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Sozialquoten in der EU

Der Sozialstaat als Wirtschaftsfaktor

Der »Sozialstaat« rentiert oder rechnet sich nicht, ist nicht finanzierbar, hören wir ständig. Hier zeigt ein Wirtschaftsfachmann, was von dieser Gräuelpropaganda zu halten ist.

In Österreich werden 28,9% des Sozialprodukts (BIP) als Sozial- leistungen in verschiedenen Formen umverteilt (»Sozialquote«, letzte verfügbare Berechnung für 1999). Das bedeutet, dass in diesem Jahr von den gesamten Steuer- und Abgabeneinnahmen des Staates in Höhe von 44,5% des BIP fast zwei Drittel als Pensionen, Kinderbeihilfen, Arbeitslosenunterstützungen u. a. an die Haushalte und Einzelpersonen zurückfließen. Wie diese Zahl zu bewerten ist, lässt sich aus der bloßen Höhe nicht beurteilen, auch wenn eine permanente Gegenpropaganda den Sozialstaat den Bürgerinnen und Bürgern als »Last, die uns irgendwann alle erdrückt«, darstellt.

Im europäischen Vergleich liegt Österreich mit 28,5% 1998 knapp über dem EU-Durchschnitt (siehe Grafik: »Sozialquoten in der EU«).

Wie erwartet hat Schweden mit 33,3% die höchste Sozialquote, vor Österreich liegen auch Frankreich, Deutschland und Dänemark. Die meisten EU-Länder liegen mit dieser Kennzahl zwischen 25 und 30%. Unter 25% liegt die Sozialquote in den Mitgliedsländern mit unterdurchschnittlichem Wohlstandsniveau (Pro-Kopf-Einkommen).1)

Europäisches Modell

Die Ähnlichkeit der Sozialquoten in Europa ist ein Hinweis darauf, dass es so etwas wie ein »europäisches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell« tatsächlich gibt. Bei aller Unterschiedlichkeit der konkreten Ausprägung in den Mitgliedsländern zeigt sich diese Gemeinsamkeit am deutlichsten im Vergleich zu den USA. Dort sind - von der staatlichen Altersvorsorge abgesehen - die sozialen Sicherungssysteme vergleichsweise schwach ausgebaut, was sich in einer um etwa 10 Prozentpunkte niedrigeren Sozialquote niederschlägt. Genauere Berechnungen nach der EU-Definition gibt es für die USA allerdings nicht.

Mühlstein am Hals der Wirtschaft?

Sowohl die geringere Sozialquote in Ländern mit niedrigeren Pro-Kopf-Einkommen als auch die historische Entwicklung zeigen, dass der Ausbau des Sozialstaats eine Begleiterscheinung zunehmenden wirtschaftlichen Wohlstandes ist. Die Anfänge des modernen Sozialstaates in Form von Unfall- und Krankenversicherung gehen in Europa bis ins 19. Jahrhundert zurück. Die Wirtschaftsentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war aber schwach, was einer Ausweitung der Sozialleistungen enge Grenzen setzte. Erst in der Periode des raschen Wirtschaftswachstums nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Sozialstaat zu dem Umfang ausgebaut, in welchem wir ihn heute kennen. Das heißt, dass sich sein Anteil am BIP von den fünfziger Jahren bis 1990 gut verdoppelt hat.2)

Die Gleichzeitigkeit von hohem Wirtschaftswachstum und starkem Ausbau des Sozialstaates ist eine klare Widerlegung der Behauptung, dass Sozialstaat prinzipiell als Mühlstein am Hals der Wirtschaft zu sehen sei. Mehr ins Detail gehende Vergleiche zeigen, dass auch die These, dass das Wachstum umso geringer ist, je stärker die Zunahme der Sozialquote, nicht bestätigt wird. Der moderne Sozialstaat kann allgemein durchaus als den heutigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen angemessene Institutionalisierung von sozialer Sicherheit gesehen werden.

Die Struktur des österreichischen Sozialstaats

Quantitativ lässt sich der Sozialstaat am besten nach den Ausgaben der öffentlichen Hand (Staat und Sozialversicherungsträger) für soziale Sicherheit und Familie darstellen, und zwar sowohl Geldzahlungen (genannt »Transferzahlungen«) als auch in anderer Form erbrachte Leistungen (z. B. Spitalsbehandlungen). Diese Betrachtungsweise erfasst - wohlgemerkt - den Sozialstaat nicht in seiner Gesamtheit.

