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Vom »Nulldefizit« zum Rückzug des Staates

HINTERGRUND

Im Frühjahr 2000 hat die Regierung ein ausgeglichenes Budget bis zum Jahre 2002 zum obersten Ziel der Wirtschaftspolitik erhoben. Zu diesem Zweck wurden Ausgaben gekürzt und die Steuern und Abgaben massiv erhöht. Die Steuer- und Abgabenquote hat sich durch die Steuererhöhungen von 44% im Jahr 2000 auf 45,9% des BIP erhöht. Das ist der höchste Wert in der Geschichte der Zweiten Republik. Eine Folge war, dass Österreich das gesteckte Ziel bereits im Jahr 2001 erreicht hat. Bund, Länder und Gemeinden zusammen werden sogar einen leichten Budgetüberschuss von 130 Millionen Euro haben. Das wird als ein Erfolg gefeiert, aber die Kosten der Budgetkonsolidierung werden verschwiegen. Österreich, das bis zum Jahr 2000 auf der Überholspur war, musste durch den Sparkurs deutliche Wachstumseinbußen und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen. Beim realen Anstieg des Wirtschaftswachstums nahm Österreich im Vorjahr den letzten Platz ein.

Das rasche Erreichen des Null- defizits und das Beharren auf dieses in Zeiten einer Konjunkturabschwächung, wie wir sie letztes Jahr hatten, wurden von der Arbeiterkammer und den Gewerkschaften von Beginn an kritisiert, da ein Nulldefizit an sich kein vernünftiges ökonomisches Ziel ist. Es kommt vielmehr darauf an, wofür der Staat Geld ausgibt und ob zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben die Bürgerinnen und Bürger nach ihrer Leistungsfähigkeit beitragen. Mit anderen Worten, es geht nicht um den Budgetsaldo, sondern um die Struktur der Budgeteinnahmen und Budgetausgaben. Werfen wir also einen Blick auf die Budgetstrukturen.

Auf die Budgetstrukturen kommt es an

Auf der Ausgabenseite geht es darum, die budgetpolitischen Prioritäten so zu setzen, dass die zukünftigen Herausforderungen bestmöglich bewältigt werden können. Das bedeutet, die Ausgabenströme so zu lenken, dass die Investitionen in die materielle und immaterielle Infrastruktur und in das Humankapital (Ausgaben für Schule, Hochschule, Erwachsenenbildung ...) ebenso wie die sozialstaatlichen Leistungen (Pensionen, Gesundheit, Pflege, Arbeitslosigkeit, Familie etc.) gesichert sind. Ferner geht es darum, den Staat so zu reformieren, dass er seine Leistungen möglichst kostengünstig und zielgerichtet erbringt. Dabei geht es nicht um einen Staat, der auf seine »Kernaufgaben« reduziert werden soll.

Bei der Einnahmenstruktur geht es zunächst darum, dafür Sorge zu tragen, dass der Staat seine Aufgaben finanzieren kann. Steuern sind also nicht Selbstzweck, sie dienen in erster Linie der Finanzierung der Staatsausgaben. Mit Steuern können aber auch andere Zielsetzungen verknüpft werden, etwa verteilungs- und beschäftigungspolitische Ziele. Dann wäre danach zu fragen, ob die Steuerstruktur diesen Zielsetzungen genügt. Hinsichtlich der Steuerstruktur zeigt sich in einem internationalen Vergleich, dass Österreich bei bestimmten Steuern Nachzügler ist. Bei der Steuerbelastung des Vermögens ist Österreich Schlusslicht innerhalb der OECD-Staaten. Bei den Gewinnsteuern der Unternehmungen und Kapitalgesellschaften (AGs und GmbHs) liegt Österreich unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten. Zieht man nur die Kapitalgesellschaften heran, dann nimmt Österreich beim Steueraufkommen den letzten Platz ein. Gewiss, die Steuererhöhungen 2001 haben auch die Unternehmungen getroffen, dennoch liegt die Gewinnsteuerbelastung nach wie vor unter dem OECD-Durchschnitt.

Verteilungspolitik?

