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Die GATS 2000 Verhandlungen | Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen durch die Hintertür?

HINTERGRUND

Das allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) ist eine der Hauptachsen der Welthandelsorganisation WTO. In den Industriestaaten sind Dienstleistungen der wichtigste Wirtschaftszweig. Entsprechend groß ist das Interesse führender Konzerne, öffentliche Bereiche wie Wasser- und Gesundheitsversorgung, Bildung oder Verkehr dem freien Markt zu öffnen. Mit weitreichenden und negativen Konsequenzen für Arbeitnehmer und Konsumenten. Statt öffentliche Dienstleistungen der Privatwirtschaft zu überlassen, gilt es, neue Konzepte und Allianzen zu bilden.

Der internationale Dienstleistungshandel beträgt rund 20 Prozent des gesamten Welthandels. Drei Viertel der Dienstleis-tungsexporte entfallen auf dieIndustrieländer, allen voran die EU und die USA. Spätestens mit der Uruguay-Runde des GATT (1986- 1994) wurde der Dienstleistungshandel zum Thema internationaler Handelspolitik. Das Allgemeine Abkommen über Handel mit Dienstleistungen (GATS) wurde als Bestandteil der Schlussakte der Uruguay-Verhandlungsrunde angenommen und trat Anfang 1995 in Kraft.

Dienstleistungen orientieren sich traditionellerweise an den Bedürfnissen der heimischen Märkte. Regulierende Standards wie Qualifikationen, technische Vorschriften und Normen hängen mit den sozialen und wirtschaftlichen Eigenheiten der einzelnen Länder zusammen. Das erschwert allerdings den internationalen Dienstleistungshandel. Das GATS sollte den Rahmen schaffen, um Dienstleistungen international vergleichbarer und somit »exportfähiger« zu machen.

WTO und GATS

Die 1995 gegründete Welthandelsorganisation WTO ist Nachfolgerin des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT aus 1947. In der WTO wird über den Abbau von Handelsbeschränkungen für Waren, Landwirtschaft und Dienstleistungen verhandelt. Das Dienstleistungsabkommen GATS regelt den Marktzugang und die Inländerbehandlung für ausländische Unternehmen. In eigenen Listen wird festgehalten, in welchen Dienstleistungssektoren die einzelnen Länder Liberalisierungsverpflichtungen eingegangen sind.

W. R.

Die GATS 2000 Verhandlungen

Seit zwei Jahren laufen die so genannten GATS 2000 Verhandlungen, um die 1995 begonnene Liberalisierung der Dienstleistungen voranzutreiben. In einem ersten Schritt legten die Mitgliedstaaten ihre Libera-lisierungsforderungen in Genf vor. Bis 31. 3. 2003 haben die Vertragsstaaten ihre Liberalisierungsangebote darzulegen. Bei der fünften WTO-Ministerkonferenz im September 2003 in Mexiko soll die heiße Phase der Verhandlungen beginnen, die bis 1. 1. 2005 abgeschlossen sein sollen.

Die Listen der WTO-Mitglied-staaten enthalten Forderungen weitgehender Liberalisierung in praktisch allen vom GATS erfassten Dienstleistungsbereichen. So fordert die EU von den anderen Mitgliedern die Liberalisierung bei Energie, Transport/Verkehr, Post- und Telecom, Finanzdiensten und Wasserversorgung. Die USA wiederum wollen von den WTO-Partnern vorrangig die Liberalisierung bei Bildung und kulturellen bzw. audiovisuellen Dienstleistungen wie Fernsehen oder Film.

Druck auf Arbeitnehmer

Im für Arbeitnehmer besonders sensiblen Bereich grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung durch natürliche Personen (Mode 4), zeichnet sich verstärkter Liberalisierungsdruck ab. Bislang umfassen die Verpflichtungen der meisten Länder nur wenige Beschäftigtengruppen: Vor allem innerbetrieblich entsandtes Schlüsselpersonal und Geschäftsreisende.

Die Interessen in den laufenden Verhandlungen sind unterschiedlich. In den Industriestaaten setzen sich die international tätigen Dienstleistungskonzerne für weitere Verpflichtungen bei höher qualifizierten Arbeitskräften ein. Sie fordern den erleichterten Zugang durch die Einführung eines speziellen GATS-Visa. In den Entwicklungsländern sieht man in der Liberalisierung von Mode 4 für niedrig qualifizierte Arbeitskräfte beträchtliche ökonomische und soziale Vorteile. Sie fordern daher die Liberalisierung von Mode 4 auch für selbständig tätige Dienstleistungserbringer auf Vertragsbasis, die Reduktion von Zugangsbarrieren zu nationalen Arbeitsmärkten und Ausnahmen von verpflichtender Beitragsleistung zu Sozialversicherungen.

Liberalisierung/Privatisierung

Unter Liberalisierung versteht man die Öffnung eines bislang aufgrund von Gesetzen oder besonderen Rechten in Monopolen organisierten Wirtschaftsbereichs für weitere Mitbewerber. Privatisierung bedeutet den teilweisen oder vollständigen Verkauf öffentlicher Unternehmungen an private Käufer. Erfahrungsgemäß führt die Liberalisierung oft zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen.

