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Was zählt, ist das Können der Arbeitnehmer

Das aktuelle Interview mit AK-Präsident Herbert Tumpel

Arbeit & Wirtschaft: Kollege Tumpel, die Regierung hat Bildung zu einem Schwerpunkt erklärt. Tatsächlich schaut es aber so aus, als wäre die Bildung ein Kürzungsposten ...

Herbert Tumpel: Zumindest ist der Schwerpunkt Bildung bisher nicht mehr als eine schöne Überschrift ohne Inhalt. Die Realität schaut ganz anders aus. Trotz Milliarden-Förderungen bilden die Unternehmen von Jahr zu Jahr weniger Lehrlinge aus. Die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen platzen aus allen Nähten. Die Fachhochschulen müssen jedes Jahr Tausende abweisen, weil sie zu wenig Plätze haben. Bei der Weiterbildung wird gekürzt und gestrichen. Was wir brauchen, ist eine wirkliche Offensive in der Aus- und Weiterbildung. Denn es ist das Können jeder einzelnen Arbeitnehmerin und jedes einzelnen Arbeitnehmers, das zählt.

A&W: Gut ausgebildete Arbeitnehmer zum Nulltarif wird es aber nicht geben.

Recht auf Ausbildung

Tumpel: Natürlich nicht, dafür müssen Regierung und Wirtschaft Geld in die Hand nehmen. Das ist eine Investition in die Zukunft. Die Wirtschaft ruft immer nach Fachkräften, aber für deren Ausbildung macht sie viel zu wenig. Für 7500 Jugendliche, die dringend eine Lehrstelle suchen, bietet die Wirtschaft gerade 3500 offene Lehrstellen. In Wien gibt es zurzeit 120 junge Mädchen und Burschen, die eine Ausbildung als EDV-Techniker machen wollen, weil das ein Beruf mit Zukunft ist. Für die bietet die Wirtschaft keine einzige Lehrstelle an. Diese Jugendlichen haben nichts von einer offenen Lehrstelle in Tirol. Und sie haben nichts von einer offenen Friseur-Lehrstelle, wenn sie einen Zukunftsberuf wie EDV-Techniker erlernen wollen. Es müssen aber alle Jugendlichen das Recht auf eine Ausbildung haben. Dafür brauchen wir genügend Plätze im Auffangnetz zur Jugendausbildung. Dafür muss die Regierung genug Geld bereitstellen. Dann kommen wirklich alle Jugendlichen zu einer guten Erstausbildung. Aber auch die Lehrlingsausbildung muss verbessert werden. Alle Betriebe sollen in einen Topf einzahlen. Die Betriebe, die wirklich Lehrlinge ausbilden, sollen mit diesem Geld gefördert werden. Wir brauchen moderne Ausbildungsverbünde und wir brauchen eine verpflichtende Ausbildung für die Ausbilder, damit sie immer auf dem letzten Stand sind.

»Bei der Weiterbildung wird gekürzt und gestrichen. Was wir brauchen, ist eine wirkliche Offensive in der Aus- und Weiterbildung. Denn es ist das Können jeder einzelnen Arbeitnehmerin und jedes einzelnen Arbeitnehmers, das zählt. «

Berufsausbildung

A&W: Besonders krass ist die Situation an den berufsbildenden Schulen ...

Tumpel: Diese Schulen platzen wirklich aus allen Nähten. Vor allem an den Schulen mit einem EDV-Schwerpunkt bewerben sich dreimal so viele Jugendliche wie es Plätze gibt. Etwa an der Wiener HTL am Rennweg. Da haben sich mehr als 1000 Mädchen und Burschen beworben. Es gibt aber nur 270 Plätze. Die Jugendlichen, die keinen Platz an ihrer Wunschschule bekommen, weichen auf andere Fachrichtungen aus. Zufrieden sind sie damit aber nicht. Bei einer Studie, die wir in Auftrag gegeben haben, sagen 42 Prozent der Schüler an wirtschaftlichen Fachschulen: Das ist nicht meine Wunschausbildung.

»Wir brauchen dringend mindestens 6000 neue Plätze an den berufsbildenden Schulen. Und das Angebot der Schulen muss besser auf die Anforderungen der Wirtschaft abgestimmt werden.«

Wir brauchen dringend mindestens 6000 neue Plätze an den berufsbildenden Schulen. Und das Angebot der Schulen muss besser auf die Anforderungen der Wirtschaft abgestimmt werden.