Wesentlich gehören dazu auch die arbeitsrechtlichen Regelungen in Gesetzen und Kollektivverträgen, die gesetzlich oder kollektivvertraglich geregelten Zahlungen der Unternehmungen an Pensionskassen oder Betriebspensionen, und andere Formen der sozialen Sicherung, welche sich nicht in öffentlichen Haushalten niederschlagen. Auf diesen nicht minder wichtigen Teil des Sozialstaates wird im vorletzten Abschnitt dieses Beitrags (»Arbeitsrecht und Kollektivvertrag«) eingegangen.3)

Nach den verschiedenen Funktionen verteilen sich die Sozialausgaben in Österreich wie folgt (siehe Tabelle 1 »Sozialleistungen 1999«).

Tabelle 1:

SOZIALLEISTUNGEN 1999

Milliarden Euro Anteil in %
Pension (Alters- u. Hinterbliebenen- versorgung) 26,0 47,6
Krankheit 14,3 26,2
Invalidität 4,8 8,8
Familie 5,7 10,4
Arbeitslosigkeit 3,0 5,5
Sonstiges*) 0,9 1,6
Summe 54,7 100,0
*) vor allem Leistungen der Sozialhilfe, Gebührenbefreiungen etc.
Quelle: Wifo-Monatsberichte 12/2001, Seite 729

Fast die Hälfte, nämlich 47,6%, entfällt auf die Pensionen, ein weiteres gutes Viertel auf Leistungen im Krankheitsfall, 10,4% sind Familientransfers (Familienbeihilfen, Karenzgeld, Kindergarten etc.), der Rest entfällt auf Invalidität, Arbeitslosigkeit und diverse Sozialhilfeleistungen.

Die Struktur der Sozialleistungen unterscheidet sich vom EU-Durchschnitt vor allem in folgender Hinsicht: Markant unterschiedlich ist in Österreich der Anteil der kleineren Positionen. Der Anteil der Familienleistungen ist deutlich höher. Bedingt durch die unterdurchschnittliche Arbeitslosenrate ist der Anteil der Ausgaben im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit in Österreich niedriger, ebenso der Anteil der Sozialhilfeleistungen (siehe Tabelle 2 »Struktur der Sozialleistungen im EU-Vergleich 1998«).

Argumente sachlich fundiert oder ideologisch?

Die österreichische Sozialquote ist seit 1980 (26,3%) leicht angestiegen und hat 1995 mit 29,2% ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Seither ist sie wieder leicht zurückgegangen, wobei für die Jahre 2000 und 2001 noch kein exaktes Zahlenmaterial zur Verfügung steht.

Der Sozialstaat wird unter einer Vielzahl von Gesichtspunkten kritisiert. Es ist oft nicht leicht, überwiegend durch wirtschaftliche Interessen oder ideologisch (meist: neoliberal) motivierte Kritik am Sozialstaat von sachlich fundierten Argumenten zu unterscheiden. Die Kritik reicht von den erwähnten pauschalen Behauptungen, der Sozialstaat sei zu teuer bzw. belaste die internationale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft zu stark, über die These, dass mit riesigem finanziellem Aufwand keine nennenswerte »Umverteilung« erreicht werde, bis zu den Schalmeientönen der Privatversicherungen, dass die private Vorsorge soziale Sicherheit besser und billiger gewährleisten könne.

