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Streitpunkt Arbeitsmarktpolitik

A&W-Gespräch mit AK-Präsident Herbert Tumpel

»Arbeit & Wirtschaft«: Kollege Tumpel, du wirfst der neuen Regierung vor, sich vom Ziel der Vollbeschäftigung zu verabschieden.

Herbert Tumpel: Das FPÖ-ÖVP-Programm gefährdet die zuletzt so erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik. Und das entgegen allen nationalen und internationalen Erfahrungen. Wir wissen: Die Fähigkeiten, das Wissen und Können der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind heute die entscheidenden Faktoren für den wirtschaftlichen Erfolg. Die FPÖ-ÖVP-Politik steuert in eine andere Richtung. Statt Qualifikation zu fördern, wird mit Sanktionen gedroht. Die Beschäftigungsprogramme werden finanziell ausgehungert, Arbeitsplätze vernichtet, Frauen vom Arbeitsmarkt weggelockt, die Lebensarbeitszeit wird verlängert und ein »Arbeitsdienst« eingeführt.
Das Regierungsprogramm macht eine Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitik und verlässt das Ziel der Vollbeschäftigung. Ersetzt Förderung und Entfaltung durch Zwang und Sanktionen. Dabei wäre es wichtig und richtig, nicht- oder fehlqualifizierte Arbeitssuchende wieder fit für den sich ständig ändernden Arbeitsmarkt zu machen. Die Regierung schlägt den Weg zu einer autoritären Arbeitsmarktpolitik ein.

A&W: Kollege Tumpel, ein wichtiges Ziel deiner politischen Arbeit ist der Schutz und Ausbau der Rechte der Arbeitnehmer. Womit sind die Kolleginnen und Kollegen konfrontiert?

Tumpel: Die Arbeitswelt steht im Umbruch. Es gibt immer mehr unsichere Arbeitsverhältnisse. Es gibt immer mehr geringfügige Arbeitsverhältnisse, von denen eine Arbeitnehmerin, ein Arbeitnehmer nicht leben kann. Es gibt immer mehr atypische Arbeitsverhältnisse, ohne ausreichenden rechtlichen Schutz, ohne Zukunftsvorsorge und soziale Sicherheit.
Und der Arbeitsmarkt ist labil: Eineinhalb Millionen Arbeitnehmer wechseln in Österreich mindestens einmal im Jahr den Arbeitsplatz. Für die Beschäftigten bedeutet dies, dass in Zukunft die Beschäftigungskarrieren überwiegend aus sehr unterschiedlichen Beschäftigungsformen bestehen werden. Befristete Arbeitsverhältnisse, geringfügige Erwerbstätigkeit, Scheinselbstständigkeit, besser und schlecht bezahlte Arbeitsplätze werden einander abwechseln. Das muss sich letztlich auch auf den Arbeitsmarkt auswirken.
Das Programm der Regierung wird diesen Druck verstärken. Es läuft in Richtung Lohndumping, verschlechterte Arbeitsbedingungen, Beschneidung der Mitspracherechte von Arbeitnehmern und Betriebsräten. Statt einer Höherqualifizierung kommt es zu einer Dequalifizierung der Betroffenen, statt neue vollwertige Arbeitsplätze zu schaffen, sollen Menschen zu Niedriglöhnen zur Arbeit verpflichtet werden.
Wir brauchen nur einen Blick auf die Statistik zu werfen. Die Zahl der geringfügig Beschäftigten steigt immer mehr. Frauen sind davon besonders betroffen. Fast 200.000 Menschen versuchen sich mit solchen Beschäftigungsverhältnissen über Wasser zu halten. Und viele tun das nicht freiwillig. Sie tun es, weil sie dem Willen des Arbeitgebers folgen müssen.

A&W: Gibt es Beispiele?