Ein Jugendlicher, der eine IT-Ausbildung oder eine internationale kaufmännische Ausbildung will, hat nichts von einem Platz an einer landwirtschaftlichen Fachschule. Und noch etwas hat unsere Studie gezeigt: 40 Prozent der Schüler sagen, die Wahl der Schule »hat sich einfach so ergeben«. Wir brauchen dringend mehr Berufsorientierung für die Schüler.

Weiterbildung

A&W: An den Fachhochschulen ist das Bild ähnlich.

Tumpel: Gerade die Fachhochschulen bieten die beste Ausbildung für Zukunftsberufe. Im Herbst hat es für Anfänger in ganz Österreich 5400 Plätze gegeben. Beworben haben sich aber 18.000 Personen. Das Bildungsministerium fördert aber nur 600 neue Plätze pro Jahr. Das ist so gut wie nichts. Wir brauchen mehr Plätze und wir brauchen neue Fachhochschulen in zukunftsweisenden Bereichen wie IT, Biotechnologie oder Energietechnik.

A&W: Die Regierung sagt, Weiterbildung sei ein ganz zentraler Punkt der Bildungspolitik.

Tumpel: Das ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Für die Erwachsenenbildung gibt die Regierung ganze 0,1 Prozent des Bildungsbudgets aus. Sogar in Zeiten einer steigenden Arbeitslosigkeit fehlt das Geld für Qualifizierungsmaßnahmen, weil der Finanzminister das Geld fürs Budget abschöpft.

Dabei ist den Arbeitnehmern die Weiterbildung wichtig. Drei Viertel der Arbeitnehmer sagen, Weiterbildung ist wichtig für mein Vorwärtskommen. Aber nur ein Drittel der Arbeitnehmer bekommt vom Betrieb auch die Chance, mit dem Fortschritt Schritt zu halten.

Vor allem Frauen, ältere Arbeitnehmer, Arbeiter und einfache Angestellte haben kaum eine Chance auf eine Weiterbildung im Betrieb. Nur jeder zehnte Arbeitnehmer kann es sich leisten, sich auf eigene Kosten weiterzubilden. Weil Weiterbildung immer mehr kostet. Die Preise für EDV-Kurse etwa haben sich in den vergangenen Jahren verdreifacht.

Bildungsgutschein

Von den Arbeitnehmern wird immer mehr verlangt. Sie sollen flexibel arbeiten, gut ausgebildet sein und sich ständig weiterbilden. Dann müssen sie sich Weiterbildung aber auch leisten können. Und gerade da wird die Arbeiterkammer aktiv. Im Rahmen von AK plus bieten wir unseren Mitgliedern den Bildungsgutschein an. Der Gutschein hat einen Wert von 100 Euro und ist ein wichtiges Startkapital für mehr Chancen im Beruf. Der Gutschein kann, etwa in Wien, bereits im ersten Semester am bfi und an den Volkshochschulen für mehr als 700 Kurse eingelöst werden.

»Weiterbildung ist für die Regierung nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Für die Erwachsenenbildung gibt die Regierung ganze 0,1 Prozent des Bildungsbudgets aus. Sogar in Zeiten einer steigenden Arbeitslosigkeit fehlt das Geld für Qualifizierungsmaßnahmen, weil der Finanzminister das Geld fürs Budget abschöpft.«

Die Hälfte der Kurse sind EDV-Kurse, weil Computerkenntnisse für alle Arbeitnehmer immer wichtiger werden. Ein zusätzliches Plus gibt es für Eltern in Karenz. Sie erhalten noch einmal 50 Euro extra - damit der Wiedereinstieg nach der Karenz leichter fällt. Und bei den meisten Kursen für Karenzurlauberinnen gibt es auch noch Kinderbetreuung. Wir schauen darauf, dass Beruf und Familie kein Widerspruch sind.

Aber auch die Wirtschaft und die Regierung müssen mehr für die Weiterbildung tun. Ich verlange 100 Millionen Euro für die Weiterbildung, damit sich alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Weiterbildung leisten können. Wir brauchen eine Mindest-Weiterbildungszeit von einer Woche. Das verlangt auch die EU. Und das Nachholen des Hauptschulabschlusses oder eines Lehrabschlusses oder die Berufsreifeprüfung müssen kostenlos sein. Es müssen alle Arbeitnehmer die Chance auf ein Vorwärtskommen im Beruf haben.

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(C) AK und ÖGB

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