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Ende der Parität? | Überlegungen zum veränderten Handlungsrahmen der Gewerkschaft

Dieser Diskussionsbeitrag sollte Anstöße zum Nachdenken geben: Wie geht's den Gewerkschaften jetzt? Wie verhalten sich die »Partner« zueinander? Wie ist das Gleichgewicht der Verbände und wie ihr Verhältnis zur derzeitigen Regierung? Wie steht es um die Fraktionen und Mandatare? Vielleicht haben gerade Sie, werte Leser und Leserinnen, eine ganz andere Meinung dazu?

I.

Für Österreichs politisches System bedeutet der 4. Februar 2000 eine scharfe Zäsur mit Auswirkungen weit über die Lebensdauer der Mitte-Rechts-Koalition hinaus. Ein Begleiteffekt der veränderten politischen Lage ist die gesellschaftliche Polarisierung, von der auch die Sozialpartnerschaft erfasst worden ist.

Die Zukunft der für die Zweite Republik prägenden Konsensdemokratie mit ihrer Betonung des Interessenausgleichs zwischen den großen sozioökonomischen Gruppen ist mit einem Mal ungewiss.

Dabei hatte die Sozialpartnerschaft noch im Oktober 1999, wenige Tage vor der Nationalratswahl, ein sehr kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben. In einer gemeinsamen Pressekonferenz hatten die Präsidenten von Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer, Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer vor der »Zerstörung der Sozialpartnerschaft« und einer drohenden »Unregierbarkeit des Landes« gewarnt. Indirekt ein Bekenntnis zur Fortsetzung der Koalition von SPÖ und ÖVP, war der Aufruf zugleich die erste gemeinsame Stellungnahme der vier Verbände zur politischen Situation im Land.

Sozialpartnerschaft ade?

Das Wahlergebnis wurde dann auch, zumindest von Seiten der Wirtschaft, als Niederlage für die Sozialpartnerschaft interpretiert. Und tatsächlich wurden in das Regierungsprogramm der Koalition aus ÖVP und FPÖ eine Reihe von Punkten aufgenommen, die nicht über den Weg des sozialpartnerschaftlich koordinierten Interessenausgleichs, sondern nur durch parlamentarische Kampfabstimmungen realisierbar sind. Namentlich Eingriffe in die rechtlichen Grundlagen der Zusammenarbeit - etwa die Pläne zu einer »betrieblichen Sozialpartnerschaft«, zu deren Realisierung das Kollektivvertragsrecht geändert werden muss - haben unvermeidlich auch Auswirkungen auf die sozialpartnerschaftliche Architektur als solche.

Auf die explizite Zurückweisung des Verbändeeinflusses wird sowohl im Programm als auch in der Regierungspraxis verzichtet. Zwar gehören die Attacken gegen die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern zum fixen Repertoire der FPÖ. Dass sich aber im Regierungsprogramm kein Wort dazu findet, überrascht nicht. Immerhin ist sie Partner einer Partei, deren Bünde untrennbar mit den Kammern - hier allerdings besonders den Selbständigen-Kammern - verflochten sind. Mit den Arbeitnehmerverbänden sind beide Koalitionsparteien wesentlich weniger verflochten, als das bei der SPÖ der Fall ist. Von Beginn an - erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik - legt eine Regierung eine klare Neigung an den Tag, die Verbändeparität in zumindest dreifacher Hinsicht zu ignorieren:

Soziale Schräglage: Die bisher umgesetzten bzw. in Vorbereitung stehenden Maßnahmen des Regierungsprogramms zielen, soweit es das Arbeits- und Sozialrecht betrifft, fast durchgängig auf eine Einschränkung der Arbeitnehmerrechte ab und können von Arbeiterkammer und Gewerkschaft als nichts anderes als eine Kampfansage begriffen werden. Am meisten provoziert hat wohl die Formulierung »Änderung aller Regelungen, die eine (...) unverhältnismäßig große Belastung für die Betriebe darstellen«.