Umgekehrt liegt Österreich bei der Belastung mit Umsatzsteuer und mit Sozialversicherungsbeiträgen über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Während die Vermögen- und Einkommensteuern eher die höheren Einkommen belasten, belasten die Umsatzsteuer und die SV-Beiträge die niedrigen Einkommen relativ stärker. Weiters zeigt sich, dass die Belastung des Faktors Arbeit deutlich höher ist als jene des Faktors Kapital, was dem Faktor Kapital gegenüber dem Faktor Arbeit einen Wettbewerbsvorteil verschafft, der in Österreich höher ist als in anderen europäischen Staaten1). Aus der Steuerstruktur Österreichs lässt sich ableiten,

  • dass es kurzfristig - also bei der Steuerreform 2003 - darum gehen muss, Schwerpunktmäßig die Lohnsteuer zu senken und
  • dass es mittelfristig eine Aufgabe der Steuerpolitik ist, die aufgezeigten Strukturen so zu verändern, dass verteilungs- und beschäftigungspolitische Aspekte stärker berücksichtigt werden als bisher. In verteilungspolitischer Hinsicht hat eine Studie des WIFO gezeigt, dass das bestehende Steuer- und Abgabensystem nur mäßig progressiv ist.

Eine so verstandene Budgetpolitik lenkt also den Blick bewusst weg vom Saldenfetischismus, der die Budgetpolitik seit dem EU-Beitritt besonders stark prägte, weil die Erreichung eines bestimmten Budgetsaldos stets im Vordergrund stand. Unabhängig davon sollte Österreich darauf drängen, das enge budgetpolitische Korsett des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Frage zu stellen, weil er eben in Phasen von Konjunkturabschwüngen hohe gesellschaftliche Kosten (Wachstumsverluste, Anstieg der Arbeitslosigkeit) verursacht.

Wider den Saldenfetischismus

Aus diesem Grund wird der Saldenfetischismus zu Recht von vielen Ökonomen als ökonomisch unsinnig angesehen, und es wären zumindest folgende Modifikationen anzustreben.

Erstens sollten die öffentlichen Haushalte nur über den Konjunkturzyklus hinweg ausgeglichen sein, damit im Konjunkturabschwung budgetpolitischer Handlungsspielraum gegeben ist. Das heißt natürlich umgekehrt, dass in wirtschaftlich besseren Zeiten die Budgets konsolidiert werden müssen, um Reserven für den nächsten Konjunkturabschwung zu schaffen.

Zweitens wäre zusätzliche Flexibilität dadurch erreichbar, dass die Ausgaben für öffentliche Infrastrukturinvestitionen nicht auf das Budgetdefizit angerechnet werden, das heißt, wie in der Vergangenheit durch das Eingehen von Schulden finanziert werden können. Das macht Sinn, weil auch nachfolgende Generationen Nutznießer dieser Investitionen sind. Ein privater »Häuselbauer« macht es ja auch nicht anders, auch er finanziert sein Eigenheim im Regelfall wohl im Kreditwege. Ein so definierter Stabilitäts- und Wachstumspakt stellt ein Mindesterfordernis dar und würde der Beschäftigungspolitik mehr Spielraum gewähren.

Noch besser natürlich wäre eine noch weitergehende Abschwächung oder sogar die gänzliche Abschaffung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, wie sie beispielsweise eine konservative britische Wirtschaftszeitschrift, der Economist, gefordert hatte.

Budgetregeln in die Verfassung?

Aus verschiedenen Gründen ist es nicht sinnvoll, die Forderung nach einem ausgeglichenen Budget sowie die Kreditfinanzierung von Investitionen ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland in die Verfassung zu schreiben. Dort hat sich diese Verfassungsbestimmung als zahnlos erwiesen. In den achtziger Jahren wurde sogar der Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe wegen der Nichteinhaltung dieser Budgetregel angerufen, aber Konsequenzen hatte das keine. In den Jahren danach überschritt das Budgetdefizit noch mehrmals die öffentlichen Investitionen, wiederum ohne Folgen. Die Bestimmung ist daher heute totes Recht.

Das Zulassen defizitfinanzierter Investitionen würde voraussetzen, zu klären, was unter öffentlichen Investitionen zu verstehen ist und wie er vom öffentlichen Konsum abzugrenzen ist2). Dazu ist die Verfassung der ungeeignete Ort. Entscheidend ist aber das Argument, dass durch eine Verankerung in der Verfassung wiederum der Budgetsaldo in den Mittelpunkt der Budgetpolitik gerückt wird, obwohl er kein sinnvolles wirtschaftliches Ziel ist. Wird Budgetpolitik als Gesellschaftspolitik gesehen, dann ist hingegen die Frage entscheidend, wofür der Staat sein Geld ausgibt.

»Projekt 2010« - Senkung der Abgabenquote auf 40% des BIP

Nun, da das »Nulldefizit« erreicht ist, wendet sich die Regierung neuen Zielen zu. Bis zum Jahr 2010 soll die Steuer- und Abgabenquote von derzeit 45,9% auf 40% des BIP gesenkt werden. Erste Schritte zur Senkung sollen bereits 2003 folgen, und am Ende - so Finanzminister Grasser - sollten mehr Selbstverantwortung und Freiheit des Einzelnen stehen, der dafür auch mehr in der Brieftasche finden soll3).

