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Gegen Einheitsdenken und Zwangsarbeit | Zweiter Arbeitsmarkt und innovative Beschäftigungspolitik

Dieser Beitrag hat ein Referat zur Grundlage, das bei der »Vierten österreichischen Armutskonferenz« im Oktober 2000 gehalten wurde. Als Diskussionsbeitrag kann es durchaus einige Anregungen bringen: Mit Kritik wird nicht gespart, aber konkrete Vorschläge und Forderungen wurden von der Armutskonferenz übernommen.

Die Auseinandersetzung über den so genannten zweiten Arbeitsmarkt besteht, seit es arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitische Maßnahmen gibt. Als zweiter Arbeitsmarkt wird jener Bereich des Arbeitsmarktes definiert, der ausschließlich zur Beschäftigung von Arbeitslosen geschaffen wird. Nicht das zu erstellende Produkt oder die Dienstleistung steht im Vordergrund, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen für Arbeitslose. Je nach Zielsetzung und politischer Grundstimmung gibt es zweite Arbeitsmärkte in sehr unterschiedlicher Ausprägung: Geschützte Werkstätten für Behinderte, »Notstandsarbeiten« wie Kanalisation, Autobahn etc., Arbeitshäuser zur Disziplinierung, reguläre Arbeitsplätze im Non-Profit-Bereich zur Befriedigung gesellschaftlich wichtiger Bedürfnisse usw.

Die Gestaltung des zweiten Arbeitsmarktes ist daher eine sehr sensible politische Angelegenheit. Je nach Machtverhältnis in der Gesellschaft ist der zweite Arbeitsmarkt mit Zwang oder Freiwilligkeit verbunden, mit »Taschengeld« oder regulärem Lohn, mit arbeitsrechtlicher Absicherung oder aber mit Disziplinierung oder Weiterbildungsmöglichkeit, mit demütigender Beschäftigung in gesellschaftlich geächteten Bereichen oder in sinnvollen attraktiven Beschäftigungsnischen. Die Mitte der 80er Jahre in Österreich eingeführte »Aktion 8000« war ein positives Beispiel für die Schaffung eines zweiten Arbeitsmarktes mit Arbeitsplätzen, die alles andere als zweitklassig waren. Die Teilnahme war freiwillig, es wurden gesellschaftlich sinnvolle und attraktive Arbeitsplätze geschaffen, die Entlohnung war regulär - mindestens jedoch kollektivvertraglich -, und nach Möglichkeit konnten die Teilnehmer sich während der Arbeitszeit beruflich höher qualifizieren.

Das Neue bzw. Innovative an diesem zweiten Arbeitsmarkt war, dass neben der Privatwirtschaft und der verstaatlichten Wirtschaft nun auch autonome Vereine, Gemeinden und für diesen Zweck geschaffene unabhängige Beschäftigungsinitiativen als Dienstgeber und auch als Förderungsnehmer in Erscheinung traten. Das Spektrum der Tätigkeitsfelder war entsprechend vielfältig und reichte von sozialen Dienstleistungen, Kultur und Kommunikation zu wissenschaftlichen Sektoren zur Dorferneuerung, Stadtsanierung und ökologischen Projekten.

Zweiter Arbeitsmarkt und dritter Sektor

Über 60 Prozent der TeilnehmerInnen erlangten im Anschluss an die Beschäftigung im zweiten Arbeitsmarkt eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt und nicht wenige Beschäftigungsprojekte konnten nach einer befristeten Zeit der Förderung sich eine Marktnische ohne öffentliche Subvention erkämpfen. Im Rückblick kann man behaupten, dass dadurch sehr effizient der dritte Sektor für die Beschäftigung von Arbeitslosen aktiviert wurde (Non-Profit-Organisation) und langfristige Beschäftigungsmöglichkeiten im Umweltschutz, Sozialbereich bis hin zu Informationstechnologieprojekten geschaffen wurden. Inzwischen sind 15 Jahre vergangen, Österreich ist Mitglied der EU und europaweit existiert seit langem Massenarbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Arbeitskräfteknappheit im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie.

