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»Du kannst dich auf dein Sternbild verlassen oder ...« | Gewerkschaftspresse 1945 bis 1955

HINTERGRUND

»Du kannst dich auf dein Sternbild verlassen oder dein Leben selbst gestalten!«, »Die Gewerkschaft bist du!«, »Vergiß nie, daß die Gewerkschaft eine Kampforganisation ist!« Mit diesen und anderen Slogans warb die Gewerkschaftspresse der jungen Zweiten Republik. Auf- und Ausbau des Kontaktes zu den Mitgliedern war von Anfang an ein zentraler Punkt gewerkschaftlicher Pressearbeit. Ein medialer Streifzug anlässlich der Ausstellung im ÖGB-Bildungszentrum.

»Die erste Nummer eines kleinen, in seinem Äußeren bescheidenen Blattes liegt vor uns. Eines Blattes, das berufen ist, der Gewerkschaftsbewegung und den Sozialversicherungsinstituten unseres Landes zu dienen.« Mit diesen Worten des ÖGB-Präsidenten Johann Böhm tritt am 8. Juni 1945 das erste Zentralorgan des ÖGB, »Der österreichische Arbeiter und Angestellte« (ab Jänner 1947: »Solidarität«), an die Öffentlichkeit. Es ist dies zu einem Zeitpunkt, in dem der neu gegründete überparteiliche Österreichische Gewerkschaftsbund gerade etwas mehr als einen Monat besteht. Die demokratische Aufbauphase läuft gerade an, Funktionäre und Mitglieder sammeln sich erst wieder. Der »Metallarbeiter« Nr. 16/1952 berichtet unter dem Titel »Es war ein Tag der Wiedergeburt« rückblickend über die erste Vertrauensmännerkonferenz der Metallarbeiter 1945:

»Das Gebäude ... war auch beschädigt, der Saal mit Mauerwerk und Holztrümmern bedeckt. Mit viel Mühe konnten Sitzgelegenheiten herbeigeschafft und von Arbeitern des Elektrizitätswerkes eine improvisierte Lichtleitung zustande gebracht werden, die aber teilweise versagte, so daß man gelegentlich im Dunkeln saß. Es war nur möglich, die Vertrauensmänner aus der unmittelbaren Umgebung des Bezirkes zusammenzubringen, es werden deren 200 gewesen sein, da Kohlen- und Verkehrsmittelmangel sowie scharfe Zonenabgrenzung ein Hindernis für eine größere Versammlung bildeten.«

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen bleibt die Absage an die Richtungsgewerkschaften der Ersten Republik aufrecht. Das stellen die drei Gründungsfunktionäre, ÖGB-Präsident Johann Böhm sowie der christliche Gewerkschafter Lois Weinberger und der kommunistische Gottlieb Fiala, in ihrer Begrüßung der ersten Nummer des ÖGB-Zentralorgans nach 1945 ausdrücklich fest. So schreibt Fiala:

»Angesichts der Papierknappheit ist es vorläufig nur ein kleines Mitteilungsblatt, mit dem der ÖGB hervortritt. Hinter diesem kleinen Blatt steht jedoch ein großer Gedanke, eine schöpferische Tat, die gewerkschaftliche Einigung der österreichischen Arbeiter und Angestellten aller Parteirichtungen und Weltanschauungen.«

Antichambrieren bei den Papierfabrikanten ...

Papierknappheit sowie hohe Papierpreise sind in der Tat eines der Hauptprobleme der Gewerkschaftspresse in den ersten Nachkriegsjahren. Manchmal ist es einem Großteil der Zeitschriften überhaupt nicht möglich, zu erscheinen. Die Verteilung und gemeinsame Nutzung ist deshalb von eminenter Bedeutung.

Die Fachblätter der einzelnen Gewerkschaften, damals 16, haben daher meist nur einen Umfang von vier Seiten, der fallweise durch Zusammenlegung mit dem Zentralorgan verstärkt wird.

