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BiP, Produktivität und Lohnentwicklung 1995 - 2000

Der Lohnabschluss - Argumente und Widerlegungen | Die Lohnrunde 2000/01 und die Haltung der Arbeitnehmer, der Sozialpartner und der derzeitigen Bundesregierung

Mit mehr Spannung als sonst waren im Herbst 2000 die Auftaktverhandlungen zur Lohnrunde 2000/01 erwartet worden, die der langjährigen Übung entsprechend von den zuständigen Gewerkschaften Metall - Textil für die Arbeiter und Gewerkschaft der Privatangestellten (Sektion Industrie) geführt werden. Zwar waren diesmal die Gehaltsverhandlungen im öffentlichen Dienst schon vorher abgeschlossen worden, doch konnten diese schon wegen der besonderen Situation im öffentlichen Sektor (Crash-Programm Nulldefizit) keinesfalls als Maßstab für die übrige Wirtschaft gesehen werden.

Erwartungsgemäß gestalteten sich die KV-Verhandlungen in der Metallindustrie diesmal in manchen Phasen schwierig, doch konnte zeitgerecht vor dem In-Kraft-Treten des neuen Kollektivvertrags (1. November 2000) eine Einigung erzielt werden. Die Reaktionen waren von Seiten der Medien fast nur positiv ­ die meisten Kommentare vermerkten anerkennend, dass mit 3,4% Ist- und 3,7% KV-Lohnerhö-hung das richtige Maß gefunden wurde. Vor allem wurde der Abschluss aber auch als Ausdruck einer funktionierenden Sozialpartnerschaft im Verhältnis Arbeitnehmer - Arbeitgeber interpretiert, und dies durchaus mit einer gewissen Erleichterung. Lediglich der Generalsekretär der Industriellenvereinigung fühlte sich zur Kritik an den angeblich zu hohen Abschlüssen bemüßigt, wobei solche Behauptungen in den letzten Jahren schon routinemäßig von dieser Seite geäußert werden. Wie ist die Lohnverhandlungsrunde 2000 in der Metallindustrie aus gewerkschaftlicher Sicht zu bewerten? Dabei müssen sowohl wirtschaftliche wie politische Aspekte berücksichtigt werden.

Die Ziele der Lohnpolitik des ÖGB beziehungsweise der Gewerkschaften, die am 14. ÖGB-Bundeskongress (1999) formuliert wurden, sind:

  • Sicherung der Kaufkraft;
  • Orientierung an der gesamtwirtschaftlichen Produktivität;
  • solidarische Lohnpolitik, das heißt, möglichst gleichmäßige Teilhabe aller Gruppen am Produktivitätszuwachs der österreichischen Wirtschaft, bei etwas stärkerer Anhebung der Mindestlöhne;
  • Tarifautonomie: Lohnpolitik ist Sache der Sozialpartner.

Produktivitätsorientierung

Aus einer nicht nur kurz-, sondern auch mittel- und längerfristigen Sicht ist die Produktivitätsorientierung die wichtigste Zielsetzung. Bei jährlichen realen Wachstumsraten unserer Wirtschaft von durchschnittlich nur knapp mehr als 2% im letzten Jahrzehnt ist nicht jedes Jahr ein realer Einkommenszuwachs für die Arbeitnehmer drinnen gewesen. Über einen längeren Zeitraum sollte sich aber eine merkbare Einkommenserhöhung ergeben. Dabei ist es klar, dass Schwankungen in der laufenden Konjunktur-, Preis- und Arbeitsmarktentwicklung, ob sie nun erwartet oder unerwartet (derzeitige Ölpreiserhöhung!) eintreten, dazu führen, dass Löhne und Produktivität sich nicht von Jahr zu Jahr parallel entwickeln.

In den letzten fünf Jahren war das Wirtschaftswachstum eher schwach, erst 2000/01 ist wieder eine stärkere Belebung eingetreten. Unter diesen Bedingungen verlief auch die reale Lohnentwicklung im Durchschnitt sehr gedämpft, 1999 lag der reale Durchschnittslohn nur etwa 3% über dem Niveau von 1994. Der reale Lohnzuwachs lag in einzelnen Jahren (1998 und 1999) auch über, insgesamt jedoch unter dem gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs. Das Jahr 2000 war zweifellos durch besondere Faktoren geprägt: Der Preisanstieg war durch Ölpreiserhöhung sowie Steuer- und Gebührenerhöhungen (»Belastungspaket«)1) erheblich stärker, als zum Beginn der letzten Lohnrunde erwartet worden war. Das Wirtschaftswachstum war erfreulicherweise sogar etwas stärker. So kam es dazu, dass im Vorjahr der Reallohn deutlich hinter der Produktivität zurückgeblieben ist (siehe Tabelle).

