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Unter Haien | Casinokapitalismus und die Gewerkschaften

Die Börse als Spielcasino und die Gewerkschaften nur als Verteidiger erworbener Rechte? Der Autor dieses Beitrags ist rund ein halbes Jahrhundert für die Arbeiterbewegung tätig. Man kann ihm also nicht die Erfahrung und den Überblick absprechen, wenn er hier auch die eigenen Reihen kritisiert.

Sozialpartnerschaft plus Austrokeynesianismus, das war die Zauberformel für den phänomenalen Aufstieg der österreichischen Wirtschaft seit Beginn der 60er Jahre, ein Aufstieg, der nicht nur eine Verfünffachung des Sozialprodukts gegenüber der Ersten Republik brachte, sondern auch ganz im Gegensatz zur Ersten Republik Vollbeschäftigung.

Sozialpartnerschaft auf überbetrieblicher und auf betrieblicher Ebene

Meistens wird die Sozialpartnerschaft, die auch heute noch eine überwältigend hohe Zustimmung in der Bevölkerung findet, nur mit der Paritätischen Kommission, allenfalls noch mit deren Unterausschüssen wie dem Wirtschaftsbeirat für Wirtschafts- und Sozialfragen, dem Lohnunterschuss und dem inzwischen obsolet gewordenen Preisunterausschuss verbunden.

Weniger beachtet wurde die wohl noch wichtigere Tatsache, dass auch auf betrieblicher Ebene eine Sozialpartnerschaft bestand, im leider geringerem Ausmaß als früher noch besteht und ohne die ja auch auf überbetrieblicher Ebene die Kooperation nie so erfolgreich hätte sein können, als sie es tatsächlich war.

Freilich, die Zeit der Patriarchen ist vorbei und Persönlichkeiten wie ein Mayer-Gunthof, der mir einst sagte, für ihn sei es eine Ehrensache, dass seine Leute Arbeit haben, und dessen Betriebsrat mir ebenfalls sagte, »... wenn wir keine Arbeit haben, packt der Alte sein Kofferl, fährt nach Moskau und kommt mit Aufträgen zurück, ...« sind selten geworden.

Abgelöst wurden sie durch eiskalte Manager, die sich an den Ertragswünschen der Aktionäre orientieren und nicht Arbeit für ihre Leute suchen, sondern für alle Probleme ein Rezept haben: »Freisetzungen« von »Arbeitnehmern«.

Eine weitere Voraussetzung für einen funktionierenden Neokorporatismus, dies ist der wissenschaftliche Name für unser System der Sozialpartnerschaft, waren starke und stabile Regierungen, die die wirtschaftliche Entwicklung nicht völlig dem unkontrollierten und auch unkontrollierbaren Marktgeschehen überlassen wollten, sondern wo erforderlich, steuernd eingriffen. Solch starke Regierungen gibt es seit Jahren nicht mehr, und für manche Politiker mag es ja durchaus attraktiv sein, Verantwortung abzuwälzen und der Privatisierung sowie dem freien Marktgeschehen die Verantwortung zu übertragen. National, aber auch international zeigt sich allerdings, dass die Menschen mit diesen Lösungsansätzen, die ja gar keine Lösungen bringen, nicht einverstanden sind und nach anderen, nach neuen Wegen suchen.

Nun soll die Schuld an der Verdünnung der Sozialpartnerschaft und der Absage an den Austrokeynesianismus nicht ausschließlich bösen Mächten angelastet werden. Es haben auch international wirksame Entwicklungen und Fehler, die die Anhänger des Wohlfahrtsstaates und auch Gewerkschaften gemacht haben, zu diesem Niedergang unseres einst so erfolgreichen Systems einiges beigetragen.

In der Wirtschaft gibt es keinen Stillstand. Anpassung, Reformen, vorausblickende Planung sind betriebswirtschaftlich und auch volkswirtschaftlich erforderlich, will man den Anforderungen gerecht werden. Fehler, die in der verstaatlichten Industrie, in der Aufblähung der Belegschaften und Nichterkennenwollen von Konkurrenzdruck - denken wir dabei auch an den betrüblichen Niedergang der Konsumgenossenschaften - gemacht wurden, haben unser altes, wie schon gesagt, so erfolgreiches System geschwächt, teilweise auch dem Untergang überantwortet.

