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Die Selbstverwaltung ist das Herzstück der Sozialversicherung

Dieser Kommentar vom April 2000 ist immer noch aktuell

Die Selbstverwaltung der österreichischen Sozialversicherung ist wieder ins Blickfeld der politischen Diskussion geraten. Durch eine - wie ich meine übers Knie gebrochene - »Reform« des Bestellungsmodus der Versicherungsvertreter wird keine grundlegende Neugestaltung der Selbstverwaltung und ihrer Gremien angestrebt. Es soll allein die politische Zusammensetzung einiger Selbstverwaltungskörper neu gestaltet werden.

Dazu dient eine neue Form der Beschickung, die formal an die Wahl zu den gesetzlichen Interessenvertretungen (Arbeiterkammern, Wirtschaftskammer) angebunden wird. Das eigentliche und unausgesprochene Ziel dieser bereits Ende März in den Nationalrat eingebrachten Veränderung ist eine Umwandlung einiger bisher »roter« Sozialversicherungsträger zu »schwarzen« Trägern - so schaut die von der neuen Bundesregierung versprochene Auflösung des »Proporzes« nämlich aus, wenn es um konkrete Einflussgebiete geht, die Kanzler Schüssel nunmehr für seine Partei zu vereinnahmen gedenkt. Und der größere Koalitionspartner billigt - ganz im Gegensatz zu seiner bisherigen Geißelung der »Parteibuchwirtschaft« - dieses Vorgehen. Man wird bald sehen, was der Preis dafür war.

Die Selbstverwaltung der gesetzlichen Sozialversicherung ist seit mehr als fünfzig Jahren die Geschäftsführung der österreichischen Sozialversicherung. Dienstnehmer wie Dienstgeber haben sich durch ihre Tätigkeit in der Selbstverwaltung verpflichtet, die soziale Sicherheit in Österreich zu erhalten und zeitgemäß auszubauen. So sind bislang die gesetzlichen und freiwilligen Interessenvertretungen der Dienstnehmer wie der Dienstgeber auf dem Boden der Sozialpartnerschaft fest in die Entwicklung der österreichischen Sozialversicherung eingebunden.

Stabilität und Lebensplanung

Durch diese Organisationsform konnte in der Vergangenheit jene hohe Stabilität erreicht werden, um die Österreich von vielen Staaten beneidet wird, denn die gemeinsame Verantwortung ist sowohl ein Schutzriegel gegen Forderungen, die nicht finanzierbar wären, als auch gegenüber einem aus eigenen kurzfristigen Profiterwägungen motivierten Abbau sozialer Sicherheiten. In dem Ausmaß, in dem die Sozialpartner auch zukünftig die Entwicklung und die Geschäftsführung der österreichischen Sozialversicherung mitgestalten werden, ist dieses Kräftegleichgewicht auch weiterhin Garant für eine stabile Sozialpolitik, auf die sich die Menschen unseres Landes in ihrer Lebensplanung verlassen können. Wird dieses Kräftegleichgewicht jedoch aus einseitigen politischen Interessen mutwillig zerstört, wird auch die Selbstverwaltung ihre Aufgaben nicht mehr in jenem Ausmaß wahrnehmen können, das für die Stabilität unseres Sozialversicherungssystems nötig ist.

Die aus Dienstgebern und Dienstnehmern in der Selbstverwaltung gebildete Geschäftsführung der Sozialversicherung garantiert im konkreten Einzelfall, in jeder einzelnen Entscheidung jenes aus der Praxis, aus der konkreten Lebenswirklichkeit der Versicherten stammende Augenmaß, das den Interessen der Versicherten entspricht. Das bedeutet nicht, dass jeder Antrag erfüllt, dass jedem Wunsch entsprochen werden kann; aber positive wie negative Entscheidungen sind lebensnah und praxisbezogen, sie entspringen nicht irgendwelchen bürokratischen und lebensfremden Konstruktionen.

