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»Die Regierung hat die Lage der Arbeitnehmer verschlechtert« ...

HINTERGRUND

A&W-Gespräch mit AK-Präsident Herbert Tumpel

AK-Präsident Herbert Tumpel kritisiert im A&W-Interview die Untätigkeit der Regierung im Kampf gegen die steigende Arbeitslosigkeit und für mehr Beschäftigung. Er fordert mehr Geld für die Aus- und Weiterbildung, damit alle Arbeitnehmer, vor allem die jungen, wieder mehr und bessere Zukunftschancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Arbeit & Wirtschaft: Kollege Tumpel, am 24. November wählt Österreich. Wie schaut eigentlich die Bilanz nach zweieinhalb Jahren schwarzblauer Regierung aus Arbeitnehmersicht aus?
Herbert Tumpel: Die Regierung hat die Lage für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eindeutig verschlechtert. Die Koalition hat Österreich beim Wirtschaftswachstum in Europa an die vorletzte Stelle gebracht. Die Rechnung dafür zahlen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze unsicher geworden sind. Kranksein wurde wegen der Ambulanzgebühren teurer. Die Unfallrenten wurden besteuert. Gegen die Arbeitslosigkeit hat die Regierung viel zu wenig getan, den dramatischen Anstieg sogar selbst verursacht. Die Älteren bezahlen für die so genannte Pensionsreform mit steigender Arbeitslosigkeit. Die Jungen haben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, weil die Regierung bei der Bildung streicht und kürzt. Sie nimmt damit Tausenden Jungen die berufliche Zukunftsperspektive.

A & W: Aber gerade die Bildung hat die Regierung ja als einen Schwerpunkt ihrer Arbeit angekündigt.
Tumpel: Diese Ankündigung war eine leere Überschrift. Die Fakten zeigen klar und deutlich die Untätigkeit der Regierung in der Bildungspolitik. Jedes Jahr bekommt jeder fünfte Jugendliche, das sind 20.000 Mädchen und Burschen, entweder gar keine schulische Berufsausbildung oder die Jugendlichen werden in eine Ausbildung gedrängt, die sie nicht wollen und mit der sie keine guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. 7000 Jugendliche hören nach der Pflichtschule mit der Ausbildung auf, weil es für sie kein entsprechendes Angebot gibt. Diese Jugendlichen sind ganz besonders von Arbeitslosigkeit bedroht und betroffen. Jeder dritte arbeitslose Jugendliche hat keinen oder höchstens einen Pflichtschulabschluss. 6000 Jugendliche bekommen keinen Platz an einer berufsbildenden Schule, weil die aus allen Nähten platzen.

» Die Regierungskoalition hat Österreich beim Wirtschaftswachstum in Europa an die vorletzte Stelle gebracht. Die Rechnung dafür zahlen die Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze unsicher geworden sind ... «

An Schulen mit EDV-Schwerpunkt kommen bis zu sieben Bewerber auf einen einzigen freien Platz. 7000 Mädchen und Burschen haben bei einer AK-Umfrage gesagt: »Das ist nicht die Ausbildung, die ich will und brauche.« Sie wollten eine IT-Ausbildung und mussten auf eine andere Ausbildung ausweichen, weil es zu wenig Plätze gibt.

Ein Jugendlicher, der eine EDV-Ausbildung will, hat nichts von einem freien Platz an einer landwirtschaftlichen Schule, und mit so einer Ausbildung hat er auch keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Statt für mehr Plätze an den berufsbildenden Schulen zu sorgen, hat die Regierung das Budget dafür eingefroren. Die Fachhochschulen müssen jedes Jahr Tausende Bewerber abweisen, weil es zu wenig Plätze gibt.

Studenten müssen zwar Studiengebühren zahlen - die Unis müssen aber mit ihren Vorlesungen in Kinosäle ausweichen. Ausbildung ist der Schlüssel für gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Untätigkeit der Regierung nimmt den Jungen wichtige Chancen für die Zukunft.

»Arbeitsmarktpaket«? »Das ist kein Paket, das ist nicht einmal ein Packerl. Das kommt zu spät und ist viel zu wenig. Die Arbeitslosigkeit bei den Jungen ist dramatisch hoch, 30.000 haben keinen Arbeitsplatz. Seit dem Jahr 2000 ist die Arbeitslosigkeit bei den Jungen um fast 40 Prozent gestiegen ...«

A & W: Aber für die Jungen hat die Regierung im letzten Moment, sozusagen fünf vor zwölf, noch ein »Arbeitsmarktpaket« geschnürt.
Tumpel: Das ist kein Paket, das ist nicht einmal ein Packerl. Das kommt zu spät und ist viel zu wenig. Die Arbeitslosigkeit bei den Jungen ist dramatisch hoch, 30.000 haben keinen Arbeitsplatz. Seit dem Jahr 2000 ist die Arbeitslosigkeit bei den Jungen um fast 40 Prozent gestiegen. Ich habe vor dieser Entwicklung gewarnt und von der Regierung ein Gegensteuern verlangt. Diese Warnungen hat die Regierung in den Wind geschlagen.