Privatisierung und freie Marktwirtschaft

Wenn neue Führungskräfte an die Macht kommen wollen, so brauchen sie auch eine entsprechende Rechtfertigungsideologie für ihre Handlungsweise. Angesichts der ungeheuren Wirksamkeit der modernen Massenmedien lassen sich solche Ideologien, auch wenn sie den Interessen breiter Bevölkerungsschichten widersprechen, transportieren und bekommen zumindest vorübergehend Zustimmung.

Die Grundstimmung der Österreicher ist allerdings nicht besonders positiv für die Privatisierung. Bei einschlägigen demoskopischen Untersuchungen, also Meinungsumfragen, wird von den Befragten angenommen, dass Privatisierung zu höheren Gewinnen der Unternehmer führen wird, für den Konsumenten nur vorübergehend Vorteile entstehen, wenn Preise im Konkurrenzkampf gesenkt werden, dann allerdings, wenn der Kampf entschieden ist und nur noch starke Anbieter übrig bleiben, die Preise wieder erhöht werden.

Hinsichtlich Beschäftigung wird nicht zuletzt auf Grund von Erfahrungen angenommen, dass nach der Privatisierung die Zahl der Beschäftigten zurückgehen wird.

Was nun die freie Marktwirtschaft anbelangt, muss wohl etwas weiter ausgeholt werden, um das Problem zu erklären.

Spielcasino?

Die Börse spielt im modernen Geschäftsleben eine wesentlich andere Rolle als vor einigen Jahrzehnten und das auch international. An sich ist der Aktienmarkt für Kunden geschaffen worden, die sich an Unternehmen beteiligen wollen und ihren Hauptgewinn eigentlich im Wachsen des Unternehmens sehen und eher nicht versuchen, durch Ankauf und Verkauf von Wertpapieren Gewinne zu erzielen. Letzteres steht heute im Vordergrund, ist aber nicht die konstruktive Idee hinter dem Aktienmarkt. Tatsächlich ist es nicht mehr der Aktionär, der sich durch Ankauf von Aktien an dieser Firma beteiligt, gegebenenfalls, wenn es sich um junge Aktien handelt, an Erweiterungen der Firma teilnimmt und sie finanziell ermöglicht. Die Hauptteilnehmer am Börsengeschäft sind Institutionen, die ihrerseits Gelder von Anlegern sammeln und dann nur kurzfristig gewinnorientiert disponieren. Sie versuchen immer dann einzusteigen, wenn die Kurse sinken und wenn sie den Tiefstpunkt erwischt haben, dann haben sie gut disponiert. Wenn die Kurse wieder steigen, versuchen sie dann die Gewinne zu realisieren und wenn sie es am Höhepunkt des Anstiegs machen, haben sie nochmals gut disponiert. Ob aber damit dem Markt die richtigen Signale gegeben wurden, darf bezweifelt werden. Überhaupt bietet die Börse heute nicht das Bild eines Marktes, auf dem gute wachsende Betriebe sich finanzieren können, sondern sie gleicht eher einem Casino, in dem große Vermögensverwaltungsgesellschaften, Pensionsfonds und größere oder kleinere Spekulanten größere oder kleinere Gewinne, je nach Glück und zum Teil vielleicht auch nach Geschick, erzielen können.

Für den einzelnen Betrieb hat dieses Börsengeschehen, sofern er überhaupt sich über die Börse finanziert, eine höchst gefährliche Komponente. Die Firma hat es nicht mehr mit Geschäftsfreunden zu tun, die ihr Geld in Aktien dieser Firma stecken und dann warten, dass das Management dieser Firma schöne Gewinne erzielt, wächst, größer wird, neue Märkte erreicht, neue Produkte vielleicht entwickelt, kurz und gut floriert, sondern die Anleger werden trachten, den so genannten Shareholdervalue zu steigern und das Management muss unter allen Umständen versuchen, ob krumm oder grad', womöglich zweistellige Erträge zu erwirtschaften.

Nun weiß jeder, dass ein Industriebetrieb kaum in der Lage ist, über einen längeren Zeitraum zweistellige Gewinne zu machen und dann entsprechend auch auszuschütten. Der Druck in diese Richtung ist aber ungeheuer groß.

Der Manager muss versuchen, rasch lukrative Geschäfte zu machen, was sehr oft auf Kosten der Belegschaften geht und sehr leicht dazu führt, dass der Betrieb auf Abenteuer hin orientiert wird. Wer das nicht schafft, fliegt. So kommt es zum Kurzzeitmanager.