Mit einer Lohnerhöhung von effektiv zirka 3,6%2), was real je nach Inflationsrate 2001 zwischen 1,75 und 2% bedeuten dürfte, entspricht der Lohnabschluss in der Metallindustrie ungefähr der für 2001 prognostizierten Produktivitätszunahme.

Weder in kurz- noch in mittelfristiger Sicht kann man daher diesen Lohnabschluss als »überhöht« kritisieren, wenn die Produktivitätsentwicklung als Maßstab genommen wird.

Von Arbeitgeberseite ist in den letzten Jahren die Produktivitätsorientierung immer wieder in Frage gestellt worden, wobei vor allem zwei Arten von Gründen genannt werden:

  • »Die Unternehmungen müssen bei Industriegütern immer stärkere Preiskonzessionen machen, sodass die Industrie die Produktivitätszuwächse nicht an die Arbeitnehmer weitergeben kann.«

Dazu ist zu sagen, dass die Lohnerhöhungen in der Industrie ohnehin meist niedriger sind als der Produktivitätszuwachs, der mit zirka 5% in der Industrie mehr als doppelt so hoch wie im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt ist. Wenn der Lohnzuwachs damit immer noch über dem Wachstum der nominellen Wertschöpfung liegen würde, müssten die Gewinne sinken. Das war aber in dem hier betrachteten Zeitraum keineswegs der Fall.3) Also entspricht die Behauptung der Unternehmerseite nicht den Tatsachen.

  • »Lohnerhöhungen unter dem Produktivitätswachstum ermöglichen die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.«

Damit wollen sich die Unternehmervertreter sogar als die wahren Wohltäter der Arbeitnehmer darstellen. Abgesehen davon, dass sie natürlich damit primär erreichen wollen, dass vom Umsatz mehr für den Gewinn übrig bleibt, übersieht das Argument, dass Löhne gleichzeitig Nachfrage sind und ein geringerer Lohnzuwachs auch weniger Nachfrage bedeutet und daher an sich nicht zu einer Ausweitung der Beschäftigung führt. Auch hat die Entwicklung der neunziger Jahre in Europa, als die Löhne deutlich schwächer gestiegen sind, gezeigt, dass diese Rechnung nicht aufgeht, da die Beschäftigung sich praktisch nicht erhöht hat, wohl aber die Arbeitslosigkeit. Am besten kann durch einen Gleichschritt von Reallöhnen und Produktivität eine ausreichende Nachfrage gesichert werden, die mittel- und längerfristig auch wieder zu mehr Wachstum des BIP und der Beschäftigung führt.

Kaufkraftsicherung

Ein brisantes Thema bei den Lohnverhandlungen war diesmal die Inflation. Von Unternehmerseite, aber auch von mehreren Ökonomen wurde die Meinung vertreten, dass die Inflation, soweit sie auf Preissteigerungen für Importgüter (Rohöl und Ölprodukte) zurückzuführen ist, nicht in der Lohnerhöhung abgegolten werden sollte, da ansonsten die Gefahr besteht, dass eine Preis-Lohn-Spirale in Gang gesetzt wird. Stattdessen wurde immer eine so genannte »Kerninflationsrate« als maßgeblicher Indikator genannt.

Als sich Österreich nach dem ersten und zweiten Ölpreisschock (1973 und 1979) in einer ähnlichen Situation befand, hatte die Inflation allerdings deutlich höhere Werte erreicht (im Extremfall sogar knapp über 10%). Von einer solchen dramatischen Beschleunigung waren wir diesmal weit entfernt, der bisherige Höchstwert der Preissteigerungen wurde im September 2000 mit 3% erreicht. Im Jahresdurchschnitt wird die Inflationsrate für 2000 etwa 2,4% betragen. Für 2001 wird mit einem Rückgang der Inflation auf unter 2% gerechnet. Für das Jahr 2000 hat sich der Umstand, dass die Inflation tatsächlich doppelt so hoch war, wie zum Zeitpunkt der vorletzten Lohnrunde im Herbst 1999 prognostiziert, in der Reallohnentwicklung niedergeschlagen, ohne dass eine Korrektur im Nachhinein erfolgt ist. Für 2001 ergibt der Lohnabschluss in der Metallindustrie etwa den Wert, der sich aus erwarteter Inflationsrate und Produktivitätssteigerung addiert. Von einer doppelten Abgeltung der Inflation, wie dies von der Industriellenvereinigung behauptet wurde, kann daher keine Rede sein. Es geht auch nicht an, unter dem Titel »Kerninflation« sich diejenige Inflationsrate für die Lohnverhandlungen auszusuchen, welche interessenpolitisch am besten ins Konzept passt. Es ist leicht vorherzusehen, dass die Vorliebe der Unternehmervertreter für die Kerninflation als Maßstab sehr schnell abnehmen wird, wenn 2001 die Kerninflationsrate über der allgemeinen Inflationsrate liegen wird, was sich aus der erwarteten Ölpreisentwicklung ergibt. Die Gewerkschaft hat auch in Zeiten sinkender Ölpreise in den Jahren nach 1987 dies nicht als Argument für höhere Lohnforderungen verwendet. Am besten ist es, die ganze Debatte wieder zu vergessen.