Der Pressereferent der Gewerkschaft der öffentlich Angestellten, Gustav Blenk, berichtet anlässlich des ersten gewerkschaftlichen Schulungskurses 1947:

»Es war in den letzten Monaten so in Österreich, daß Papier immer karg bemessen war für die Blätter der Arbeiter und Angestellten, daß es aber im reichlichen Maße vorhanden war für alle Druckerzeugnisse niedrigster Sorte, für Machwerke pornographischen Inhalts, Kreuzworträtsel und dergleichen. In den Verkaufsständen der Druckschriftenverschleißer eine Fülle dieser volksverdummenden, geistzerstörenden Erzeugnisse - aber in den Gewerkschaftsredaktionen und Presseausschüssen ein aufreibender, nicht immer erfolgreicher Kampf um das Papier für das Erscheinen der nächsten Folge des Verbandorgans, langes Antichambrieren in den Vorzimmern der Papierfabrikanten, vergebliches Anrennen gegen die von ihnen gehandhabte Wirtschaft von ›hinten herum‹.«

Bereits im September 1945 wird im ÖGB ein Pressereferat unter der Leitung von Fritz Klenner eingerichtet. Die Public-Relations-Arbeit hat zwei Zielfelder. Einerseits über die Fachblätter aus dem Gewerkschaftsbereich direkt an die Betriebe, andererseits über die allgemeinen Medien einschließlich Rundfunk und Nachrichtenagenturen auch an die breite Öffentlichkeit. Parallel mit dem Anwachsen der Mitgliederzahlen - Ende 1947 gibt es bereits mehr als 1,200.000 Gewerkschaftsmitglieder - steigen auch Zahl und jeweilige Auflage der Fachblätter. Zu Beginn des Jahres 1948 hat jede Gewerkschaft ihr eigenes Organ.

Das inhaltliche Kernstück der Fachblätter vor allem in den ersten Jahren sind hauptsächlich Berichte und Nachrichten aus der Organisation. Erst mit der Vergrößerung des gewerkschaftlichen Aktionsradius und des Blattumfanges erfolgt auch Schritt für Schritt ein inhaltlicher »Relaunch«.

Nordisch geschwellte Heldenbrust

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist ein bestimmender Schwerpunkt vor allem in den ersten Ausgaben der Gewerkschaftspresse. Immer wieder finden sich Beiträge über Gewerkschafter, die im Widerstand oder inhaftiert waren; Berichte über den Holocaust sind dabei aber fast ausnahmslos kein Thema ...

Im Mittelpunkt scheint doch die Gegenwart, die Situation in den Betrieben, zu stehen. So wird bereits in der ersten Nummer des »Österreichischen Arbeiters und Angestellten« über die Liquidation der Deutschen Arbeitsfront (DAF) berichtet, die auch das Vermögen der österreichischen Gewerkschaften vereinnahmt hat:

»Für ihn (den österreichischen Arbeiter und Angestellten, Anm. d. Red.) ist diese Liquidation ein besonderer Akt der Gerechtigkeit, ein Akt der Wiedergutmachung. Sie ist für ihn nicht nur eine Liquidation im materiellen, sondern auch im ideellen Sinne.«

Am 10. Mai 1945 wird das Gesetz über die Bestellung von öffentlichen Verwaltern erlassen. Es bildet die Grundlage für die Rekrutierung von fast 6000 öffentlichen Verwaltern und Aufsichtspersonen für herrenlose oder bisher von Nationalsozialisten geführte Betriebe und Unternehmungen.

In der Rubrik »Aus den Betrieben« bringt die erste Nummer des »Vorwärts«, des Organs für die Arbeiter im graphischen und papierverarbeitenden Gewerbe, einen Situationsbericht der Firma Steyrermühl VI:

»... Alle Arbeiter und Angestellten waren bemüht, den Betrieb wieder in Gang zu bringen, wozu uns die Rote Armee als erster Kunde mit ihren verschiedentlichen Aufträgen verhalf. Sodann wurde der Betrieb vom Staat übernommen und dieser einem kommissarischen Leiter unterstellt, welcher einleitend erwähnte, diesen Betrieb nicht im kapitalistischen Sinne zu führen, sondern einen eventuellen Reingewinn der Belegschaft zugute kommen zu lassen ... Anschließend wurde der Betriebsrat gewählt, der unter anderem volle Einsichtnahme in die Geschäftsgebarung hat. Die Entfernung sämtlicher Nazi wurde durchgeführt, ebenso mußten alle ausländischen Arbeiter austreten.«

Nicht immer aber ist es so gelaufen. Der Heimkehrer aus dem Konzentrationslager, so der »Österreichische Arbeiter und Angestellte« vom 7. 7. 1945, sieht »staunend in Amt oder Arbeit auf Schreibtisch den sitzen, der auf nordisch geschwellter Heldenbrust das Abzeichen trug und der nicht laut genug ›Heil Hitler!‹ schreien konnte. Der gleiche Mann hält ihm jetzt einen salbungsvollen Vortrag über die Demokratie und über die wirtschaftliche Lage des neuen Staates, die es gerade noch möglich macht, ihm, der heute nie ein Nazi gewesen sein will, einen Posten zu verschaffen, aber keinen Platz für den hat, der nun nach der Niederringung des Faschismus auf seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren möchte«.

