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Dumpingkonkurrenz: Unterbietungswettlauf überwinden!

Was ist eine Gewerkschaft - heute?

Thesen Die Situation der Gewerkschaften, ihr Standort, ihre Möglichkeiten und Perspektiven sind das Thema dieses grundsätzlichen Diskussionsbeitrages. Forderungen, die über die Tagespolitik hinausgehen, werden genauso besprochen wie Gefahren, die in der so genannten »Politik der Mitte« liegen.

Die Situation

Arbeitslosigkeit, soziale Spaltung, prekäre Arbeitsverhältnisse, Angriffe auf die soziale Sicherung, der Abbau öffentlicher Leistungen - kurzum, die unsozialen Spuren, die die neoliberale Wirtschaftspolitik hinterlässt, haben die Gewerkschaften in die Defensive gedrängt. Aber: Dies ist kein Naturgesetz. Auch wenn es unter dem Druck der Arbeitslosigkeit schwer fällt, die Konkurrenz in den eigenen Reihen zu überwinden - die Geschichte beweist, dass solidarische Selbsthilfe, demokratische Gestaltung und kollektive Gegenwehr auch in Zeiten sozialer Bedrängnis durchaus möglich sind.

Wenn die Gewerkschaften - und nicht nur sie - derzeit in der Defensive stecken, so ist dies nicht allein der »Übermacht des Kapitals« geschuldet, es hängt auch mit eigener Halbherzigkeit, Unentschlossenheit, Phantasielosigkeit und Konfliktscheue zusammen. Bisweilen scheint es, als habe die Linke den Kampf um die Köpfe aufgegeben.

Politisches Mandat der Gewerkschaften

Erste Bedingung der Gegenwehr ist es, sich zum politischen Mandat der Gewerkschaften zu bekennen. Gewerkschaftsarbeit darf sich nicht im täglichen Konflikt um Einkommen und Arbeitsbedingungen derer, die Arbeit haben, erschöpfen. So wichtig diese täglichen Auseinandersetzungen auch sind - sie reichen nicht an die Wurzeln von Ausgrenzung und gesellschaftlicher Spaltung. Daher gilt es, die sozialen Kämpfe mit politischen Perspektiven zu verbinden, kurzum, auf die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt Einfluss zu nehmen.

Konzepte und Gegenentwürfe entwickeln!

Erste Herausforderung ist es, eigene Konzepte zu entwickeln. Das schließt durchaus auch den Mut zur Utopie mit ein.

Wenn die Überwindung der Arbeitslosigkeit, die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Reichtum, wenn Autonomie, Emanzipation und Chancengleichheit auch morgen die Perspektive einer menschenwürdigen Gesellschaft sein sollen, muss das Folgen haben

  • für die Organisation und Verteilung der Arbeit,
  • für die Fortentwicklung der sozialen Sicherungssysteme,
  • für die Reichtumsverteilung und
  • für die Ausgestaltung der öffentlichen Infrastruktur.

Notwendig sind Gegenentwürfe zum neoliberalen Programm der ungebändigten Renditesteigerung und der kommerziellen Kolonisierung des gesellschaftlichen Lebens.

Was damit gemeint ist, sei an folgenden Beispielen demonstriert:

(1) Entgegen der herrschenden Spar- und Konsolidierungspolitik und im bewussten Gegensatz zu den Maastricht-Kriterien gilt es, die gesellschaftliche Infrastruktur und die öffentlichen Leistungen zu verteidigen und auszuweiten, statt sie einzuschränken und ihre renditeträchtigen Teile zu privatisieren.

Das gebietet nicht allein soziale Gerechtigkeit, sondern auch die volkswirtschaftliche und ökologische Vernunft. Das öffentliche Verkehrswesen, Kindergärten, Schulen und Hochschulen, die Förderung musischer Bildung und der Ausbau kultureller Einrichtungen, die Entwicklung umweltfreundlicher Energie, die Hilfe zum Aufbau unterentwickelter Regionen und vieles andere mehr würden in den industrialisierten Ländern Europas nicht nur millionenfach neue Arbeit entstehen lassen, und zwar qualifizierte Arbeit. Es handelt sich zugleich um Investitionen in unsere und unserer Kinder Zukunft.

(2) Damit stellt sich die Notwendigkeit, Einkommen und Reichtum umzuverteilen. In fast allen entwickelten Ländern hat sich die Kluft zwischen niedrigen und hohen Einkünften, zwischen Armut und Reichtum weiter geöffnet. Die Politik, namentlich die Haushalts- und Steuerpolitik, fördert diese Entwicklung.

Die Folge ist, dass immer größere Gewinn- und Vermögensanteile in - oft spekulative - Finanzanlagen gesteckt werden. Die weitere Folge liegt in der Verselbständigung des Finanzsektors und seiner Internationalisierung. Rigide Vorgaben des Shareholder-Kapitalismus haben hier eine ihrer Wurzeln. Aufgabe staatlicher Haushaltspolitik ist es daher, Spitzenverdiener und Inhaber großer Vermögen entsprechend ihrer Leistungskraft zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Das gilt in gleicher Weise für die nationale Steuerpolitik wie für internationale Abkommen, etwa zur Einführung einer Devisenumsatzsteuer (Tobin-Tax).

Im Übrigen ist es volkswirtschaftlich sinnvoller, einen Teil der überschüssigen Gewinne und Vermögenseinkünfte in beschäftigungsintensive und gesellschaftlich sinnvolle Investitionen umzulenken, statt sie unkontrolliert in unproduktiven Finanzanlagen um den Globus vagabundieren zu lassen.

