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Verunsicherung mit Methode | Saisonverlängerung oder Sperre des Arbeitslosengeldes

Die von der Regierung geplante 4-wöchige Sperre des Arbeitslosengeldes wurde aufgrund der Proteste der Interessenvertreter der Arbeitnehmer verhindert. Aber wie geht es eigentlich jenen Arbeitnehmern, die Berufe haben, in denen eine ganzjährige Beschäftigung zu den Wunschträumen gehört. Wir haben uns bei den Betroffenen umgehört.

Bauarbeiter und Saisonarbeiter im Gastgewerbe haben etwas gemeinsam. Sie müssen viel laufen und gehen und sind saisonbedingt periodisch arbeitslos. Das waren wir gewohnt, sagt einer, der fast 20 Jahre dabei war, wenn in Tirol die Touristen auf die Pisten und zu den Theken drängten. Das waren wir gewohnt, sagt ein anderer, der fast genauso lang »draußen am Bau« war, wenn irgendwo ein Tunnel gegraben, eine Brücke geschlagen wurde.

Die Dampfwalze kam für beide Branchen überraschend, quasi als Vorweihnachtsgeschenk: Vier Wochen Sperre »der Arbeitslosen«, auch bei einvernehmlicher Kündigung und bei befristetem Dienstverhältnis, drohte die Bundesregierung. Bekanntlich konnte das Schlimmste verhindert, die vierwöchige Sperre der Arbeitslosenentschädigung - einstweilen - abgewendet werden.

Was tut sich heute in den beiden Branchen, drei Monate nach dem großen Aufruhr und seit am 1. Jänner das »Maßnahmenpaket des Budgetbegleitgesetzes 2001« in Kraft getreten ist? Einige dieser »treffsicheren« Neuregelungen betreffen besonders die Beschäftigten im Tourismus und Baugewerbe, so z. B. die Verlängerung der Anwartschaft auf Arbeitslosengeld von 26 auf 28 Wochen, Leistungskürzung und schärfere Kontrollmaßnahmen und die Besteuerung der Unfallrenten.

Ein Urteil vor Ende der Saison wäre verantwortungslos, meint Siegfried Astl, Landessekretär für Tirol und Vorarlberg der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst (HGPD). Eines steht für ihn fest: Allein die Diskussion um eine mögliche Sperrfrist der Arbeitslosenentschädigung hat viele Beschäftigte völlig verunsichert und dem Image der Branche geschadet. »Der Arbeitsmarkt kann als ausgetrocknet bezeichnet werden. Denn viele sind nicht mehr bereit, in Saison zu gehen, wenn sie jedes Mal neu um ihre Rechte bangen müssen.«

Gastgewerbe ohne Zukunft?

Hildegard Gmeiner*), gelernte Köchin, zog seit zehn Jahren jeden Winter von Landeck (Tirol) ins etwa 30 Kilometer entfernte Zürs, im Sommer ein wenig weiter nördlich hinauf, nach Lech, beides auf der Vorarlberger Seite des Arlberg. An die paar Monate Arbeitslosigkeit im Jahr hatte sie sich gewöhnt, vor allem seit die beiden Kinder da waren. Seit heuer hat sie genug davon. »Entweder ist es mein Alter oder dieses ewige Hin und Her, wo sich keiner mehr auskennt, dass ich das nicht mehr aushalt. Über Nacht heißt's plötzlich, wir werden gesperrt für vier Wochen. Dann zwar wieder nicht, aber wer weiß, was da noch kommt? Und es kommen so viele neue Kräfte, die billiger sind und irgendwie alles machen.«

Wäre Frau Gmeiner ein Mann, hätte sie es auch in Landeck leichter, Arbeit zu finden: Der größte Beschäftiger für ausgelernte Köche und Kellner in dieser größten Stadt der Gegend ist eine Spanplattenfirma. »Da verdienen sie gscheit, als Schichtarbeiter«, weiß Siegfried Astl. »Die Leute wandern ab, weil sie im Gastgewerbe keine Zukunft sehen. Sie wollen nicht jede Saison zittern!«, berichtet Kurt Mayerhofer, ÖGB-Bezirkssekretär in Kitzbühel. Diejenigen, die bleiben, nehmen die einstweilige Suspendierung der Sperre mit Freuden zur Kenntnis, sagt Mayerhofer. Ob die Gewerkschaft für ihre Mühe »punktet«, wagt er zu bezweifeln. »Denn die wenigsten verstehen, dass hier die Gewerkschaft dahintersteckt.«