W. R.

Druck auf öffentliche Dienstleistungen

Weiteres zentrales Thema der laufenden GATS-Verhandlungen ist die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen. Die EU ist primär daran interessiert, dass die WTO-Partner die Wasserversorgung, Post- und Telecom, Verkehr und Energiedienstleistungen liberalisieren. Die USA fordern zur Liberalisierung der Bildung sowie der kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen auf.

Bereits in den 90er Jahren gab es in diesen Bereichen teilweise bedeutende autonome Liberalisierungen der EU bzw. der USA. Nun sollen die anderen dasselbe tun. Dass sich die Forderungen von EU und USA ergänzen, lässt eine umfassende Liberalisierungsrunde erwarten. Aus demokratiepolitischer Sicht ist allerdings zu bedenken, dass einmal im GATS festgeschriebene Liberalisierungen wegen der hohen Ausstiegskosten aus dem Vertrag kaum rückgängig zu machen sind.

Beispiel Wasserversorgung

Vom Großteil der 109 WTO-Mitgliedstaaten verlangt die EU die Liberalisierung der Wasserversorgung. Gefordert wird vor allem die freie Niederlassung für ausländische Unternehmen. Konkret bedeuten dürfte dies den Einstieg großer internationaler Konzerne bei den lokalen öffentlichen Versorgern. Oder gar deren vollständigen Verkauf. Der Hintergrund: Die Expansionsbestrebungen europäischer Energie- und Wasserkonzerne. Etwa der französischen Weltmarktführer Vivendi und Suez Lyonnaise des Eaux. Auf einem anderen Blatt steht freilich die Qualität und Leistbarkeit der Wasserversorgung für die Bevölkerung.

Die Wasserversorgung war bislang aus dem GATS ausgenommen. Nun hat die EU auch sie zum Gegenstand der laufenden Verhandlungen gemacht. Sie hat damit zum Ausdruck gebracht, dass Wasserversorgung keine öffentliche Dienstleistung im Sinne des GATS ist. Zwar enthält Artikel I.3(b) des GATS eine Ausnahmebestimmung für Dienstleistungen in Ausübung hoheitlicher Zuständigkeit. Als solche gelten Dienstleistungen, die weder auf kommerzieller Basis noch im Wettbewerb mit anderen Anbietern erbracht werden. Diese Formulierung ist freilich äußerst vage. Werden in einem Land bestimmte Dienstleistungen sowohl von der öffentlichen Hand als auch von Privaten angeboten, wie in Österreich etwa im Gesundheits- und Bildungswesen, kann es durchaus zu Abgrenzungsproblemen kommen. Trägt ein Staat hier nicht durch eine Ausnahmeklausel für bestimmte öffentliche Dienste Vorsorge, könnten sich private ausländische Anbieter »diskriminiert« fühlen. Dann ist der Weg zum WTO-Schiedsgericht nicht weit.

Eine Präzisierung von Inhalt und Umfang öffentlicher Dienstleistungen im GATS ist daher dringend notwendig. Zu den Kernaufgaben öffentlicher Dienstleistungen gehören jedenfalls die Wasserversorgung, Bildung und Gesundheitswesen sowie der öffentliche Personenverkehr. Grundsätzlich sollte es jedem Land freigestellt bleiben, welche Leistungen es weiter durch die öffentliche Hand bereitstellen will.

Die EU-Forderung zur Wasserliberalisierung geht daher in die falsche Richtung. Die eigentliche Brisanz erschließt sich im Kontext der Debatte um die Zukunft der so genannten Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa. Hier sind die jüngsten Liberalisierungspläne der EU-Kommission auf vehementen Widerstand von Regionen, Gemeinden und Städten gestoßen. Die Gefahr besteht, dass über den Umweg der GATS-Verhandlungen der Widerstand gegen die Liberalisierung essentieller Bereiche der Daseinsvorsorge gebrochen wird. So ist es durchaus möglich, dass die EU-Kommission die Liberalisierung der Wasserversorgung gegen attraktive Verpflichtungen der Verhandlungspartner »eintauscht«. Österreich könnte sich dieser Verpflichtung dann schwer entziehen. Die Folge: Öffnung des heimischen Wassermarktes für ausländische Konzerne und mittelfristig die Privatisierung öffentlicher Versorger. In anderen Worten: Über die multilaterale Ebene droht eine Erosion der öffentlichen Daseinsvorsorge mit all den negativen Folgen für Qualität und Erschwinglichkeit.

Herausforderungen für die Arbeitnehmervertretungen

Liberalisierung bedeutet im Endeffekt oft nichts anderes als Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Eine einflussreiche Allianz von transnationalen Konzernen, Industrieverbänden, Wissenschaftern und Regierungen unternimmt hier seit geraumer Zeit den akkordierten Angriff auf die öffentlichen Dienstleistungen. Bereiche wie Gesundheit, Bildung und Pensionen werden als ineffiziente Privilegienhorte »denunziert«. Allgemein verfügbare, leistungsstarke öffentliche Dienste sind aber entscheidende Grundlage des europäischen Gesellschaftsmodells. Wohlstand und Teilhabechancen aller am ökonomischen und sozialen Leben hängen in hohem Maße von der flächendeckenden und güns-tigen Versorgung mit den Leistungen der Daseinsvorsorge ab.

