»Solidarität und soziale Gerechtigkeit in einer globalen Wirtschaft« | Leitantrag beim 17. Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes
HINTERGRUND
Die Globalisierung ist eine neue Stufe der seit langem anhaltenden Internationalisierung der Weltwirtschaft. Sie bietet Chancen und Risiken. So können individuelle Emanzipation und solidarische Kooperation durch technologischen Fortschritt und die informationstechnische Revolution weiterentwickelt werden. Aber die möglichen positiven Seiten weltweiter Vernetzung können sich nicht entfalten, solange die Bedingungen der Globalisierung allein von Finanzmarktakteuren und multinationalen Konzernen gesetzt werden. Hunger und Armut in den größten Teilen der Welt, Rezession und Arbeitslosigkeit in den Industrieländern, Finanzkrisen mit drohendem Staatsbankrott, Kriege und nicht zuletzt auch Terrorismus zeigen, wie anfällig der globale Kapitalismus ist. All diese Krisensymptome machen überdeutlich, dass eine an der neoliberalen Wirtschaftsideologie orientierte Globalisierung zum Scheitern verurteilt ist.
Bisher überwiegen insbesondere in den Entwicklungsländern die Risiken, weil die nationale und internationale Politik dem Irrtum anhängt, dass soziale Mindeststandards und soziale Gerechtigkeit Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung sind. Doch nach europäischen Erfahrungen ist das Gegenteil der Fall: Ein funktionierender und ausgleichender Sozialstaat, eine ausgebaute Infrastruktur und eine relativ gleichmäßige Einkommensverteilung sind die Voraussetzungen für sozialen Frieden, hohe Beschäftigung und befriedigendes Wachstum. Nur wenn diese Erkenntnis die nationale und internationale Politik leitet, lassen sich in Zukunft aus der Globalisierung für alle Beteiligten der Weltwirtschaft Vorteile ziehen. Nur dann wird es gegen eine weitere Globalisierung keine nationalen und internationalen Widerstände mehr geben. Die Globalisierung muss schließlich für die Menschen auch Demokratie in der Politik und Partizipation in der Wirtschaft einschließen.
Der DGB fordert, dass in einer globalisierten Wirtschaft die Grundsätze von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit umgesetzt werden.
Die Beschäftigungschancen sind zu erhöhen und die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit ist abzubauen.
Globalisierung darf nicht zum Abbau des Sozialstaates führen, vielmehr sind sozialstaatliche Elemente die Voraussetzung für eine gleichgewichtige Globalisierung.
Die Politik und die weitere internationale Gewerkschaftsarbeit stehen vor großen Herausforderungen, um die sehr ungleiche Bilanz der sozialen Gerechtigkeit und die weltwirtschaftliche Integration fair zu gestalten. Dazu gehört, dass die Regelungen des internationalen Miteinanders demokratisch legitimiert und kontrolliert werden.
Solidarität und Gerechtigkeit sind auch in einer globalen Welt möglich. Der Prozess der Globalisierung muss aber gestaltet werden. Die deutschen Gewerkschaften werden sich daran aktiv beteiligen.
Sozialer Ausgleich und Beschäftigungschancen in Deutschland
Kapitalorientierte Globalisierung hat die in Deutschland vorherrschende Wahrnehmung von Internationalisierung als Standortkonkurrenz geprägt. Internationale Wettbewerbsfähigkeit wird dabei an der Attraktivität der Standortbedingungen für die Unternehmen gemessen. Vorrangiges Ziel von Politik und Wirtschaft in Deutschland muss es sein, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Deshalb braucht Deutschland eine grundlegende Neuorientierung in der Wirtschaftspolitik und in der Standortdebatte.
Ein hoher Beschäftigungsstand und ein hoher Lebensstandard sind mit schlichten Kostensenkungsstrategien, Sozialabbau und Deregulierung nicht zu erreichen. Wichtig sind vielmehr die Produktivitätsentwicklung, die Produkt- und Dienstleistungsinnovation und die Bereitstellung günstiger gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen.
Nicht die Globalisierung ist die maßgebliche Ursache der sozialen Schieflagen in Deutschland. So weist der deutsche Armuts- und Reichtumsbericht aus, dass die soziale Ungleichheit bei den Markteinkommen bereits seit Anfang der siebziger Jahre zugenommen hat und durch die Steuer- und Sozialpolitik nur unzureichend korrigiert wurde.