»Umverteilung« nur »von einer Tasche in die andere?«

Der Begriff »Umverteilung« wird in verschiedener Bedeutung verwendet, woraus immer wieder Konfusionen resultieren. Die Sozialversicherung ist von der Konzeption her eine Mischung aus horizontaler und vertikaler Umverteilung. »Horizontale« Umverteilung bedeutet Verschiebung zwischen Einkommensbeziehern in verschiedenen Lebens- und Bedürfnislagen proportional zur Höhe des Erwerbseinkommens (vergleiche auch Pensionsversicherung). »Vertikale« Umverteilung bedeutet Verschiebung von höheren zu niedrigeren Einkommen. Dieser Aspekt überwiegt bei der Arbeitslosenversicherung, obwohl auch diese eine horizontale Komponente hat. Die vertikale Umverteilung wird vor allem durch zur Sozialversicherungsleistung hinzutretende Transferzahlungen bewirkt (Ausgleichszulage), aber auch durch bestimmte Elemente der Pensionsberechnung. Sowohl die horizontale als auch die vertikale Umverteilung sind notwendige und legitime Zielsetzungen eines staatlich organisierten Systems der sozialen Sicherheit. Die Parole »Sozialleistungen nur für jene, die sie wirklich brauchen« ist im Effekt gegen ein solches System gerichtet, weil sie den Sozialstaat auf eine bloße Armenfürsorge reduzieren will. Aber auch im Sinn von vertikaler Umverteilung trifft es nicht zu, dass durch den großen Umfang der Staatstätigkeit keine nennenswerte Umverteilung bewirkt würde. Zwar wirkt das Steuersystem weitgehend proportional, aber durch die Staatsausgaben wird der Anteil des untersten Einkommensdrittels am Gesamteinkommen um mehrere Prozentpunkte vor allem zu Lasten des obersten Drittels angehoben4). Eine stärkere Senkung der Staatsausgaben hätte daher auch eine Verringerung der vertikalen Umverteilung zur Folge.

Tabelle 2:

STRUKTUR DER SOZIALLEISTUNGEN IM EU-VERGLEICH 1998

Alter Gesundheit und Individualität Familie Arbeitslosigkeit Soziale Ausgrenzung
Österreich 47,6 35,0 10,4 5,5 1,6
EU 15 46,0 34,9 8,5 6,8 3,8
Euro-Zone 46,5 35,0 8,2 7,5 2,9
Deutschland 42,1 36,0 10,5 8,8 2,6
Quelle: Wifo-Monatsberichte 12/2001, Seite 729

Das Märchen von der höheren Effizienz und Rentabilität privater Vorsorge

Wenn die Notwendigkeit einer staatlich organisierten, für alle verpflichtenden Sozialversicherung zumindest in der EU weitgehend anerkannt ist, so wird von konservativer Seite und von neoliberalen Ideologen ein Modell präferiert, das die staatliche bzw. auf Selbstverwaltung beruhende Sozialversicherung durch ein System der Versicherungspflicht ersetzen soll. Es werden hier Vorteile durch den Wettbewerb privater Anbieter von Krankenversicherung und Pensionsversicherung behauptet, zwischen denen die Versicherten Wahlfreiheit haben sollen.

Tatsächlich zeigt sich aber bei der Krankenversicherung, dass ein solches System eine deutlich geringere Effizienz hat. Die Verwaltungskosten bei der privaten Krankenversicherung betragen nämlich mit gut 15% ein Vielfaches der öffentlichen Krankenversicherung. Auch das Problem des Kostenauftriebs lässt sich wahrscheinlich in der öffentlichen Sozialversicherung besser kontrollieren als bei privaten Krankenversicherungen. Wie neuere Erfahrungen in Deutschland zeigen, werden beim Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungsversicherungen höhere Verwaltungskosten und komplizierte Systeme des Risikoausgleichs notwendig. Ein wesentlicher Vorteil der öffentlichen Sozialversicherung bei der Krankenversicherung besteht auch in ihrer Umverteilungswirkung zu den niedrigen Einkommen. Diese resultiert daraus, dass die Krankenversicherungsbeiträge bis zur Höchstbeitragsgrundlage dem Einkommen proportional sind, während die Prämien für Privatversicherungen nicht einkommensabhängig gestaltet werden können.

Wie Seifenblasen zerplatzte Versprechungen

Die großspurigen Versprechungen der privaten Versicherungen, dass sie regelmäßig 7,8 oder 9% Ertrag pro Jahr erwirtschaften könnten und so eine viel rentablere und daher mühelosere Form der Altersvorsorge darstellen als die staatlich organisierte Pensionsversicherung, sind in den letzten zwei Jahren wie Seifenblasen zerplatzt. Bei den österreichischen Pensionskassen z. B. war der Ertrag zuletzt Minus. Eine private Altersvorsorge auf Basis eines Kapitaldeckungsverfahrens kann die öffentliche Pensionsversicherung nicht ersetzen, sondern nur in einem gewissen Umfang ergänzen. Nicht nur fallen bei der privaten Pensionsversicherung erheblich größere Verwaltungskosten an. Die spezifischen Risken des Kapitaldeckungsverfahrens bewirken eine beträchtliche Unsicherheit über die (Zusatz-)Pensionshöhe. Die Auswirkungen der langfristigen Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung auf die Pensionen sind beträchtlich, sie treten aber im Kapitaldeckungsverfahren ebenso ein wie im Umlageverfahren.