Land in Not

Der Kampf um höhere Lebensmittelrationen sowie gegen den »Schwarzmarkt« ist ein wichtiger Schwerpunkt der Gewerkschaftsarbeit der ersten Nachkriegsjahre. Unter dem Titel »Land in Not« druckt der »Österreichische Arbeiter und Angestellte« vom 12. 12. 1945 den Leserbrief eines Wiener Neustädter Arbeiters ab:

»Vorige Woche wurde pro Kopf der Bevölkerung ein achtel Kilogramm Rollgerstl, sonst weiter nichts ausgegeben. Nur ein Kilogramm Brot steht uns bedauernswerten, schon fast verhungerten Menschen zur Verfügung. Pure Wahrheit, Kommentar überflüssig. Sollten sich die Lebensbedingungen in Wiener Neustadt und Umgebung in absehbarer Zeit wirklich nicht zum Besseren wenden, so wäre es gleich besser, die Siegermächte würden gleich in unserm Gebiet die Atombombe ausprobieren, damit uns allen gleich das Lebenslicht ausgeblasen wird.«

Wehrmachtsuniformen für Eisenbahner

Nicht nur an Nahrungsmitteln, sondern auch an Gegenständen des täglichen Bedarfs, wie etwa an Schuhen oder Strümpfen, mangelt es. Vor allem die Berufsbekleidung ist ein Problem.

In der Nummer 4/1948 kann der »Eisenbahner« einen ganz großen Erfolg vermelden: Auf Grund einer Vorsprache bei Bundeskanzler Leopold Figl erhalten die österreichischen Eisenbahner 1948 30.000 alte Blusen und Wollschlafsäcke aus Wehrmachtsbeständen zur Anfertigung von Eisenbahner-Uniformen!

Gewerkschaftliche Haushaltshilfe

Die Situation der Frauen und Kinder ist besonders schwierig. Ein Großteil der Männer ist im Krieg gefallen oder befindet sich noch in Kriegsgefangenschaft. Viele Frauen müssen sich daher allein um die Versorgung der Familie kümmern; daneben leisten sie einen enormen Teil der Aufbauarbeit.

Die »Solidarität« Nr. 35/1947 berichtet, dass die im September 1945 wieder errichtete Frauensektion im ÖGB sich dafür einsetzt, dass berufstätige Frauen in den Geschäften schnell und bevorzugt bedient werden. Ein weiterer Vorschlag der ÖGB-Frauenfunktionärinnen: Die »Gewerkschaftliche Haushaltshilfe«. Sie soll »in allen Bezirken Wiens und in allen Industriestädten der Länder Filialen haben, in welchen die Arbeiten übernommen bzw. die entsprechenden Arbeitskräfte vermittelt werden ... Eine Krankenpflegerin jeder Station soll einspringen, wenn einmal die berufstätige Frau ... bettlägrig ist und irgendeine Hilfe zu Hause braucht. Ihr sollen auch erkrankte Familienmitglieder anvertraut werden, die sie während der Berufsarbeit der Hausfrau versorgt«.

Esperanto, Bälle, Preisausschreiben

Langsam beginnt sich das Leben zu »normalisieren«. Das Kino wird wieder zur beliebten Freizeitaktivität. 1947 gibt es in Wien bereits 191 Lichtspieltheater mit 78.115 Sitzplätzen. Am 1. August 1946 informiert der »Österreichische Arbeiter und Angestellte«, dass soeben der erste österreichische Film nach 1945, das Heimkehrerdrama »Der weite Weg« mit Rudolf Prack, Hans Holt und Maria Andergast, angelaufen ist. Aber nicht nur Informationen und Rezensionen über den »Guten Film« finden sich in den Gewerkschaftsblättern. Die Palette des gewerkschaftlichen Bildungsangebotes und damit auch der Kultur- und Bildungsinformationen ist breit und bietet alles, angefangen von Esperantokursen bis hin zu branchenbezogenen Diskussionsabenden.

Immer wieder werden ermäßigte Eintrittskarten für organisierte Veranstaltungen, wie etwa Bälle, Ausflüge und Reisen, Sportereignisse etc., angeboten. Gemeinsame kulturelle und sportliche Aktivitäten sollen, vor allem auch für die Jugend, das Gemeinschaftsgefühl erhöhen.

Umfragen und Preisausschreiben, ab den frühen 50er Jahren verstärkt in der Gewerkschaftspresse, sind nicht nur ein Stimmungsbarometer, welches zeigt, »wo der Schuh drückt«, sondern auch ein wichtiges Instrument zur Mitgliederwerbung.

