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Die vergeudete Republik

Selten, wenn überhaupt, wurde das wirtschaftliche Vermögen eines Volkes in einem entwickelten Land freiwillig und rechtens so rasch und so billig ausverkauft wie dies zurzeit mit öffentlichen Unternehmungen und Einrichtungen in Österreich geschieht. Bezieht man die zu verscherbelnden Bundesforste und -seen und den diskutierten Verkauf von Autobahnen in diese Betrachtung ein, so wird deutlich, dass die gegenwärtige Bundesregierung nicht einmal vor elementaren Lebensgrundlagen Halt macht.

Die Vergeudung der Schätze dieses Landes hört leider nicht beim wirtschaftlichen Vermögen auf. Sie erfasst alle Bereiche der Republik. Auch das politische, soziale und kulturelle Kapital Österreichs und der 2. Republik wird in großem Stil vergeudet.

Zu den wertvollsten Bestandteilen des politischen Kapitals der 2. Republik gehörten unter anderem: die Gesprächsfähigkeit zwischen den wichtigen politischen und gesellschaftlichen Gruppen, die friedliche Konfliktregelung, der Konsens über die Grundlinien der Außen- und Sicherheitspolitik, die Zustimmung zu den tragenden Artikeln des Staatsvertrages, das Bemühen um gute Beziehungen zu den Nachbarn, die Einhaltung internationaler Verträge (wie des eigenen Staatsvertrags), die Autorität der Verfassung und ihrer Organe. Dieses Kapital ist in den letzten Jahren in wesentlichen Punkten, wirtschaftlich gesprochen, »abgeschrieben« worden. Von dem derzeitigen politischen Regime wird diese Entwertung noch beschleunigt, z. B. wenn ein Landeshauptmann und Mitglied des Koalitionsausschusses die Präsidenten einstmals befreundeter Staaten beleidigt oder EU-Beitrittskandidaten mit einem Veto droht.

Ähnliches gilt für das gesellschaftliche Kapital. Zu diesem zählt vor allem die Sozialpartnerschaft. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird sie von ihren Kritikern als »undemokratisch«, ja »austrofaschistisch« gebrandmarkt. Sie werden von Jörg Haider übertroffen, der Unzulänglichkeiten in wichtigen Nebensachen (den »Privilegien«) zum Anlass nimmt, um die Abschaffung der Sozialpartnerschaft zu fordern. Er trifft sich dabei mit neoliberalen Ideologen, die sie - wie alle anderen Stützen der 2. Republik - ohne Begründung als überholt bezeichnen. Der bisher erfolglose Versuch, den Gewerkschafter Sallmutter auszubooten, ist ein wichtiger Teil dieses Kampfes. Übersehen wird dabei, dass Länder wie Finnland oder Holland ihre viel beachteten Erfolge durch konstruktive, selbstinteressierte Zusammenarbeit von Kapital, Arbeit, Wissenschaft und Staat erreicht haben. Kooperation ist auch in der globalisierten Wirtschaft ein Wettbewerbsvorteil.

Wie steht es schließlich um Österreichs kulturelles Kapital? Es wird ebenfalls vergeudet, vor allem in Form der Auslöschung der historischen Erfahrung, die aus dem Ende der Monarchie wie der 1. Republik, aus der Enge des autoritären Ständestaates, dem Untergang Österreichs durch die NS-Herrschaft und, nicht zuletzt, die Erfolgsgeschichte der 2. Republik gewonnen wurde. Solches Kapital lebt von Erinnern, das möglichst viele gute und schlechte Erfahrungen, und nicht ausgewählte Perioden der Geschichte, umfassen darf.