Allerdings geraten auch in einem Land, das wie Deutschland zu den Gewinnern des internationalen Handels gehört, die Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die sozialen Sicherungssysteme unter Druck.
Um das steigende Einkommensgefälle zu reduzieren, fordert der DGB:
Wenngleich die Globalisierung nicht als exklusive Erklärung der zunehmenden sozialen Ungleichheit in Deutschland gelten kann, darf der Zusammenhang zwischen Globalisierung und wachsendem Einkommensgefälle nicht übersehen werden. Es gibt Globalisierungsgewinner und -verlierer. Ein Ausgleich zwischen den Gewinnern und Verlierern der Globalisierung findet allerdings in Deutschland nur unzureichend statt.
Für den solidarischen Ausgleich innerhalb der Gesellschaft ist deshalb ein verteilungspolitischer Richtungswechsel notwendig:
Das europäische Sozialmodell weiterentwickeln
Der DGB fordert die Regierungen der Europäischen Union und die Europäische Kommission auf, die Idee eines europäischen Sozialstaates zu erhalten und weiterzuentwickeln.
Die Erfahrungen mit der einseitig angebotsorientierten Politik der neunziger Jahre zeigen, dass allein mit Strukturreformen die erhofften Wachstumsimpulse nicht erzielt werden können. Die Überwindung der Beschäftigungskrise benötigt vielmehr auch gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, die ein nachhaltiges Wachstum ohne Inflation ermöglichen. Erforderlich ist dabei eine neue Balance zwischen Arbeitsumverteilung, sozialer Sicherheit und Flexibilität.
Die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik hat sich zukünftig vermehrt auf expansive Strategien für mehr Beschäftigung zu konzentrieren.
Der DGB fordert, dass die einseitigen Kürzungen auf der Ausgabenseite und vor allem bei den Sozialleistungen und öffentlichen Investitionen beendet werden. Auf der Einnahmenseite muss eine gerechte Besteuerung hergestellt werden. Große Vermögen und Erbschaften sind unter Beachtung des Prinzips der Leistungsfähigkeit der Besteuerung, etwa durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer bzw. die Verschärfung der Erbschaftsteuer, zu unterwerfen.
Zudem sind die geltenden Steuergesetze konsequent anzuwenden, z. B. durch die Erfassung aller Einnahmen aus Kapitalvermögen sowie durch regelmäßige steuerliche Betriebsprüfungen. Steuerschlupflöcher sind, auch im Wege internationaler Vereinbarungen, zu stopfen.
Internationale Steuersenkungswettläufe, wie sie z. B. bei der Unternehmensbesteuerung feststellbar sind, müssen unterbunden werden, um die staatliche Finanzkraft zu sichern und die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft zu erhalten.
Der Trend, den Arbeitnehmern immer mehr Steuerlasten aufzubürden, muss beendet werden. Bei der Finanzierung von öffentlichen Inves-titionen ist zu beachten, dass hier die Vorfinanzierung über Kredite nicht nur rechtlich zulässig, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist, wenn sich der Nutzen aus diesen Investitionen über mehrere Generationen verteilt.
Die Beseitigung von Hunger und Armut
Die Erträge der Globalisierung sind sehr ungleich verteilt. Große Teile der Weltbevölkerung haben keine Aussicht auf Steigerung ihres Lebensstandards, Entwicklungsländer holen ihren ökonomischen und sozialpolitischen Rückstand nicht auf. Viele Länder sind nicht zuletzt deshalb von politischer Stabilität und Demokratie noch weit entfernt. Dies fördert auch die Oligarchiebildung, Korruption und ungleiche Einkommensverteilung innerhalb der Entwicklungsländer. Die Entwicklungsländer müssen mehr als bisher von der Globalisierung profitieren. Deshalb fordert der DGB die Bundesregierung und die Europäische Union auf, einen aktiven Beitrag zu leisten, der globalen Wirtschaft einen menschlichen und ökologisch verantwortbaren Rahmen zu setzen. Die globale Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen und nicht umgekehrt.
