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KOMMENTAR | Bildung von gestern für ein Leben im morgen?

Merkmale einer neuen Bildung in der Informationsgesellschaft

In der pädagogischen Diskussion der letzten Jahre wurde immer häufiger die Frage gestellt, ob der herkömmliche Bildungsbegriff überhaupt noch als Orientierungskategorie bzw. als Maß des größten gemeinsamen Nenners verwendet werden kann.

Zu sehr wurden verschiedene inhaltliche Ausdifferenzierungen mit ihm verbunden, zu oft wurde er zur »Stopfgansbegrifflichkeit« degradiert, in die je nach gesellschaftspolitischer Provenienz, Alter, Geschlecht oder ökonomischer Absicht, die eigenen Wünsche, Hoffnungen, Vorstellungen bzw. Ängste hineinreklamiert wurden und er somit zum amorphen Gebilde zu degenerieren drohte.

Folgende Fragen werden oft formuliert: Ist der Begriff »Bildung« überhaupt noch tauglich, das zu charakterisieren, was im modernen Bildungsgeschehen tatsächlich abläuft? Oder ist »Bildung« ein geschichtliches Synonym von bildungsbürgerlichen Mustern des 19. Jahrhunderts, die als modernes Leitsystem schon längst obsolet sind? Was heißt nun »Bildung« eigentlich? Oder besser: Welche Eigenschaften sollte jemand haben, von dem man behauptet, er sei gebildet?

Derzeit ist es noch so, dass wir mit Bildungsinhalten bzw. Bildungsmerkmalen der Industriegesellschaft versuchen, die Probleme der Informationsgesellschaft zu lösen. Wie könnten nun Bedingungen oder Merkmale einer neuen Bildung in der Informationsgesellschaft aussehen? Um es vorwegzunehmen: Bildung darf nicht mit Information und auch nicht mit dem Begriff »Wissen« verwechselt werden. Es kann zwar jemand einer Lernmaschine gleich einer mehr oder weniger großen Inputmenge von Informationen ausgesetzt worden sein und diese auch speichern, er kann in Spezialgebieten sogar großes Wissen erworben haben, gebildet ist dieser Mensch deswegen aber noch lange nicht.

Um es noch zu verdeutlichen: Es kann jemand - um transglobale Plastikbegriffe aus dem Managementjargon zu verwenden - informiert, qualifiziert, kommunikativ-kompetent, innovativ, flexibel und teamtauglich sein (Eigenschaften, die auch ein KZ-Scherge gehabt haben mag), unserer Einschätzung nach verdient er aber nicht die Auszeichnung, als gebildet bezeichnet zu werden. Weiters könnte er ganz im Sinne der Propaganda für die unbegrenzte Adaption von Menschen an beliebig veränderbare Marktbedürfnisse - sprich »lebenslanges Lernen« - von einem teuren Seminar ins andere stolpern und sich ein wettbewerbsverschärfendes Lernpaket nach dem anderen umschnüren lassen, gebildet ist er aber wie gesagt noch lange nicht.

Denn um dem Begriff der Bildung gerecht zu werden, muss der Mensch erst beweisen, dass er das erworbene Wissen auch verantwortungsvoll, d. h. im Sinne eines prosozialen reflektierten Handelns (dazu gehören humane, demokratische, friedliche und mitmenschliche Ziele) nützt und einsetzt. Vereinfacht gesagt könnten wir die Formel aufstellen, dass in Summe Information Wissen ist und nicht Bildung; daraus resultiert »Bildung ist Wissen und Verantwortung«.

Drei Grundkompetenzen haben in diesem Zusammenhang vor allem für gewerkschaftlich, d. h., solidarisch orientierte Menschen als Voraussetzung zu gelten. Es sind dies:

1. Die Kompetenz zur Selbstbestimmung (z. B. sein Leben in beruflicher, religiöser oder moralischer Art und Weise frei von Dogmen, Indoktrination bzw. Ideologien zu gestalten).

