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Was den Österreichern wichtig ist

Schon wieder ein Volksbegehren?

Die direkte Demokratie wird von den Österreichern offenkundig hoch geschätzt. Wenn man die Wahlberechtigten fragt, ob sie an einem Volksbegehren teilnehmen werden, erhält man erstaunlich hohe Zustimmungsraten.

Beim Volksbegehren »Veto gegen Temelin« erklärten laut Kronen Zeitung vor Beginn des Volksbegehrens 56%, dass sie ihre Unterschrift leisten würden. Wenn man nach einem Volksbegehren die Wähler befragt, ob sie am Volksbegehren teilgenommen hätten, erklären wesentlich mehr, als tatsächlich unterschrieben haben, dass sie an dieser offenkundig so wichtigen demokratiepolitischen Übung teilgenommen hätten. Dabei sind die Erfahrungen mit den Volksbegehren durchaus ernüchternd. Das Volksbegehren, das die meiste Zustimmung erhalten hatte, war das Volksbegehren gegen den Bau des Konferenzzentrums. Das Konferenzzentrum ist inzwischen gebaut, wird genützt und ist ein ganz wichtiger Bestandteil der österreichischen Fremdenverkehrswirtschaft, von den Bedürfnissen der anderen Veranstalter ganz zu schweigen.

Das zweitstärkste Volksbegehren für ein genfreies Europa, also das »Anti-Gentechnologie-Volksbegehren«, wurde veranstaltet, erhielt erstaunlich hohe Zustimmung und seither kümmert sich keiner mehr um Gentechnologie, genauso wie die Österreicher auf den Rindfleischkonsum verzichteten, als in England die MSE-Seuche Hunderttausende Rinder erfasste, während jetzt, als auch in Österreich ein BSE-Fall aufgetreten ist, kein Mensch auf den Tafelspitz verzichtet.

Das drittstärkste Volksbegehren, eben das »Veto gegen Temelin«, war darüber hinaus eine arge Zumutung an den Verstand der Österreicher. Das Kernkraftwerk Temelin war ja bereits aktiviert, man hätte also nicht ganz einfach das Kraftwerk zusperren und den Schlüssel beim Hausmeister abgeben können, man hätte es mit ungeheuren Kosten abreißen müssen, die Tschechen hätten keinen Ersatz für die Stromproduktion der Kohlenkraftwerke, die stillgelegt werden sollen, gehabt. Das Versprechen, dass wir den Tschechen das Kraftwerk abkaufen und dann stilllegen, war überhaupt nur noch eine Nummer für Kabaretts. Erfreulicherweise ist einigen Politikern der rettende Gedanke gekommen, dass man sich an die Europäische Union wenden könnte, damit diese wirtschaftlich doch so potente Gemeinschaft die nötigen Geldmittel aufbringt.

Das Sozialstaat Volksbegehren

Genug der Scherze, wenden wir uns einem ernsten Thema zu. Eine Initiative von Persönlichkeiten aus den verschiedensten politischen Lagern hat nun ein Volksbegehren eingeleitet, das die Besorgnis der Österreicher um die Aufrechterhaltung unseres Sozialstaates zum Ausdruck bringen soll. Dieses Volksbegehren steht unter keinem guten Stern, bei einer Befragung vor einigen Wochen erklärten 56% der Befragten, dass sie von dem Volksbegehren noch nichts gehört hätten. Wenn man bedenkt, dass das »Veto gegen Temelin«-Volksbegehren auf einer jahrzehntelang vorbereiteten Grundlage, nämlich der Atomangst der Österreicher, aufbaute, die bereits peinliche Unterstützung der Kronen Zeitung hatte und noch dazu von einem Parteiapparat, nämlich dem der FPÖ, getragen wurde, kann man sich leicht ausrechnen, wie schwer es das Volksbegehren »Erhalten des Sozialstaates« haben wird.

Dazu kommt noch, dass der Innenminister diesem Volksbegehren keinen optimalen Zeitraum zukommen ließ. Offensichtlich hat die große Mehrheit der Österreicher erhebliche Sorgen um den Fortbestand des Sozialstaates. Das Ergebnis des Volksbegehrens wird am Anti-Temelin-Volksbegehren gemessen werden.