Die Beseitigung von Armut und Hunger und die Sicherung des Friedens sind für den DGB die obersten Ziele internationaler Politik.
Der Erhalt und der Zugang zu den natürlichen Ressourcen, insbesondere Wasser und Boden, sind die Basis sicherer Ernährung für die Menschen in vielen Entwicklungsländern. Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik sind gleichermaßen gefordert, ökologische Krisen zu vermeiden. Der DGB fordert die Bundesregierung auf, sich auf allen betroffenen Politikfeldern für den Klimaschutz, die Bekämpfung der Wüstenausbreitung, die Förderung erneuerbarer Energien und die Sicherung des Zugangs zu sauberem Wasser einzusetzen.
Der DGB unterstützt die Bundesregierung und ihr Aktionsprogramm zur Armutsbekämpfung:
Für eine soziale Gestaltung der internationalen Wirtschaft
Der DGB tritt für eine soziale Wirtschaftspolitik auf internationaler Ebene ein und fordert:
Der DGB setzt sich für eine gerechte Teilhabe der Entwicklungsländer am Weltwirtschaftssystem ein. Dies beinhaltet:
Der DGB fordert für den Handel mit Dienstleistungen die Einhaltung klarer Marktordnungsprinzipien. Öffentliche Dienste und wichtige soziale Dienstleistungsbereiche, wie z. B. Bildung, Gesundheit, Umwelt sowie innere und äußere Sicherheit, müssen vom allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) ausgenommen werden. Die WTO-Länder müssen weiterhin das Recht haben, ihre öffentlichen Dienste selbst regeln zu können. Die Marktöffnung für Finanzdienstleistungen soll nur bei Volkswirtschaften mit entwickelten Finanzinstitutionen erfolgen, die eine Liberalisierung des Finanzmarktes managen können. Die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit erschwinglichen und qualitativ hochwertigen Dienstleistungen durch das Prinzip der Universaldienste (wie z. B. Telekommunikationen) ist zu garantieren. Eine soziale und ökologische Gestaltung des Wettbewerbs im Transportsektor ist notwendig, um externe Kosten auszugleichen. Eine nachhaltige Marktordnung für Tourismusdienstleistungen ist anzustreben, die dem Schutz der natürlichen und kulturellen Umwelt verpflichtet ist. Soziale Ordnungsprinzipien beim elektronischen Handel, bei der Niederlassungsfreiheit, beim öffentlichen Beschaffungswesen und bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit müssen einen unfairen Handel über Sozial- und Lohndumping unterbinden. Sektoren, die in Deutschland heute durch besonders hohe Arbeitslosigkeit oder häufig prekäre Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sind, wie zum Beispiel das Baugewerbe, das Gebäudereinigergewerbe und die Forstwirtschaft, sollten bis zur Änderung dieser Situation nicht für grenzüberschreitend entsandte Arbeitskräfte aus den WTO-Ländern geöffnet werden. Generell muss im GATS-Abkommen das Arbeitsorts- und Günstigkeits-prinzip bezüglich Entlohnung, Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechten verankert werden. Für die Gewerkschaften ist deshalb eine europäische Politik der öffentlichen Daseinsvorsorge unabdingbar.
Die internationalen Finanzmärkte reformieren
Der DGB hält einen offenen und globalen Finanzmarkt für notwendig, um eine nachhaltige Entwicklungsfinanzierung zu sichern. Doch in ihrer gegenwärtigen Verfassung neigen die internationalen Finanzmärkte dazu, Instabilitäten und Krisen zu erzeugen und zu verstärken.
Deshalb fordert der DGB Reformen der internationalen Finanzmärkte:
Europäische und internationale Gewerkschaftsarbeit ausbauen
Der DGB muss mit den europäischen Gewerkschaften versuchen, Einfluss darauf zu nehmen, das europäische Sozial- und Ökologiemodell deutlich zu verbessern. Der Prozess der EU-Erweiterung ist zu unterstützen und es muss darauf hingewirkt werden, dass die sozialen und ökologischen Interessen der Menschen in den Mitglieds- und Beitrittsländern besondere Beachtung finden.
Aber auch auf internationaler Ebene müssen Gewerkschaften mehr Durchschlagskraft erlangen, um den Prozess der Globalisierung mitgestalten zu können: