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Humanitäre Katastrophe | Gewerkschaftsarbeit in Kolumbien

Es gibt kaum Deprimierenderes als die Berichte der Menschenrechtsabteilung des kolumbianischen Gewerkschaftsbundes CUT. Erfasst wurden bis Ende Mai mindestens 44 Opfer von »Morden durch die paramilitärischen Gruppen der extremen Rechten«, wie Jesus Antonio Gonzalez Luna von der Menschenrechtsabteilung der CUT ausführt. Auf ihn wurde im August 1999 selbst ein Attentat verübt, das seinen Leibwächter das Leben kostete. Seit Gründung des größten kolumbianischen Gewerkschaftsbundes 1987 sind mehr als 3000 Tote zu beklagen. Nicht einer der Täter wurde bestraft. Wie kann man unter solchen Bedingungen überhaupt noch arbeiten?

Angst um Arbeitsplatz und Leben sind allgegenwärtig, doch erstaunlich viele engagieren sich für ihre Rechte als Arbeiterinnen und Arbeiter. Der CUT gehören mehr als eine halbe Million Mitglieder an.

Blumenindustrie: Einschüchterung

In der Hochebene um die kolumbianische Hauptstadt auf etwa 2600 Metern herrscht ewiger Frühling. Mit den fruchtbaren Böden und den billigen Arbeitskräften die wichtigste Voraussetzung für den Boom der Blumenindustrie. 60.000 Arbeitsplätze - vornehmlich für Frauen - entstanden, Gewerkschaften wurden durch Einschüchterung im Keim erstickt. Und doch treffen sich an einem Samstagnachmittag in einem Armenviertel mehr als 50 Personen, um über ihre Probleme in den Plantagen zu sprechen. »Was kann ich machen, wenn Gift gespritzt wird, während wir noch im Gewächshaus sind?«, fragt eine junge Frau. Der Unternehmerverband hat ein »Umweltprogramm«, doch Arbeitsrechte gehören nicht dazu. »Als wir in La Celestina die gelbe Gewerkschaft in eine unabhängige Gewerkschaft verwandelt haben, hagelte es Drohungen und Entlassungen.« La Celestina ist eine der größten Blumen-»Fabriken«, die mehr als 2000 Menschen beschäftigt und viel nach Europa exportiert. 15 Personen wurden entlassen. »Wir waren mehr als zehn Jahre bei der Firma, nie gab es einen Tadel. Doch der Chef hat uns sofort gefeuert, als er über einen Spitzel erfahren hat, dass wir die neue Gewerkschaft mit tragen.« Margerita Rosa (Name geändert) steht vor dem Nichts, sie und ihr Mann gehören zu den Entlassenen.

Im Betrieb geht die Angst um. »In Kolumbien verschwinden viele Gewerkschafter, und niemand weiß, wer sie ermordet hat«, droht der Geschäftsführer unverhohlen. Bislang zeigt diese Einschüchterung nur bedingt Wirkung. Kürzlich gründeten die Arbeiter von La Celestina und anderer Plantagen eine betriebsübergreifende Gewerkschaft. Ob sie gegen die mächtigen Blumenunternehmer, die eng mit der politischen Elite in Bogotá verbunden sind, ankommen kann, muss sich zeigen. Der Schritt zur branchenweiten Organisierung ist richtig, krankt doch die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung an einer Zersplitterung in mehrere tausend Betriebsgewerkschaften. Im Blumensektor gab es auch Fehler »einer traditionellen linken Gewerkschaftspolitik, die der spezifischen Situation von Arbeiterinnen, speziell der Blumen-Frauen keinen besonderen Stellenwert einräumte. Es ging nur darum, auf den Staat Druck auszuüben«, räumt der Vorsitzende der CUT, Lucho Garzon, ein (siehe Interview).

Braukonzern Bavaria: Legale Zerschlagung

Doch eine politisch flexible und national angelegte Gewerkschaft ist keine Garantie fürs Überleben, wie die jüngste Geschichte von Sinaltrabavaria zeigt, der Gewerkschaft des Getränkekonzerns Bavaria. Sein Bier verkauft sich im letzten Dorf, der 71 Tage dauernde Streik zum Jahreswechsel stand in allen Zeitungen. »Das Management hat den Tarifvertrag gekündigt und wollte die in langen Kämpfen der vergangenen 50 Jahre erreichten Sozialstandards mit einem Federstrich abschaffen«, erläutert Gewerkschaftschef Hebert Maradiago. Es ging insbesondere um Rechte der Gewerkschafter im Betrieb und die Arbeitsplatzsicherheit.