Solidarische Lohnpolitik

In Zeiten zunehmender Ungleichheit in der Einkommensverteilung insgesamt sowie in der Verteilung der Löhne und Gehälter hat dieses Ziel eine besondere Bedeutung. Es ist leider wenig bekannt, dass die österreichischen Gewerkschaften sich in ihrer Lohnpolitik vergleichsweise erfolgreich gegen diese Tendenz gestemmt haben, wenn man die Entwicklung in anderen Ländern betrachtet. Vor allem in den USA und in Großbritannien ist es in den letzten zwanzig Jahren zu einer massiven Erhöhung der Lohnspreizung gekommen. In den anderen EU-Ländern hat sich diese Tendenz nur in deutlich abgeschwächtem Ausmaß geltend gemacht, Länder praktisch ohne Zunahme der Lohnspreizung sind Frankreich und Deutschland. Auch in Österreich hat die höhere Arbeitslosigkeit in der Verteilung der Löhne und Gehälter ihre Spuren hinterlassen. Der Wert für das Einkommen der untersten 25% der Arbeiter und Angestellten in Prozent des obersten Viertels sank von 53,8% 1988 auf 52,4% 1998.4) Dass sich die Zunahme der Ungleichheit der Verteilung der Löhne und Gehälter in Österreich in vergleichsweise engen Grenzen gehalten hat, ist vor allem dem flächendeckenden System der Kollektivverträge und der solidarischen Lohnpolitik des ÖGB zuzuschreiben. Das bedeutet nicht, dass auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren nichts zu tun wäre. Mit dem vereinbarten Mindestbetrag von 650 Schilling im letzten Lohnabschluss wurde von den Gewerkschaften ein deutliches Zeichen für eine stärkere Erhöhung der unteren Lohn- und Gehaltsgruppen gesetzt. Gleichzeitig sollte die Wirkung der solidarischen Lohnpolitik in einem zu mehr Ungleichheit tendierenden Umfeld nicht unterschätzt werden.

Von Unternehmerseite- lautstark von einzelnen Vertretern, eher vorsichtig von den führenden Repräsentanten der Fachverbände der WKÖ - wird immer wieder die Forderung nach eine stärkeren Dezentralisierung und Verbetrieblichung der Lohnverhandlungen erhoben. Die Befürworter einer solchen Änderung in der Lohnpolitik sind sich dabei wahrscheinlich nicht bewusst, dass eine gesamtwirtschaftliche Orientierung der Lohnpolitik (durchschnittliche Produktivitätsentwicklung, Inflation, Arbeitsmarkt, Außenwirtschaft) nur durch eine umfassende Koordinierung der Lohnverhandlungen, wie sie in Österreich praktiziert wird, gewährleistet werden kann. Dies war für die mittelfristige Sicherung und Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Sachgüterproduktion (gemessen an der Lohnstückkostenentwicklung) von entscheidender Wichtigkeit - ein Faktum, das von vielen Unternehmern offenbar als Selbstverständlichkeit betrachtet wird.

Mit der auch dieses Mal wieder vereinbarten »Verteilungsoption« werden zusätzliche Spielräume für betriebsindividuelle Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.

Zukünftige Entwicklungen und Herausforderungen

Eine Analyse der Entwicklung der österreichischen Wirtschaft in den neunziger Jahren zeigt, dass in Österreich das praktizierte Lohnverhandlungssystem voll den Anforderungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft entspricht, deren Sicherung für eine positive Wirtschaftsentwicklung auch in Zukunft entscheidend sein wird. Der jüngste Lohnabschluss in der Metallindustrie zeigt, dass sich diese Anforderungen mit den zentralen gewerkschaftlichen Anliegen einer Reallohnerhöhung gemäß Produktivitätszunahme und Kaufkraftsicherung vereinbaren lassen. Das Herummäkeln an einzelnen Elementen des Kollektivvertragssystems von Unternehmerseite entpuppt sich bei näherem Hinsehen als interessenpolitisch motiviert und entbehrt einer volkswirtschaftlichen Fundierung.

