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Von Porto Alegre nach Florenz | Ein anderes Europa ist möglich!

INTENATIONALES

Florenz. Samstag, 9. November 2002. 10 Uhr Vormittag. Die Stadt ist wie leergefegt. Nicht wiederzuerkennen. Zwischen Bahnhof und Ponte Vecchio ist kein Auto auf der Straße. In den sonst stark frequentierten Einkaufsstraßen sind alle Schaufenster dicht gemacht, verrammelt mit Sperrholz und Metallplatten.

Nur wirklich Ortskundige wissen, dass gleich gegenüber vom Bahnhof normalerweise eine McDonald’s Filiale zu finden ist. Alle Logos sind verhüllt oder abmontiert. In der Florentiner Innenstadt herrscht absolutes Halte- und Parkverbot. Abschleppdienste sind damit beschäftigt, die wenigen übrig gebliebenen Autos aus dem Weg zu schaffen. Die Geschäftsleute und Behörden von Florenz bereiten sich auf den seit Wochen angekündigten Ausnahmezustand vor! Denn: Seit Mittwoch, 6. November, bevölkern 60.000 Globalisierungskritiker die Stadt. Für 5 Tage, vom 6. bis 10. November, ist Florenz Schauplatz des ersten Europäischen Sozialforums und damit Zentrum der globalisierungskritischen Bewegung. Und für den Samstagnachmittag werden mehrere hunderttausend Menschen zur friedlichen Demonstration gegen Krieg und Neoliberalismus erwartet.

Wer sind sie, diese Globalisierungskritiker, denen all die Panikmache gilt?

Sie kommen aus ganz Europa, von mehr als 400 verschiedenen Organisationen - Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften. Es sind aber auch viele engagierte Einzelpersonen darunter. Mehr als 600 von den Teilnehmern des Europäischen Sozialforums kommen aus Österreich. 100 davon sind Gewerkschafter.

In 18 Großkonferenzen und mehr als 150 Seminaren diskutieren die Delegierten über Alternativen zum Neoliberalismus, über den Kampf gegen Rassismus und Krieg, über die Demokratisierung aller Lebensbereiche und nicht zuletzt über die Bildung von Netzwerken und gemeinsamen Aktivitäten. Die Zusammenarbeit innerhalb der bunt zusammengewürfelten Bewegung ist nicht immer ganz leicht. Hin und wieder gehen die vorgeschlagenen Wege auch auseinander. So neigen etwa Gewerkschaften mitunter zur Skepsis gegenüber den völlig anders organisierten neuen sozialen Bewegungen.

Trotzdem: Von den Medien zu wenig beachtet, oft falsch dargestellt und stark unterschätzt, entwickelt sich die ungewöhnliche Allianz aus unterschiedlichsten sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zu einer neuen Form der europäischen Zivilgesellschaft. Was sie eint, ist die gemeinsame Überzeugung, dass eine andere Welt nicht nur nötig, sondern auch möglich ist. Die Delegierten des Sozialforums wollen die zukünftige Gestaltung der Welt nicht den Vertretern von Regierungen, Konzernen und internationalen Organisationen überlassen. Sie wollen ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und - notfalls auch gegen den Willen der politischen Entscheidungsträger - deren neoliberalem Kurs entgegensteuern.

Die Bewegung wächst

Fast ein Jahr ist vergangen, seit in Porto Alegre, Brasilien, beim 2. Weltsozialforum der Startschuss für die Regionalisierung und Erweiterung der Idee des Weltsozialforums fiel. Inzwischen ist die Bewegung weiter gewachsen, breiter geworden und hat sich besser organisiert.

Der Funke der Begeisterung ist aus Brasilien auf Europa und damit auch auf viele österreichische Gewerkschafter übergesprungen. Aus einer nur 10 Personen starken Gewerkschaftsdelegation in Porto Alegre ist ein Sonderzug mit 500 Plätzen geworden. Gemeinsam organisiert von Eisenbahnergewerkschaft, GPA, attac, Österreichischer Hochschülerschaft und anderen mehr. Die Liste der beteiligten Gruppen ist lang.

Ebenso bunt gemischt wie das österreichische Organisationsteam waren die Mitreisenden im Zug von Wien nach Florenz. Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre aller Altersstufen waren genauso mit an Bord wie Studenten, Vertreter kirchlicher Organisationen und engagierte Einzelpersonen.

Die Zukunft

Der Erfolg des Sozialforums spricht für sich. Trotz kurzfristig wieder zum Leben erweckter Grenzkontrollen, einem enormen Polizeiaufgebot in Florenz und der Negativpropaganda der italienischen Regierung ließ sich niemand entmutigen. Diejenigen, die die globalisierungskritische Bewegung mit Gewalt und Ausschreitungen in Verbindungen gebracht hatten, wurden durch die friedliche Demonstration von einer knappen Million Menschen eines Besseren belehrt. Was für die übervorsichtigen florentinischen Geschäftsleute bleibt, ist ein enormer Verdienstentgang und vielleicht die Erkenntnis, dass sie besser nicht blindlings den Ratschlägen der Regierung Berlusconi folgen sollten.

Das erste Europäische Sozialforum ist jedenfalls erst der Beginn einer Entwicklung.

Der Termin für das nächste Europäische Sozialforum in Paris/St. Denis vom 12. bis zum 16. November 2003 steht schon fest, und ein Österreichisches Sozialforum (wahrscheinlich in Hallein, Salzburg) ist geplant.

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(C) AK und ÖGB

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