Hungerdemonstrationen

Immer wieder kommt es in den Jahren 1946 und 1947 in ganz Österreich zu Hungerdemonstrationen. Kein Wunder, hat doch das US-Landwirtschaftsministerium festgestellt, dass Österreich das Land mit der schlechtesten Ernährung ist. Der Tageskaloriensatz für Normalverbraucher schwankt in diesen Jahren extrem, nämlich zwischen 700 und 1700 Kalorien.

Berichte über Streiks oder Demos finden sich daher immer wieder in der Gewerkschaftspresse. Zudem beginnen die Preise hinaufzuschießen, die Löhne kommen nicht mehr mit.

Nicht nur zum Thema »Streik«, sondern auch zu den ab 1947 jährlich insgesamt fünf abgeschlossenen Preis-Lohn-Abkommen, sind immer wieder Umfragen abgedruckt. Sie unterstützen im Allgemeinen die Politik des ÖGB. Dennoch wird - allerdings nur bei den ersten beiden Abkommen - auch Raum für kritische Stimmen gegeben.

So meint ein Elektriker in der Nr. 38/1947 des »Österreichischen Arbeiters und Angestellten«: »Es ist so, daß wenige wichtige Artikel nicht so sehr im Preis gestiegen sind, aber die Lebenshaltungskosten sind unverhältnismäßig gestiegen, woraus sich ein unmögliches Verhältnis ergibt. Besonders diejenigen unserer Arbeiter, die mehrere Kinder haben, sind arg dran. Schon allein das Brot kostet viel, und an Äpfel und dergleichen für ihre Kinder können sie gar nicht denken.«

31.000 Arbeiterfamilien in Baracken

Das große soziale Problem der frühen 50er Jahre ist die erschreckend hohe Zahl der Arbeitslosen. Sie betrifft etwa im Winter 1954 300.000 Menschen und deren Familien. Die Ankurbelung des Wohnbaues wird als Schlüssel zur Arbeitsbeschaffung thematisiert: 1952 leben noch immer rund 31.000 Arbeiterfamilien und 13.000 Arbeiter in Baracken.

Ein weiterer sozialpolitischer Schwerpunkt der Gewerkschaftspresse ist die Arbeitszeitfrage. Die in der ersten Dekade nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen Kollektivverträge erfolgen in Anlehnung an das Acht-Stunden-Tag-Gesetz von 1919. Die überwiegende Mehrheit der Vereinbarungen beinhaltet somit die 48-Stunden-Woche. Erst nachdem die österreichische Wirtschaft die Wiederaufbauphase hinter sich gelassen hat, wird von den Gewerkschaften die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung erneut aufgegriffen. Die Gewerkschaftsorgane versuchen, den Kampf um die 40-Stunden-Woche mit der Veröffentlichung von Betriebsbefragungen und wissenschaftlichen Studien zu unterstützen.

Auf dem Weg zum »Wirtschaftswunder« werden Konsumentenpolitik und -beratung immer wichtiger und haben bald einen ständigen Platz in den Medien. 1954 wird - unter starker Beteilung der Arbeitnehmervertretungen - der »Verein für Einkaufsberatung«, der Vorläufer des Vereins für Konsumenteninformation VKI, gegründet.

Nicht bedenkenlos lizitieren!

Auf dem 3. Bundeskongress des ÖGB 1955 wird ein Aktionsprogramm beschlossen, in dem die künftigen Richtlinien für die Tätigkeit des ÖGB auf wirtschaftspolitischem, sozialpolitischem und kulturellem Gebiet festgelegt werden. Die »Solidarität« vom 14. November 1955 meint dazu: »Ein Aktionsprogramm aufzustellen, werden manche sagen, ist keine besondere Kunst. Wichtig ist, ob so ein Programm auf dem Boden realer Gegebenheiten auch durchgeführt werden kann. Nun, der ÖGB hat in dem vergangenen Jahrzehnt bewiesen, dass er seine Erfolge nicht durch bedenkenloses Lizitieren, sondern durch eine maßvolle, die wirtschaftlichen Möglichkeiten berücksichtigende Politik erzielt hat. Derselbe Gedanke liegt auch dem Aktionsprogramm zu Grunde.«

Vorabdruck aus dem Katalog zur Ausstellung »Herrlich, wieder Mensch zu sein!« Erhältlich zum Herstellungspreis von e 5,- über Ingrid Nachtelberger, Tel.: 501 65/2393 Dw., E-Mail: ingrid.nachtelberger@akwien.at

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