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Neid als Politik? | Zur Unfallrentenbesteuerung

Seit dem 1. Jänner 2001 müssen Renten der gesetzlichen Unfallversicherung voll versteuert werden. Das bedeutet für viele Betroffene, dass ein Drittel ihrer Rente an die Steuer fließt. Die Bundesregierung begründet diese Maßnahme mit einer »erhöhten Treffsicherheit« und sieht darin jenen Anteil, die die Opfer von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten für die »Budgetkonsolidierung« leisten müssen, wie die Studiengebühr jener Beitrag ist, den Eltern studierender Kinder leisten müssen. Und wenn ein Rentenbezieher ein studierendes Kind hat, saniert er das Budget treffsicher doppelt?

Treffsichere Besteuerung

Bei ihrem Entschluss, die Unfallrenten zu besteuern, argumentiert die Bundesregierung mit dem im September von Prof. Mazal präsentierten Expertenpapier über die »Erhöhung der Treffsicherheit« der Sozialleistungen. Dort heißt es wörtlich:

»Überlegt man eine Besteuerung der Unfallrenten, ist zu bedenken, dass eine solche Maßnahme in ihrem ökonomischen Effekt materiell zu einer nicht unbeträchtlichen Reduktion einer Sozialleistung führt; die Besteuerung wäre freilich für sich genommen insofern unter Treffsicherheitsgesichtspunkten argumentierbar, als sie nur progressionsabhängig - und damit vor allem bei Personen wirksam wird, die neben der Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung noch andere Einkommen beziehen. Darüber hinaus könnte (...) eine teilweise Verwendung dieser Mittel zugunsten von Personen erfolgen, bei denen zwischen der abstrakten Rente und dem konkreten Einkommensentfall eine größere Lücke klafft; auch könnten die Mittel zugunsten der konkreten Förderung Behinderter eingesetzt werden. In quantitativer Hinsicht ist festzuhalten, dass nach Berechnung des BMF etwa 6 Mrd. Schilling an Unfallrenten ausgezahlt werden. Aufgrund der Einkommensschichtung der Rentenempfänger müssten sich im Falle einer Steuerpflicht daraus steuerliche Mehreinnahmen von etwa 2 Milliarden Schilling ergeben. Aus heutiger Sicht sind nach Auffassung des BMF auch Administrativprobleme nicht zu erwarten«. So weit die Experten.

Neoliberales oder sozialstaatliches Grundprinzip?

Eine Frage bleibt hier freilich - wie in der gesamten Debatte um »Treffsicherheit« - offen: Soll der Sozialstaat nur die notwendigste Hilfe in Notfällen absichern, oder ist der Sozialstaat eine notwendige Klammer zur Integration der gesamten Gesellschaft?

Insbesondere liberale und neoliberale Positionen vertreten die Ansicht, der Sozialstaat sei ausschließlich zuständig, effiziente Hilfe in Notfällen zu leisten. Für alle anderen Wechselfälle des Lebens hätten die Betroffenen selbst vorzusorgen, ein freier Markt würde die dafür notwendigen Voraussetzungen schaffen. Staatliche Leistungen, die über diese Hilfe in echten Notfällen hinausgehen, würden - in dieser Sichtweise - zwangsläufig zu einer »Überversorgung« führen; ein »treffsicherer« Sozialstaat habe diese eben wieder abzubauen.

Der in der Auseinandersetzung der organisierten Arbeiterbewegung gewachsene und im sozialpartnerschaftlichen Konsens gefestigte österreichi-sche Sozialstaat geht hingegen davon aus, dass sozialstaatliche Leistungen nicht nur große Not und Armut befriedigen sollen, sondern durch eine Sicherung des erworbenen Lebensstandards der Versicherten außerhalb des Erwerbssystems für einen maximalen Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft zu sorgen habe. Daher wird hier von einer gewachsenen Verbindung von Armutspolitik und Einkommensersatz ausgegangen.

Medium der Solidarität

So gesehen schafft unser Sozialstaat »Gelegenheiten« im Nahraum der Betroffenen/Berechtigten und verrechtlicht diese in der Sozialgesetzgebung. Diese definiert bestimmte Risken bzw. transferabhängige Lebenssituationen als zeitlich begrenzte Lebenslagen (Ausbildung, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter etc.) und liefert in der Regel mit der Definition des Zustandes auch gleich die verrechtlichte Antwort in Form einer bestimmten zeitlich begrenzten Leistung (Stipendium, Arbeitslosengeld, medizinische Versorgung, Pension etc.)