Keine Innovationen in Sicht

Von innovativer und experimenteller Arbeitsmarktpolitik redet niemand mehr. Dafür mehr von Rechten und Pflichten der Arbeitslosen, von Bürgergeld, von ehrenamtlicher Tätigkeit als Integrationschance für Arbeitslose, von übertriebenem Anspruchsdenken der Arbeiter und Arbeitslosen und von der Notwendigkeit, möglichst viel zu flexibilisieren und zu deregulieren.

Stellvertretend dafür einige Bemerkungen über das im Jahr 2000 unter der schwarz-blauen Koalitionsregierung gestartete Programm »Integra«, das sich die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen über die Beschäftigung in »Gemeinwesenarbeit« zum Ziel gesetzt hat.

Zwangsarbeit ohne Lohn

Entgegen der bisherigen Praxis werden bei dem Programm keine formalen Dienstverhältnisse geschaffen, sondern Beschäftigungsmöglichkeiten, die durch eine Art Taschengeld in der Höhe der Notstandshilfe abgegolten werden. Das ist ein Systembruch zur bisherigen Arbeitsmarktpolitik und lässt erahnen, wohin die Reise gehen soll: Arbeiten ohne Lohn und Durchsetzung von Zwangsarbeit. Mit dieser Art von zweitem Arbeitsmarkt wird weniger die Arbeitslosigkeit bekämpft als vielmehr die Arbeitslosen selbst. Das Projekt »Integra« wird zur Strafexpedition gegen Arbeitslose. Mit dem Vorhaben der Regierung soll (noch) nicht ein flächendeckendes Netz von Zwangsarbeit realisiert werden - es sind derzeit lediglich 1000 solcher Beschäftigungen vorgesehen -, aber es soll allen die Rute ins Fenster gestellt und Angst und Schrecken verbreitet werden. Absicht ist, dass Arbeitslose gezwungen werden, sich zu allen noch so schlechten Bedingungen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Das heißt, dass Unternehmer die Löhne senken können, Arbeitnehmerschutzbestimmungen durchlöchert werden und Arbeiter genauso wie Arbeitslose sich mit Haut und Haar den Chefs ausliefern müssen.

Im Rahmen von »Integra« wird zynisch behauptet, dass sich dadurch »die Vermittlungschancen für Arbeitslose erhöhen« und dass dadurch die »Bereitschaft« für eine Arbeitsaufnahme attraktiver gemacht würde.

Im Gleichschritt mit der EU

Damit ist Österreich nicht allein. Derartige Programme sind das Ergebnis der EU-Beschäftigungspolitik, die zum offiziellen Ziel hat, die »Beschäftigungsfähigkeit und die Anpassungsfähigkeit« der Arbeitslosen und Beschäftigten zu erhöhen. Die genauen Vorgaben der Brüsseler Zentrale sind in den so genannten Nationalen Aktionsprogrammen für Beschäftigung (NAP) festgelegt. Darunter auch die Vorschläge, das Arbeitslosengeld zu reduzieren und die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zu kürzen. Denn laut Parole der EU geht es um den Wechsel von »welfare to work«. Und plötzlich marschieren alle Politiker und Beschäftigungsexperten im europäischen Gleichschritt im Kampf gegen den Wohlfahrtsstaat.

In Österreich kommt noch dazu, dass die Einführung solcher Programme nicht aus budgettechnischen Gründen oder Sparmaßnahmen gemacht wird. Im Gegenteil: Der Förderungsfonds der Arbeitslosenversicherung ist höchst liquid und jährlich werden Milliardenbeträge an die Pensionsversicherung hinübergeschoben.

Es geht um Disziplinierung der Arbeitslosen und nicht um Einsparung von Fördergeldern.

