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Zukunft der Sozialversicherung am Scheideweg?

Zeitgleich mit dem ersten Jahrestag der »blauschwarzen Wende« hat die Debatte um die österreichische Sozialversicherung einen Höhepunkt erreicht. Dass sich die Bundesregierung die Demontage der Selbstverwaltung und damit die völlige Zerschlagung der Sozialversicherung zum Ziel gesetzt hat, wird nach meiner Einschätzung durch ihre Vorgehensweise rund um die angekündigte Abberufung des Hauptverbandspräsidiums augenscheinlich.

Unter dem Leitspruch »Österreich neu regieren« haben FPÖ und ÖVP vor nunmehr einem guten Jahr ihre Regierungsgeschäfte begonnen. Dass sich hinter ihrem Motto ein völlig neuer Stil der Politik verbirgt, der den sozialpartnerschaftlichen Dialog in den Hintergrund drängt und die übertragene Regierungsverantwortung als Legitimation für einen immer weiter gefassten Machtanspruch interpretiert, wurde schon bald klar. Programme und Reformen werden von den Koalitionsparteien kraft ihrer parlamentarischen Mehrheit in Gesetze umgewandelt. Kritik oder Einwände der Opposition, der Sozialpartner oder Interessenvertretungen werden mit der Formel »Speed kills« erfolgreich abgewürgt. Aber auch abseits des parlamentarischen Bereiches sind die Regierungsparteien konsequent dabei, ihre Interessen durch die Erlangung von Macht und Einfluss sicherzustellen. In der Praxis heißt das vor allem, im Weg stehende Personen zu beseitigen und durch solche auszutauschen, die stellvertretend für den Kurs von FPÖ und ÖVP stehen.

Beispiel für einen neuen Politikstil

Jüngstes Beispiel für diesen Stil der Bundesregierung sind die Vorgehensweisen in der Debatte um die Sozialversicherung. In meiner Funktion als Präsident des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungen kommt mir dabei die entsprechende zentrale Rolle zu. Die von der Regierung geführte Personaldiskussion ist nach meiner Einschätzung Teil einer - sehr durchsichtigen - Strategie und ebenso sehe ich die gesetzlichen Maßnahmen im Bereich der Sozialversicherung oder die erteilten Sparvorgaben in einem solchen Zusammenhang. Die Regierung spricht von Reformbedarf und notwendiger Weiterentwicklung der Sozialversicherung, verhindert aber gleichzeitig in jeglicher Hinsicht die erforderlichen Rahmenbedingungen. Es wird damit mehr als offensichtlich, dass FPÖ und ÖVP durch ihr Vorgehen das Scheitern von Reformen und letztlich den Kollaps des bestehenden Sozialversicherungssystems akzeptieren wollen bzw. vielmehr beabsichtigen.

Ziel der Regierung ist die Privatisierung des Gesundheitssystems

Für ihr offensichtliches Ziel - die Zerschlagung der Sozialversicherung und die Privatisierung des österreichischen Gesundheitssystems - will sie auf diesem Weg die nötigen Ausgangsgrundlagen schaffen. Was die Abkehr vom solidarischen Modell der Pflichtversicherung zu Gunsten des entsolidarisierten Systems der Versicherungspflicht für die rund 8 Millionen Versicherten in Österreich bedeuten würde, führen ausländische Beispiele drastisch vor Augen. Eine einheitliche Gesundheitsversorgung, die allen - egal ob Reich oder Arm, Jung oder Alt, Gesund oder Krank, Mann oder Frau - gleichermaßen Zugang zu den Fortschritten der modernen Medizin sichert, wird durch den Wettbewerb privater Versicherer um eine möglichst »attraktive« und risikoarme Klientel abgelöst. Menschen mit »schlechten Risken«, etwa chronisch Kranke oder Ältere, müssen für die gleiche Leistung deutlich mehr Geld auf den Tisch legen oder sich mit einer medizinischen Basisversorgung zufrieden geben.