15% Zustimmung zu erreichen ist ganz eindeutig eine äußerst schwierige Sache angesichts der unterschiedlichen Umstände und Begleiterscheinungen. Auf der einen Seite kämpft die ganze politische Klasse, abgesehen von den Journalisten und besorgten Müttern, gegen Kernkraftwerke, am Weiterbestehen des österreichischen Sozialstaates ist zwar die überwiegende Mehrheit der Österreicher brennend interessiert, sie müssten also das Volksbegehren unterstützen. Aber außer einigen besorgten Persönlichkeiten hat sich kaum noch jemand für dieses Volksbegehren strapaziert, zumindest war das Mitte Februar noch nicht der Fall.

Was wollen die Österreicher?

Die Betreiber des Volksbegehrens wollen, dass Grundsätze des Sozialstaates in der Verfassung verankert werden, so dass nicht jede zufällige Mehrheit der Parlamentarier Stück für Stück des Sozialstaates abtragen kann, und zwar mit dem geschickten Trick, den Österreichern Steuersenkungen zu versprechen. Dann ist kein Geld vorhanden, um Gesundheitsdienst, Pensionen, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit usw. zu finanzieren. Und schon ist ein Stück Sozialstaat weggebrochen.

Eine Umfrage der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft, die im Jänner 2002 durchgeführt wurde, zeigt nun, dass die Österreicher die Aufgaben der Republik als Sozialstaat besonders hoch schätzen. Als sehr wichtig wurde bezeichnet (siehe Grafik):

Nationalcharakter

Das Volksbegehren will, dass neue Gesetze auf ihre soziale Verträglichkeit geprüft werden müssen, und dafür sind 86% der Befragten. Das heißt, das Kernstück des Volksbegehrens genießt die Unterstützung einer überwältigenden Mehrheit der Österreicher. Nun darf man aber nicht vergessen, dass es zum österreichischen Nationalcharakter gehört, für eine Sache in Gedanken einzutreten, im Geiste sozusagen mitzumarschieren, aber wenn es zu den Taten kommen soll, überlässt man es gern anderen, etwas zu tun. Wir gleichen darin irgendwie den Arabern, die den Heiligen Krieg erklären und mit der Erklärung hat es sich schon, weiter geschieht nichts.

Ganz wichtig ist den Österreichern auch die Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall, Behinderung, Alter, Arbeitslosigkeit und Armut. 90% sind dafür, dass durch staatlich geregelte soziale Sicherungssysteme für entsprechende Maßnahmen gesorgt werden soll. Auch bei den 26- bis 35-Jährigen sind es 86%, die dies für richtig halten. Gerade Anhänger der Regierungsparteien dürften den Braten gerochen haben, aber auch hier sind nur 10% der Anhänger der Freiheitlichen Partei und 9% der Anhänger der ÖVP gegen diese Absicherung der Menschen gegen schlimme Entwicklungen.

Für die Ellbogengesellschaft?

Was für eine Gesellschaft wollen die Österreicher überhaupt? Soll es eine so genannte Ellbogengesellschaft sein oder schätzen sie eine Gesellschaft hoch ein, in der sich die Starken verpflichtet fühlen für die Schwachen zu sorgen, die Gesunden für die Kranken und die Gebildeten für die weniger Gebildeten, für die, die weniger Chancen im Leben gehabt haben und die die Natur in ihrer Ausstattung benachteiligt hat. Immerhin sagen 38%, dass sie eine Gesellschaft, in der sich die Starken verpflichtet fühlen, für die Schwachen zu sorgen, sehr hoch einschätzen. 34% schätzen eine solche Gesellschaft hoch ein. Nur 21% halten von einer solchen Gesellschaft nicht besonders viel. Bei den Akademikern, also jenen, die es geschafft haben, sind es sogar 75%, die eine soziale Gesellschaft hoch einschätzen.

Beim Zahlen wird's schwierig

Dass die Finanzierung des Sozialstaates keine Kleinigkeit ist, ist allen bewusst. Es sind aber immerhin 84% dafür, dass die Finanzierung der sozialstaatlichen Leistungen so erfolgen soll, dass jeder Österreicher den Beitrag leistet, der seiner wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessen ist.