In den führenden Industriestaaten hat sich daraus eine bedenkliche Entwicklung ergeben, Manager werden gewechselt wie die Hemden, wer nicht schnellen Ertrag bringt, kann seinen Hut nehmen.

Nun weiß jeder, der in der Wirtschaft tätig war, dass nur langfristige Konzepte einen Betrieb vorwärts bringen. Rasch nur eine Quartalsbilanz zusammenzustoppeln, mit der man an die Öffentlichkeit geht und den Börsenkurs in die Höhe treibt, bringt einen Betrieb rascher in die Krise als gedacht.

Nicht zufällig hat man ja für Vorstände fünfjährige Verträge vorgesehen, denn fünf Jahre sind wohl das Mindestmaß und der kürzeste Zeitraum, den ein Manager braucht, um einen Betrieb gut zu organisieren, eventuell umzuorganisieren und eine entsprechende Mannschaft zusammenzustellen, die dann für die Zukunft die erwünschten soliden Gewinne auch bringen kann.

Der Vorstoß der Heinzelmänner

In Österreich haben wir nun die Spezialität entwickelt, dass dieser schnelle Wechsel von Managern Hand in Hand geht mit einer hysterischen Personalpolitik der Eigentümervertreter. In der Schweiz wurde durch eine Politik des panikartigen Führungswechsels die schweizerische Fluggesellschaft Swissair in einen Abgrund geführt und hätte nicht die Schweiz die Existenz einer eigenen Luftfahrtsgesellschaft für erforderlich gehalten, gäbe es heute keine Swissair mehr, sie wäre bereits in Konkurs gegangen.

Wir Österreicher neigen zwar eher dazu, dem deutschen Bruder alles nachzumachen, aber jetzt dürfte vielleicht gerade bei unserer AUA das Schweizer Vorbild aktuell sein. Man hat zwar kein neues Management, aber auf jeden Fall schmeißt man das alte, erfolgreich gewesene, hinaus. Dasselbe findet auch in vielen anderen Betrieben statt.

Die Dachorganisation der staatsbeteiligten Betriebe hatte einen Aufsichtsratsvorsitzenden, der es seinerzeit geschafft hatte, die am Abgrund befindlichen Steyr-Werke zu retten. Dieser Dr. Streicher hatte allerdings einen Makel - er war ein »Roter«. Jetzt hat die ÖIAG einen Aufsichtsrat bekommen, der endlich den freiheitlichen Wirtschaftstreibenden eine Basis gibt, sich zu profilieren. Die Profilierung ist aber eher in die falsche Richtung gegangen, das Image der österreichischen, zur Privatisierung anstehenden Industrie- bzw. den zur Privatisierung anstehenden Dienstleistungsbetrieben wurde von vorneweg ruiniert, denn wenn argumentiert wird »... das alte Management war so schlecht, wir schmeißen es hinaus, bevor noch die Verträge ausgelaufen sind ...«. »... ein neues Management muss her ...«. Man hat zwar niemand an der Hand und sucht mit Hilfe von Head-Huntern verzweifelt nach »Wunderwuzis«. Da muss sich natürlich der Eindruck in der Öffentlichkeit ergeben, mit dem Betrieb geht es bergab.

Eher das Gegenteil ...

Natürlich wissen alle Eingeweihten, dass z. B. der Generaldirektor der Bundesbahnen nicht gehen musste, weil er die Bundesbahn in einen Abgrund gefahren hätte, eher ist das Gegenteil der Fall. Nach langen Jahren des Vegetierens wurde eine Entwicklung durch richtige Strategien eingeleitet, nämlich Verlagerung auf Güterverkehr und die Vernachlässigung des Personenverkehrs, durch die mehr als erträgliche Ergebnisse erzielt werden konnten. Aber, ein neuer Mann muss her, der alte ist offensichtlich politisch nicht so eingefärbt wie die Regierung und ihre Helfer aus der Reihe der Heinzel-Männer es verlangen. Weitere Beispiele gewünscht? Die Telekom wurde zwar von früheren Regierungen ausgenommen wie eine Weihnachtsgans und hinsichtlich ihres Investitionsbedarfs auf den Kapitalmarkt und auf Kredite verwiesen, aber sie hat schwierige Umstellungen und eine Liberalisierung erträglich hinter sich gebracht und da nun eine neue Führungsgarnitur installiert werden soll, muss der alten Führungsgarnitur ein schlechtes Image angehängt werden. Nun darf dabei nicht vergessen werden, die Teilnehmer am Casino, die Börsianer, die Züricher Gnome wissen nicht immer genau, was da eigentlich politisch gespielt wird und was hinter diesem Wechsel des Managements steckt. Vermutet wird das Nächstliegende: ein betriebswirtschaftlicher Misserfolg. Also wird das Unternehmen von den so genannten Analysten heruntergestuft. Dazu kommt noch, dass man dann überhaupt keinen Mann mit Renommee und entsprechenden Qualifikationen finden kann, der sich den Streit antut, denn die, die für eine Topposition in Frage kommen, wissen, was gespielt wird und wollen sich auf dieses Spiel nicht einlassen. Die Kapitalmarktteilnehmer sind misstrauisch geworden und erwarten sich von einem Management, das nur aus politischen Gründen installiert wurde, keine besonderen Erfolge. Und nicht jeder ist davon überzeugt, dass neue Besen gut kehren, nur weil sie einer politischen Seilschaft passen, die gerne an die Macht und an die Futtertröge will. Die österreichischen Beobachter der Szene sind jedenfalls schon entsprechend misstrauisch geworden und vermuten, dass nicht hervorragende Industriekapitäne gesucht werden, sondern man politische Gegner loswerden will und eigene Leute installieren will, natürlich mit dem Hintergrund, dabei auch in irgendeiner Weise zu profitieren.