Arbeitsrecht und Kollektivvertrag

Ein Kernbestandteil des Sozialstaats sind die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Regelungen des Inhalts des Arbeitsvertrages, also die Bestimmungen über Aufnahme und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, über Lohn- und Gehaltshöhe, Arbeitszeit, Urlaubsanspruch, Abfertigung, Betriebsrat und Arbeitsverfassung etc. Der Kollektivvertrag war und ist für die Gewerkschaften das wichtigste Instrument für die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses. Gerade in diesem Bereich unterscheidet sich die EU wesentlich von den USA. Die durchschnittliche Arbeitszeit ist in Europa markant niedriger. Die Amerikaner haben ein um zirka ein Drittel höheres durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen, für das sie aber im Jahr um zirka 200 Stunden oder um fast 15% mehr arbeiten und über entsprechend weniger Freizeit - vor allem beim Urlaub - verfügen. Das allgemeine Niveau des arbeitsrechtlichen Schutzes ist in Europa deutlich höher. Insbesondere existiert in den EU-Mitgliedsländern ein umfassendes System von kollektivvertraglichen Lohnfestsetzungen5), welches anders als der in den USA bestehende gesetzliche Mindestlohn eine gleichmäßigere Verteilung der Arbeitnehmereinkommen bewirkt und in Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit ein zu starkes Auseinanderdriften der hohen und der niedrigen Einkommen verhindert. Deshalb sind die Löhne und Gehälter und auch die Haushaltseinkommen in Europa deutlich weniger ungleichmäßig verteilt als in den USA. Das geringere Risiko von Armut und Ausgrenzung schlägt sich in geringeren Verbrechensraten und niedrigeren Kosten für innere Sicherheit in Europa nieder. Das hohe Ausmaß der Einkommensungleichheit in den USA ist auch auf das Fehlen einer allgemeinen Arbeitslosenversicherung zurückzuführen, die im Fall des Jobverlustes für längere Zeit einen gewissen Einkommensersatz gewährleistet. Dadurch sind Arbeitslose unter einem stärkeren Druck, bei schlechter Arbeitsmarktlage rasch auch weit unter ihrer Qualifikation liegende Arbeit anzunehmen.

Sozialstaatliche Regelungen

Es zeigt sich hier, dass den sozialstaatlichen Regelungen eine mehrfache Funktion zukommt:

  • In verteilungspolitischer Hinsicht reduzieren sie das Ausmaß an sozialer Ungleichheit, helfen Armut zu vermeiden und tragen dazu bei, dass die Arbeitseinkommen am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs partizipieren (»produktivitätsorientierte Lohnpolitik«).
  • Sie tragen auch wesentlich dazu bei, Humankapital und »soziales Kapital«, also individuelle und kollektive Wissens- und Erfahrungsbestände zu erhalten in einer Wirtschaft, die sich in einem kontinuierlichen Strukturwandel befindet, in welchem laufend bestehende Arbeitsplätze verloren gehen und neue geschaffen werden. Nicht nur werden durch soziale Schutzvorkehrungen negative Auswirkungen des Strukturwandels abgefedert und dadurch Widerstände und Reibungsverluste verringert. Qualifikationen und produktionsspezifische Kenntnisse werden für die Anwendung in neuen Tätigkeitsbereichen z. B. dadurch bewahrt, dass sie durch das Arbeitsmarktservice weiterentwickelt und für einen adäquate Nutzung vermittelt werden.
  • Ein hohes allgemeines Niveau an grundlegender allgemeiner und beruflicher Bildung erhöht die Produktivität einer Wirtschaft auch indirekt durch effizientere Kommunikation - »Netzwerkeffekte« nennt man das im Zeitalter der digitalisierten Wirtschaft.

Wirtschaft und Gesellschaft Europas einerseits und der USA andererseits funktionieren nach unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Gesetzmäßigkeiten. Deshalb ist es nicht überraschend, dass eine Transplantation von Elementen des US-Modells in sozialstaatliche Modelle bisher nicht die von der neoliberalen Propaganda behaupteten Erfolge gezeitigt hat. Großbritanniens Wirtschaft hat nach dem unter der Regierung Thatcher herbeigeführten Kurswechsel keine bessere, sondern eine schlechtere Entwicklung als z. B. Österreich. Am konsequentesten wurde das neoliberale Experiment über zwanzig Jahre lang am lebenden Körper der Wirtschaft Neuseelands durchgeführt - mit katastrophalem Ergebnis.

