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Lohnstückkostenentwicklung

»Produktivitätszuwächse in Löhne umsetzen!« | Zukunftskonferenz des ÖGB in Wattens

HINTERGRUND

»Eine sinnvolle längerfristige einkommenspolitische Strategie, die für alle Länder in der Europäischen Union gelten kann, muss sich grundsätzlich am Prinzip der produktivitätsorientierten Lohnpolitik orientieren und damit eine Zunahme der Lohneinkommen im Ausmaß der Zunahme der Arbeitsproduktivität anstreben. Nur so hat man die relative Kostensituation und die Stabilität der Binnennachfrage im Auge.« Mag. Alois Guger, WIFO

Im Rahmen der Zukunftskonferenz über die Themen »Einkom- menspolitik - Kollektivvertragspolitik« standen jene Fragen im Mittelpunkt der Diskussion, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter besonders berühren.

Die Einkommenspolitik der Zukunft im ÖGB

Denn obwohl wir in Sachen Gehaltspolitik sehr bemüht sind und Erfolge zu verzeichnen haben, zeigt sich oft die Notwendigkeit, neue Wege zu gehen beziehungsweise eingefahrene Spurrillen zu verlassen.

So ist es in Österreich Realität, dass in der Zeit von 1990 bis 2000 der jährliche Produktivitätszuwachs in der Sachgüterproduktion 2 Prozent betrug, das durchschnittliche Nettoeinkommen der Arbeitnehmer im selben Zeitraum lediglich um 0,5 Prozent stieg, obwohl wir versucht haben, jährlich produktivitätsorientierte Kollektivvertragsabschlüsse nach Hause zu bringen.

Das leidige Lohnnebenkostenproblem

Unsere Partner auf Unternehmerseite jammern uns vor, die Lohnnebenkosten seien zu hoch, darum gäbe es eine so geringe Nettoreallohnentwicklung. Richtig ist vielmehr, dass sich die reale relative Lohnstückkostensituation Österreichs im Vergleich zu den wichtigsten Handelspartnern seit 1997 jedes Jahr verbessert hat und daher die Nettolöhne ebenfalls besser aussehen müssten. Die Lohnstückkosten werden international zum Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit herangezogen. Was Lohnnebenkosten sind, weiß man nur in der Wirtschaftskammer Österreich und das in mehreren unterschiedlichen Ausführungen. Bei den wirklich relevanten Lohnstückkosten nimmt Österreich eine ausgesprochen gute Position ein (siehe Grafik »Lohnstückkostenentwicklung« auf dieser Seite).

Österreich ist international gesehen wettbewerbsfähig. Im Durchschnitt zu allen Handelspartnern hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie- und Sachgüterproduktion österreichischer Firmen um 10 Prozent verbessert. Was uns fehlt, ist eine ausreichende Stabilisierung der Massenkaufkraft.

Auch die realen Prozentzahlen der nicht aussagekräftigen »Lohnnebenkosten« gingen in der Zeit von 1988 bis 2000 von 94,4 Prozent auf 90,2 Prozent zurück. Die so genannten Lohnnebenkosten sind also nicht wirklich der Grund für unseren »Kriechgang« in der Nettoreallohnentwicklung.

Preiserhöhung und so genannte »Sparpakete«

Die »Schneckenbewegung« in der Nettoreallohnentwicklung hat einerseits mit der Preisentwicklung, andererseits mit der Belastung der Arbeitnehmer durch Gebühren und Abgaben zu tun.

Viele Unternehmen wollen nur noch die so genannte »Kerninflation« abgelten und weigern sich, jene Fragen einem Lohnausgleich zuzuführen, die vom Weltmarkt gestellt werden. Die Europäische Zentralbank und der ECO-FIN-Rat schließen sich gerne dieser Sichtweise an. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber stehen vor einer Preissteigerung von etwa 2,7 Prozent (2001) und können nicht akzeptieren, dass sie die mangelnde Preisdisziplin und die oft nicht vorhandene Preiskontrolle durch niedrige Löhne und Gehälter bezahlen sollen.

Durch die Belastungen infolge der Sparpakete der Regierungen wird ebenfalls das Nettorealeinkommen sehr negativ beeinflusst (siehe Tabelle 1: »Entwicklung der Einkommen insgesamt«).