Schlechte Karten für die Arbeitnehmer

Dass für die österreichischen Arbeitnehmer daraus unerfreuliche Konsequenzen erwachsen werden, liegt wohl auf der Hand. Die Gewerkschaftsbewegung ist freilich kaum in der Lage, in derartige strukturelle politische Entscheidungen einzugreifen und sie im Interesse ihrer Mitglieder zurechtzubiegen.

Mit der Schwächung der Sozialpartnerschaft ist auch der Einfluss des Gewerkschaftsbundes auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen heruntergestuft worden. Ursprünglich war ja die Idee der Sozialpartnerschaft - und damit sind wir wieder beim Anfang -, gewerkschaftlichen Einfluss in allen Bereichen des Wirtschaftslebens zu verankern. Es ist den Regierenden schon in den letzten Jahren im Zuge der internationalen Entwicklungen gelungen, den Einfluss des Gewerkschaftsbundes zurückzudrängen. Der Gewerkschaftsbund hat auch vielleicht zu wenig neue Initiativen entwickelt, zu wenig auf neue Entwicklungen gesetzt und sich zu wenig als große reformatorische Kraft betätigt. Aber in diesem Punkt ist ja noch nicht aller Tage Abend und sobald die Massen erkennen werden, wie ihre Interessen geschädigt werden und wie Versprechungen, die man gemacht hat, genau ins Gegenteil umschlagen und sobald sie auch erkennen, dass Steuerpolitik nicht in ihrem Interesse gemacht wird und nicht jede Sanierung des Staatshaushaltes wirtschaftsfördernd und wohlfahrtssteigernd wirkt, sondern Interessen einer relativ kleinen Klasse dient, wird sie auch Initiativen von der Gewerkschaftsbewegung erwarten.

Unsere Gewerkschaftsbewegung wäre daher gut beraten, nicht nur eine mehr oder weniger erfolgreiche Verteidigung erreichter Rechte und Vorteile zu betreiben, sondern sich auf neue Entwicklungen einzustellen, neue Initiativen zu entwickeln, um den Boden wieder zu gewinnen, der in den letzten Jahren verloren gegangen ist.

Dass dies nicht ohne entsprechende politische Veränderungen erreicht werden kann, sollte aber auch jeder- mann klar sein, der voll Unbehagen die gegenwärtige Entwicklung beobach- tet. Was sich daraus ergibt, liegt auf der Hand. Die Gewerkschaftsbewegung darf sich nicht nach amerikanischem Vorbild auf einen Lohnautomaten reduzieren lassen. Sie muss erkennen, dass die rechts-, links-, je nach Bedarf populistische Tendenz, die es ja nicht nur in Österreich gibt, den ÖBG und die Kammern - wohlgemerkt nicht nur die für Arbeiter und Angestellte - am liebsten liquidieren würde. Die Gegenstrategie muss sowohl die Behauptung bestehender Positionen sein wie auch die organisatorische Anpassung an veränderte Wirtschaftsstrukturen und Wiedergewinnung des umfassenden Einflusses in der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik. Dass dies auf gesamteuropäischer Ebene eine gewaltige Aufgabe ist, bleibt unumstritten.

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(C) AK und ÖGB

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