Seit der Arbeitsreform von 1990 gibt es in Kolumbien fast nur noch Zeitverträge von wenigen Monaten, die eine gesicherte Lebensplanung und eine gewerkschaftliche Organisierung fast unmöglich machen. »Bei Bavaria haben die mehr als 6000 Beschäftigten unbefristete Festverträge - und überdurchschnittliche Löhne.« Liegt der gesetzliche Mindestlohn in Kolumbien bei umgerechnet 130 US-Dollar pro Monat, was für ein menschenwürdiges Leben viel zuwenig ist, verdient man bei Bavaria mehr als das Dreifache. Genug Gründe also für das Management, den Tarifvertrag einseitig zu kündigen.

Die gewerkschaftliche Solidarität war groß, die Streikenden in ihren Zelten vor den Fabriken von Bavaria wurden materiell von anderen Sektoren unterstützt. Bill Jordan, der Generalsekretär des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG), protestierte beim kolumbianischen Präsidenten Pastrana gegen die Verletzung gewerkschaftlicher Grundrechte. Das Management Bavarias blieb aber hart, und auf Veranlassung des Arbeitsministers ist der Konflikt nun vor einem Schiedsgericht anhängig. Jeder »Kompromiss« wird faktisch den gültigen Tarifvertrag schwächen, das Recht auf Tarifverhandlungen ist ausgehebelt. Viele Beobachter sehen in dem Konflikt den Anfang vom Ende der letzten großen Gewerkschaft im privaten Sektor. Alle anderen sind bereits auf mehr oder weniger »legale« Weise zerschlagen.

Erdöl: Mord und Exil

Weit brutaler geht es im kolumbianischen Erdölsektor zu. Auch hier gibt es eine traditionsreiche Gewerkschaft: die USO. In ihrer 80-jährigen Geschichte vermochte sie, mit der ECOPETROL eine staatliche Erdölgesellschaft und ordentliche Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Inzwischen aber sind ein Dutzend multinationaler Ölkonzerne in Kolumbien eingezogen: Texaco, BP, Total, Chevron - alle großen Namen sind vertreten. Und in ihren Niederlassungen kriegt die USO kein Bein auf die Erde.

»Als Komplizen der Tragödie«, bezeichnet Fredy Pulecio vom USO-Vorstand, der in Brüssel im Exil lebt, die Ölmultis. Bekannt geworden ist die Rolle der britischen BP. Für den Schutz ihrer Anlagen hat sie Gelder an die kolumbianische Armee gezahlt, deren notorische Rolle in Menschenrechtsfragen bestens dokumentiert ist. Schlimmer noch: BP übergab Videobänder über Treffen zwischen Management, Gewerkschaft und lokalen Basisbewegungen an die »Sicherheitskräfte«. Viele der Teilnehmer an diesen Versammlungen sind verschleppt worden. Dieser schmutzige Krieg wird zunehmend von staatlich protegierten paramilitärischen Gruppen erledigt. In England entstand 1998 eine Studie über die Verwicklung der BP in diesen Konflikt. »Bis heute ist sie unter Verschluss,« kritisiert Pulecio. »Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, bringt sie die BP arg in Bedrängnis.«

Die USO ist bis heute Zielscheibe der Repression. Etwa 100 ihrer Mitglieder wurden ermordet, vier ins Exil getrieben, 22 wurden verhaftet, denn die staatlichen Organe klagen sie wegen Streiks, der Störung der öffentlichen Ordnung an oder bezichtigen sie der Mitarbeit in der Guerilla. Bewiesen wurde dies in keinem Fall. Sehr wohl aber war das Zentrum der kolumbianischen Erdölindustrie, die Stadt Barrancabermeja, eine Hochburg kritischer Volksbewegungen. Heute ist die Stadt Schauplatz permanenter Massaker, die am offenen Tag durch die Paramilitärs verübt werden, gegen Frauengruppen, basiskirchliche Initiativen oder Gewerkschaften. Und die staatlichen Behörden und die Armee sehen tatenlos zu.