Tabelle 1

ENTWICKLUNG DER EINKOMMEN INSGESAMT
(in Milliarden E)
2001 2002 2003
Masseneinkommen netto: 99,55 101,94 105,00
Belastungen durch Sparpakete 2,4 2,7 2,9
Auswirkungen -2,35% -2,58% -2,60%

Quelle: WIFO

Produktivitätssteigerungen nicht abgelten

Die europäischen Institutionen wie ECO-FIN-Rat und Europäische Zentralbank geben uns Gewerkschaften gerne den Rat, wir sollten doch mit unseren Lohnabschlüssen unter den Produktivitätssteigerungen liegen und droht uns sogar mit Sanktionen, wenn wir diese unserer Meinung nach falsche Ansicht nicht auch vertreten (siehe Tabelle 2: »Die Entwicklung der Nettoeinkommen in Österreich«).

Tabelle 2

DIE ENTWICKLUNG DER
NETTOEINKOMMEN IN ÖSTERREICH
BIP, real Produktivität (BIP real je Erwerbstätigen) Arbeitnehmer: Nettorealeinkommen
1990 +4,7 +3,0 +0,5
1991 +3,3 +1,9 +2,1
1992 +2,3 +2,1 +0,5
1993 +0,4 +1,1 -0,5
1994 +2,6 +2,7 +0,8
1995 +1,6 +1,6 0,0
1996 +2,0 +2,6 -2,8
1997 +1,3 +0,8 -2,4
1998 +3,3 +2,5 +2,3
1999 +2,8 +1,5 +4,3
2000 +3,3 +2,5 +1,7
2001 +1,1 +0,6 -0,7
Prognose
2002 +1,2 +1,2 +0,6
2003 +2,8 +1,9 +0,4

Quelle: WIFO

Die Nettorealeinkommen geben an, was die Arbeitnehmer nach erfolgter Lohnerhöhung unter korrekter Berücksichtigung der Inflationsrate und der steuerlichen Abzüge tatsächlich mehr bekommen haben

Gewerkschaften müssen - und das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse der Wattener Konferenz - den gesamten Produktivitätszuwachs in die Lohnentwicklung integrieren, denn nur so kann man Kaufkraftverluste verhindern. Die gesamtwirtschaftliche Produktivitätssteigerung ist hier angesprochen und nicht die einer Branche.

Ist der Kollektivvertrag, wie wir ihn kennen, noch zeitgemäß?

Günther Chaloupek (AK) beantwortete in seinem Referat bei der Zukunftskonferenz diese Frage sehr eindeutig (Artikel 1). »Selbst die Unternehmerorganisationen stellen den Kollektivvertrag als Regelungsinstrument der Arbeitsbeziehungen nicht in Frage, warum sollten wir das tun?«

Der Kollektivvertrag erspart den Unternehmen einen erheblichen Aufwand bei der Gestaltung normativ nötiger Arbeitsbeziehungen und entlastet die betriebliche Ebene von Konflikten. Der Kollektivvertrag erhöht außerdem die Sicherheit bei der Entwicklung des Kostenfaktors Lohn. Es gibt noch viele Gründe, warum der Kollektivvertrag etwas Sinnvolles und Vorteilhaftes ist.

Für die Arbeitnehmer ist der Kollektivvertrag neben der Lohnsicherheit, die er schafft, vor allem ein Instrument der Regelung von Arbeitsbeziehungen und eine verlässliche Basisnorm, auf der vieles aufbaut.

Gewerkschaften müssen »neue Antworten auf alte Fragen« geben und sich europaweit koordinieren!

Die Antwort der Gewerkschaften auf die Vorstellungen der Unternehmer war bisher das Festhalten an einer produktivitätsorientierten Einkommenspolitik und die Abgeltung der Preissteigerung nach dem Verbraucherpreisindex. Nun aber muss eine koordinierte Vorgangsweise in der Lohnpolitik in ganz Europa gefunden und unsere Hausaufgaben müssen in Österreich noch erledigt werden. So wurden in Wattens folgende Problembereiche in den Vordergrund gestellt, die rasch gelöst werden müssen:

