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Beschränkte Rationalität der Finanzmärkte

Zukunftsvorsorge: Zukunftssorge | Das Modell der scheidenden Regierung (Dritte Säule der Pension)

HINTERGRUND

Das Zukunftsvorsorgemodell bedeutet mehr Sorge als Vorsorge. Schon in den letzten beiden Ausgaben haben wir berichtet, wie riskant es sein kann, seine Pension den Schwankungen der Finanzmärkte anzuvertrauen. Die (noch-)Regierung hat diese Vorlage durch einen Trick an den Gremien vorbeigeschwindelt. Als Modell für eine Zukunftsvorsorge scheint dieses Modell entweder zynisch oder von einem unerschütterlichen Glauben an die Wunderkräfte der Finanzmärkte getrieben. Seine Zukunft diesen »Wunderkräften« anzuvertrauen, könnte aber so enden, wie der berühmte Tritt auf die Bananenschale ...

Der Nationalrat hat als eines der letzten Gesetze dieser Legislaturperiode ein privates Pensionsvorsorgemodell beschlossen, das von den Regierungsparteien als Initiativantrag eingebracht worden ist. Durch diese Vorgehensweise hat sie den Gesetzentwurf einem Stellungnahmeverfahren unter Einbeziehung von Interessenvertretungen und Experten aus Wissenschaft und Praxis entzogen. Die Eckpunkte des Pakets gestalten sich folgendermaßen: Bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro jährlich soll es eine staatliche Prämie im Ausmaß von 10 Prozent (also maximal 180 Euro) geben.

Die Anbieter solcher Zusatzpensionsprodukte sollten im ersten Vorschlag - der nach europarechtlichen Bedenken noch rasch abgeändert wurde - verpflichtet werden, 60 Prozent der veranlagten Gelder in österreichische Aktien zu investieren.

Der reformierte Entwurf sieht vor, dass 60 Prozent der veranlagten Gelder in einem Mitgliedstaat des EWR zu investieren sind, dessen Marktkapitalisierung 30 Prozent des BIP nicht überschreitet (derzeit: Griechenland, Portugal, Österreich). Begründung: Allgemeine Wirtschaftsförderung zum »Ausgleich des volkswirtschaftlichen Nachteils eines unterentwickelten Kapitalmarktes«. Gleichzeitig sieht das Modell vor, dass die Anbieter eine Kapitalgarantie abgeben, die nur verfällt, wenn das eingezahlte Kapital vorzeitig herausgenommen wird. Das geht nach frühestens zehn Jahren. In diesem Fall muss auch die Hälfte der geförderten Prämie zurückgezahlt oder der Kapitalertrag nachversteuert werden. Generell ist keine Kapitalertragsteuer zu entrichten. Dass dies mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt, liegt auf der Hand.

Prinzip Hoffnung oder Zynismus?

Betrachtet man die letzten zehn Jahre an der Wiener Börse, kann man nur zum Schluss kommen, dass die Architekten des Modells entweder von grenzenlosem Optimismus und einem unerschütterlichen - fast möchte man sagen religiösen - Glauben oder aber von purem Zynismus geleitet worden sein müssen.

