erhoben, wo die persönlichen Schwerpunkte der Beschäftigten in Bezug auf die Lohnrunde liegen.

Bedürfnisse erhoben
Die Fragen wurden Anfang September an die Beschäftigten der Metallindustrie verschickt, zwei Wochen später hatten bereits 40.000 Befragte geantwortet. Bis zum Verhandlungsstart wurden gar 61.090 Fragebögen an die Gewerkschaften retourniert. Die TeilnehmerInnen durften maximal vier von neun Themen ankreuzen. In der Auswertung ergaben sich daraus die Top Fünf für die ArbeitnehmerInnen: „kräftige Lohn- und Gehaltserhöhungen“ mit 52.161 Nennungen, eine „höhere Abgeltung für Überstunden und bei unattraktiven Arbeitszeiten“ (28.371), ein „gesichertes Wahlrecht, ob man für Überstunden Geld oder Zeit erhält“ (25.361), „Schutz und Mitbestimmung, damit überlange Arbeitszeiten die Ausnahme bleiben“ (24.811) und ein „Anspruch auf die 4-Tage-Woche“ (23.044).
Selbstverständlich sind die Befragungsergebnisse in das aktuelle Forderungsprogramm eingeflossen, das den Arbeitgeberverbänden überreicht wurde. Dazu zählen die Punkte höhere Zuschläge, bezahlte Pausen, Kündigungsschutz oder Anspruch auf längere Freizeitblöcke und die 4-Tage-Woche. Schon allein die stattliche Anzahl der TeilnehmerInnen zeigt, wie sehr das Thema Arbeitszeit die ArbeitnehmerInnen tatsächlich beschäftigt. Zudem wird deutlich, wie groß die Unsicherheit in Bezug auf die Änderungen im neuen Arbeitszeitgesetz ist.
Das unfaire Arbeitszeitgesetz sorgte überdies für eine Premiere der besonderen Art: Zwei Tage vor dem Herbstlohnrunden-Auftakt fand die erste österreichweite KV-VerhandlerInnenkonferenz statt. Dort einigten sich 900 Frauen und Männer aus sämtlichen Branchen auf eine gemeinsame Linie für die anstehenden Kollektivvertragsverhandlungen. Neben ordentlichen Lohn- und Gehaltserhöhungen sowie Erhöhungen der Lehrlingsbeihilfen wird es nun vor allem um die Arbeitszeit gehen. Die Forderungen der Gewerkschaften: Planbarkeit, Selbstbestimmung, Rechtssicherheit und nicht zuletzt eine Arbeitszeitverkürzung für alle Branchen.

Arbeitszeitgesetz empört
Die türkis-blaue Bundesregierung hat das neue Arbeitszeitgesetz im Eilverfahren durchgepeitscht – ohne Einbindung der Sozialpartner und der Bevölkerung. Begutachtung für das Gesetz, das massive Auswirkungen auf Gesundheit, Freizeit und Einkommen von 3,6 Millionen ArbeitnehmerInnen hat, gab es keine.
„Uns geht es um konkrete Verbesserungen für die ArbeitnehmerInnen, die wir bei den KV-Verhandlungen durchsetzen wollen“, stellt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian klar. „Die Anforderungen für die Arbeitnehmer, die bei 30 Grad im Schatten eine Straße asphaltieren, unterscheiden sich von den Anforderungen derer, die im klimatisierten Büro mit der Lösung komplexer Herausforderungen beschäftigt sind.“ Diesbezüglich kündigt er an: „Im Gegensatz zur Bundesregierung fahren wir nicht mit dem Kamm über alles drüber. Wir achten auf die unterschiedlichen Bedürfnisse. Wir werden Branche für Branche für Verbesserungen im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kämpfen.“
Auch jede neue Lebensphase bringt verschiedene Anforderungen mit sich. Für die ArbeitnehmerInnen ist es deshalb von enormer Bedeutung, selbst wählen zu können: Brauche ich mehr Freizeit oder will ich mehr Geld verdienen? Überlange Arbeitszeiten machen krank, ein Anspruch auf zusammenhängende Freizeitphasen muss unbedingt gewährleistet sein. Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft vida: „Durch das Arbeitszeitgesetz hat die Regierung eine klare Situation geschaffen: Für einen 12-Stunden-Tag und eine 60-Stunden-Arbeitswoche brauche ich den Kollektivvertrag nicht mehr. Als Arbeitgeber brauche ich den Betriebsrat und den Arbeitsinspektor nicht mehr, wenn ich die Leute ausbeute. Warum soll ich überhaupt verhandeln, wenn ich ohnehin alle Rechte habe?“ Das zeigt deutlich, wie uneingeschränkt die Rechte der Arbeitgeber nunmehr sind – und wie sehr Beschäftigte auf deren guten Willen angewiesen sind.