Bruch mit zentraler Spielregel: Bei der Umsetzung ihres Programms bricht die Regierung mit einer zentralen Regel, nämlich der umfassenden Einbindung der Sozialpartner in wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungsabläufe. Gerade im Sozialrecht ist es bisher üblich gewesen, dass zunächst die Verbände eine konsensuale Lösung aushandeln und diese dann von Regierung und Parlament rezeptiv übernommen wird. Das hat der Sozialpartnerschaft den Ruf der Präjudizierung parlamentarischer Entscheidungen eingetragen, unbestritten aber hat sie damit über ein halbes Jahrhundert den sozialen Frieden im Land gesichert und positiv zur wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen. Diese Funktionen kann sie unter der gegenwärtigen Regierung kaum erfüllen, da deren Vorgaben keinen Spielraum für Verhandlungen offen lassen.

Privilegierung und Ausschluss: Inhaltlich trägt das Regierungsprogramm unverkennbar die Handschrift des Wirtschaftsflügels der ÖVP. Unter der gegenwärtigen Regierung genießen die wirtschaftlichen Interessenverbände - Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung - einen betont privilegierten Zugang zu den politischen Entscheidungskanälen; die Arbeitnehmerverbände dagegen sehen sich vermehrt von der Politikgestaltung ausgeschlossen. Die Ungleichbehandlung der Verbände droht die Sozialpartnerschaft zu sprengen. Sowohl der Inhalt des Regierungsprogramms als auch die Art der Umsetzung treiben einen Keil zwischen die Interessenverbände und konterkarieren die österreichische Konsenskultur in einer bisher nicht gekannten Weise.

Positivsumme: Nullsumme

Die Grundphilosophie der Sozialpartnerschaft ist immer gewesen, dass keiner der Beteiligten sein aktuelles Machtpotential voll ausschöpft, sondern den Ausgleich mit dem Partner sucht ­ im Idealfall ein »Positivsummenspiel«, bei dem jeder einen Vorteil hat. Die aktuelle Entwicklung dagegen zeigt in Richtung Neuverteilung - ein »Nullsummenspiel«, bei dem der eine etwas verlieren muss, damit der andere etwas gewinnen kann. Die tripartistischen Beziehungen zwischen Arbeit, Kapital und Staat erreichen damit eine neue Qualität: Gewerkschaft und Arbeiterkammer werden nicht mehr als gleichberechtigte Partner im Spiel anerkannt, ihre Rolle als Mitgestalter in der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird abgewertet und ­ bei eng gestecktem Verhandlungsspielraum - auf die Abfederung von Teilaspekten der Zielvorgabe beschränkt.

Dieser Beitrag war ursprünglich ein Referat am VI. Forum Jägermayerhof, veranstaltet von AK und ÖGB Oberösterreich und der Johannes-Kepler-Universität. Das Forum stand unter dem Motto: »Jenseits von Eden? Vor der Neudefinition des Verhältnisses von Gewerkschaften und Arbeiterkammern zu Parteien und Regierung(en) in Österreich.« Die Beiträge und zentralen Überlegungen des Forums erscheinen als Buch: Bitte blättern Sie zu Seite 47 dieses Heftes, dort gibt es ein Subskriptionsangebot. Hervorhebungen und Zwischentitel von der Redaktion.

Auch wenn einigen der ursprünglich geplanten Maßnahmen die Schärfe genommen wurde und sich vermehrt wieder jene zu Wort melden, die an einer Fortsetzung der kooperativen Beziehungen interessiert sind - die Attacken auf Gewerkschaft und Arbeiterkammer haben das jahrzehntelang bestehende Vertrauensverhältnis nachhaltig ramponiert. Noch vor weniger als zwei Jahren, unter der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, wurde die Sozialpartnerschaft als mögliches Vorbild für den sozialen Dialog auf europäischer Ebene diskutiert. Mittlerweile kann von einem »österreichischen Modell« nicht mehr die Rede sein, eine Rückkehr zum status quo ante erscheint wenig wahrscheinlich. Es muss paradox erscheinen, dass in Österreich mit der ÖVP-FPÖ-Regierung die Entwicklung in Richtung Ende der Konsensdemokratie zeigt, während in allen anderen europäischen Ländern seit Ende der achtziger Jahre erkannt wurde, dass die EU nicht nur ein ökonomisches Projekt sein kann, sondern auch eine soziale Dimension hat.