Ist was dran an diesen Versprechungen oder ist es wieder eine dieser ökonomisch wenig sinnvollen Zielsetzungen, die sich gut vermarkten lassen? Natürlich antworten Menschen auf die Frage, ob sie weniger Steuern zahlen wollen, mit ja. Aber wird ihnen auch gleichzeitig gesagt, welche Konsequenzen damit verbunden sind? Nein.

Geht man davon aus, dass die Regierung bis 2010 ein mehr oder weniger ausgeglichenes Budget für den Gesamtstaat anstrebt, dann bedeutet die Reduktion der Abgabenquote auf 40% des BIP, dass auf der Ausgabenseite ein Volumen von rund 18 Milliarden Euro eingespart werden muss. Gemessen am heutigen Budgetvolumen des Bundes bedeutet das, dass der Bund - aufgrund der Dynamik der Budgetausgaben - seine Budgetausgaben um 30% senken muss. Bis zum Jahr 2010 kommt das einem jährlichen Sparpaket von rund 2,3 Milliarden Euro gleich.

Das bedeutet, dass in jedem Jahr bis 2010 Ausgabenkürzungen im Ausmaß des Sparpaktes 2000/2001 erfolgen müssen. Die wichtigsten Einsparungen wurden in diesen zwei Jahren erzielt durch: Personalabbau und Verwaltungsreform, Pensionsreform, Maßnahmen zur Erhöhung der sozialen Treffsicherheit, Strukturreformen beim Finanzausgleich.

Woran liegt es, Herr Finanzminister?

Wenn nun Finanzminister Grasser vorrechnet, dass bestimmte Ausgabenblöcke stärker steigen als die Steuereinnahmen des Bundes, so ist das keineswegs neu, weil bestimmte Ausgabenkategorien aufgrund der gegebenen Strukturen eine höhere Ausgabendynamik aufweisen als andere. Er fragt aber nicht danach, woran es liegt, dass das Gesamtsteueraufkommen jährlich etwas schwächer wächst als das BIP, obwohl z. B. die Lohnsteuer im Gegensatz zu anderen (Umsatzsteuer) eine überaus hohe Aufkommensdynamik hat.

Entscheidend für die Frage nach den Konsequenzen für die Betroffenen ist nun, welche Ausgaben und Steuern tatsächlich gesenkt werden? Es ist wohl nicht damit zu rechnen, dass wir im Jahre 2010 ein progressives Steuersystem haben werden, das die Besserverdiener relativ stärker belastet als die Niedrigeinkommensbezieher. Das würde bedeuten, dass zwar in Summe alle weniger Steuern bezahlen, dass sich aber an der Belastungsverteilung zwischen Arm und Reich nichts ändert.

Gut für die Oberen, schlecht für die Unteren

Da - wie bereits erwähnt - über das Steuersystem insgesamt nicht umverteilt wird, kommt unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten der Ausgabenseite eine entscheidende Rolle zu, weil über sie stark umverteilt wird. Das bedeutet, dass von den Ausgabenkürzungen am stärks-ten jene betroffen sind, bei denen das Einkommen durch die öffent- lichen Ausgaben am stärksten aufgebessert wurde. Das waren die unteren Einkommensklassen. Am meis-ten profitieren von den Steuersenkungen daher jene, die vom Staat die geringsten Ausgaben erhalten, das sind die oberen Einkommensklassen.

Diese Aussagen gelten streng genommen nur für den Fall von linearen Kürzungen über alle Ausgabenbereiche hinweg. Werden Ausgabenbereiche gekürzt, die stark umverteilende Wirkungen haben, verschärfen sich die verteilungspolitischen Konsequenzen noch. Genau das ist aber zu befürchten, soll doch am Ende mehr Selbstverantwortung und Freiheit des Einzelnen stehen. Aber viele Niedrigeinkommenshaushalte werden nicht mehr, sondern weniger Geld in der Brieftasche finden. Damit ist klar, worauf das Projekt 2010 hinausläuft - auf einen Rückzug des Staates zu Lasten der sozial Schwächeren.

1) Vergleiche dazu den Beitrag von Farny in Heft 4/2002 von Arbeit und Wirtschaft.

2) Nach üblichen Abgrenzungskriterien ist z. B. die Errichtung einer Schule eine öffentliche Investition. Das, was ich zum Betreiben dieser Schule brauche (die Lehrer), wird dem öffentlichen Konsum zugerechnet. Die Sinnhaftigkeit dieser Abgrenzung wird daher häufig in Frage gestellt.

3) »Neue Freie Zeitung« Nr. 16 vom 17. April 2002

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