Wenn man die gegenwärtige politische Diskussion um die Richtung der österreichischen Sozialpolitik über die Tagespolitik hinaus verstehen möchte, muss man diese beiden unterschiedlichen und prinzipiell nicht zu vereinbarenden Grundprinzipien erkennen: Auf der einen Seite eine wirtschaftsliberale Richtung, die den Sozialstaat nur als letztes Fangnetz von auf dem freien Markt agierenden Menschen versteht und daher »Überversorgung« reduzieren möchte, um die Kosten zu senken. Auf der anderen Seite die gewerkschaftliche Sozialpolitik, für die der Sozialstaat ein wesentliches Instrument für den Zusammenhalt der Gesellschaft, ein Medium der Solidarität zwischen Jung und Alt, Krank und Gesund, Beschäftigt und Arbeitslos ist.

Die Besteuerung der Unfallrente

Unfallrenten sind gesetzlich definierte Leistungen zur Abgeltung von körperlichen Schädigungen und Schmerzen, die im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung (und gesetzlich definierten vergleichbaren Zuständen) entstanden sind. Mit dem Bestehen der gesetzlichen Unfallrenten ist der individuelle Schadenersatzanspruch des/der Einzelnen gegenüber dem Betrieb verschwunden. Die Unfallversicherung ist daher als Haftpflichtversicherung des Dienstgebers zu verstehen, es sind auch nur die Dienstgeber beitragspflichtig, die Selbstverwaltung der Allgemeinen Unfallversicherung liegt hauptsächlich in Händen der Dienstgeber.

Die Unfallrente ist daher nicht (wie etwa die Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension) als Einkommensersatz bei Erwerbsminderung und auch nicht (wie etwa das Pflegegeld) als teilweiser Ersatz der pflegebedingten Mehraufwendungen zu verstehen, sondern als gesetzlich genormtes und zentralstaatlich reguliertes Schmerzensgeld bei (bestimmten) Schädigungen aus dem Erwerbsleben. Aus diesem Grund ist eine Unfallrente nicht als »Versorgungsleistung« zu verstehen (weshalb logischerweise auch keine »Überversorgung« entstehen kann), sondern genau so zu behandeln, wie alle ande- ren (zivilrechtlichen) Schmerzensgeldansprüche.

Verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung

Wenn daher Unfallrenten nunmehr besteuert werden, andere Schmerzensgeldleistungen und Leistungen privater Haftpflichtversicherungen aber (weiterhin) nicht, so ist hier eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung zu vermuten. Doch die hier konstatierte Ungleichbehandlung hat noch weitere Facetten: Während die gesetzliche Unfallrente nunmehr besteuert wird, werden die (vergleichbaren) Renten der fünf Versorgungsgesetze (Kriegsopferversorgung, Heeresopfergesetz, Opferversorgungsgesetz, Verbrechensopfergesetz und Impfschadensgesetz) weiterhin nicht besteuert. Rechtslogik ist hier keine zu erkennen, aber es ist die Angst der FPÖ-Regierungsmitglieder zu vermuten, es sich nicht mit ihrer »Klientel« der Kriegsopfer verscherzen zu wollen. Dem wird das Gleichbehandlungsgebot der Bundesverfassung geopfert. Noch mehr: Die im letzten Jahr auf Wunsch der FPÖ eingeführte neue Rente für ehemalige Kriegsgefangene in sowjetischen Gefangenenlagern (erstaunlicherweise gibt es keine vergleichbare Rente für ehemalige Kriegsgefangene in »westlichen« Lagern) wird ebenfalls keiner Versteuerung unterzogen. Sozialpolitik als Anlassgesetzgebung oder als Instrument staatlicher Gerechtigkeitspolitik, kann man sich da nur fragen.