Ein Teil seines kulturellen Kapitals, mit dem Österreich schon immer Schindluder getrieben hat, sind seine vielfältigen Herkünfte: aus Tschechien, Polen, der Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Serbien, Italien und Deutschland - um nur die wichtigsten unserer Herkunftsländer zu nennen - stammen viele unserer Vorfahren. Dabei brachten sie vieles mit, was uns selbst ausmacht. Leider haben wir vieles davon verschleudert - meine Großeltern sprachen noch fließend tschechisch und deutsch - meine Generation nur noch deutsch und »westliche« Sprachen. Von Österreich wird viel zu wenig getan, um dieses kulturelle Kapital zu pflegen. In den letzten Jahren wurde aus der entfernten Verwandtschaft eine wachsende Entfremdung, die in eine Abschottung auszuarten droht.

Damit sind wir bei einer Schlüsselfrage der Republik angelangt. Was, so ist zu fragen, sind die Folgen der Vergeudung wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kapitals? Wer verfügt über das österreichischen Händen entglittene Vermögen? Wer bestimmt darüber, was und wie zu erneuern ist?

Politisch verfügt Österreich, wie die meisten Länder, nicht mehr über sich selbst. Kein Staat kann das heute ungehindert und unbeschadet tun. Dennoch kann auch heute noch ein »kleineres« Land Einfluss nehmen, wenn es Ansehen genießt und sich an die gegebenen Spielregeln hält. Österreich hat in EU, Europarat, OECD, OSZE, UNO usw. Sitz und Stimme. Vor 20 Jahren wurde ihm noch, wenn es etwas zu sagen hatte, zugehört, heute kaum noch. Welche Folgen treten ein, wenn einmal das soziale Kapital dahin ist? Die Leistungskraft des Landes wird geringer, wenn seine politischen und gesellschaftlichen Kräfte sich nicht mehr auf gemeinsame Aufgaben einstimmen können. Wie macht sich der Verlust an kulturellem Kapital bemerkbar? Der Schaden, der aus dem Vergessen der historischen Erfahrung folgt, den kann man am täglichen politischen Hickhack beobachten.

Der Zustand, in dem sich die Republik befindet, ist alles andere als gut: sie ist im Innern zerstritten, mit den Nachbarn entfreundet und wird in der Welt nicht mehr geschätzt. Trotzdem geht es den Menschen in Österreich noch recht gut. Wenn freilich die öffentlichen Angelegenheiten weiterhin so liederlich besorgt werden wie zurzeit, dann werden es immer mehr Bürger bald ordentlich zu spüren bekommen. Das lässt für die zukünftige Vertretung der Arbeitnehmerinteressen härtere Zeiten erwarten. Unternehmer hören bald auf »sozial« zu sein, wenn ihr eigenes Vermögen durch den »Markt« angeknabbert wird. Da halten sich dann »gute Onkels«, wie Frank Stronach, gerne an die Einkommen und sozialen Errungenschaften ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sollte man zeitgerecht bedenken und sich bei den Gewerkschaften versichern.

Welche Empfehlung lässt sich aus einer solchen Vermögensbilanz insgesamt ziehen? Man muss Kapital, das abgeschrieben wird, ersetzen und erneuern. Zuerst aus eigenem Vermögen. Unterbleibt dies aber, so wird der fruchtbare Soziotop, der sich auf dem Territorium des gegenwärtigen Österreich befindet, von anderen bewirtschaftet. Und das ist, entgegen einer modischen Ideologie von der »Unternehmung Österreich«, die anscheinend allen gehören soll nur nicht Österreich, auch im Zeitalter der Globalisierung nicht ganz egal. Die Republik Österreich wieder flottzukriegen, was ja nichts anderes heißt als sein politisches, soziales und kulturelles Kapital wieder herzustellen und erneut zu mehren, wird nicht leicht sein. Im Land stecken aber noch immer viele ungenutzte menschliche Energien und Talente. Diese für die Republik zu mobilisieren, das wäre eine nationale Aufgabe.

Wer mehr darüber erfahren will, den verweise ich auf mein Buch Die vergeudete Republik. Wie sie wiederbegründet werden könnte (Edition va bene, Wien 2001, 260 Seiten, 328 Schilling). http://members.aon.at/egonmatzner

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