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Standpunkt | Weinen oder lachen?

MEINUNG

Das Öffentliche besteht im Gegensatz zum Privaten. Eine Diskussionsrunde im Fernsehen ist etwas anderes als das, was zum Beispiel Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in Ihrem Schlafzimmer machen. Zu Recht werden sie jetzt gleich reagieren und sagen: »Das geht keinen was an, was ich dort mache!« Und obwohl das Veröffentlichte über viele in der Öffentlichkeit stehende Menschen sich bis in ihre Schlafzimmer erstreckt, sind hier eindeutige, auch vom Gesetz gezogene Grenzen. Die stehen allerdings im täglich verifizierbaren Gegensatz zu den voyeuristischen Tendenzen von uns Konsument/-innen der Massenmedien. (Wer das gerade liest, ist natürlich ausgenommen.)

Öffentlichkeit kann auch inszeniert werden wie eine Oper und angesichts des jetzt tobenden Wahlkampfs haben auch Sie sich wahrscheinlich schon öfters die Frage gestellt: »Ist das eine Tragödie? Oder doch eher eine Komödie? Offensichtlich beides, also eine Tragikomödie!« Sollen wir nun weinen oder lachen angesichts dessen, was wir tagtäglich geliefert kriegen?

In Bagdad und anderswo

Ich erinnere mich an eine Begebenheit aus der inszenierten Kriegsöffentlichkeit bei der letzten Eroberung von Bagdad. Ein paar ausgewählte Statisten wurden durften von den anwesenden Korrespondenten dabei abgefilmt werden, wie sie eine Statue von Saddam Hussein stürzten. Der inszenierte Volkszorn als Ablenkung von der Suche nach den Massenvernichtungswaffen, die der vorgebliche Kriegsgrund waren und die man bis heute nicht gefunden hat …

Ein gesundes Misstrauen gegenüber den diversen öffentlichen Inszenierungen, den Szenen und Auftritten und dem Applaus der Claqueure scheint mir durchaus angebracht. Was ich mir wünschen würde? Einen Cato! Erinnern Sie sich aus der Schule an die Cato-Formel, die er nach jeder Rede einfügte - »Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam«, Karthago muß im übrigen zerstört werden? - In der selben Manier wünsche ich mir einen (oder eine), der (oder die) bei jeder sich bietenden Gelegenheit einflicht: »Im übrigen haben wir ein paar hunderttausend Arbeitslose, und jeder einzelne ist einer zu viel! Hier liegen unsere Hauptprobleme und hier muss dringend was geschehen!«

Was geschieht wirklich?
Ein feines Lächeln kräuselt die Lippen, und mit ein, zwei flotten Phrasen und einem treuherzigen Augenaufschlag wendet man sich - dem nächsten Thema zu … Die klassische Aufforderung des Immanuel Kant »Habe Mut, dich deines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen « ist angesichts der vielen Versuche, uns zu manipulieren, in diesen Zeiten besonders aktuell.

Kritisches Denken und kreatives Lernen, auch angewendet auf politische Zusammenhänge wie zum Beispiel auf die Situation des ÖGB und seiner Gewerkschaften, ist jetzt angesagt und vielleicht auch erkennbar. Wir haben uns hier keineswegs verbarrikadiert. Mit Karl Korsch sind wir der Meinung: Arbeiter müssen die Möglichkeit haben, ihre eigenen Oberen in jedem Punkt zu kritisieren.1)  (Wobei mit »Oberen« hier die demokratisch gewählten Vertreter gemeint sind.)

Die Führung der Gewerkschaftsbewegung stellt sich der Kritik und ruft zur gemeinsamen Anstrengung für eine Erneuerung auf. Diese soll sich keineswegs nur auf die Teilnahme an der Mitgliederbefragung beschränken, obwohl diese Teilnahme das Mindeste an Anstrengung wäre, das von Ihnen erwartet wird und wo wir bitten, dass Sie auch die Kolleginnen und Kollegen zumindest in ihrem nähren Umkreis dazu zu animieren.

Demokratie, Kritik und Selbstkritik

Ich persönlich möchte hier Rosa Luxembourg zitieren, für die Demokratie, Kritik und Selbstkritik Kategorien sind, die sie für untrennbar gehalten hat. Sie war es, die zur Selbstbestimmung aufgerufen hat und die von der Freiheit als der Freiheit der Andersdenkenden gesprochen hat. Dies konstituiert die lebenden Formen der Demokratie. Auch wenn manchmal die Töne (und auch die leiseren Zwischentöne) noch ziemlich schrill sind, so liegt es an uns allen, unsere Lebenserfahrung und unser Arbeitswissen einzubringen. In unserem Leben und unserer Arbeit gibt es noch viel mehr Interessen und Möglichkeiten, die über das Alltägliche hinausgehen. Was uns nicht umbringt, macht uns auch gemeinsam stärker.

Von manchen geliebten heiligen Kühen werden wir uns eben trennen, nicht mit Wehmut, sondern mit dem Elan der Erneuerung.

Siegfried Sorz

1) Falls Sie sich fragen, »Woher hat er das?«, möchte ich Ihnen gerne
ein Buch empfehlen, das eine gute Quelle und Anregung ist, auch
wenn es ziemlich umfangreich ist: Oskar Negt, Alexander Kluge:
»Der unterschätzte Mensch«, zweibändige Gesamtausgabe, Verlag
Zweitausendeins, ISBN 3-86150-425-1

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