Eine differenzierte Zwischenbilanz zog am Höhepunkt der Wintersaison Rudolf Kaske, HGPD-Vorsitzender. Das Modell der Saisonverlängerung, das Anfang Dezember durchgesetzt werden konnte und mit erstem Jänner startete, sei für alle positiv. Mit dem Abschluss eines Zusatzkollektivvertrages wird die Saisonarbeitszeit durch die verbindliche Einbringung von Überstunden und das »Anhängen« von sieben Werktagen Urlaub, die während der Saison nicht konsumiert wurden, verlängert. Kaske: »Die Sozialpartner tragen mit diesen Maßnahmen langfristig zu einem Kulturwechsel in der Branche bei. Es gewinnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.« Fürs Erste prognostiziert Kaske eine Entlastung der Arbeitslosenversicherung um »anfangs mindestens 600 Millionen Schilling«. Eine seriöse Auswertung sei aber erst nach zwei Saisonen sinnvoll.

»Verordnungsermächtigung«: Bartenstein will abrechnen

Ein neuerlicher Konflikt scheint vorprogrammiert: Schließlich hat sich Wirtschaftsminister Martin Bartenstein bei der schwarzblauen Mehrheit im Parlament eine »Verordnungsermächtigung« ausbedungen: Sollte das Modell nicht greifen, will er Saisonarbeitern »die Arbeitslose« zwei Wochen streichen. »Abgerechnet« werden soll - so der jetzige Stand - bereits mit Ende der Wintersaison.

Konflikte gibt es - obwohl mit dem Saisonarbeitszeitmodell die Lage beruhigt werden konnte - weiterhin genügend. Die »billigen Kräfte, die irgendwie alles machen«, wie Frau Gmeiner meint, verzerren den Arbeitsmarkt und drücken die Löhne. Obwohl die Arbeitslosigkeit in der Branche (Stichtag 21. Dezember) gestiegen war, hob das Wirtschaftsministerium das Saisonnierkontingent von 3045 (Winter 1999/ 2000) im heurigen Jahr auf weit mehr als das Doppelte an. Paradox: Jene Bundesländer mit der höchsten Rate an Saisonniers (»Gastarbeiter aus dem Nicht-EU-Raum«, die für eine Saison Arbeitsbewilligung erhalten), nämlich Tirol und Salzburg, haben auch die höchsten Arbeitslosenzahlen in der Branche.

Das Argument, die Ski-Weltmeisterschaft in St. Anton brauche mehr Saisonniers, ist für die Gewerkschafter nicht stichhaltig. Schließlich wurde die Zahl der Bewilligungen auch im Burgenland erhöht, wo ein Hermann Maier bekanntlich nicht vorkommt.

HGPD-Landessekretär Siegfried Astl kommt selber aus der Branche der Saisonarbeiter. Eine Fluktuation beim Personal, wie sie nun passiert, hat er nach seiner mehr als 20-jährigen Erfahrung im Westen Österreichs nicht erlebt. Die Arbeitsbedingungen und die geringe Entlohnung sind die Gründe, dass Arbeitnehmer vorzeitig das Weite suchen. Allein in Tirol liegt das Lohnangebot jedes siebenten Antrags auf Saisonnierbeschäftigung unter dem Kollektivvertrag. (Der an sich bereits sehr niedrig ist.)

Ausgenützt

»Ausgenutzt bis zum Gehtnicht- mehr« (O-Ton eines Skilehrers aus dem Ötztal, der auch die örtlichen gastronomischen Verhältnisse von innen kennt), werden vor allem die Ausländer. »Die gehen ja auch, sobald die Touristen weg sind. Gerade dann, wenn sie anfangen, ein paar Worte Tirolerisch zu verstehen und sich aufzumucken trauen würden.«

Ismael*) aus dem Iran, seit einigen Jahren österreichischer Staatsbürger, hat einiges erlebt. Weil ein Teil seiner Familie in der Alpenregion lebt, wollte auch er einige Zeit dort sein und fand Arbeit als Hilfskraft in einem Gastronomiebetrieb. »Kein Wunder, dass bei euch die Kühe verrückt werden, wenn ihr die Menschen schon so behandelt. Ich habe schließlich auch so etwas wie Würde«, sagt er, nachdem er drei Monate später fluchtartig die Tiroler Alpen wieder verlassen hat.

