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Neoliberale Institutionen
Struktur der WTO
Deregulierung sozialer Sicherheit

Deregulierung der sozialen Sicherheit | Der WTO-Vertrag und seine Auswirkungen auf die Arbeitnehmer

Der WTO-Vertrag ist ein wesentlicher Baustein der neuen neoliberalen Weltordnung mit dem Ziel des weltweiten Rückzugs des Staates aus Wirtschaft und Gesellschaft. In seiner Wirkungsweise und Anwendung trägt er in die europäische Kulturtradition zutiefst antidemokratische Züge, weil die berufenen gesetzgebenden Institutionen entmündigt werden und sie jegliche Kontrolle über den Gesetzesprozess verlieren. Hier bieten wir eine Reise durch den Dschungel des Vertrages, auf der vergeblichen Suche nach den Rechten der Arbeitnehmer.

Die WTO-Mitgliedsländer - darunter Österreich - vereinbarten im Dezember 1993 einen Vertrag von fast 25.000 Seiten Umfang, der fast alle nationalen Gesetze über Wirtschaft und Gesellschaft dereguliert.

25.000 Seiten

Der WTO-Vertrag besteht aus 28 »Hauptkapiteln« (z. B. Vertrag über die Gründung der WTO, Zölle, Landwirtschaft, Dienstleistungen, geistiges Eigentum), aus Protokollen und aus so genannten »Länderlisten«. Die eigentliche, aus dem Vertrag selbst aber nicht ersichtliche Substanz besteht aus zwei Kategorien dieser »Länderlisten«:

  • Jedes der nunmehr 144 WTO-Mitgliedsländer musste bekannt geben, welche nationalen Gesetze vom »WTO-Vertrag« betroffen sind (Länderliste Kategorie 1).
  • Jedes Mitgliedsland hatte der WTO mitzuteilen, inwieweit es beim Vertragsabschluss 1993 seine nationalen Gesetze (Länderliste Kategorie 2) dereguliert (dies hat dann weltweite Geltung, das heißt, für einen ausländischen Unternehmer gilt nicht mehr das entsprechende österreichische Gesetz, sondern was dazu in der WTO steht - der »freie« Markt).

Wer den WTO-Vertrag in seiner Auswirkung verstehen will, liest am besten eines der »WTO-Übereinkommen« (z. B. »Multilaterale Übereinkunft über den Handel mit Dienstleistungen«). Dort erfährt man, welche deregulierenden Gesetze weltweit aufgrund dieses Hauptkapitels für den weit gefassten Dienstleistungsbereich gelten. Um aber zu erfahren, was unter Dienstleistungen gemeint ist, muss man sich in der Länderliste durcharbeiten.

Deregulierung als Programm

Aus dieser »Länderliste Österreich - Dienstleistungen« erkennt man, dass darunter auch der Arbeitsmarkt, die sozialen Netze, der Gesundheits- und Bildungsbereich als »Dienstleistungen« definiert sind. Das heißt, dass die österreichische Gesetzeslage aus dem Jahr 1993 - beim Verhandlungsabschluss des WTO-Vertrages - von ihm berührt ist. Wer sich so weit vorgearbeitet hat, schlage beispielsweise im Dienstleistungskapitel unter »Finanzdienstleistungen« nach; er kommt zur Position »Versicherungen« und landet dann - Überraschung - bei »Sozialversicherungen«. Das bedeutet, dass die gesamte österreichische Gesetzeslage zum Thema »Sozialversicherungen« vom WTO-Vertrag deregulierend betroffen ist.

Um herauszufinden, wieweit die österreichischen Sozialversicherungen vom WTO-Vertrag aktuell betroffen sind, muss man sich aus der zweiten Kategorie von »Länderlisten« wiederum nach dem Schema Dienstleistungen - Finanzdienstleistungen - Versicherungen - Sozialversicherungen durcharbeiten. Dort ist noch nichts eingetragen.

Anhand dieses Beispiels ist ersichtlich, dass Österreich (wie alle anderen EU-Mitgliedstaaten) die gesetzliche Sozialversicherung dem WTO-Vertrag unterworfen hat, aber bislang noch keine gesetzliche Bestimmung dazu der weltweiten Deregulierung preisgegeben hat. Und erst jetzt empfiehlt es sich, im »Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) vom 15. April 1994« nachzulesen, was Aufgabe, Ziel oder Instrument der WTO eigentlich wirklich ist. Das ist der Schlüssel, um den WTO-Vertrag in seiner Wirkung, wem er hilft und wem er schadet, zu erfassen.