Schlussfolgerung

Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, dass der moderne Sozialstaat - auch »Wohlfahrtsstaat« genannt - nicht nur das Ziel hat, das in einem marktwirtschaftlichen System entstehende Ausmaß von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ungleichheit zu modifizieren. Die in allen hoch entwickelten Volkswirtschaften bestehenden hohen Ansprüche auf soziale Absicherung in den Bereichen Alter und Gesundheit können durch staatlich organisierte Systeme der Sozialversicherung auch wirtschaftlich effizienter befriedigt werden als durch individuelle Versicherung bei privatwirtschaftlich geführten Unternehmungen.

Die langfristige Absicherung des Sozialstaats erfordert auf der politischen Ebene, dass den Angriffen von neoliberaler Seite mit Entschiedenheit entgegengetreten wird. Gleichzeitig müssen die Risiken und Herausforderungen aufgrund innerer Entwicklungstendenzen richtig eingeschätzt und entsprechende Problemlösungsstrategien entwickelt werden.

Staatlich erbrachte Sozialleistungen müssen kostengünstig erstellt werden, das heißt, Potentiale zur Steigerung der Produktivität und zur Rationalisierung sind zu nutzen.

Gefahren von innen für das System der sozialen Sicherheit resultieren gegenwärtig vor allem aus drei Tendenzen, die zu einer Überforderung führen können:

  • Aus der Verabsolutierung von Ansprüchen, die nur mit Gruppeninteressen begründet werden, welche die Rückbindung an ein »Gesamtwohl«, also an gleiche Fairnesskriterien für alle ablehnen.
  • Das Anwachsen von prekären und irregulären Beschäftigungsverhältnissen führt zu einer doppelten Erosionsgefahr. Die Beschäftigten haben keinen oder einen nur unzureichenden Versicherungsschutz. Der Sozialversicherung werden Beitragseinnahmen entzogen, wodurch das System dann gefährdet werden kann, wenn die Normalbeschäftigung zurückgeht. Wichtig ist daher die allgemeine Anwendbarkeit der Sozialversicherungspflicht auf alle Formen der Erwerbsarbeit.
  • Die langfristige demographische Entwicklung (Alterung der Bevölkerung) stellt für Pensionssystem und Krankenversicherung eine große Herausforderung dar. Entgegen einer feindseligen Propaganda ist die Altersstrukturverschiebung im bestehenden Umlagesystem durchaus bewältigbar, wenn es gelingt, die Erwerbstätigkeit vor allem in den oberen Altersgruppen wieder zu steigern und so das faktische Pensionsalter zu erhöhen.6) Bei zunehmender Verknappung des Arbeitskräfteangebots ist dies eine sehr plausible Entwicklung. Dadurch kann der Anpassungsbedarf auf der Beitragsseite und bei der Ersatzquote (Pension in Prozent des Erwerbseinkommens) stark reduziert werden. Sowohl aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit als auch der Finanzierbarkeit müssen mittel- und langfristig im System der sozialen Sicherheit einheitliche und gemeinsame Fairnesskriterien für die sukzessiven Generationen angewendet werden.

1) Eine Ausnahme bildet Irland, das eine niedrige Sozialquote hat, aber durch sein hohes Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren heute ein überdurchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen aufweist.

2) Über Entwicklungstendenzen des Sozialstaats und seine Zukunftsperspektiven siehe: G. Chaloupek/B. Rossmann (Hrsg.), Die Zukunft des Wohlfahrtsstaates. Orac-Verlag, Wien 1994.

3) Einen weiteren wichtigen Bestandteil des Sozialstaats bildet die staatliche Regulierung und Förderung des Wohnungswesens, die jedoch aus Platzgründen nicht in den vorliegenden Beitrag einbezogen werden kann.

4) Siehe dazu die Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung »Umverteilung durch öffentliche Haushalte in Österreich« aus 1996.

5) In manchen Ländern, z. B. in Frankreich und in Großbritannien, sind auch gesetzliche Mindestlöhne ein wichtiges Instrument.

6) Siehe dazu den Beitrag von Richard Leutner »Erwerbsbeteiligung und Alterssicherung« in Heft 9/2001 von »Arbeit & Wirtschaft«, S. 16-19.

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