Zwei Stunden Gratisarbeit pro Woche
Durch den Beschluss des neuen Arbeitszeitgesetzes hat sich das Verhandlungsgleichgewicht zwischen den arbeitenden Menschen und den Kapitalgebern massiv verschlechtert. Bisherige Regierungen haben sich durch gesetzliche Rahmenbedingungen immer dahingehend orientiert, dass der vermeintliche Kräfteunterschied vom „Schwächeren“ ausgeglichen werden kann. Meist wurden die Mitwirkungsrechte der ArbeitnehmerInnen gestärkt oder zumindest nicht massiv geschwächt.
Doch jetzt ist es anders. Verschiedene Branchen spüren die unmittelbare Auswirkung der neuen Arbeitszeitregelung. Im Bereich der GPA-djp finden sich viele Betriebe mit Gleitzeitvereinbarungen – dort werden den BetriebsrätInnen nun reihenweise Schriftstücke vorgelegt, in denen die Gleitzeitvereinbarung von zehn auf zwölf Stunden ausgedehnt wird. Natürlich beinhalten diese keine Zuschläge oder die Option, einen Teil der angesammelten Stunden in Freizeit (sofern die ArbeitnehmerInnen diese Möglichkeit bevorzugen) zu konsumieren. Geradezu herrschaftlich: Wann die angesammelte Freizeit konsumiert wird, entscheidet der Arbeitgeber.

Unbezahlte Mehrarbeit
In manchen Branchen haben viele Beschäftigte All-in-Verträge, teilweise gilt das für ganze Belegschaften im Angestelltenbereich. Da mit diesen Verträgen die Überstunden im Allgemeinen abgedeckt sind, können MitarbeiterInnen durch das neue Gesetz gezwungen werden, zwei Stunden pro Woche mehr zu arbeiten. Das sind 96 Stunden pro Jahr – ohne einen Cent mehr Lohn.
GPA-djp-Vorsitzende Barbara Teiber: „Uns erreichen Anrufe, dass sogar Teilzeitbeschäftigte um ihren Job bangen, weil sie von unverschämten Arbeitgebern zu 12-Stunden-Schichten eingeteilt werden.“ Doch die Belastungen durch das neue Arbeitszeitgesetz werden sich immer deutlicher zeigen, wenn nicht eilig gegengesteuert wird. Noch verteilen viele Arbeitgeber emsig Beruhigungspillen an Beschäftigte und Betriebsräte, beschwichtigen, es würde sich im Betrieb de facto überhaupt nichts ändern. Allerdings drängt sich die Frage auf, weshalb die Arbeitgeber dieses Gesetz dann überhaupt bei der Regierung geordert haben.
„Die Freiwilligkeit und mehr Flexibilität für die ArbeitnehmerInnen, das ist ein nettes Märchen. Die 4-Tage-Woche ist bisher ein Riesenschmäh, der von der Regierung in sämtlichen Tageszeitungen inseriert wurde“, sagt Teiber. Im Klartext: „Bis jetzt gibt es bei uns keinen Betrieb, in dem die MitarbeiterInnen ein Recht auf die 4-Tage-Woche haben. Wenn wir das bei den KV-Verhandlungen nicht durchsetzen, dann bleibt das weiterhin nur ein Wunsch der großen Mehrheit der Beschäftigten.“
Dass es sich bei der vorgetragenen Sorge um die ArbeitnehmerInnen bei dieser Regierung eher um Lippenbekenntnisse handelt, zeigt sich auch in anderen Bereichen. Mitte September demonstrierten ArbeitnehmerInnen vor dem Sozialministerium. Der Grund: Die Regierung kürzte das Budget für die aktive Arbeitsmarktpolitik um fast ein Drittel. Das trifft einerseits viele junge Menschen, die eine Ausbildung nachholen wollen, andererseits Tausende Beschäftigte in der Erwachsenenbildung, die vor der Kündigung stehen. Das ist besonders zynisch, denn gerade in Zeiten der Hochkonjunktur sollte in eine aktive Arbeitsmarktpolitik investiert werden, um Menschen dauerhaft in Beschäftigung zu bringen.

