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Machtpolitik statt Gesundheitspolitik | Das sozialpartnerschaftliche System der Selbstverwaltung soll zerschlagen werden

Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung wurde über Jahre in einem breiten politischen Konsens erarbeitet. Jetzt wird nicht nur dieses System in Frage gestellt, sondern die soziale Absicherung der österreichischen Arbeitnehmer. Gesetze und Wahlergebnisse können aber nicht ignoriert werden.

Das österreichische Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt (Rang 9 im World Health Report 2000). 99 Prozent der Bevölkerung sind im Krankheitsfall geschützt. Die Gesundheitsausgaben liegen im internationalen Vergleich günstig (8,3 Prozent des BIP im Vergleich zu 10,5 Prozent in Deutschland bzw. 10,1 Prozent in der Schweiz; USA 13,7 Prozent!). Und am wichtigsten: Jede und jeder hat gleichen Zugang zur Gesundheit.

Es geht um die Gesundheit

Den großen Herausforderungen im Gesundheitswesen begegnet die ÖVP/FPÖ-Regierung mit untauglichen Konzepten.

In der Arbeitslosenversicherung wurde die Ausgliederung 1994 begonnen. Nach den Vorstellungen der Regierung soll dieser Prozess nun weitergeführt werden und das AMS in Zukunft in der Rechtsform einer GmbH geführt werden. In der Sozialversicherung will man jetzt offenbar den gegenteiligen Weg gehen, sie in die staatliche Verwaltung eingliedern und damit dem direkten Zugriff der blauschwarzen Regierung unterwerfen. Führende FPÖ-Politiker wollen die Sozialversicherung überhaupt zerschlagen.

Mit reiner Machtpolitik wird damit konsequent an den tatsächlichen Problemen vorbeigedacht. Die Ursachen des 5-Milliarden-Defizits der Krankenkassen liegen vor allem in der Kostenexplosion bei den Medikamenten. Hier liegt das Problem und nicht bei den Verwaltungskosten oder bei der Selbstverwaltung. Die Milliardengewinne der Pharmakonzerne stören die Regierung nicht, sehr wohl aber die Fahrtkostenersätze der Versicherungsvertreter. Diese Verhältnisse sind ins rechte Licht zu rücken. Immer noch größere Geldmengen werden in die Entwicklung von immer noch besseren Medikamenten gepumpt. Gut so, solange es den Patienten nützt. Doch wer wird sich diese »Wundermittel« leisten können?

Noch drei Schritte zur Zweiklassenmedizin

In Österreich weist die medizinische Versorgung für die gesamte Bevölkerung - noch - einen hohen Standard auf. Dafür steht die sozialpartnerschaftliche Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Klar ist aber, dass ein gutes Gesundheitswesen Kosten verursacht. Wenn wir uns dazu bekennen, die medizinischen Standards weiter zu verbessern, dann müssen wir auch bereit sein, dafür das erforderliche Geld zur Verfügung zu stellen. Der Hauptverband fordert von der Regierung einen gesetzlichen Rahmen zur Finanzierung der steigenden Aufwendungen. Die Regierung antwortet mit der Zerschlagung der Selbstverwaltung bzw. mit der Aushöhlung deren finanzieller Basis. Geht die ÖVP/FPÖ-Regierung diesen Weg, macht sie den ersten Schritt hin zu einer Zweiklassenmedizin. Der zweite Schritt ist eine Leistungsreduktion für »nur« gesetzlich Krankenversicherte und der dritte Schritt ist Spitzenmedizin für die, die es sich leisten können.

Einflussnahme der Politik

Die Krankenversicherungen weisen im Jahr 2000 ein Defizit von 5 Milliarden Schilling auf. Ein noch höheres Defizit wird 2001 erwartet. Die Gründe dafür liegen großteils außerhalb des Einflussbereichs der Selbstverwaltung in der Krankenversicherung, nämlich in der

  • rasanten Erhöhung der Medikamentenkosten, und in der
  • Erosion der Beitragseinnahmen (die Beiträge wachsen langsamer als die Ausgaben und das BIP, u. a. durch atypische Beschäftigung wie geringfügige Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung; Schwarzarbeit).

Diese Problemlagen werden durch die Regierung verschärft:

  • Den Arbeitgebern wurde bereits eine Beitragssenkung zugestanden. Ergebnis: Die Krankenversicherung hat einen Einnahmenausfall von 900 Millionen Schilling.
  • Die Einnahmen aus der neuen Beitragspflicht für kinderlose Ehegatten werden von der Regierung nicht in die Krankenversicherung, sondern ins Budget geleitet. Der Krankenversicherung verbleibt aber der Mehraufwand aus der Einhebung der Beiträge!

Demokratiepolitische und historische Fundierung der Selbstverwaltung

Die Äußerungen der ÖVP/FPÖ- Bundesregierung der jüngsten Zeit lassen die klare Absicht erkennen, das historisch gewachsene, auf Selbstverwaltung beruhende System der Sozialversicherung in Österreich zerschlagen zu wollen.