2. Die Kompetenz zur Mitbestimmung (d. h., aktiv und verantwortungsvoll Gestaltungsinteresse an gesellschaftlichen und politischen Konditionen zu bekunden).

3. Die Kompetenz zur Solidarität (d. h., die Kompetenz zur Mitbestimmung auch im Kontext mit anderen zur verwirklichen).

Noch einige weitere Attribute müssen vor dem Hintergrund des Gesagten angesprochen werden:

a) Gerade im Bereich der rasanten technologischen Entwicklungen neigen wir dazu, so genannte Sachzwänge dafür verantwortlich zu machen, wenn wir in Passivität verharren, anstatt mitzugestalten. Bildung müsste den Willen zum Mitgestalten wecken und mögliche Wege aufzeigen. Dies ist aber nur möglich, wenn der junge Mensch sieht, dass die Entwicklung in der Gesellschaft ihm nicht wesensfremd gegenübersteht, sondern dass er Einfluss nehmen und mitgestalten kann. Im Klartext heißt das, dass man mehr jungen Menschen die Gelegenheit bieten sollte, ihren politischen Gestaltungswillen, der zweifelsfrei vorhanden ist (man denke an Greenpeace, Global 2000, Tierschutzorganisationen etc.), auch in den traditionellen politischen Institutionen verstärkt zur Geltung bringen zu lassen.

b) Informations- und Kommunikationstechniken laufen allesamt darauf hinaus, dass unsere Lebenswirklichkeit entsinnlicht wird. Unmittelbare Erfahrungen werden aus Erfahrungen zweiter Hand ersetzt. Bildungsinstitutionen aller Art müssten daher in größerem Maße die Möglichkeit bieten, konkret wahrnehmbare Sinnlichkeit zu erfahren. Bildung müsste mehr als bisher auf Handeln und Eigentätigkeit bezogen werden.

Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ein Kind z. B. das Rollen eines Reifens selbst erlebt hat, bevor es diesen Vorgang auf dem Bildschirm sieht, oder ob der Bildschirm der erste Zugang zu dieser Erfahrung ist. Dasselbe gilt auch für die Erwachsenenpädagogik. Vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die schulische Erstausbildung als prägende bzw. sensible Phase in Bezug auf Fort- und Weiterbildungsgewohnheiten im Erwachsenenalter angesehen werden muss. Erwachsene, die als Kinder und Jugendliche schlechte primäre Lernerfahrungen machen mussten, zeigen später deutlich geringeres Interesse an lebensbegleitenden Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen.

c) Unser Leben wird immer stärker durch Differenzierung und Zerstückelung gekennzeichnet. Spotinformation, rasch aufeinander folgende Bildsequenzen kennzeichnen z. B. das Fernsehen. Die neuen Technologien haben die Potenz, die Fragmentierung auf die Spitze zu treiben.

Viele schulische Maßnahmen selbst trennen im traditionellen Unterricht die einzelnen Unterrichtsgegenstände in 45-Minuten-Einheiten. Wichtig wäre es, vermehrt fächerübergreifend organisierten Unterricht anzubieten, vermehrt kreative und musische Elemente in den sprachlichen und naturwissenschaftlichen Bereich zu integrieren und anspruchsvolle Reflexion über Kunst, Musik und Sport anzuregen.

Pestalozzis Selbstverständnis von Bildung als Selbstentfaltung der Grundkräfte von Kopf, Herz und Hand könnte noch immer ein Vorbild sein.