Tumpel: Ja, da werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Beispiel in einem Unternehmen für einen Tag beschäftigt, daneben beziehen sie die Arbeitslosenunterstützung. Dann aber werden sie plötzlich normal, also für 38,5 Stunden angestellt. Der Pferdefuß: Nach einem Monat wird das Dienstverhältnis - als Probemonat dargestellt - gekündigt. Und dann irgendwann beginnt dieses Spiel aufs Neue. Da geht es nur darum, eventuelle Auftragsspitzen des Arbeitgebers abzudecken, allerdings zu Lasten des Arbeitnehmers. Das sind Verhältnisse, die darüber hinaus auch rechtswidrig sind. Die Betroffenen kommen zu uns und fragen: Wo ist mein Recht, wo mein Anteil an den Sonderzahlungen?
Oder, nehmen wir den modischen Konsumtempel »Peek & Cloppenburg«. Da gibt es ein Prinzip, das heißt »Arbeit auf Abruf«. Das sind Arbeitsverhältnisse, die nach dem Belieben des Arbeitgebers und unter voller Übertragung der wirtschaftlichen Last auf den Arbeitnehmer gestaltet werden. Der Arbeitnehmer sitzt zu Hause, wartet, dass der Arbeitgeber anruft und ihm mitteilt, dass es Arbeit gibt. Das kann psychisch zu einer großen Belastung werden, richtet sich doch die Höhe des Verdienstes nach dem Arbeitsanfall. Aber nicht nur das: Der Arbeitnehmer wird empfindlich in seiner Privatsphäre gestört, weiß er doch nicht, wann und wie lange er arbeiten muss. Der Arbeitnehmer kann zwar von Fall zu Fall Arbeitseinsätze ablehnen, aber wenn jemand dies öfter macht, wird er wahrscheinlich nie mehr wieder geholt.

A&W: Sind das nicht Einzelfälle?

Tumpel: Leider nein. Wir sehen uns zunehmend mit solchen Unterwerfungsverträgen konfrontiert. Das Programm der FP-VP-Koalition wird das noch massiv verstärken. Das zeigen auch die Arbeitsmarktprognosen. Die von der Regierung geplanten sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen erhöhen unmittelbar das Angebot an Arbeitskräften auf dem österreichischen Arbeitsmarkt und verringern gleichzeitig die Beschäftigungsmöglichkeiten. Das wird den Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen verstärken. Die Betroffenen werden auch schlechte Bedingungen akzeptieren, nur um Arbeit zu haben.
Das Ungleichgewicht zwischen Arbeitskräfteangebot und Arbeitskräftenachfrage wird vorsichtig geschätzt um rund 42.000 Personen steigen. Und - wieder vorsichtig geschätzt - ein gutes Drittel davon, also 15.000 Menschen, werden davon in die Langzeitarbeitslosigkeit wechseln. Dazu kommen noch jene älteren Arbeitnehmer, die von der neuen Regelung für Frühpensionen betroffen sein werden, die länger arbeitslos sein werden und ohne empfindliche Einbußen nicht in Pension gehen können. Konkrete Maßnahmen zur Schaffung und Sicherung von Beschäftigung für ältere Arbeitnehmer gibt es seitens der Regierung nicht. Auch hier gilt offensichtlich Strafe statt Lösung. Betroffen kann auch die Jugend sein. Bis zu 8000 werden um einen Ausbildungsplatz fürchten müssen. Einfach weil die Mittel gekürzt werden und das erfolgreiche Auffangnetz in Frage gestellt wird. Dieses Auffangnetz ist für die Jugendlichen wichtig, stellen doch die Unternehmen von Jahr zu Jahr immer weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung. Pro Lehrling und Jahr bekommen die Unternehmen 11.600 Schilling zugeschossen. Dieses Zuckerl soll - so der Wille der neuen Regierung - noch einmal um 24.000 Schilling aufgefettet werden, für die Zeiten, in denen die Lehrlinge an der Berufsschule sind. In Kärnten wurde das bereits ausprobiert, mehr Lehrstellen hat das aber nicht gebracht.

A&W: Wir danken für das Gespräch.

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