Die Sozialversicherung war in Österreich von Beginn an überwiegend von Arbeitnehmern organisiert. Und von Beginn an war dieser Umstand konservativen Regierungen ein Dorn im Auge. In einer viele Jahrzehnte währenden, zähen politischen Auseinandersetzung haben die Arbeitnehmer ihren demokratischen Willen auf Selbstverwaltung ihrer sozialen Absicherung durchgesetzt.

Die Selbstverwaltung hat sich in den großen Krisen des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg, der Währungskatastrophe der Zwischenkriegszeit, dem Ständestaat und auch in der Nachkriegszeit ab 1945 für ihre Mitglieder bewährt und stellt bis heute eine beispiellose Erfolgsgeschichte dar.

Als 1876 aus den Vereinskrankenkassen der erste Krankenkassenverband gegründet wurde, gehörten ihm 16 Kassen mit ca. 30.000 Mitgliedern an. Heute vereinigen sich unter dem Dach des Hauptverbandes 27 Versicherungsträger, die 8 Millionen Personen bzw. 99 Prozent der Bevölkerung Sozialversicherungsschutz auf hohem Niveau bieten.

Während der Aufbauarbeit nach 1945 war es ein Hauptanliegen der Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Sozialversicherungsträger, voreilige Weichenstellungen zu vermeiden. In einer mehrjährigen Diskussionsphase wurde auf der Basis eines breiten politischen Konsenses das bestehende System der Sozialversicherungsträger erarbeitet. Es ist gelungen, die unterschiedlichen Interessenlagen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern innerhalb der Sozialversicherung auszubalancieren. Soziale Absicherung aller Österreicher wurde damit zum gemeinsamen Ziel einer breiten politischen Basis.

Vorteile der Selbstverwaltung

  • Unabhängigkeit bei der Besorgung eigener Angelegenheiten gegenüber dem Staat
    Die Gesamteinnahmen der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung werden im Wesentlichen durch Beiträge der Dienstnehmer und der Dienstgeber erbracht. Dies in einer Größenordnung von rund 460 Milliarden Schilling für das Jahr 2000. Sowohl Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber haben ein berechtigtes, großes Interesse, in der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger entsprechend vertreten zu sein, um ihre Interessen wirksam wahrnehmen zu können. Damit ist ein wesentliches Merkmal der Selbstverwaltung angesprochen: Die Unabhängigkeit bei der Besorgung eigener Angelegenheiten gegenüber dem Staat.
  • Grenzen der Staatsaufsicht
    Der Staat hat durch das zuständige Ministerium die gesetzmäßige Führung der Selbstverwaltung zu beobachten. In das Eigenleben der Selbstverwaltung soll aber nicht unnötig eingegriffen werden. Die Selbstverwaltungskörper haben das Recht auf Wahrung der gesetzlichen Grenzen der Staatsaufsicht. Sie treten dem Staat nicht als Unterbehörde gegenüber, sondern als Partei mit dem Anspruch auf Wahrung des Selbstverwaltungsrechtes. In Streitfällen entscheidet der Verwaltungsgerichtshof.
  • Demokratische Wahl der Organe
    Der politische Wille der Versicherten kommt in der demokratischen Wahl ihrer Interessenvertreter (Arbeiterkammerwahlen, Wirtschaftskammerwahlen, Landwirtschaftskammerwahlen) zum Ausdruck. Aufgrund dieser Wahlergebnisse werden so genannte Versicherungsvertreter in die Verwaltungskörper der einzelnen Versicherungsträger entsendet. Dort entscheiden sie im Interesse derjenigen, die sie gewählt haben. Die wiederum demokratisch gewählten Spitzenfunktionäre der einzelnen Versicherungsträger werden in den Hauptverband der Sozialversicherungsträger entsandt. Im Hauptverband tritt der politische Wille der Versicherten an seiner Spitze in den drei Präsidenten konzentriert in Erscheinung.
  • Demokratiepolitische Legitimierung der Präsidenten des Hauptverbandes
    Die Hauptverbandstätigkeit soll dem politischen Willen der Versicherungsträger - und damit dem der Versicherten - größtmögliches Gewicht verleihen, insbesondere als Ansprechpartner aller Versicherungsträger gegenüber der Staatsverwaltung (Aufsicht) und der Gesetzgebung oder als gewichtiger Verhandler mit der Pharmaindustrie.

Aus diesem Grund kommt der politischen Legitimierung der Verwaltungsgremien des Hauptverbandes entscheidende Bedeutung zu. Der Präsident und der 1. Vizepräsident sind aus dem Kreis der Dienstnehmer zu bestellen, der 2. Vizepräsident aus dem Kreis der Dienstgeber.

Die Bestellung der (Vize-)Präsidenten hat zwar durch den Bundesminister für Soziales in seiner Funktion als Aufsichtsbehörde zu erfolgen. Das Bestellungsrecht des Ministers findet jedoch im durch den Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen seine Grenzen. Konkret im Konzept der demokratiepolitischen Willensbildung im Rahmen der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger.