Die durchschnittliche Rendite des ATX (das ist der Index der wichtigs-ten Aktien, die in Wien gehandelt werden) betrug im Abstand Monat zum Monat des Vorjahres 3,9 Prozent, wobei dieser Wert statistisch zwischen minus 14 (!) und 22 Prozent schwankte. Hätte man zufällig am höchsten Punkt investiert und das Geld am tiefsten Punkt wieder herausnehmen müssen, hätte man rund 53 Prozent, also mehr als die Hälfte seines hart ersparten Vermögens verloren, und in rund 46 Prozent der Fälle war die Rendite negativ. Im übrigen fuhr man mit einer maximalen Geldvernichtung von 53 Prozent recht gut. An den so genannten Wachstumsmärkten, auf denen mit z. B. Internetaktien astronomische Gewinne erzielt worden waren, wurde vom Höchst- zum vorläufigen Tiefpunkt mehr als 96 Prozent des Kapitals - also so gut wie alles vernichtet. Ähnliche dramatische Verluste gab es zuletzt am Schwarzen Freitag im Jahre 1929 in den USA, nach dem die Weltwirtschaftskrise einsetzte, und es dauerte rund fünfundzwanzig Jahre, bis die Aktienkurse in den USA wieder das Niveau vor dem Schwarzen Freitag erreichten. Angesichts solcher Risiken wundert es nicht, dass nun Experten aus Banken und Versicherungen Alarm schlagen, dass das Modell so nicht darstellbar wäre.
Beschränkte Rationalität der Finanzmärkte; auf Übertreibungen folgen Krisen und Kapitalvernichtung: In der Grafik werden die Verläufe des Dow-Jones-Index (der bekannteste US-Aktienindex) in den zwanziger Jahren verglichen mit dem Verlauf des NASDAQ-Index (ein Börsenindex, der vor allem Internet- und Technologieaktien enthält) in den neunziger Jahren. Die Euphorie der zwanziger Jahre endete in einem riesigen Börsenkrach (»Schwarzer Freitag«). In der Folge kam es zu Bankzusammenbrüchen und zur Weltwirtschaftskrise. Die Euphorie der »new economy« der neunziger Jahre endete ebenfalls in einer echten Wertvernichtung an den Börsen.

Praktisch keine Risikostreuung

Abgesehen davon, dass aus dem Vorschlag in seiner ersten Vorlage ein äußerst uneuropäischer Geist weht, widerspricht es den Prinzipien einer Vermögensverwaltung, alle Eier in einen Korb zu legen. Wer risikoreiche Vermögen besitzt, kann dieses Risiko dadurch vermindern, dass er das eingesetzte Vermögen möglichst breit streut, also in verschiedene Unternehmen, Branchen und Länder investiert, weil sich viele Risiken untereinander statistisch wieder ausgleichen. Wird eine Branche oder ein Land von einer Krise heimgesucht, gibt es andere Länder und andere Branchen, welche die daraus entstehenden Verluste wieder auffangen können. Das erklärt auch, warum sich Investmentfonds einer derart hohen Beliebtheit erfreuen. Die nunmehrige Einbeziehung Griechenlands und Portugals wird wohl auch nicht als optimale Risikostreuung anzusehen sein.

Selbst interessierte österreichische Anleger werden Griechenland und Portugal wohl eher in ihre Urlaubsplanung denn in ihre Pensionsvorsorge einbezogen haben, und wenn, dann eher in der Form des Erwerbs eines Eigenheims am Meer.

Demographisches Risiko

Wir alle werden aufgrund des medizinischen und sozialen Fortschritts immer älter - das ist die gute Nachricht. Wir bekommen aber immer weniger Kinder - das ist die schlechte. Das heißt für die Pensionsvorsorge, dass immer weniger jungen Menschen immer mehr ältere Menschen gegenüberstehen. Das bedeutet, wenn sonst alles gleich bleibt, eine Anspannung in der Pensionsvorsorge - man spricht vom demographischen Risiko.

Das demographische Risiko, das auf dem Umlagesystem lastet, lastet aber in gleicher Weise auf dem Kapitaldeckungsverfahren, wenn im gleichen »demographischen Raum« investiert wird - praktisch alle OECD-Länder haben das gleiche demographische Problem. Kommt es zum Konsum der Renten, müssen Wertpapiere verkauft werden - die Kurse fallen, und das in just dem Zeitpunkt, in dem der Großteil nun in ein kapitalgedecktes Verfahren einsteigt.

Die demographische Belastung des Umlagesystems aber könnte vor allem durch zwei Faktoren entschärft werden: Eine verantwortungsvolle, aktive Politik würde versuchen, Ansätze zu finden, die Erwerbsquoten und die Geburtenraten zu steigern. Dass dies z. B. mit einer aktiven Frauenpolitik möglich ist, welche die Rückkehr nach der Elternkarenz auf der betrieblichen Ebene besser regelt und eine hohe Versorgungsdichte mit Kinderbetreuungseinrichtungen sicherstellt, zeigen skandinavische Modelle. Auch auf europäischer Ebene finden sich solche Ansätze. Nebenbei führen, wie sich in eben diesen Ländern zeigt, eine hohe Versorgungsdichte mit Kinderbetreuungseinrichtungen und eine hohe Akzeptanz und Sicherheit für erwerbstätige Frauen auch zu höheren Geburtenraten, also zu einer doppelten »Rendite« für das Umlagesystem.