(3) Ein weiteres Projekt betrifft die Umverteilung der Arbeit. Wenn wir die Arbeitslosigkeit überwinden wollen, ist radikale Arbeitszeitverkürzung geboten, in unterschiedlichen Formen.

Dabei gilt es nicht zuletzt die traditionelle patriarchalische Arbeitsteilung zu überwinden, die den Männern das Privileg des so genannten Normalarbeitsverhältnisses zuweist, derweil ihnen die Frauen durch unbezahlte Reproduktionsarbeit und bei prekärer Beschäftigung den Rücken freihalten. Geschlechterdemokratie gebietet auch eine gerechte Verteilung der Arbeit, der Erwerbs- wie der Reproduktionsarbeit. Emanzipation zielt übrigens nicht nur auf gleiche Chancen für die Frauen, sondern auch auf Befreiung der Männer von den Verbiegungen ihrer Karriere-Zurichtung in einem System von Herrschaft und Gehorsamkeit.

(4) In dem Maße, in dem die neoliberale Markt-Ideologie Politik und Gesellschaft durchdringt, findet der Wertekanon einer Wettbewerbsgesellschaft zunehmend Anerkennung. In den Vordergrund rücken Tugenden der Stärke und Durchsetzungsmacht, der Härte, Unnachgiebigkeit und Schnelligkeit sowie Kategorien wie Sieg und Niederlage, Verdrängung und Untergang. Hand in Hand damit geht die verbreitete Denunzierung des Gleichheitspostulats als wachstums- und leistungsfeindlich. Auf der Strecke bleibt das Gebot solidarischen Ausgleichs.

Wem die demokratische Entwicklung der Gesellschaft nicht gleichgültig ist, der muss solchen sozial-darwinistischen Tendenzen entgegentreten. Der muss für Werte der Toleranz, der Solidarität, des Respekts vor Minderheiten und der Gleichberechtigung kämpfen.

Wirtschaftliche Effizienz-Kriterien sind nicht alles. Es gibt Lebensbereiche und Leistungen, für die andere Maßstäbe gelten, z. B. kulturelle Vielfalt, gleiche Lebenschancen und gleicher Zugang zu Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Kurzum, es geht auch um das kulturelle Projekt, welche Werte, Prinzipien und Lebensmuster der ökonomischen Durchdringung der Gesellschaft entgegenzusetzen sind.

Zusammenarbeit und Bündnispartner

Spätestens in diesem Zusammenhang wird deutlich, wie notwendig die Zusammenarbeit mit anderen sozialen, feministischen und ökologischen Initiativen und Bewegungen ist. Die Gewerkschaften sind immer wieder der Versuchung ausgesetzt, bestimmte Interessen, etwa die der männlichen Facharbeiter, mit Vorrang zu verfolgen und andere Bedürfnisse und Lebensweisen auszublenden. Hier kann der Stachel anderer Initiativen nur gut tun.

Dumpingkonkurrenz: Unterbietungswettlauf überwinden!

Die Gewerkschaften wurden unter anderem mit dem Ziel gegründet, die Konkurrenz in den eigenen Reihen zu überwinden. Gerade in Zeiten, in denen unter dem Eindruck von New Economy Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Privatisierung sozialer Risiken propagiert werden, ist es umso notwendiger, sich nicht wechselseitig in Unterbietungswettlauf treiben zu lassen. Das gilt national wie international.

Unter der Ägide des »Wettbewerbsstaats« erleben wir eine Welle der Standortkonkurrenz. So schwierig es ist, die Gewerkschaften müssen in Europa und weltweit der Versuchung widerstehen, sich in Dumpingkonkurrenz drängen zu lassen. Grenzüberschreitende Abstimmung, vor allem in der Tarifpolitik, ist daher überfällig. Darüber hinaus müssen sich die Gewerkschaften auf gemeinsame Ziele und Prioritäten verständigen.

Die »Politik der Mitte« und der Rand

Eine moderne Variante sozialdemokratischer Programmatik ist die »Politik der Mitte«. Bei Lichte besehen entpuppt sie sich als eine Politik für die, die in der Mitte stehen, also z. B. die qualifizierten Angestellten in Zukunftsbranchen oder die männlichen Facharbeiter in stabilen Export-Sektoren. Für die Gewerkschaften liegt die Gefahr nicht fern, sich in eine derartige Politik einzufügen, etwa zugunsten der Modernisierungsgewinner.

Sie laufen damit Gefahr, die Bedürfnisse derer zu vernachlässigen, die nicht im Zentrum der gewerkschaftlichen Arbeit und ihrer Gremien stehen: etwa der Arbeitslosen, der prekär Beschäftigten, der Ausländer und eben auch - der Frauen.

Die Gewerkschaften haben ihre politische Überzeugungskraft stets in dem Maße gewonnen, in dem sie zur Verallgemeinerung der Interessen fähig waren, in dem sie also der Versuchung einer Standespolitik widerstanden haben.

Wie wäre es, die Gewerkschaften würden sich - national wie im europäischen Raum - z. B. darauf verständigen, prekäre Beschäftigung, die sozialen und arbeitsrechtlichen Schutz vermissen lässt, mit Vorrang zu bekämpfen?

Oder wie wäre ein grenzüberschreitender gewerkschaftlicher Pakt, ein Mindesteinkommen für alle Beschäftigten durchzusetzen, das ein Leben nach europäischem Standard ermöglicht?

Eine solche Aktion könnte sich zugleich als wichtiges Projekt erweisen, nicht nur dem Kollektivvertrag die notwendige gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten bzw. wieder zu verschaffen, sondern auch dem Verfassungsgebot gleicher Lebensbedingungen den notwendigen Rang einzuräumen.

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(C) AK und ÖGB

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