Cui bono?

Dieses Gesamtwerk (WTO-Vertrag, Hauptkapitel und Länderlisten, Protokolle) steht über der österreichischen Bundesverfassung und ist auch für die Europäische Union bindend:

  • Alle in der ersten »Länderliste« enthaltenen Gesetze können auch bei einer hundertprozentigen Ablehnung im österreichischen Nationalrat bzw. von den Europäischen Organen nur noch in eine Richtung weiterentwickelt werden: Sie sind zu deregulieren!
  • Die Substanz der zweiten Liste ist den gesetzgebenden Organen der WTO-Mitgliedstaaten überhaupt entzogen und wurde bereits dem Nirwana des weltweit freien Marktes anvertraut.

Österreich verhandelt in der WTO nicht selbst, sondern die EU-Kommission für die EU-Mitglieder, die für diese Verhandlungen bis jetzt ein einstimmiges Verhandlungsmandat benötigt.

Wie wird der WTO-Vertrag gerechtfertigt?

Der WTO-Vertrag zielt darauf ab, sämtliche Gesetze betreffend Wirtschaft und Gesellschaft zu deregulieren, ja zu entfernen, weil die WTO selbst keine Regulierungskompetenz hat. Die Deregulierung von Wirtschaft und Gesellschaft - der Rückzug des Staates - ist das Grundpostulat des Neoliberalismus, der WTO-Vertrag ist eines der wichtigsten Instrumente dazu.

Die Verfechter dieser Philosophie argumentieren dieses gigantische Deregulierungsprogramm mit ökonomischen Zusammenhängen:

  • Liberalisierung/Deregulierung führt zu steigendem Welthandel,
  • dieser führt zu vermehrtem Wirtschaftswachstum,
  • und dieses schließlich bedeutet höheren Wohlstand.

Diese Argumentationskette stellt aber nur die Hälfte der Botschaft der so genannten »klassischen Außenhandelstheorie« dar.

Die ignorierte andere Hälfte lautet:

  • Dabei gibt es Gewinner und Verlierer.
  • Daher muss das Ergebnis dieses Prozesses so sein, dass die Gewinner die Verlierer kompensieren können,
  • und daher bedarf es eines Verteilungsmechanismus.

Die entscheidende Frage für die Arbeitnehmer überall auf der Welt lautet daher: Wie kommt der über den Weg der weltweiten Deregulierung versprochene Wohlstand zu denen, die ihn geschaffen haben?

Und: Wie soll er in Zukunft zu den Arbeitnehmern kommen, wenn die heute bestehenden Verteilungsmechanismen - als eine Grundlage unseres derzeitigen Wohlstandes - über die WTO entfernt werden und parallel dazu sich für alle Zukunft kein Verteilungsmechanismus über den Weg des Staates herausbilden darf?

Die täglichen Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung werden in den wirtschaftlich hoch entwickelten Staaten durch staatliche Gesetze mehr oder weniger gut abgesichert. Werden die grundlegenden Bedürfnisse über den freien Markt gedeckt, dann bestenfalls kurzfristig und selektiv, meist nur für die Besserverdiener.

Klar gegen die Interessen der Arbeitnehmer?

Der größte Teil der Arbeitnehmer hat so geringe Einkommen, dass Schulgeld oder Studium der Kinder, Arzt, Medikamente oder Spitalskosten für sie nicht selbst finanzierbar sind.

Wenn wir aber zum Ausgangspunkt dieses Beitrages zurückkehren,

  • also wie man den WTO-Vertrag lesen kann, über dessen Hauptkapitel, die Länderlisten und ihre Bedeutung - dargestellt anhand des Dienstleistungsabkommens (GATS)1) -, und diesen mit den grundlegenden täglichen Interessenlagen der Arbeitnehmer verbinden, dann müssen wir feststellen:
  • Alle wesentlichen Interessen der Arbeitnehmer bedürfen staatlicher Gesetze, weil sie nur so gedeckt werden können.
  • In der WTO-Systematik sind alle die Arbeitnehmer unterstützenden Gesetze im Hauptkapitel »Dienstleistungen« (GATS) erfasst.
  • Alle wesentlichen Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer sind in den WTO-Länderlisten ebenfalls bereits erfasst.
  • Sie sind daher zu deregulieren, sprich zu entfernen, ohne dass irgendeine andere Instanz jemals das Regulierungsrecht eingeräumt bekäme.
  • In dieser Konstruktion und mit den ihr auferlegten Prozeduren und vor allem infolge ihrer extrem einseitigen Ausrichtung ist die WTO ein Programm, das klar gegen die Interessen der Arbeitnehmer ausgerichtet ist.

Welche Kräfte?

Bei der Durchsetzung des Rückzuges des Staates aus Wirtschaft und Gesellschaft ist die WTO eines der wichtigsten Instrumente jener Kräfte, die diesen Rückzug weltweit wünschen. Sie ist jedoch bei weitem nicht das einzige Instrument, um dieses Ziel zu erreichen (siehe Abbildung 1).

So verfügt die WTO selbst über keinen ausreichenden wissenschaftlichen Stab, diese Rolle übernimmt zu einem Großteil die OECD. Hier handelt es sich im Wesentlichen um die weltweit 29 reichsten Länder der Welt.

Die OECD und ihr Expertenstab sind damit für die Industrieländer von unschätzbarem Vorteil, sind die Konzepte für die WTO doch weitgehend ident mit den Konzepten der Industriestaaten. Noch wichtiger ist, dass die OECD-Mitgliedsländer damit über ein politisches wie auch technisches Koordinierungsinstrument verfügen, dem die übrigen WTO-Mitgliedsländer - die über achtzig Prozent der Stimmen in der WTO haben - nichts Gleichwertiges gegenübersetzen können. Aus dem Kreis der 29 OECD-Länder entstanden die G-7, die seither ihre wirtschaftlichen Interessen zu koordinieren versuchen. Wichtig ist dabei vor allem die Demonstration, dass koordiniert (und dabei auf die Konzepte der OECD zurückgegriffen) wird.

Kontrollverlust

Als Nächstes geht es um die Darstellung wichtiger WTO-Regeln und -verfahren, deren Grundkenntnis für das Gesamtverständnis und vor allem für die Bedeutung im Hinblick auf die wesentlichen Interessen der Arbeitnehmer ist.

Verdeutlicht werden soll deren Wirkungsweise anhand des Arbeitsmarktes und der Bestimmungen der WTO-Verträge, genauer des Dienstleistungsabkommens (GATS). Der freie Markt stellt weder Vollbeschäftigung noch geordnete Arbeitsmärkte her. Wenn sich daher jeder Staat aus der Arbeitsmarktgesetzgebung zurückziehen muss, werden weltweit die Arbeitsmärkte total außer Kontrolle geraten.

In einer Welt ungeordneter (»freier«) Arbeitsmärkte steht jeder Arbeitnehmer bei den Verhandlungen um einen Arbeitsvertrag dem Unternehmer auf sich allein gestellt gegenüber. Der Arbeitnehmer muss arbeiten, um überleben zu können. Der Arbeitgeber kann hingegen »warten«, und allein dadurch verfügt er über die stärkere Verhandlungsposition, die mit dem Arbeitskräfteangebot zunimmt.

Daher ist es für die Arbeitnehmer von existenziellem Interesse, dass die Arbeitsmärkte geordnet sind und dass Vollbeschäftigung herrscht. Beides kann nur mit Hilfe der Gewerkschaften herbeigeführt und durch staatliche Gesetze abgesichert werden.

Der Deregulierungsstand

Im WTO-Dienstleistungsabkommen (GATS) besteht im Hinblick auf den europäischen Arbeitsmarkt derzeit folgender Deregulierungsstand:

1. Die Kompetenzen im Hinblick auf das GATS sind bei der Arbeitsmarktgesetzgebung zwischen EU und Mitgliedstaaten geteilt.

2. Im GATS ist für die Arbeitnehmer die Liberalisierung des Zutrittes von ausländischen Arbeitskräften in den inländischen Arbeitsmarkt von substanzieller Bedeutung, weil damit das Arbeitsangebot im Inland definiert wird. Dieses Element der Arbeitsmarktgesetzgebung ist vom allgemeinen Deregulierungsansatz des GATS betroffen, damit ist ein begrenzender Rahmen für eine künftige europäische und in weiterer Folge auch österreichische Weiterentwicklung gesetzt.

3. Es gilt die Meistbegünstigungsklausel, d. h., alle bilateralen Abkommen über den österreichischen Arbeitsmarkt, die über den vertraglichen Deregulierungsstand des GATS hinausgehen, gelten auch gegenüber allen anderen WTO-Mitgliedern. Darunter fallen auch reine Verwaltungsakte der Ministerien.

Damit haben bilaterale Ergebnisse von Vertragsverhandlungen - zum Beispiel ein österreichisch-ungarisches Werkvertragsabkommen über Bauarbeiter aus Ungarn - geradezu extreme Auswirkungen sowohl auf den Rechtsbesitzstand der EU als auch auf die Arbeitsmarktgesetzgebung aller anderen WTO-Mitgliedsländer. Obwohl nur zwei WTO-Mitgliedsländer miteinander über eine winzige Veränderung ihrer Arbeitsmarktgesetzgebung verhandelt haben, sind auch jene, die selbst nicht verhandelten, davon potenziell betroffen.

Beispielsweise könnte Ägypten das Ergebnis dieses österreichisch-ungarischen Werkvertragsabkommens unter Anrufung der Meistbegünstigungsklausel über die WTO durchsetzen.

Ausnahmen

4. Die Meistbegünstigungsklausel würde dann nicht zur Anwendung kommen, wenn das geplante Abkommen, zum Beispiel das Freihandelsabkommen der EU mit Mexiko gemäß den WTO-GATS-Bestimmungen, als »regionales Wirtschaftsabkommen« einzustufen wäre (siehe Abbildung 2).

Die Voraussetzung für eine solche Einstufung ist ein Abkommen, das in seinem Liberalisierungsgrad substanziell über den bereits erreichten Deregulierungsstand im GATS hinausgehend dereguliert. De facto müssen dann sämtliche Dienstleistungsbereiche - auch der Arbeitsmarkt, aber beispielsweise auch die Sozialversicherungen - weiter liberalisiert bzw. dereguliert werden.

Ein sehr wichtiger Aspekt dabei ist die Frage der jeweiligen Weitergabe der bilateralen Konzessionen seitens der EU bzw. Mexikos: De facto können beide Vertragsparteien kaum daran gehindert werden, bilateral vereinbarte Konzessionen an Drittstaaten weiterzugeben.

Das Freihandelsabkommen der EU mit Mexiko enthält aber einige wichtige Tatbestände im Hinblick auf die EU-Osterweiterung2): Denn dort hat die europäische Arbeitnehmerseite ein vitales Interesse an funktionsfähigen Arbeitsmärkten sowie an einem stabilen System der sozialen Sicherheit. Es besteht aber die Gefahr, dass die Kandidatenländer der EU-Osterweiterung ihre Rechtsbestände vor dem EU-Beitritt zum Nachteil der Arbeitnehmer nicht mehr entsprechend weiterentwickeln, weil bereits über Außenverträge ein Deregulierungsauftrag gegeben ist.

Organisationen und Abkommen
Kleines WTO-Wörterbuch

GATS:
G
eneral Agreement on Trade of Services / Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen; im deutschen Sprachraum als »Dienstleistungsabkommen« bekannt.

G-7:
Bildete sich aus dem Kreis der 29 OECD-Mitgliedsländer nach dem Weltwirtschaftsgipfel im November 1975 in Rambouillet. »Gruppe der Sieben« genannt, weil mit den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada sieben Staaten beteiligt sind.

NAFTA:
N
orth American Free Trade Agreement / Nordamerikanisches Freihandelsabkommen. Gilt für die USA, Kanada und Mexiko.

OECD:
O
rganization for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). OECD-Mitglieder sind derzeit: die 15 EU-Mitgliedstaaten, Tschechien, Ungarn, Island, Norwegen, Polen, Schweiz, Türkei, Kanada, Mexiko, USA, Japan, Korea, Australien, Neuseeland. Weiters nimmt die EU-Kommission an den Arbeiten der OECD teil.

WTO:
W
orld Trade Organization / Welthandelsorganisation
Sie löste 1995 das 1947 von 23 Staaten gegründete Zoll- und Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) ab. Zwischen 1947 und 1994 wurde in acht großen Runden die Liberalisierung des Welthandels vorangetrieben. Kritiker meinen, stets zum Vorteil der Industrienationen.