Kapitalmarkt und Wirtschaftswachstum

Auch hier muss man wieder von einem unerschütterlichen Glauben neoliberaler Wirtschaftspolitik in die Allheilkräfte des Marktes sprechen, wenn man glaubt, von Aktienmärkten sind keine Impulse für das Wirtschaftswachstum zu erwarten. Über die letzten dreißig Jahre betrachtet, hat sich gezeigt, dass in den OECD-Ländern kein (zumindest kein positiver) Zusammenhang zwischen Aktienmarktentwicklung und Produktivitätswachstum besteht, wie eine jüngste Studie des WIFO im Auftrag der AK Wien gezeigt hat.1)

Für Wachstumsförderung sind nach wie vor Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung, Entwicklung und Innovation ausschlaggebend. Bei den Kapitalmärkten für Wachstumsförderung anzusetzen heißt, das Pferd von hinten aufzuzäumen.

Zudem zeigt sich, dass in den OECD-Ländern in den letzten dreißig Jahren eine Dominanz der Kreditfinanzierung anders als Aktienmarktfinanzierung stabilisierend auf die Wachstumsschwankungen gewirkt hat.2)

Die Begründung »Ausgleich des volkswirtschaftlichen Nachteils eines unterentwickelten Kapitalmarktes« ist demnach nicht nachvollziehbar.

Steuerliche Förderung für wen oder was?

In Zeiten begrenzter Budgets und eines inländischen Wirtschaftswachstums, das seit dem 2. Quartal 2000 unter dem EU-Durchschnitt liegt und sich zuletzt immer weiter davon entfernt hat, ist ein derartiges Steuerprivileg, von dem keine Wachstumsimpulse ausgehen und das zu einer Verteilung von unten nach oben führt, unakzeptabel. Zur Umverteilung nach oben kommt es deshalb, weil sich erstens nur Reichere eine derartige Pensionsvorsorge leisten werden können und zum zweiten, weil Finanzvermögen besonders ungleich verteilt sind. Das Geld könnte man viel besser für echte Wachstumsförderung, eine Beschäftigungsoffensive oder - warum nicht - für das Umlagesystem verwenden, das weniger riskant, billiger (jede Vermögensverwaltungsstelle hat gut bezahlte Manager, Kosten für den Vertrieb, für Marketing etc.) und vor allem solidarisch ist. Kindererziehungszeiten, Arbeitslosigkeit und ähnliche Unterbrechungen eines »regulären« Beschäftigungsverhältnisses führen dazu, dass man nicht mehr einzahlen kann. Im Umlagesystem werden solche Lebenslaufrisiken
mit gutem Grund ausgeglichen, im Zukunfts(vor)sorgemodell ist dies undenkbar.

Grundsätzlich stellt sich aber die Frage, warum steuerliche Förderungen von privaten Produkten offensichtlich positiv, jene des Umlage-
systems im Gegensatz dazu als Problem gesehen werden.

Europarecht

Die europarechtlichen Bedenken, eine Förderung nur für österreichische Aktien zu gewähren, haben sich offenbar bestätigt.

Die bloße Annahme eines volkswirtschaftlichen Schadens sollte empirisch unterlegt werden. Da sich in den OECD-Ländern in den letzten dreißig Jahren kein (zumindest kein positiver) Zusammenhang zwischen Aktienmarktentwicklung und Wirtschaftswachstum feststellen lässt, hängt diese Argumentation in der Luft.

Kapitalmarktförderung?