Was jetzt beschlossen wurde, ist eine Alibiaktion, die vom Versagen und der Untätigkeit ablenken soll. Die Regierung hat Maßnahmen für 5000 Jugendliche beschlossen - für 25.000 tut sie nichts.

Es fehlen 8000 Lehrplätze. Die Regierung hat ein Auffangnetz zur Jugendausbildung für 3000 Jugendliche beschlossen. Die Regierung hat die Jungen im Stich gelassen. Ich will gute Zukunftsperspektiven für alle Jungen - das fordere ich von jeder Regierung.

A & W: Die Jungen trifft’s besonders, aber es sind ja alle Altersgruppen von der steigenden Arbeitslosigkeit betroffen.
Tumpel: Diese Entwicklung hat im Jahr 2000 begonnen, da war von einem internationalen Konjunktureinbruch, auf den sich die Koalition ausredet, noch nichts zu merken. Statt das Ruder herumzureißen, statt aktiv alles für mehr Arbeitsplätze zu tun, hat die Regierung dem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit tatenlos zugesehen. In Österreich sind jetzt schon so viele Menschen ohne Arbeit wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Zu Jahresende werden wir in Österreich mehr als 300.000 Arbeitslose haben. Anders als vom Wirtschaftsminister und vom Bundeskanzler behauptet, sinkt die Beschäftigung seit Monaten. Dieser traurige Rekord ist zu einem guten Teil hausgemacht und selbst verschuldet.

Auf Wunsch der Wirtschaft, die billige Arbeitskräfte will, holt die Regierung noch mehr Saisoniers ins Land. Diese Arbeitskräfte aus dem Ausland können jetzt in allen Branchen eingesetzt werden. Das verstärkt den Druck auf Zehntausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich noch mehr.

Statt mehr in Straße und Schiene zu investieren, was Tausende Arbeitsplätze bringt, hat die Regierung bei Investition und Erhaltung gekürzt und gestrichen und Projekte auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Bereits finanzierte Straßen- und Schienenprojekte sind mit der Infrastrukturministerin in der Versenkung verschwunden. Statt dafür zu sorgen, dass die Österreicher mehr Geld zum Ausgeben haben, wurde weiter an der Belastungsschraube gedreht. Alles für das Nulldefizit, das dann ohnehin klar verfehlt wurde. Von der Ambulanzgebühr bis zur höheren Lohnsteuer durch die Kürzung der Absetzbeträge - in Summe zahlen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 2,4 Milliarden Euro mehr als vor zwei Jahren.

»... Was jetzt beschlossen wurde, ist eine Alibiaktion, die vom Versagen und der Untätigkeit ablenken soll. Die Regierung hat Maßnahmen für 5000 Jugendliche beschlossen - für 25.000 tut sie nichts ...«

A & W: Die AK hat doch errechnet, dass die Regierung jeden Arbeitnehmerhaushalt durchschnittlich 384 Euro mehr pro Jahr kostet.
Tumpel: Das ist richtig. In Summe hat die Regierung einen durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt wegen der Steuer- und Gebührenerhöhungen in den letzten zweieinhalb Jahren 865 Euro zusätzlich gekostet. Das sind also fast 12.000 Schilling. Allein durch die höhere Lohnsteuer, durch höhere Steuern für Auto und Strom. Noch nicht eingerechnet sind Ambulanzbesuche oder Studiengebühren oder andere Mehrkosten etwa für einen Reisepass oder für öffentliche Verkehrsmittel. Eine vierköpfige Familie mit zwei studierenden Kindern hat heuer 2100 Euro mehr bezahlt.

»Statt das Ruder herumzureißen, statt aktiv alles für mehr Arbeitsplätze zu tun, hat die Regierung dem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit tatenlos zugesehen. In Österreich sind jetzt schon so viele Menschen ohne Arbeit wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg ...«

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren oder wechseln, zahlen besonders drauf. Das sind jedes Jahr mehr als 500.000 Menschen. Sie verlieren viel Geld durch die Verschlechterungen im Urlaubsrecht, sie bekommen weniger Arbeitslosengeld durch die Kürzung der Familienzuschläge. Wenn die Firma pleite geht und der Arbeitsplatz weg ist, zahlen die Arbeitnehmer dafür auch noch mit höheren Steuern.

A & W: Kollege Tumpel, was sind deine Forderungen an die neue Regierung?
Tumpel: Der aktive Kampf für mehr Arbeitsplätze, gegen die dramatisch steigende Arbeitslosigkeit muss absoluten Vorrang haben. Wir brauchen eine aktive Wirtschaftspolitik, öffentliche Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen. Wir brauchen eine Arbeitsmarktpolitik für mehr Beschäftigung, die allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Jungen und den Arbeitslosen die Chance zur Aus- und Weiterbildung gibt. Dass 30.000 Jugendliche ohne Arbeit dastehen, ist unerträglich. Es muss mehr in die Ausbildung der Jungen investiert werden. Die Ausbildung der Jungen, das ist der Schlüssel, ist das Fundament für ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt, für ihre Zukunft - aber auch für die Zukunft Österreichs.

A & W: Wir danken für das Gespräch!

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