Im Zuge der WTO-Konferenz im Golfstaat Katar (November 2001) wurde der Beitritt Chinas und Taiwans zur WTO beschlossen, die nunmehr 144 Mitglieder zählt.

Unabhängiges Gericht?

Als weitere WTO-Deregulierungsinstanz schließlich ist das WTO-Schiedsverfahren - eine Art »WTO-Gericht« - von großer Bedeutung. Wenn zwei WTO-Mitglieder über einen WTO-Vertragsteil unterschiedlicher Auffassung sind, kann dieses »Gericht« angerufen werden, dessen Spruch bindend ist. Dies bedeutet zumindest dreierlei:

  • Den WTO-Schiedsspruch fällen Personen, die nie gewählt, sondern lediglich ernannt wurden. Dabei ist der Personenkreis der in Frage kommenden »Schiedsrichter« extrem eingeengt: Es ist zu vermuten, dass die Weltanschauung bei der Ernennung eine Rolle spielt!
  • Jenes Mitgliedsland, das einen Streit beim Schiedsgericht verliert, muss seine Gesetzeslage gemäß den WTO-Anforderungen deregulieren.
  • Die längerfristige Entwicklung wird für alle WTO-Mitgliedsländer dadurch gekennzeichnet sein, dass Schiedssprüche zu scheinbar nebensächlichen Rechtsstreitigkeiten eine enorme Bedeutung bekommen für Angelegenheiten von fundamentalem Interesse. Dies deshalb, weil die Rechtsauslegung der WTO-Verträge dem angelsächsischen »Case-Law-System« folgt, das heißt, ein Urteil hat Präzedenzwirkung für alle künftigen ähnlich gelagerten Streitfälle.

Schon dereguliert ...

Im Folgenden gilt es aus der zweiten Kategorie der Länderliste zu zeigen, wie weit die Arbeitsmarktgesetzgebung im GATS selbst bereits dereguliert wurde:

  • Zielsetzung ist die Liberalisierung des Zutritts zu den Arbeitsmärkten.
  • Es gilt die Meistbegünstigungsklausel.
  • Jede GATS-Vertragspartei hat vertraglich Ausnahmen fixiert.

Die meisten Länder haben damals ihren gesamten diesbezüglich bestehenden Rechtsbestand als Ausnahme von der Liberalisierungsverpflichtung vertraglich festgeschrieben und von dieser umfassenden Ausnahme im Wesentlichen folgende Gruppen wiederum ausgenommen - und daher liberalisiert3):

  • leitende Angestellte;
  • Personen mit besonderen Kenntnissen oder Fähigkeiten;
  • Personen, die Geschäfte anbahnen wollen (Marktsondierung) und vorübergehend dazu in Österreich verweilen;
  • Personen, die bei einer juristischen Person im Ausland beschäftigt sind und sich im Gastland aufhalten, um für ihr Unternehmen Akquisitionen vorzunehmen;
  • Personen zur Gründung oder zum Aufbau einer Zweigniederlassung.

Darüber gibt es im GATS (noch) eine vertragliche Ausnahmeregelung Österreichs, wonach bestreikten Betrieben keine ausländischen Arbeitskräfte vermittelt werden dürfen4).

Wer kontrolliert?

Es ergibt sich somit folgendes Gesamtbild:

Die Deregulierung erfolgt über zumindest fünf Ebenen:

WTO-Ministerrat, Bilaterale Abkommen (auch Verwaltungsakte!), Freihandelsabkommen, EU-Osterweiterung, NAFTA und ähnliche regionale Integrationsprozesse und das WTO-Schiedsgericht.

  • Es gibt niemanden, der alle diese Deregulierungsprozesse kontrollieren kann.
  • Es geht bei der weltweiten Deregulierung um alle wesentlichen Gesetze, die im Interesse der Arbeitnehmer geschaffen wurden.
  • Die Mitgliedsländer der EU verstärken den Verlust über die Kontrolle noch, weil seit dem Amsterdamer Vertrag vorgesehen ist, dass die EU-Kommission selbst die Verhandlungskompetenzen übertragen bekommen kann und sie die übrigen EU-Institutionen nur noch über den Verhandlungsausgang informiert.