Junges Engagement mobilisiert
Viele Menschen finden diese Politik ungerecht und wollen das ändern. Einer von ihnen ist Josef Rehberger, genannt „Tschosi“. Im April ist er zum Metaller-KV-Verhandlungsteam dazugestoßen, bereits seit 2013 ist er Jugendvertrauensratsvorsitzender in der voestalpine Linz und damit für 460 Jugendliche zuständig. Im März wurde er zum neuen Bundesjugendvorsitzenden der PRO-GE gewählt und folgte somit Sascha Ernszt nach. Für den 21-Jährigen ist es wichtig, nicht abgehoben zu agieren und zu erkennen, was den Leuten wichtig ist: „Nicht nur wir als Verhandlungsteam wollen schauen, dass etwas weitergeht – wir wollen auch die MitarbeiterInnen draußen mobilisieren.“
Rehberger ist leidenschaftlicher Gewerkschafter, arbeitet in der 5er-Schicht als voest-Produktionstechniker. Früher musste er insgesamt 80 Kilometer täglich pendeln, nach seinem Umzug von St. Johann am Wimberg nach Linz sind es für den jungen Oberösterreicher nur noch 500 Meter zur Lehrwerkstätte und den Jugendlichen, deren Anliegen er vertritt. Tschosi Rehberger sagt, was er denkt, und das auch sehr deutlich: Mit der Präsentation von 3.000 Unterschriften für die Beibehaltung des Jugendvertrauensrates sorgte er am ÖGB-Bundeskongress für Aufsehen. Und er kann verständlich erklären, weshalb fünf Prozent Lohnerhöhung für die Beschäftigten absolut gerechtfertigt sind: „Die Leute sagen, dass sie zwar immer mehr arbeiten, aber das Geld zum Leben einfach nicht mehr wird – mit der Inflationsrate von 2,1 Prozent steigen etwa die Energiekosten und auch das Tanken wird immer teurer. Deshalb wollen die Leute vor allem mehr Geld sehen.“

Spannender Verhandlungspoker
Die ersten Verhandlungsrunden sind noch zäh. „Die Wirtschaft wächst und wächst. Die Leute können es kaum mehr darennen vor lauter Arbeit“, berichtet Rehberger von seinen Erfahrungen. Dass sie die Forderung der Gewerkschaftsseite nach einer Lohnerhöhung von fünf Prozent „blauäugig“ finden, lassen die Arbeitgeber über Presseaussendungen verbreiten. Dabei ignorieren sie nicht bloß die – etwas zweifelhafte – Empfehlung der Regierung für hohe Abschlüsse, sondern auch die Einschätzung des Notenbankgouverneurs, wonach eine Lohnerhöhung um fünf Prozent „nicht überschießend“ sei.
Der PRO-GE-Bundesjugendvorsitzende: „Bei der ersten Verhandlungsrunde war klar zu sehen, dass die Arbeitgeberseite nicht auf uns eingehen will. Da werden Vergleiche gezogen, die nicht relevant sind – das Arbeitgeberverhandlungsteam wollte ablenken und provozieren.“

Solidarisierung „auf der Straße“
Schon vergangenes Jahr – als Rehberger noch nicht Mitglied des Verhandlungsteams war – engagierte er sich für einen gerechten Metaller-Lohn. Letzten Herbst wurden vier Prozent Lohnerhöhung gefordert und dieses Anliegen wurde auch der Öffentlichkeit präsentiert: „Wir haben auf der Seite dubistgewerkschaft.at Fotos von Belegschaften mit dem Banner ‚+4 Prozent‘ gepostet. Viele Betriebe aus der Metallindustrie haben mitgemacht“, erinnert sich der junge Gewerkschafter. Dazu wurden Aufkleber gedruckt, die am besten auf dem Auto zur Geltung kamen. So konnten sich Menschen solidarisieren und mittels des Stickers auf der Heckscheibe zeigen: „Ich will das auch.“ Tschosi Rehberger: „Es war spannend, auf der Autobahn zu fahren und zu sehen: Das ist einer von uns, der hat die Forderung auch auf seinem Auto. Die Aktion ist sehr gut angenommen worden.“
Nicht vier Prozent, aber immerhin einen Abschluss mit guten drei Prozent brachten die letzten Metaller-KV-Verhandlungen. Noch ist das Klima im Verhandlungskomitee der ArbeitnehmerInnen sehr gut. „Wir haben alle das gleiche Ziel“, erklärt Rehberger. Wird eine Materie kompliziert, kann er auf die Hilfe seiner älteren KollegInnen zählen: „Ich bekomme auch von der PRO-GE eine Mordsunterstützung.“
In der voestalpine Linz, da ist er sich mit den KollegInnen einig, gibt es eine gut gelebte Sozialpartnerschaft. „Wir können Sachen miteinander ausmachen und den Weg so gut es geht miteinander gehen.“ Als etwa einige Lehrlinge in der Berufsschule Probleme in Mathematik hatten, wurden gemeinsam mit dem Ausbildungsleiter Mathe-Kurse zum Aufholen organisiert. Gelöste Probleme sind gelebte Sozialpartnerschaft.

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