Die Österreicher sehen natürlich auch die Probleme des Sozialstaats, wissen, dass er nicht vollkommen ist, und erkennen, dass im Zuge von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen auch Veränderungen notwendig sein können. So stimmen 44% der Behauptung zu, dass manche Sozialleistungen angepasst werden müssen, ja dass manchmal auf dem Gebiet der Sozialpolitik in den vergangenen Jahrzehnten etwas zu viel getan wurde. Das gilt für das Gesundheitssystem, wo doch 41% der Meinung sind, dass mit wenigen Abstrichen das Gesundheitssystem aber erhalten bleiben muss, nur 16% meinen, dass es hier viele Abstriche geben wird, 28% lehnen Abstriche ab.

Die Finanzierung des Gesundheitswesens ist immer eine harte Sache. 73% sind der Meinung, dass das Gesundheitssystem durch erhöhte Sozialversicherungsbeiträge finanziert werden soll. 57% fanden, dass durch Steuererhöhungen auf Alkohol und Tabak etwas zur Finanzierungssicherung beigetragen werden könnte. Für Selbstbehalte waren allerdings nur 21%.

An Verwaltungseinsparungen denken viele, und da zeigt sich wieder einmal, dass Österreicher sehr leicht auf Propaganda hereinfallen. Offensichtlich ist es den Krankenkassenfunktionären nicht gelungen, der Bevölkerung verständlich zu machen, dass nur ein verschwindender Prozentsatz der Ausgaben Kosten der Verwaltung sind und eine geschwächte Verwaltung wiederum administrative Schwierigkeiten für den Versicherten bedeutet. Da kann es schon sein, dass er ins bessere Jenseits hinüber gewechselt ist, bevor sein Fall erledigt wurde.

Ein ganz harter Brocken ist natürlich die finanzielle Sicherung der Pensionen. Nur 22% glauben, dass ihre Pension gesichert ist, 35% erwarten geringe Einschränkungen und 20% erwarten sogar große Einschränkungen, 14% sind überhaupt skeptisch und halten ihre Pension für nicht gesichert. Von den Akademikern, die doch eigentlich die sicherste Position einnehmen, glauben nur 15%, dass ihre Pension gesichert ist, 27% erwarten sich geringe Einschränkungen, 31% große Einschränkungen, 18% sind völlig skeptisch hinsichtlich der Sicherheit ihrer Pensionen.

Die Skepsis dürfte in einem hohen Maß auf die immer wieder gehörte Erklärung zurückgehen, dass infolge der Geburtenrate immer weniger und weniger Österreicher im aktiven Berufsleben stehen werden und Pensionsbeiträge einzahlen. Völlig ignoriert wird, dass wir in Österreich Hunderttausende Zuwanderer in den letzten Jahrzehnten hatten, die auch Sozialversicherungsbeiträge zahlen, und vor allem ist den Österreichern nicht bewusst, dass die Wirtschaftsleistung Österreichs seit Jahrzehnten kräftig zunimmt und die Pensionen letzten Endes von der gesamten Wirtschaftsleistung abhängen. Gefährlich wird es, wenn man den Österreichern einredet, dass eine andere Methode als die gesetzliche Pension ein relativ sicheres System ist und sie verleitet werden, auf betriebliche Pensionssicherung zu bauen.

Vielleicht haben allzu wenige mitbekommen, was in den USA mit dem großen Energiehandelskonzern Enron geschehen ist, der seinen Beschäftigten betriebliche Pensionen eingeredet hatte und jetzt, wo der Betrieb zusammenbricht und an den Börsen die Kurse purzeln, die Pensionsempfänger durch die Finger schauen.

Was bringt ein Volksbegehren?

Wir können damit rechnen, dass eine überwältigende Mehrheit der Österreicher einem Volksbegehren, das den Sozialstaat stabilisieren will, zustimmen wird. Da pflegte doch die neue Linke gerne den Spruch »Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin« (ein Bertolt Brecht-Zitat). Vergessen wurde aber die Fortsetzung des Zitats, die lautet »dann kommt der Krieg zu dir«. Beim Volksbegehren sieht das aber anders aus: »Stell dir vor, es gibt ein Sozialstaat-Volksbegehren und keiner geht hin.« Dann wird es nicht lauten, »aber dann wird die Gemeinschaft schon sorgen, dass Gesundheitseinrichtungen und Altersversorgung gesichert sind«. Ganz im Gegenteil, die Gegner des Wohlfahrtsstaats werden sich ermutigt sehen, werden den alten Trick Steuersenkung und dann Abbau des Sozialstaates weiterbetreiben und die Verteidiger des Sozialstaates werden entmutigt zurückstecken, und die Leidtragenden werden die Bedürftigen sein.

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