Was können die Gewerkschaften tun?

Als mittel- und längerfristige Folge werden sich die WTO-Mitgliedstaaten immer mehr aus der Gesetzgebung von Wirtschaft und Gesellschaft zurückziehen. Gleichzeitig hat die WTO als supranationale Instanz der WTO-Mitglieder jedoch keine Re-Regulierungskompetenz.

Strukturell betrachtet stärkt das die Unternehmen und schwächt gleichzeitig die Arbeitnehmer in der Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Interessen, weil sie dazu den Staat als Regulator benötigen.

Zusätzlich jedoch werden immer mehr Unternehmen transnational tätig, was es ihnen zusätzlich erleichtert, im Bedarfsfall nicht nur Regierungen, sondern auch die Arbeitnehmer einzelner Länder gegeneinander auszuspielen. Daher ist es eine vordringliche Aufgabe für die Gewerkschaften, dass sie die fundamentalen Interessen der Arbeitnehmer ebenfalls grenzüberschreitend wahrnehmen.

Die Gewerkschaften müssen und können der verstärkten Internationalisierung des Kapitals ihrerseits die verstärkte Zusammenarbeit bei ihren fundamentalen Interessen als Gegengewicht gegenüberstellen.

Dieser Prozess wurde bereits begonnen. Die Gewerkschaften verlangten bereits bisher die vertragliche Verankerung der so genannten ILO-Kernarbeitsnormen (siehe Abbildung 3) einschließlich ihrer rechtlichen Durchsetzbarkeit im WTO-Vertrag. Diese ILO-Normen stellen nämlich die einzige Möglichkeit dar, auch etwas vom wachsenden Kuchen der Weltwirtschaft abzubekommen.

Die ILO-Arbeitsnormen sind gültige Deklarationen, die von jenen Ländern in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beschlossen wurden, die auch WTO-Mitglieder sind.

Stück vom Kuchen

Die Möglichkeit, etwas von diesem wachsenden Kuchen abzubekommen, ist das Recht der Arbeitnehmer, ihre Interessen selbst organisieren zu dürfen. Der erste Schritt dazu ist die Bildung von Gewerkschaften.

Es geht den Gewerkschaften weltweit nicht um die Verwaltung einer ständig wachsenden Armut, sondern um Instrumente, damit auch sie in Zukunft am steigenden Wohlstand teilnehmen können.

Nachdem weltweit auch jene Gesetze dereguliert werden, die elementarste Interessen der Arbeitnehmer schützen, und nachdem dafür keine kompensierenden Regelungen vorgesehen sind, bedeutet dieser Deregulierungsprozess weltweit einen Fundamentalangriff auf die Interessen der Arbeitnehmer. Eine halbe Dekade nach Etablierung der WTO zeigen sich bereits die verheerenden Auswirkungen, vor allem dort, wo die Arbeitnehmer am schwächsten sind: in den Entwicklungsländern.

Daher müssen die ILO-Kernarbeitsnormen rechtlich durchsetzbar in den WTO-Vertrag aufgenommen werden. So bekommen die Arbeitnehmer ein gleichwertiges Instrument zum Schutz ihrer unmittelbaren Lebensinteressen - ein Instrument, wie es der Unternehmensseite bereits im WTO-Vertrag zugestanden wurde. Und die Gewerkschaften müssen sich vehement dagegen wehren, dass jene Gesetze, die sie zum Schutz der Arbeitnehmer in einem langen historischen Kampf durchgesetzt haben, dem freien weltweiten Markt geopfert werden.

1) GATS: General Agreement on Trade of Services.

2) Hier liegt der Grund für die energische Haltung des ÖGB: Die Arbeitsmärkte und Dienstleistungen bei der EU-Osterweiterung sollen erst geöffnet werden können, wenn qualitative Kriterien erfüllt sind (80 Prozent des Lohnniveaus). Ansonsten werden die Arbeitsmärkte aufgrund der extrem hohen Lohnunterschiede auf lange Sicht funktionsunfähig.

3) Diese Ausnahmen sollen jetzt gestrichen werden.

4) Einer der Gründe dafür liegt in der neoliberalen Vorgabe, dass Finanzmärkte frei sein müssen und daher nicht geregelt werden dürfen.

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(C) AK und ÖGB

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