Die Österreicher veranlagten per Ultimo 2001 86.814 Millionen Euro in inländischen Investmentfonds (veranlagtes Volumen ist das verwaltete Volumen abzüglich der in inländischen Investmentzertifikaten gehaltenen Anlagen, sprich der Fonds in Fonds). Damit erreichte das in Investmentfonds veranlagte Volumen bereits 69,2 Prozent der Spareinlagen. Gleichzeitig werden von diesem Volumen aber nur 1,02 Prozent »freiwillig« in inländischen Anteilswerten veranlagt (im zweiten Quartal 2002 ist dieser Wert weiter auf 0,93 Prozent gefallen). Deutlicher können die Präferenzen des heimischen anlagesuchenden Publikums nicht zum Ausdruck gebracht werden.

Die Österreicher sind bereit - attraktive Anlagemöglichkeiten vorausgesetzt - ein kalkuliertes Risiko einzugehen. Dieses attraktive Angebot sehen sie augenscheinlich nicht in inländischen Aktien. Der Wiener Kapitalmarkt hat demnach kein nachfrageseitig bedingtes Problem, sondern das Angebot stimmt nicht. Durch die Privatisierungspolitik der letzten Jahre verschwinden durch den Totalverkauf von Unternehmen (z. B. Austria Tabak) attraktive Schwergewichte von der Wiener Börse. Die Notierungslöschung aufgrund des Totalverkaufs der Austria Tabak hatte im Februar dieses Jahres trotz eines Anstiegs des Wiener Börsenindex um 2,6 Prozent zu einem Verlust an Marktkapitalisierung - das ist der Wert aller an der Wiener Börse gehandelten Aktien - von 5 Prozent geführt.

Zusammenfassung

Eine vernünftige Kapitalmarktförderung muss, wenn sie als erforderlich erachtet wird, dort ansetzen, wo das Problem liegt - beim Angebot. Das Zukunfts(vor)sorgemodell geht hier in eine falsche Richtung.

Das Zukunfts(vor)sorgemodell der Regierung geht völlig an den Präferenzen der österreichischen Anleger vorbei, missachtet grundlegende Prinzipien der Risikostreuung, ist verteilungspolitisch problematisch, fördert das Wirtschaftswachstum nicht und es sucht Lösungen auf der falschen Marktseite. Es erscheint daher entweder zynisch oder von einem schier unerschütterlichen Glauben an die Wunderkräfte der Finanzmärkte getrieben.

Eine verantwortungsvolle Zukunftsvorsorgepolitik würde an den tatsächlichen Problemen der Daseinsvorsorge ansetzen: der Demographie und der Erwerbsquote.

Eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik wiederum sucht Impulse für die Realwirtschaft in Form von Infrastrukturinvestitionen und Förderung von Bildung, Forschung, Entwicklung und Innovation.

1) Hahn, Franz, R., Bedeutung von Aktienmärkten für Wachstum und Wachstumsschwankungen in den OECD-Ländern, Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft 79, AK Wien, Wien 2002 - auch als pdf-file unter http://www.akwien.at zum downloaden.

2) ebenda

Worum geht’s?

Zuerst die gute Nachricht: Dank des medizinischen und sozialen Fortschritts werden wir immer älter. Und jetzt die schlechte: Wir bekommen immer weniger Kinder. Für unsere auf dem Generationenvertrag basierende Pensionsvorsorge ist das sogar sehr schlecht, denn wer soll unsere Pensionen später einmal zahlen? Die österreichische Bundesregierung hat knapp vor Ende der Legislaturperiode per Initiativantrag (also ohne Möglichkeit der Stellungnahme durch Interessenvertretungen und Experten!) ein privates Pensionsvorsorgemodell beschlossen, das Kenner der Materie als blanken Zynismus bezeichnen. Beiträge für eine private Zusatzpension sollen durch eine 10-prozentige staatliche Prämie gefördert werden, das veranlagte Geld mit Kapitalgarantie in Aktien investiert werden. Der Mythos der Kapitaldeckung lebt darin jedenfalls wieder auf (siehe Gerald Klec/David Mum »Mythos Kapitaldeckung« in AW 10/2002; S. 28-32) - ein falscher Mythos, wie die Entwicklung der Aktienmärkte in den letzten Jahren eindeutig gezeigt hat. Das gute alte Umlagesystem scheint jedenfalls immer noch die beste und risikoärmste Lösung zu sein.

(Ch)

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