Die Auswirkung

Die Besteuerung der Unfallrenten erfolgt dergestalt, dass das Renteneinkommen (brutto) dem gesamten Jahreseinkommen (vor Steuern) zugeschlagen wird; danach wird das so zu ermittelnde Gesamteinkommen versteuert. Beim Zusammenfall von Unfallrenten mit anderen Einkommen wird die Unfallrente zum »Grenzeinkommen«, ist also jedenfalls mit dem höchsten persönlichen Steuersatz zu besteuern. Der Effekt: Ein guter Teil der Unfallrente geht an die Steuer. Das kann dann folgendermaßen aussehen:

Herr Müller hat bislang eine ASVG-Nettopension von 19.000 Schilling und eine Unfallrente von 12.000 Schilling bekommen, in Summe also 31.000 Schilling für einen beidbeinig amputierten Facharbeiter. Ab Jänner 2001 erhält er wegen der neuen Steuerpflicht netto um 5604 Schilling im Monat weniger, das ist fast die Hälfte seiner bisherigen Unfallrente. Als Pensionist wird diese Steuer gleich vom Pensionsversicherungsträger in Abzug gebracht, er erhält weniger Geld ausgezahlt. Anders wäre es, wenn er neben seinen 12.000 Schilling Unfallrente ein Aktiveinkommen von 19.000 Schilling netto erhielte. In diesem Fall müsste er die Unfallrente im Zuge der Arbeitnehmerveranlagung im Jänner des kommenden Jahres geltend machen; er muss dann aber mit einer Steuernachzahlungsforderung von fast 80.000 Schilling rechnen.

Die sozial Schwachen schützen?

Im Zuge des Wiener Landtagswahlkampfes hat der »einfache« Landeshauptmann von Kärnten neulich in einer TV-Pressestunde gefordert, die »sozial Schwachen« müssten aus dieser Besteuerung befreit werden. Nach einigem Zögern hat die Bundesregierung diesen Zuruf aus der Provinz aufgegriffen und beeilt sich, nunmehr nach Lösungen für die »sozial Schwachen« zu suchen.

Nicht nur die - für Österreich bisher ungewöhnliche - Vorgangsweise mutet eigenartig an, auch der Inhalt dieses Versuches, die »Treffgenauigkeit« für die »sozial Schwachen« zu retten. Denn diese sind (mangels steuerpflichtigen Einkommens) von dieser Besteuerung ohnehin nicht oder nur in einem sehr geringen Ausmaß betroffen. Betroffen sind Normalverdiener, die im Zuge ihrer Erwerbstätigkeit dauerhaft verletzt worden sind. Die Regierung ist offensichtlich nicht bemüht, auf jene von Mazal (siehe oben) angekündigten 2 Milliarden Mehreinnahmen für das Bundesbudget zu verzichten - sonst würden sie diese verfassungsrechtlich zweifelhafte Besteuerung ja aufheben -, sondern sie bemühen sich nur, es »treffsicherer« aussehen zu lassen, indem die (ohnehin kaum getroffenen) »sozial Schwachen« verschont werden sollen.

Dies ist wieder ein Ausdruck jenes neoliberalen Politikverständnisses, nach dem soziale Leistungen nur für die »ganz Armen« da sein sollen. Die »Besserverdienenden« (und in diesem Bild gehört jemand, der über 19.000 Schilling netto verfügt, schon lange zu den »Besserverdienenden«) sollen hingegen für sich selbst sorgen; Sozialleistungen für »Besserverdienende« sind hingegen als »Überversorgung« zu qualifizieren. Hier werden politische Symbole gesetzt, um von einer unsozialen Budgetpolitik abzulenken, hier wird Neid als Politik hoffähig gemacht.

Was tun?

Diese Besteuerung von Unfallrenten ist vermutlich verfassungswidrig. Wenn der Verfassungsgerichtshof diese Verfassungswidrigkeit festgestellt haben wird, wird die Bundesregierung aufgefordert werden, diese Besteuerung aufzuheben (oder für alle anderen Renten und Schmerzensgeldleistungen auch einzuführen). Wird die Unfallrentenbesteuerung aufgehoben, gilt das für all jene, die gegen einen Steuerbescheid Einspruch erhoben haben, rückwirkend, für alle anderen ab In-Kraft-Treten der neuerlichen Gesetzesänderung.

Wenn wir aber davon ausgehen, dass Neid auch im Jahr 2001 keine politische Kategorie sein sollte, dann ist zwangsläufig von der Bundesregierung zu fordern: Wartet nicht, bis euch der Verfassungsgerichtshof dazu zwingt, sondern schafft die Besteuerung der Unfallrenten ab, am besten rückwirkend ab 1. 1. 2001!

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