Entsprechend dem Ergebnis der - demokratischen - Arbeiterkammerwahlen 2000 haben die Freiheitlichen Arbeitnehmer von 452 zu vergebenden Mandaten zum Versicherungsvertreter lediglich 29 Mandate erhalten.

Vor dem Hintergrund dieser Mandatsverhältnisse in den Sozialversicherungsträgern würde die Bestellung eines freiheitlichen Vizepräsidenten eine grobe Missachtung des Wählerwillens bedeuten, darüber hinaus würde der Minister durch eine derart politisch missbräuchliche Bestellung gegen die gesetzlich vorgegebenen demokratischen Organisationsprinzipien innerhalb der Sozialversicherungsträger verstoßen.

Macht und Kontrolle

Die Verwaltungsgremien der Versicherungsträger - Generalversammlung, Vorstand, Kontrollversammlung - sind so organisiert, dass einer Dienstnehmer(-geber)mehrheit im Vorstand oder der Generalversammlung in der Regel eine Dienstgeber(-nehmer)mehrheit in der Kontrollversammlung gegenübersteht.

  • Sozialer Friede
    Die von der Arbeiterkammer, den Gewerkschaften, der Wirtschaftskammer und der Landwirtschaftskammer in die Verwaltungsgremien der Sozialversicherungsträger entsendeten Versicherungsvertreter sind aufgrund des - in der Regel - ausgewogenen Verhältnisses von Macht und Kontrolle bemüht, Kompromisse anzustreben, mit denen alle beteiligten Gruppen leben können. Reformen werden so sachbezogen und behutsam vorgenommen, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden.
  • Lebensnahe Sachkompetenz
    Die Entsendung der Versicherungsvertreter durch die jeweilige Interessenvertretung verbürgt eine an den tatsächlichen Problemen der Versicherten orientierte Entwicklung der Sozialversicherung.
  • Die Kosten der Selbstverwaltung
    Dem politischen Motiv, die Sozialversicherungsträger entweder in den Machtbereich der FPÖ/ÖVP-Regierung einzubeziehen und/oder sie finanziell auszuhöhlen, wird regelmäßig das Kostenargument vorgeschoben. In Wahrheit sind es gerade die geringen Verwaltungskosten, die für die Selbstverwaltung und für die bestehende Struktur sprechen.
    Im Jahr 2000 betrugen die Kosten der Selbstverwaltung 81 Millionen Schilling (oder 0,02 Prozent des Budgets von 460 Milliarden) für Aufwandsentschädigungen, Sitzungsgelder, Funktionsgebühren, Fahrtkostenersätze der 1017 Mitglieder. Lediglich 209 Funktionäre erhalten Funktionsgebühren. Dafür trägt die Selbstverwaltung die politische und soziale Verantwortung für 28.000 Beschäftigte und 8 Millionen Versicherte.
  • Die allgemeinen Verwaltungskosten der Versicherungsträger
    Der gesamte Verwaltungsaufwand der österreichischen Sozialversicherungsträger beträgt 2,6 Prozent der Ausgaben. Bei den Krankenversicherungsträgern 3,6 Prozent, bei den Pensionsversicherungsträgern 1,8 Prozent. Die Krankenversicherungsträger führen die Versicherten- und Dienstgeberevidenz für die gesamte Sozialversicherung, für das Arbeitsmarktservice, den Familien-Lasten-Ausgleichs-Fonds (FLAF), die Arbeiterkammern etc. Ein Teil des Verwaltungsaufwandes wird den KV-Trägern von diesen Institutionen vergütet. Die Verwaltungskosten der deutschen Krankenversicherung betragen 5 Prozent, die der im Wettbewerb stehenden schweizerischen Krankenversicherung 7,5 Prozent. Private Krankenversicherer haben einen Verwaltungskostenanteil von 15 bis 25 Prozent.

Lösungsstrategien zum Kassendefizit

Die Krankenkassen weisen im Jahr 2000 ein Defizit von 5 Milliarden Schilling aus. Eine der zentralen Erklärungen dafür sind die stark steigenden Medikamentenpreise und die ebenfalls stark steigende Zahl der Verschreibung von Medikamenten. Bei diesen Kostenfaktoren muss zuerst angesetzt werden. Dazu braucht es neue Partnerschaften im Gesundheitswesen zwischen Selbstverwaltung, Ärzten und der Pharmaindustrie. Gelingen kann eine solche Partnerschaft nur mit einer starken Selbstverwaltung. Aber selbst wenn dies gelingt, müssen in Zukunft mehr Mittel für das Gesundheitswesen bereitgestellt werden.

Deswegen braucht das Gesundheitswesen eine stabile Finanzierungsgrundlage. Dazu zählt eine Verbreiterung der Beitragsgrundlagen in Richtung Wertschöpfung der Betriebe ebenso wie die wirksame Bekämpfung der Schwarzunternehmungen.

Anstelle von Umschichtungen von Sozialbeiträgen in das Budget, anstelle von Beitragssenkungen zugunsten der Unternehmungen sprechen wir uns aus für einen gezielten Einsatz der verfügbaren Geldmittel im Gesundheitswesen.

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