II.

Auch wenn eingangs wesentliche Impulse für die rasche Veränderung der Verbändebeziehungen bzw. der Staat-Verbände-Beziehungen dem Regierungswechsel zugeschrieben wurden, ist in Erinnerung zu rufen, dass sich bereits davor die Konzessionsspielräume empfindlich verengt hatten. Lässt man die Entwicklung der neunziger Jahre Revue passieren, fällt zunächst der Autoritätsverlust der Spitzenverbände ins Auge. Vor allem auf der Arbeitgeberseite entzogen sich immer wieder Innungen und Fachverbände den zentralverbandlich abgeschlossenen Kollektivverträgen, der innerverbandliche Druck in der Wirtschaftskammer, ausgedrückt vor allem in einer breiten Kritik an Pflichtmitgliedschaft und Beitragshöhe, nahm bedrohliche Ausmaße an, denen die WKÖ durch ein Laisser-faire gegenüber aus dem Tarifverbund ausscherenden Arbeitgebergruppen zu begegnen versuchte. Die internen Schwierigkeiten der Verbände - zentrifugale Tendenzen bei der Wirtschaftskammer, Mitgliederverluste beim ÖGB - blieben nicht ohne Folgen für die sozialpartnerschaftlichen Beziehungen. Es wurde zunehmend schwieriger, den Ausgleich zwischen optimaler Zielverwirklichung im institutionellen Gefüge einerseits und organisatorischer Hinwendung zur sozialen Basis andrerseits herzustellen. Unvermeidlich wurde der Ton zwischen den Verbänden schärfer, im sozialpartnerschaftlichen Verhandlungssystem kam es immer wieder wenn nicht zu Krisen, so doch zu ernsten Turbulenzen.

Za wos brauch ma des?

In der ersten Hälfte des Jahrzehnts bildete die gemeinsame Initiative für einen EU-Beitritt Österreichs gleichsam das einigende Band, durch das andere Interessengegensätze entschärft wurden. Im Rückblick der vergangenen fünf Jahre wird allerdings eine beschleunigte Abkoppelung ökonomischer Interessen von sozialen Gestaltungsinteressen sichtbar, auf deren Ursachen (Strukturwandel, Internationalisierung etc.) hier nicht näher eingegangen werden muss. Die Forderungen nach mehr Deregulierung und Flexibilisierung haben weiter zugenommen, parallel dazu hat sich das Kräfteverhältnis nachhaltig zugunsten der Arbeitgeberseite verschoben. Paradoxerweise stehen aber gerade Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung unter einem besonderen Druck, eben weil ihre Mitglieder eine Umsetzung dieses Vorteils in konkrete Politik einfordern. Einem Teil der Wirtschaft erschließt sich der Nutzen sozialpartnerschaftlicher Verhandlungskultur nur noch eingeschränkt. In der Industrie ebenso wie im Gewerbe ist die Liste arbeits- und sozialrechtlicher Änderungswünsche (Senkung der Lohnnebenkosten, Abfertigung, Lockerung von Schutzbestimmungen usw.) immer länger geworden. Immer häufiger wird auch die Semantik des Begriffs Sozialpartnerschaft hinterfragt, mehr oder weniger ernsthaft wird der Wunsch nach einer Umbenennung geäußert, von Standort- und Innovations- bis Zukunfts- oder Modernisierungspartnerschaft. Was immer das Motiv für Vorschläge dieser Art ist, es dokumentiert sich darin vor allem das markant gesunkene Interesse am traditionellen Verhandlungssystem.

Ein Vergleich der wirtschafts- und sozialpolitischen Abschnitte des Koalitionsprogramms der Mitte-Rechts-Regierung mit dem Aktionsprogramm des Wirtschaftsbunds für die Kammerwahl im März 2000 macht eine weit gehende Übereinstimmung bei zahlreichen Zielsetzungen sichtbar. Vieles der von der Gewerkschaft gegen das Regierungsprogramm vorgebrachten Kritik könnte ebenso gegen Kammer oder Industriellenvereinigung gerichtet werden. Es ist anzunehmen, dass die Wirtschaftsverbände in einer politischen Ausnahmesituation ihren - interessenpolitisch legitimen - Einfluss für eine Koalitionsvariante geltend machten und damit wesentlich ihre Chancen erhöhten, eine Reihe von Zielen zu realisieren, die bei einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung nicht oder nur mit Einschränkungen durchsetzbar wären.

III.

Österreich weist eine ungewöhnlich enge Verflechtung der Verbände mit den politischen Parteien auf. Die Sozialpartnerschaft verdankt ihre Erfolgsgeschichte zu einem Gutteil diesem Ineinandergreifen unterschiedlicher Stränge von Interessenvertretung, das ein leichteres »Übersetzen« von Verhandlungspositionen und kürzere Verhandlungswege möglich machte. Die sich teilweise überlappenden personellen und finanziellen Ressourcen erlauben überdies die Nutzung von Synergien, was wiederum das Verbändesystem insgesamt stärkt.

Verflechtungen

Das Ausmaß der Verflechtungen ist im internationalen Vergleich einzigartig und nur mit den besonderen Bedingungen, unter denen der »Neustart« der Republik 1945 erfolgte, zu erklären, auf die ich hier nicht näher eingehe. Hingewiesen sei nur auf die nun volle Entfaltung der beiden Lagerparteien SPÖ und ÖVP, mit ihrem umfassenden Organisationsverständnis, gestützt auf ein eng geknüpftes Netz von Vorfeldorganisationen, zu dem naturgemäß auch die sozioökonomischen Verbände zählen. Besonders begünstigt wurde die Verflechtung im Bereich der Kammern, die durch das Listenwahlrecht eine parteipolitische Durchdringung erlauben. Die Selbständigen-Kammern wurden zur Domäne der ÖVP, die Arbeiterkammern zur Domäne der SPÖ.

In der Gewerkschaftsbewegung gelang es mit der Gründung des ÖGB, einen parteienübergreifenden Dachverband ins Leben zu rufen und damit die richtungsgewerkschaftliche Fragmentierung zu überwinden. Zweifellos ein historischer Erfolg, der vielen europäischen Gewerkschaften bis heute versagt geblieben ist. Allerdings formierten sich innerhalb des ÖGB, anfangs nur informell, schon sehr bald Parteifraktionen mit eigenen Ressourcen und Funktionsansprüchen, und nur zwei Fraktionen erreichten eine relevante Größe - prädominant die FSG insgesamt und, dominant nur im öffentlichen Dienst, die FCG. Damit waren (und sind) die beiden Lagerparteien auch in der Gewerkschaft tonangebend.

Kontrollierenden Einfluss haben indessen nicht nur die Parteien auf die Verbände, es haben umgekehrt auch die jeweiligen Verbandsfraktionen ihren festen Platz in der Parteistrukur. Die FSG ist als sozialdemokratische Organisation mit einem statutarisch festgelegten Schlüssel auf den Parteitagen der SPÖ vertreten. ÖAAB, Wirtschaftsbund und Bauernbund sind Teilorganisationen der ÖVP, jedoch mit eigener Rechtspersönlichkeit und direktem Zugriff auf die Mitgliedsbeiträge.

Mandatare

Die Verschränkung von Verbands- und Parteistrukturen und die damit verbundenen Interdependenzen finden ihren Niederschlag in der Zusammensetzung der gesetzgebenden Körperschaften, in welchen die Verbände traditionell ein Gutteil der politischen Mandatare stellen. Grundsätzlich ist eine personelle Verflechtung von Parteien und Verbänden, wenn auch nicht so weit reichend wie in Österreich, auch in anderen Ländern zu beobachten. Das trifft insbesondere auf die Gewerkschaften - etwa in Frankreich, Italien, auch Deutschland - zu. Die österreichische Besonderheit lag lange Zeit aber darin, dass die personelle Verflechtung von Verbands- und Parteifunktionen in-tegraler Bestandteil eines historisch gewachsenen politischen Karrieremodells war.

Eine politische Laufbahn hatte die größten Erfolgsaussichten im Rahmen eines »lagerinternen« Wettbewerbs, was heißt, dass es für das persönliche Fortkommen von Nutzen war, sich auf mehrere Karriereorte gleichzeitig zu stützen. In den achtziger und frühen neunziger Jahren war das Phänomen der »Ämterkumulierung« eines der Einfallstore für die Kritik am Parteienstaat. Die gestiegene Sensibilisierung der Öffentlichkeit in dieser Frage ist nicht ohne Auswirkungen auf politische und verbandliche Karriereverläufe geblieben, am anschaulichsten ausgedrückt wohl in der Präsenz von Spitzenfunktionären der Verbände im Nationalrat. (Hatten die Verbände noch in den siebziger Jahren mehr als die Hälfte der Mandatare gestellt, so ging ihr Anteil bereits in der darauf folgenden Dekade deutlich zurück und liegt mittlerweile bei weniger als einem Fünftel.)

Lange Zeit betrachteten auch die Präsidenten der vier großen Sozialpartner-Dachverbände (ÖGB, AK, WKÖ, LWK) ihre persönliche Anwesenheit im Parlament als unverzichtbar (verblieben ist, nach dem Rückzug der Präsidenten von AK, WK und LKW, nur noch der ÖGB-Präsident). Unbestreitbar ist, dass aus den Reihen der Verbände routinierte Parlamentarier kommen, deren Aktivitäten sich durchaus nicht auf die wirtschaftliche Interessenvertretung beschränken. Nicht zuletzt deshalb aber sind die Verbändevertreter im österreichischen Parlament immer häufiger einem Rollenkonflikt zwischen Parteiräson und Verbändeinteressen ausgesetzt. Da gerade der gewünschte Effekt, nämlich durch unmittelbare Präsenz am Entscheidungsort mehr Einfluss auf politische Prozesse nehmen zu können, dadurch konterkariert wird, ist anzunehmen, dass die Verbände sich weiter aus den legislativen Körperschaften zurückziehen werden. Im europäischen Kontext sind Funktionsverflechtungen dieser Art ohnedies unüblich oder sogar verpönt, und vielfach werden sie durch Unvereinbarkeitsregeln in den Organisationsstatuten unterbunden.

Vorteile versus Nachteile

Die Vorteile einer Verflechtung der Verbände mit dem Parteiensystem haben sich in den neunziger Jahren wiederholt, etwa bei den Auseinandersetzungen um die so genannten Sparpakete, in das Gegenteil verkehrt. Bildete diese Verflechtung in der Vergangenheit das Einfallstor für die Reklamation einer umfassenden Gestaltungskompetenz im politischen System, so wird sie im Kontext der Neuformierung der österreichischen Parteienlandschaft für die Verbände zunehmend zur Hypothek, namentlich dann, wenn diese von den Mitgliedern für die Regierungspolitik mit haftbar gemacht werden.

Die turbulente Vorgeschichte der Bildung einer schwarzblauen Koalition wirft ein Schlaglicht auf die angespannte Situation zwischen Gewerkschaft und Parteien, insbesondere bei FSG und SPÖ: Schon lange hatte sich in der Gewerkschaft Frustration breit gemacht, dass die Modernisierungskosten notorisch zu Lasten der Arbeitnehmer gehen. Die Neuauflage der rot-schwarzen Koalition zeigte eine weitere Verschärfung an. Dass der Koalitionspakt zwischen SPÖ und ÖVP nicht zustande kam - auch wegen des Widerstands gewerkschaftlicher Verhandlungsteilnehmer -, hat daher gerade im unteren und mittleren Funktionärebereich zumindest kurzfristig ein beinah befreites Aufatmen ausgelöst.