Diese Errungenschaften des von der Arbeiterbewegung maßgeblich geprägten 20. Jahrhunderts bleiben Voraussetzung fortschrittlicher Politik. Sicher: Das europäische Wohlfahrtsmodell blieb in mancherlei Hinsicht unvollständig, und es hatte in Form von Paternalismus und Bürokratisierung auch seine Schattenseiten. Das kann aber nicht heißen, die Grundversorgung der Bevölkerung mit essentiellen Dienstleistungen der privaten Wirtschaft zu überlassen. Denn das hieße, dass nur noch eine zahlungskräftige Minderheit in ausreichender Quantität und Qualität versorgt wird. Es gilt daher, Konzeption und Praxis der öffentlichen Dienste weiterzuentwickeln und auf eine breite politische Basis zu stellen.

Was nötig ist ...

Das erfordert zum Ersten eine fundierte Kritik der Liberalisierungs- und Privatisierungspraxis und deren Effizienz- und Wettbewerbsrhetorik. Es muss klar gemacht werden, dass dieser Ansatz darauf hinausläuft, mit der Peitsche betriebswirtschaftlichen Kostenkalküls dem öffentlichen Sektor jedwede gemeinwirtschaftliche Orientierung auszutreiben. Gerade die Vielfalt der gesellschaftlichen Bedürfnisse, die mit öffentlichen Dienst-leistungen befriedigt werden, gilt es aber zu betonen.

Zum Zweiten bedeutet dies, die demokratische Kontrolle der öffentlichen Dienste zu stärken. Hier lohnt ein Rückgriff auf den alten Gedanken der Vergesellschaftung (Sozialisierung). Darunter ist eine gemeinwirtschaftliche Organisationsform zu verstehen, welche die Kontrolle der öffentlichen Diens-te in die Hände aller legt. Damit soll eine breite, demokratisch verfasste Entscheidungsfindung hinsichtlich der gewünschten Leistungen ermöglicht und hierarchische, bürokratische Strukturen vermieden werden. Nur so kann es wieder zur nötigen Identifizierung der Bevölkerung mit den öffentlichen Diensten kommen.

Zum Dritten bedarf dieses inhaltliche Erneuerungsprojekt einer breiten politischen Basis, um sich durchzusetzen. Das erfordert Bündnisse mit neuen sozialen Bewegungen. Auch Allianzen mit den von der Ausdünnung der öffentlichen Dienstleistungen betroffenen ländlichen Bevölkerung, Bauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden bieten sich an.

Das sich in der GATS-Kampagne europaweit formierende Bündnis von Zivilgesellschaft und Gewerkschaften ist ein ermutigendes Zeichen. Ein wesentliches Ziel der Kampagne ist es, die Bevölkerung für ein kaum wahrgenommenes Thema zu sensibilisieren. Das GATS wird dabei zum Symbol einer Opposition gegen eine entsolidarisierte Gesellschaft, die in der Privatisierung der öffentlichen Dienste ihren spezifischen Ausdruck findet. Damit einhergehende Überzeichnungen und Vereinfachungen mögen Puristen der Sachpolitik schmerzen.

Sie sind aber nötig für eine Politik, die mobilisieren will. Solange diese Politik die Interessen breiter Bevölkerungsschichten vertritt, ist sie auch keinesfalls als Populismus misszuverstehen. Das ist angesichts der vom sozialpartnerschaftlichen Modell geprägten jüngeren Vergangenheit Österreichs noch etwas ungewohnt. Es bedeutet aber auch die Chance, die Interessen der Arbeitnehmer in einem rauen politischen Klima wirkungsvoll zu vertreten.

Worum geht’s?

Schon längst sind Dienstleis-tungen zum wichtigsten Wirtschaftszweig der Industriestaaten geworden. Global gesehen beträgt der internationale Dienstleistungshandel bereits rund 20 Prozent des gesamten Welthandels. Groß ist deshalb das Interesse transnationaler Konzerne, öffentliche Bereiche wie Wasser, Bildung, Gesundheitswesen oder Verkehr für den freien Markt zu öffnen.

Für die betroffenen Arbeitnehmer und die Konsumenten kann die 1995 begonnene Liberalisierung der Dienstleis-tungen freilich negative Folgen haben, da sie oft nichts anderes als schonungslose Privatisierung bedeutet - und deren Konsequenzen sind allgemein bekannt: Erhöhter Leistungs- und Lohndruck auf die Arbeitnehmer und Abkehr von einer flächendeckenden günstigen Versorgung mit grundlegenden Dienstleistungen (Wasser, Energie, Post, Kommunikation etc.) für alle. Also stures betriebswirtschaftliches Kostenkalkül statt gemeinwirtschaftlicher Orientierung. Eine Kritik an dieser Entwicklung ist in jedem Fall angebracht.

(Ch)

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