Die Gewerkschaften sind auf richtigem Kurs, wenn sie bei künftigen Lohnverhandlungen wie bisher angebots- und nachfrageseitige Aspekte der Lohnentwicklung im Auge behalten. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit im Export ist ebenso zu beachten wie die Entwicklung der Binnennachfrage, für welche die Löhne der stärkste Bestimmungsfaktor sind. Bei einer Wirtschaftsstruktur, die sich langfristig immer weiter zu den Dienstleistungen verlagert, muss auch dieser Nachfrageaspekt ausreichend Berücksichtigung finden, und zwar durch Produktivitätsorientierung der Lohnpolitik.

Die Sozialpartnerschaft hat sich durch den Lohnabschluss einmal mehr als funktionsfähig erwiesen. Jedoch dürfen gerade in dieser Hinsicht die Gefahren, welche von der sozialen Konfrontationspolitik auf Regierungsebene ausgehen, nicht übersehen werden. Die Sozialpartnerschaft ist zugleich ein zweiseitiges (Arbeitnehmer/Arbeitgeber) und ein dreiseitiges Verhältnis (beide in Relation zur Regierung). In dem umfassenden dreiseitigen Verständnis wurde die Sozialpartnerschaft durch die Haltung der ÖVP-FPÖ-Regierung massiv in Frage gestellt, trotz gegenteiliger papierener Bekenntnisse, die für die tatsächliche Politik folgenlos blieben. Voraussetzung für eine Wiederherstellung eines stärker konsensualen Verhältnisses ist eine stärkere Bereitschaft der Regierung, auf Positionen von ÖGB und AK einzugehen.

Eine gewisse Neigung zu einer Verpolitisierung der Lohnpolitik ist bei Teilen der Unternehmerseite (vor allem in der Industriellenvereinigung angesiedelt) zu erkennen. Zwar sind bei den Lohnverhandlungen in der Metallindustrie Zurufe der Regierung unterblieben, doch enthält das Regierungsprogramm die Absichtserklärung, gesetzliche Änderungen in Richtung einer stärkeren Verbetrieblichung der Lohnverhandlungen vorzunehmen. Schritte zur Umsetzung dieser Absicht würden zweifellos eine schwere Beeinträchtigung des sozialpartnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit sich bringen.

1) Siehe dazu den Artikel »Wer trägt die Last - Österreich ist kein ðSanierungsfallĐ« von Bruno Rossmann in A&W 11/2000.

2) Die durchschnittliche rechnerische Auswirkung der Lohnerhöhung auf die Effektivlöhne muss zwischen dem Erhöhungsprozentsatz für die KV-Löhne (3,7%) und jenen für die Ist-Löhne (3,4%) liegen. Wegen des gleichzeitig vereinbarten Mindesterhöhungsbetrags von 650 Schilling liegen diese Auswirkungen diesmal sicher näher beim höheren Prozentsatz.

3) Der Cash-flow in Prozent des Umsatzes schwankt in den letzten Jahren zwischen 9 und 10% und zeigt keinerlei Tendenz zur Verschlechterung. Siehe Wifo-Monatsberichte Nr. 3/2000.

4) Eine ausführlichere Darstellung der Verteilung der Löhne und Gehälter und ihrer Entwicklung in den letzten zehn Jahren findet sich im Bericht »Die Lage der ArbeitnehmerInnen 1999« der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte.

KV-Abschluss Metallindustrie

Wichtigste Ergebnisse der KV-Verhandlungen der Gewerkschaften Metall-Textil und GPA für die Metallindustrie (24. Oktober 2000).

Folgende Erhöhungen treten mit 1. November 2000 (Laufzeit 1 Jahr) in Kraft:

  • plus 3,7% KV-Lohn
  • neuer Mindestlohn S 15.870,-
  • plus 3,4% Ist-Lohn
  • Verteilungsoption von 0,5% der Lohnsumme, mindestens 3,2%
  • Erhöhung jedenfalls um mindestens S 650,- im Monat
  • Erhöhung der Zulagen und Lehrlingsentschädigungen um 3,4%


Für die Angestellten einiger anderer Industriebranchen wurden andere, etwas niedrigere Prozentsätze vereinbart.

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(C) AK und ÖGB

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