Das Kernproblem der Gewerkschaft ist damit aber keineswegs gelöst. Das von der Mitte-Rechts-Regierung in Angriff genommene politische Programm ist alles andere als ein gewerkschaftsfreundliches Unternehmen, und namentlich die FPÖ ist ein erklärter Gegner des ÖGB. Dennoch - der ÖGB ist nicht gemeinsam mit der SPÖ in Opposition - so wie er davor nicht mit ihr gemeinsam in der Regierung war. Gewerkschaften sind Interessenvertretungen für eine bestimmte, wenn auch sehr große gesellschaftliche Gruppe, Parteien sind darauf angewiesen, weit über diese Gruppe hinaus Zustimmung zu finden.

Gordischer Knoten

Zweifellos können Gewerkschaften nicht zu allen Parteien Äquidistanz halten, schon aus ideologischen Gründen stehen manche Parteien den gewerkschaftlichen Anliegen näher als andere. Allerdings, im Kontext einer völlig veränderten Parteienlandschaft, die sich längst nicht mehr allein entlang sozioökonomischer Cleavages formiert, lassen sich die Verbände nicht mehr umstandslos politischen »Lagern« zuordnen. Die Partei und die Gewerkschaft als etwas Zusammengehörendes zu behandeln ist ein Anachronismus, der sich entweder aus ideengeschichtlicher Romantik oder aus machtpolitischen Kalkülen speist. Wenn in Österreich die politischen »Lager« Geschichte sind, warum verabschiedet sich nicht auch die Gewerkschaft von der Lagermentalität und leitet die Trennung zwischen Partei(en) und Gewerkschaft in die Wege? Bei manchen ÖGB-Gewerkschaften stimmt der fraktionelle Verteilungsschlüssel längst nicht mehr mit den politischen Präferenzen der Mitglieder, ja nicht einmal ­ siehe GPA - der Betriebsräte überein.

Der Abschied von der Fraktionierung im ÖGB - sofern dies von der Mehrheitsfraktion überhaupt angestrebt wird - gleicht einem gordischen Knoten, schwieriger zu lösen als das Problem der Neugruppierung der Einzelgewerkschaften. Eine Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen scheint aber dringlich geboten, will die Gewerkschaft in ihrem Verhältnis zu den Parteien beweglicher werden. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass mit den Grünen eine Partei mit großem sozialen Engagement das politische Spektrum bereichert, als Partner der Gewerkschaft aber nur begrenzt in Frage kommen kann, weil fraktionelle Rücksichtnahmen und Hürden den offenen Dialog blockieren.

IV.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Handlungsrahmen der Gewerkschaft sich schon über einen längeren Zeitraum verändert hat, durch die politische Wende sind die Koordinaten aber sehr abrupt neu gesetzt worden. Die Gewerkschaft sieht sich einer Regierung gegenüber, die nicht nur inhaltlich mit der sozialpartnerschaftlichen Tradition bricht, sondern sich auch anschickt, auf legistischem Weg die Regeln zu ändern. Und sie hat gleichzeitig einen »Sozialpartner«, der den Nutzen des sozialpartnerschaftlichen Verhandlungsmusters zwar weiterhin zu schätzen weiß, sich aber nicht abgeneigt zeigt, auch andere strategische Optionen zu wählen, wenn diese mehr Nutzen versprechen. Die Bedingungen für eine sozialpartnerschaftlich orientierte Gewerkschaftspolitik haben sich damit innerhalb kurzer Zeit gravierend verschlechtert. Sicher ist, dass es für eine Partnerschaft zwei braucht. Um auf die neue Lage adäquat reagieren zu können, braucht die Gewerkschaft sehr viel Flexibilität. Und gerade bei der »Wahl der Mittel« besteht offenkundig eine gewisse Ratlosigkeit, die sich zu einem Gutteil aus der fraktionellen Verflechtung des ÖGB mit den politischen Parteien herleitet. Die Fraktionsfrage weiterhin außer Diskussion zu stellen, könnte sich vor diesem Hintergrund mittel- bis langfristig als Fehler erweisen.

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