Normalzustand: Straflosigkeit

Das ist der Normalzustand in Kolumbien. Wer sich in einer Gewerkschaft engagiert, wer sich für soziale oder politische Menschenrechte einsetzt, steht mit einem Bein im Grab. Jedes Jahr werden in Kolumbien mehr Menschen aus politischen Gründen ermordet als während der gesamten Pinochetdiktatur in Chile. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zählen zur größten Opfergruppe. Die Täter gehen immer straflos aus. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat wiederholt die kolumbianische Regierung kritisiert, da sie weder die grundlegenden Gewerkschaftsrechte durchsetzt noch die Mörder bestraft.

Nicht nur ist die Straflosigkeit umfassend, oft weisen Spuren in den Staatsapparat. Als im vergangenen Dezember ein Attentat auf Wilson Borja verübt wurde, das der Vorsitzende der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes schwer verletzt überlebte, deuteten viele Indizien in hohe Polizeikreise. Zwar gewährt der kolumbianische Staat besonders bedrohten Personen Schutzmaßnahmen, doch auf unzureichender Basis. So beantragte Ricardo Orozco, der stellvertretende Vorsitzende der Krankenhausgewerkschaft, Anfang des Jahres Schutz durch das Innenministerium, was dieses nach Rücksprache mit dem Geheimdienst DAS ablehnte. Am 2. April wurde der Gewerkschafter in der Hafenstadt Barranquilla von Paramilitärs erschossen.

Die zahlenmäßig meisten Opfer bringt die Bildungsgewerkschaft FECODE, die stärkste Kraft in der CUT. Lehrer werden zunehmend mit Zeitverträgen beschäftigt, selbst für die Grundschule muss nun Schuldgeld entrichtet werden, die Gehälter für viele Lehrer werden oft Monate zu spät ausgezahlt. FECODE hat energisch und mit einigem Erfolg dagegen protestiert - und viele Tote zu beklagen.

Hintergrund all dieser Konflikte ist die ungerechte Verteilung des Reichtums. Kolumbien ist ein sehr reiches Land. Doch seit der spanischen Kolonialherrschaft gehören die großen Ländereien nur wenigen Familien. Das gilt heute auch für die natürlichen Ressourcen und Industrien. Wenn Bauern und Arbeiter nur ein wenig von dem Reichtum haben wollten, wurden sie von der kleinen Elite brutal unterdrückt. Daraus erklären sich auch die starke Guerilla und der Bürgerkrieg im Land, der in erster Linie die unbewaffnete Bevölkerung trifft.

Die CUT spricht von einer »humanitären Katastrophe« und fordert dringend eine offizielle Untersuchungsmission der ILO in Kolumbien. »Die ILO sollte nicht mehr schönen Reden und Versprechen lauschen, die unsere Regierung macht. Sie hat nie eine einzige umgesetzt. Für uns wäre eine solche Untersuchungskommission eine sehr sinnvolle Maßnahme und zurzeit wohl die einzige Möglichkeit, das Leben von Gewerkschaftern zu retten.«

Abkürzungen:

CUT - Central Unitaria de Trabajadores de Colombia (Vereinigter Verband der Arbeiter Kolumbiens)

FECODE - Federacion Colombiana de Educadores (Verband der kolumbianischen Erzieher)

ILO - International Labour Organisation (Internationale Arbeitsorganisation)

USO - Union Sindical Obrera (Gewerkschaftsverband der Arbeiter)

Ermordete Gewerkschafter Mai 2001

2. Mai: Dario de Jesus Silva, Mitglied der Lehrergewerkschaft von Antioquia

9. Mai: Juan Carlos Castro Zapata, von der gleichen Gewerkschaft

10. Mai: Eugenio Sanchez Diaz, Vorsitzender der Gewerkschaft der Wasserarbeiter im Cesar

14. Mai: Julio Alberto Otero, Gewerkschaft der Universitätsdozenten in Santa Marta

21. Mai: Carlos Eliecer Prado, Aktivist der Gewerkschaft der städtischen Angestellten in Cali

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