Auch dies gilt sowohl für jüngere als auch für erwachsene Personen. In der temporeichen »24/7«-Gesellschaft (24 Stunden täglich an 7 Tagen der Woche), die sich mit ihrer Selbstdynamisierung in eine immer atemberaubendere Geschwindigkeitsspirale beschleunigt (E-Mail, Handy, Fax, Mailbox, Online-Banking, Online-Shopping) wird es immer wichtiger, dass Bildungsaktivitäten und Bildungsorte auch dazu dienen, die sozial feindlichen Komponenten der digitalen Hochgeschwindigkeitsgesellschaft zu kompensieren. Bildungsorte müssen verstärkt auch Orte der Ruhe und Muße sein, wo man stresslos nachdenken kann über menschlich Belangvolles und gemeinsam die Möglichkeit hat zu reflektieren bzw. die Kunst des Zuhörens wieder erlernt.

d) Bildung darf kein Privileg einiger Auserwählter sein, sondern ist ein menschliches Grundrecht, das allen zusteht.

Daher steht ein neuer Bildungsbegriff in der Informationsgesellschaft vor allem auch im Widerspruch zur Forderung nach Elitebildung. Es ist nahe liegend, dass ein Bildungssystem, das elitäre Leistungen überbetont, ohne sich um die Vorgeschichte dieser Leistungen Gedanken zu machen, nicht Verbesserungen im Sinne hat, sondern schlicht und einfach alte Hierarchien zementieren will. Wichtiger als fragwürdige Überleistungen zu fördern wäre es, finanzielle und geistige Aufwendungen zu tätigen, um allen Kindern ein leichteres Zustandekommen von prosozialen Leistungen zu gewährleisten. Eines ist klar: In einem elitären System sind Unwissende immer logischer Baustoff und Unterfutter für eine sich dadurch überhebende elitäre Oberschicht.

Anders ausgedrückt: Eliten instrumentalisieren Unwissende für ihre egoistischen Zwecke. Bekanntlich wird die Forderung nach Elitenförderung nur allzuoft von einer zynischen Herrenarroganz getragen, die in einem modernen Bildungsverständnis logischerweise keinen Platz haben darf. Für die Merkmale eines zeitgemäßen und sozialtauglichen Bildungsverständnisses würde dies bedeuten, dass die gesamte Jugend erfahren muss, dass Lernen im Kontext der Gemeinsamkeit Spaß macht und auch etwas mit Muße zu tun haben kann.

Kooperation, Interaktivität und Partizipationsfähigkeit müssten die Schlüsselworte eines neuen Bildungsansatzes sein. Von teuren Nachhilfelehrern künstlich kognitiv hochgepuschte und in ihrer altersadäquaten Entwicklung gestörte 15-jährige Maturanten können sicher nicht unser Ziel sein.

Übrigens: Es ist mehrfach belegt, dass Buben öfter als Mädchen, Kinder der Mittel- und Oberschicht häufiger als solche der Unterschicht einen eigenen Computer besitzen. Es ist anzunehmen, dass diese Kinder vom gegenwärtigen und vor allem vom zukünftigen Lernangebot mehr Gebrauch machen werden und daher bessere Zukunftschancen haben.

Schon in naher Zukunft wird ein großer Teil des Wissens dieser Welt im Prinzip für jeden an jedem Ort, jederzeit abrufbar sein, aber jene, die keine Computerkenntnisse haben, werden stark benachteiligt sein. Damit es nicht zu einer weiteren Zweiteilung der Gesellschaft in eine Informationselite und in ein Informationsproletariat kommt, müsste dafür gesorgt werden, dass der Zugang zu Informationen für alle gleich ist. Gleichzeitig brauchen wir in einem zukunftsorientierten Bildungssystem, das den Begriff Bildung verdient, eine neue und deutlich schwerpunktgesetzte kritische Auseinandersetzung im Zusammenhang mit einer informations- und kommunikationstechnologischen Grundbildung.

Dies bedeutet, eine Selbstverpflichtung aller pädagogischen Verantwortlichen zur Reflexion über die Wirkungen neuer Technologien auf das soziale Gefüge und die damit abzuschätzenden sozialen Folgen für die sie benutzenden Menschen.

Dieser Kommentar des Leiters der Otto-Möbes-Akademie ist als Diskussionsbeitrag zu verstehen. Widersprüche und Entgegnungen sind erwünscht ...

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