Die Tür für die Einführung von Zwangsarbeit ist also bereits geöffnet. Das bedeutet auch mehr Kontrolle. Damit ist die Entwicklung von autoritären Strukturen in Richtung Polizeistaat vorprogrammiert. Es geht um die allgemeine Senkung des Lohnniveaus und um die Erhöhung der Profite. Nobler ausgedrückt heißt dies »Sicherung des Standortes Österreich«.

Das Ergebnis dieser Politik ist jetzt schon sichtbar: Trotz steigender Beschäftigungszahlen steigt auch die Armut. Beinahe eine Million Einwohner in Österreich leben an oder unter der Armutsgrenze. Wir müssen uns fragen: Was hat diese Regierung vor? Wie arm sollen die Leute noch gemacht werden? Wie gefügig und flexibel sollen die Menschen werden?

Neoliberaler Amoklauf

»Working Poor« ist jedenfalls jetzt schon fast eine Normalerscheinung, und dass jemand 2, 3 oder mehr Teilzeitjobs gleichzeitig braucht, um sich halbwegs über Wasser zu halten, ist leider auch keine Ausnahme mehr. Das ist das Ergebnis des neoliberalen Amoklaufs. Dazu kommen noch viel Moral und wenig Rechte. Zudem soll wieder die Familie als Ersatz für staatliche und andere sozialversicherungsrechtliche Transferzahlungen die Lücken füllen. Die »innovativen« Programme und Projekte der Arbeitsmarktpolitik haben sich in den letzten Jahren fast ausschließlich auf die Förderung des Niedriglohnbereiches bezogen, z. B. die Förderung von »Home-Service«-Projekten, wo moderne Dienstboten zu Dumpingpreisen zu mieten sind, Arbeitskräfteüberlassungsprojekte, die die Entsolidarisierung der Arbeiterschaft fördern, Psychokurse für Arbeitslose, in denen die Arbeitslosigkeit erst recht individualisiert wird, Arbeitszeitmodelle, bei denen die Arbeitslosenversicherung Geld spart und die Arbeitslosen/Beschäftigten diesen Betrag bezahlen müssen etc.

Die Handlanger

Die Experten der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik haben sich schamlos zu Handlangern des wild gewordenen Neoliberalismus machen lassen. Wenn dieser Prozess nicht gestoppt wird, stehen Armut und Barbarei mitten in den »zivilisierten« Gesellschaften.

Und was die Politik in Österreich betrifft, so wissen wir, dass nichts so schlecht sein kann, als dass man es nicht noch schlechter machten könnte. Das muss verhindert werden. Das bedeutet für die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik die Notwendigkeit der Einführung von Mindeststandards:

  • Mindestlöhne (z. B. 15.000 netto) und Mindesttransferzahlungen (z. B. 10.000 netto) im Monat - darunter geht nichts.
  • Freiwilligkeit ist oberstes Prinzip für die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
  • Mehr Wahlmöglichkeiten für Arbeitslose und Beschäftigte.
  • Erleichterung von Übergängen zwischen verschiedenen Erwerbsformen, Pension, Arbeitslosigkeit, Ausbildung und anderen verschiedenen Kombinationen.
  • Einführung einer Ausbildungsgarantie für alle. Berufliche Höherqualifizierung muss voll finanziert werden für Beschäftigte und Arbeit Suchende.
  • Aufbau von Innovationswerkstätten zur Entwicklung innovativer Beschäftigungs- und Ausbildungsprojekte. l Weg mit dem utopievernichtenden Einheitsdenken!
  • Arbeitnehmerfreundliche Modelle zur gerechteren Aufteilung von Arbeitszeit und Einkommen.
  • Schaffung von politischen Rahmenbedingungen, die Solidarität und Individualisierung unter einen Hut bringen.
  • Nur solche Programme und Projekte akzeptieren, die man/frau auch seinen Eltern oder Kindern zumuten würde.

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