  1. Die Flucht aus dem Kollektivvertrag auf allen Ebenen hat Ausmaße angenommen, die nicht zu tolerieren sind. Die Sicherheit der Kollektivverträge muss gegenüber dem Gesetzgeber und dem Kollektivvertragspartner wieder hergestellt werden. Das gilt auch für den ÖGB. Wenn wir uns der Branchenpolitik, als der sinnvollsten Kollektivvertragspolitikform, verschrieben haben, müssen wir uns auch selbst daran halten. Ausnahmen von der Regel kann es nur für Gebietskörperschaften und Vereine geben, nicht aber für ausgelagerte Unternehmen und Betriebe.
  2. Die Rechtssicherheit für Arbeitnehmer und Kollektivvertragspartner bei der Umsetzung beschlossener Kollektivverträge muss vergrößert werden.
  3. Der ÖGB ist auf Arbeitnehmerseite mit Priorität gegenüber der Kammer für Arbeiter und Angestellte in allen Bereichen kollektivvertragsfähig, mit Ausnahme einer Sonderregelung für den Land- und Forstarbeiterbund Oberösterreich. Die Maßnahme der Bundesregierung, dem Zentralbetriebsrat des ORF die Kollektivvertragsfähigkeit per Gesetz zu gewähren, ist der Meinung namhafter Experten zufolge verfassungswidrig. Die von allen gewollte Autonomie der Gewerkschaften in der Einkommens- und Kollektivvertragspolitik ist im Statut und der Geschäftsordnung des ÖGB festgelegt. Die Einbehaltung und Belebung der Gewerkschaftsautonomie ist eine wesentliche Aufgabe, das Konkurrenzverhalten zwischen den Gewerkschaften ist abzubauen und gemeinsame Kollektivvertragslösungen sind im Rahmen einer solidarischen Kollektivvertragspolitik zu finden.
  4. Die Einkommenspolitik in den Kollektivverträgen soll sich in Zukunft vor allem am Verbraucherpreisindex (VPI) und am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt orientieren, nicht an der Branchenproduktivität.
  5. Bildung, Aus-, Weiter- und Fortbildung soll in Zukunft wichtiger Bestandteil der Kollektivverträge werden.

Arbeitsgruppen formulieren Forderungen

In einer intensiven Diskussion erarbeitete die Konferenz eine Fülle von Forderungen an die Lohn- und Gehaltspolitik im ÖGB, also an uns selbst. Die Palette reichte von einer Mindestlohnpolitik (1000 Euro) über flachere Einkommenskurven und höhere Anfangsbezüge bis zu der nötigen Neubewertung der Arbeit, der Anwendung von »Gender-Mainstreaming« in der Kollektivvertragspolitik und vielen Detailforderungen.

Über eine Frage wurde intensiv diskutiert, nämlich über die Regelung von Aus-, Weiter- und Fortbildung als fixes Element künftiger Kollektivverträge und die Konsequenzen aus dieser Forderung.

Zusammenfassung

  • Der große Vorteil der österreichischen Kollektivvertragspolitik liegt in ihrer Berechenbarkeit für alle beteiligten Akteure. Dazu kommt im Vergleich zu anderen Ländern der enorme gesamtwirtschaftliche Nutzen aus der Art und Weise, wie in Österreich bei Lohnrunden rund die Hälfte der gesamten österreichischen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) bewegt wird: Der Abschluss erfolgt nach einigen wenigen konzentrierten Verhandlungsrunden. Andere Länder - auch die Unternehmer - beneiden uns darum.
  • Lohnverhandlungen sind eine gesamtwirtschaftliche Notwendigkeit: Durch sie wird wesentlich die Binnennachfrage im nächsten Jahr bestimmt. Für die Arbeitnehmer geht es um die Teilnahme an der höheren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
  • Der Maßstab für Lohnverhandlungen ist die Abgeltung der Inflation und ein möglichst großer Anteil der Arbeitnehmer am Produktivitätsfortschritt.

Die gewerkschaftliche Koordination in der Lohnpolitik über die österreichischen Grenzen hinaus ist angesichts der Euroeinführung notwendig, damit sich Gewerkschaften künftig bei Lohnrunden nicht gegenseitig unterbieten.

  • Die österreichischen Löhne sind kein Hindernis der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs: Österreich liegt bei den Arbeitskosten im Mittelfeld, bei der Produktivitätsentwicklung jedoch hinter Irland und Finnland an dritter Stelle.
  • Die in der letzten Zeit geäußerte Kritik an der Art und Weise österreichischer Lohnverhandlungsrunden hält der Realität nicht stand. Die Argumente laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass sich die Arbeitnehmer mit dem Bisherigen zufrieden geben sollen.
  • Die Nettorealeinkommen der Arbeitnehmer sind von 1990 bis zum Jahr 2002 jährlich lediglich um 0,5 Prozent gewachsen.
  • Die Einkommensprognosen bis 2003 lassen größere Steigerungen der Nettorealeinkommen der Arbeitnehmer über dieses Maß hinaus erwarten.
  • Die den Arbeitnehmern von der Bundesregierung verursachten Belastungen sind im Wege einer Lohnsteuerreform abzugelten.

Trotzdem wir seit Jahren in Österreich eine ausgeglichene Lohn- und Gehaltspolitik betrieben haben, stellt sich die Frage nach dem »Wie geht es weiter?«. Die Zukunftskonferenz in Wattens hat den Diskussionsprozess eingeleitet.

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(C) AK und ÖGB

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