Angriffe auf die Selbstverwaltung

Klare Aussagen über die Zukunft der gesetzlichen Sozialversicherung haben die Koalitionspartner stets geflissentlich vermieden. Dass ihre diesbezüglichen Perspektiven jedoch wie eben skizziert gelagert sind, darüber geben nicht zuletzt Wortmeldungen einzelner maßgeblicher Vertreter von FPÖ und ÖVP recht eindeutig Auskunft. Ein wesentlicher Schritt in Richtung ihres angepeilten Zieles sind die unmissverständlichen Angriffe auf die Selbstverwaltung. So gab es etwa die unverhohlene Forderung, den Hauptverband, der ein »entbehrliches Parallelministerium« sei, aufzulösen und seine Aufgaben direkt dem Sozialministerium zuzuordnen. Der Kärntner Landeshauptmann ließ etwa wissen, dass in den Sozialversicherungsträgern »feindliche politische Funktionäre« zu finden seien. Die Ankündigung von Gesundheitsstaatssekretär Waneck, die freie Wahl der Krankenversicherung prüfen lassen zu wollen, war bereits zuvor ein erstes Anzeichen für die beabsichtigte Zerschlagung der Sozialversicherung in ihrer derzeitigen Form. Mittlerweile hat Sozialminister Haupt eine Expertengruppe zum Thema Versicherungspflicht versus Pflichtversicherung ins Leben gerufen. Und was die Erfahrungen mit solchen Expertengruppen anlangt, so hat sich nicht erst einmal gezeigt, dass es die Regierung mit diesem Mittel sehr geschickt versteht, die nötige Akzeptanz für ihre bereits zuvor feststehenden Positionen zu schaffen.

Gesetzliche Maßnahmen widersprechen den Reformvorgaben

Als einen indirekten Anschlag auf das Sozialversicherungssystem, der aber wohl die existenziellste Wirkung zeigen sollte, möchte ich die seitens der Regierung konsequent betriebene finanzielle Aushungerungstaktik hervorstreichen. Neue Gesetze und Maßnahmen haben maßgeblich zu einer Verschärfung der prekären Finanzsituation der Sozialversicherungsträger beigetragen und zu Mehrbelastungen von insgesamt rund 3 Milliarden Schilling geführt. Einen Zuwachs an Einnahmen kann die Sozialversicherung im Wesentlichen durch die Anhebung der Rezeptgebühren erwarten. Mit rund 600 Millionen Schilling wiegen diese Mehreinnahmen die hinzukommenden Ausgaben aber bei weitem nicht auf. Der an die Sozialversicherung erteilte Sparauftrag wird durch die Maßnahmen der Regierung also ganz offensichtlich konterkariert, und indem die Bundesregierung auch keinerlei gesetzliche Maßnahmen zur Stärkung der Lenkungsfunktion des Hauptverbandes geschaffen hat, treten ihre eigentlichen Perspektiven für die Zukunft des österreichischen Sozialsystems einmal mehr an den Tag. Dass die Regierung als ihr zentrales Argument für die geforderte Abberufung des Hauptverbandspräsidiums »nicht vorhandene Reformbereitschaft« anführt, erscheint vor diesem Hintergrund geradezu zynisch, wenn auch logisch innerhalb der von ihr verfolgten Strategie.

Herausforderung für die Sozialpartnerschaft

Gewerkschaft und Arbeitnehmervertretungen wie die Sozialpartnerschaft generell stehen angesichts dieses Kurses der Regierung vor der wohl wichtigsten Herausforderung seit dem Amtsantritt von »Blau-schwarz«. Es geht darum, die Attacken gegen ein Sozialsystem abzuwehren, das nicht nur weltweit eines der kostengünstigsten und leistungsstärksten ist, sondern darüber hinaus eine Bedingung schlechthin für ein solidarisches gesellschaftliches Miteinander darstellt.

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