Die Gewerkschaft berichtet von Arbeitszeiten für Köche bis zu sechzehn Stunden, ohne Ruhetag. Ein Abwäscher aus Portugal erhielt Monate hindurch nur Akontierungen, ohne Lohnabrechnung.

Unklar ist, wie sich die Ausweitung der Anwartschaft auf Arbeitslosen- geld von 26 auf 28 Wochen auf die Tourismusbeschäftigten auswirken wird. Insgesamt, so schätzt die Arbeiterkammer, ist aus den Branchen Tourismus und Baugewerbe sowie bei befristeten Arbeitsverhältnissen im Allgemeinen mit rund 17.000 Betroffenen zu rechnen.

Treffsicherheitspaket?

Hermann Haneder, Betriebsrat bei Universale Bau in Wien, hält diese Neuregelung im »Treffsicherheitspaket« der Bundesregierung »für eine Katastrophe für alle, die nicht durchgehend beschäftigt sind. Vor allem für Arbeiter im Straßen- und im Tiefbau, die im November aufhören und im Mai beginnen.«

Zwar gibt es aus einer Kombination von Kollektivvertrag und zusätzlicher Betriebsvereinbarung ein Modell, durch Zeitausgleich die Winterarbeitslosigkeit einzudämmen.

Denn: »Früher mussten viele oft schon im November stempeln gehen. Nun waren die Leute froh, mit unserem Arbeitszeitmodell und zwei Wochen Urlaub bis Jänner durchzukommen. Mit 26 Wochen ist sich das auch locker ausgegangen. Das könnte nun gefährdet sein.«

Nicht nur das Wetter, auch die Auftragsvergabe bestimmt die Arbeitzeiten der Bauarbeiter. Hermann Haneder: »Es bewegt sich ja nichts mehr, seit die Aufträge der öffentlichen Hand zusammengeschnitten werden. Saniert wird immer nur das Budget. Allein die Streichung der Mittel für die so genannte Bahnhofsoffensive ist eine Katastrophe für 3000 Bauarbeiter.«

Schon vor Jahren war in den brancheneigenen Kollektivverträgen eine Verlängerung der Jahresarbeitszeit von den Sozialpartnern ausgehandelt worden. Etwa, indem der Urlaub im Winter verbraucht wird, wenn die Bauarbeit stillsteht. »Aber da, wo kein Auftrag ist, wirkt das nicht«, stellt auch Johann Driemer fest, Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz (GBH), die rund 250.000 Arbeitnehmer vertritt. Bekanntlich ist die Baubranche nach dem Tourismus die am stärksten von periodischer Arbeitslosigkeit betroffene. »Mit all den Problemen, die ein Nichtganzjahreseinkommen auf die Familien und das Gesamtimage der Branche hat«, sagt Driemer, der von 70.000 Arbeitslosen zu Spitzenzeiten berichtet. »Aus vielen Gründen: In guten Zeiten wird möglichst viel gearbeitet, und im Winter, der für die Unternehmer teurer ist, werden sie dem Arbeitsmarktservice überlassen.«

Von der Arbeitslosen in den Notstand?

Neue Spitzenzahlen fürchtet Driemer auch durch die Verschlechterung im Arbeitslosenrecht. Von der Ausweitung der Anwartschaft auf 28 Wochen sind derzeit rund 2500 Beschäftigte betroffen, die aus der Urlaubs- und Abfertigungskassa erfassbar sind. Johann Driemer: »Eine Zahl, die sich aber durchaus verdoppeln könnte. Denn der Urlaub wird jetzt zur Instrumentalisierung der Konjunkturabläufe verwendet. Wenn schwache Betriebe vereinbaren, dass Urlaub tage- oder wochenweise genommen wird, geht das auf Kosten der wichtigen Jahresarbeitszeit.«

Bei Universale Bau könnten, so Betriebsrat Haneder, bis zu 40 der insgesamt 2800 Beschäftigten durch die Neuregelung von »der Arbeitslosen« in den »Notstand« gleiten.