Denn die mit der Geschäftsführung betrauten Versicherungsvertreter stehen im praktischen Leben - als gewerkschaftliche Interessenvertreter, als Betriebsräte oder Funktionäre der Arbeiterkammer genauso wie als Dienstgebervertreter, die ihrer Verantwortung tagtäglich bei der Führung ihrer Betriebe, bei der Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in der Wirtschaftskammer nachkommen.

Aus der Sicht der Versicherten und im Interesse praxisbezogener Entscheidungen wäre es daher verhängnisvoll, vom Weg gemeinschaftlicher sozialpartnerschaftlicher Verantwortung für die gesetzliche Sozialversicherung abzugehen!

Soziale Sicherheit und sozialer Friede

Die Selbstverwaltung kann mit gutem Recht als das Herzstück der gesetzlichen Sozialversicherung bezeichnet werden. Sie vertritt die Interessen der Versicherten, der Beitragszahler wie der Leistungsempfänger. Die Selbstverwaltung hat sich in fünf Jahrzehnten großer Anforderung und hoher Beanspruchung bewährt und wird auch in Zukunft Träger und Motor der Sozialversicherung sein.

Um die Sozialversicherung näher zu den Menschen zu bringen, müssen wir jedoch beständig auf der Grundlage des Erreichten weiterarbeiten und neue Schwerpunkte setzen. In diesem Zusammenhang und unter der Voraussetzung, dass die Bundesregierung der gesetzlichen Sozialversicherung und ihrer Selbstverwaltung auch in Zukunft den Spielraum lässt, den sie bis heute hatte, scheinen mir vor allem folgende Punkte für die kommenden Jahre wichtig zu sein:

Parteipolitik und Verantwortung

Eine allein aus parteipolitischem Interesse getragene neue Beschickungsform der Versicherungsvertreter darf nicht am Gefüge des ausgewogenen Kräftegleichgewichtes der Sozialpartner in der Geschäftsführung der Sozialversicherungen rütteln, wenn soziale Sicherheit und sozialer Friede auch in Zukunft ein übergeordnetes Ziel sein sollen.

Die Versichertenvertreter müssen daher zukünftig in der Öffentlichkeit noch stärker präsent sein. Sie müssen den Versicherten und ihren Dienstgebern persönlich bekannt sein, um erkennbar und wirksam für die Interessen der Versicherten auftreten zu können.

Das Allspartenservice muss zu einer umfassenden Sozialberatung ausgebaut werden, um alle 204 existierenden Außenstellen der gesetzlichen Sozialversicherungen für umfassenden Bürgerservice nutzen zu können. Vielleicht gelingt es uns in weiterer Folge, hier auch zumindest grundlegende Beratungen in Sozialangelegenheiten, die nicht dem Wirkungskreis der gesetzlichen Sozialversicherung unterstehen, durchzuführen. Dann könnten die Versicherten die österreichischen Sozialversicherungen und ihre Selbstverwaltung mit gutem Fug und Recht als die umfassenden Vertreter ihrer Interessen in sozialen Belangen verstehen.

Soziale Servicestellen müssen daher in verstärktem Ausmaß als Informationsdrehscheibe für die Versicherten auftreten können, auch wenn das im Einzelfall mit einer höheren Mitteldotierung einzelner Außenstellen verbunden sein sollte.

Die Selbstverwaltung, der einzelne Versicherungsvertreter, ist die Brücke zwischen den Versicherten und dem jeweiligen Sozialversicherungsträger, damit aber auch das lebendige Vermittlungsglied zwischen den Versicherten und der gesamten gesetzlichen Sozialversicherung. Gerade von den Mitgliedern der Selbstverwaltung kann erwartet werden, dass sie sich auch in jenen Fällen um die Versicherten und deren Probleme kümmern, wo aufgrund der täglichen Verwaltungsroutine und der hohen Anforderungen, die an den Schalterdienst des Sozialversicherungsträgers gestellt werden, »die Sozialversicherung« einzelnen Versicherten womöglich nicht im von ihnen erwarteten Ausmaß weitergeholfen hat. Dementsprechend hoch ist die Verantwortung, die dem einzelnen Mitglied der Selbstverwaltung zukommt.

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