Als größte Frechheit seit der im vorigen Sommer erfolgten Aufhebung der vorzeitigen Alterspension durch Erwerbsunfähigkeit empfindet Hermann Haneder die Besteuerung der (ohnehin niedrigen) Unfallrente. »Das trifft vorrangig die Bauarbeiter, wo bekanntlich die meisten Unfälle sind.«

Kontrollen? Arbeitsinspektorat gehört zum Wirtschaftsministerium

Und: »Die Unfallhäufigkeit ist deutlich gestiegen. Vor allem dort, wo unqualifiziertes Personal arbeitet.« Meist an oder jenseits der Grenze der Legalität. Hilfsarbeiter werden vor allem von Subfirmen genommen, »die sich enorm an der Grenze zur Schwarzarbeit bewegen. Wie wir das in den Griff kriegen? Kontrolle«, sagt Haneder, »aber die gibt es nicht mehr, seit das Arbeitsinspektorat zum Wirtschaftsministerium gehört.«

Zlatko*) ist so einer, der einmal da, einmal dort auf den Baustellen aushilft. »Die Firmen, das sind immer die gleichen Leute, aber sie haben immer neue Namen. Das ist für sie vielleicht besser, und mir ist das egal.« Nicht egal ist ihm, sagt er weiter auf Auslandsösterreichisch, dass »wenig Geld, Arbeit schwer. Aber besser als bei mir daheim.« Keine Aufweichung des österreichischen Vergaberechts an Subfirmen fordert daher die GBH. Universale-Bau-Betriebsrat Hermann Haneder: »Denn gerade hier ist die meiste Schwarzarbeit. Subfirmen haben nichts anderes zu tun, als an weitere Subfirmen zu vergeben. Dort ist das große Manko, dass du die Kollegen gar nicht kennst oder sie schwarzarbeiten. Die Bauindustrie hätte wohl die Möglichkeit, das einzudämmen, denn die Firmen sind ja bekannt, obwohl sie heute ›x‹, morgen ›y‹ und übermorgen ›z‹ heißen. Das sind reine Menschenfirmen, die nur Dienstleistungen verkaufen und jährlich in Konkurs gehen.«

Mit den Problemen, die wir heute haben, müsste eigentlich jeder zur Gewerkschaft gehen, ist Haneder überzeugt. »Unser Problem ist, dass wir von Jahr zu Jahr weniger werden. Der natürliche Abgang wird - eben wegen der Vergabe an Subfirmen oder durch Rationalisierung - nur minimal ersetzt. So klopfen wir auch die kleinsten Betriebe ab, die keinen Betriebsrat haben, und reden die Leute bei den Subfirmen an, damit sie über ihre Rechte Bescheid wissen. Nur sind uns die Hände gebunden, weil das Arbeitsinspektorat wird sich keinen Haxn für uns ausreißen.«

*) Namen von der Redaktion geändert

Überstunden und Urlaub

14 Tage länger für Saisonarbeiter im Gastgewerbe plus Drohung mit 14-tägiger Sperre des Arbeitslosengeldes

Im September beabsichtigte die Regierung, nicht nur bei Selbstkündigungen, sondern auch bei einvernehmlichen Lösungen des Dienstverhältnisses und bei Beendigung befristeter Arbeitsverhältnisse den Bezug des Arbeitslosengeldes vier Wochen zu sperren.

Besonders Saisonarbeiter im Hotel- und Gastgewerbe wären so zweimal im Jahr ohne Einkommen dagestanden.

Die Regierung hat nach massiven Protesten der Arbeitnehmervertreter dieses Vorhaben nicht verwirklicht.

Am 6. Dezember konnte zwischen den Fachverbänden Gastronomie und Hotellerie und der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst (HGPD) ein Zusatzkollektivvertrag für Saisonarbeitsverhältnisse vereinbart werden, der seit 1. 1. 2001 in Kraft ist.

So soll ein Drittel (der am Ende des Durchrechnungszeitraumes bestehenden) Überstunden - maximal aber 40 Stunden - das Arbeitsverhältnis der laufenden Saison um eine Woche verlängern. Weiters ist ein Teil des erworbenen Urlaubsanspruchs - maximal sieben Werktage - am Ende des Arbeitsverhältnisses aufzubrauchen.

Die Vereinbarung gilt (vorerst) bis 30. April 2001. Verlängert werden soll diese Vereinbarung, wenn »Wirtschafts- und Arbeitsminister« Martin Bartenstein auf seine »Verordnungsermächtigung« verzichtet, die er sich vorbehalten hat, sollte das Modell »nicht greifen«. Bei Anwendung besagter Ermächtigung aus dem Arbeitslosenversicherungsgesetz könnte Saisonarbeitern die Arbeitslose für jeweils zwei Wochen nach jeder Saison gesperrt werden.

G. Müller

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