topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
AMS-Struktur

Stichwort Arbeitslosenversicherung = Ausbildungsversicherung

SCHWERPUNKT

Arbeit & Wirtschaft Interview | Siegfried Sorz spricht mit Rudolf Kaske

Rudolf Kaske ist Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst (HGPD) und Vertreter der Arbeitnehmer im Verwaltungsrat des AMS

A&W: Du bist als Arbeitnehmervertreter im höchsten Gremium des AMS, des Arbeitsmarkservice, das ja ein Mitbestimmungssystem hat. Du sitzt dort neben zwei anderen Arbeitnehmervertretern im Verwaltungsrat.
R. Kaske: Ja, ich sitze mit Josef Wallner von der Bundesarbeitskammer und neben Bernhard Achitz, dem Leiter der Abeilung Sozialpolitik im ÖGB. Als Leitungsgremium ist da noch das Verwaltungsratspräsidium, das die Sitzungen des Verwaltungsrates vorbereitet. Dort sitzt je ein Vertreter jeder Kurie, das heißt, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierung. Vorsitzender ist Prof. Günther Steinbach, Sektionschef i. R., Vertreter der Arbeitgeber ist Wolfgang Tritremmel von der Industriellenvereinigung. Auf Vorschlag der Arbeitgeberkurie bin ich jetzt seit Dezember im Verwaltungsratspräsidium.

»Der Sozialstaat sollte in der Verfassung festgeschrieben sein und damit verbunden auch eine Zweckbindung der Mittel dazu.«

A&W: Nach dem Empfinden der Österreicher ist die Arbeitslosigkeit derzeit das größte politische Problem. Der Arbeitsmarkt und das AMS stehen immer mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Wie siehst du die Aufgaben des AMS? Wo kann das AMS ansetzen? Was kann es in der jetzigen Situation auf dem Arbeitsmarkt machen, wo wir die höchste Arbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg haben? Was kann das AMS verbessern?
R. Kaske: Grundsätzlich sehe ich das AMS als Drehscheibe in der Arbeitsmarktpolitik. Das heißt, Drehscheibe zwischen jenen, die arbeitslos sind und Arbeit suchen und zwischen den Unternehmen, die potentielle Arbeitgeber für diese Arbeitslosen sind. Klar mit im Boot ist dabei die Regierungsseite, die hier versucht, politische Vorgaben für die Arbeitsmarktpolitik zu formulieren. In diesem Spannungsfeld muss es dem AMS gelingen, als »modernes Dienstleistungsunternehmen« allen diesen Wünschen gerecht zu werden. So sehe ich die Aufgabe des AMS. Wichtig ist die finanzielle Ausstattung des AMS. Da stellen wir fest - aber das geht aus den Beiträgen von Gernot Mitter und Josef Wallner in diesem Heft detailliert hervor -, dass die Mittel des AMS in den letzten zwei Jahren nicht mehr geworden sind. Demgegenüber steht eine stärkere Arbeitslosigkeit. Auf der anderen Seite sind in den letzten Jahren dem AMS Mittel entzogen worden, das heißt, sie sind in das allgemeine Budget geflossen. Wäre dieses Geld zur Verfügung gestanden, hätten wir jetzt, wo es eine erhöhte Arbeitslosigkeit gibt, zusätzliche Mittel einsetzen können.

A&W: Die Arbeitsmarktlage hat sich auch insofern verschlechtert, dass viele Stellen schlechter bezahlt sind, oder es gibt schlechtere Arbeitsbedingungen oder überhaupt nur Teilzeitjobs. Immer mehr Leute wechseln jährlich ihren Job, und das AMS wird immer wichtiger als »Drehscheibe«. Was kann man da verbessern?
R. Kaske: Es sind mehr als 750.000 Menschen, die pro Jahr den Job wechseln. Das sind rund 1,1 Millionen Beschäftigungsverhältnisse. Deswegen ist das AMS so wichtig als Drehscheibe für den Arbeitsmarkt. Wichtig ist, dass man das AMS als modernes Dienstleistungsunternehmen auch mit den notwendigen Ressourcen ausstattet. Dazu gehört einerseits das Budget und die Mittel zur Förderung arbeitsloser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber natürlich auch die Mittel für den Service für Unternehmer. Auch in der Personalausstattung gibt es derzeit einen Engpass. Das heißt, die Arbeitslosenzahlen steigen, die Anforderungen an das AMS werden mehr und größer, aber die Personaldecke ist die gleiche geblieben. Wenn man hier ansetzt, noch mehr die Vermittlung zu forcieren bzw. verstärkt Schulungen anzubieten, dann braucht man hier entsprechend mehr Berater. Das heißt, man braucht auch in diesem Bereich eine bessere Personalausstattung für den Kundenservicebereich, man sollte investieren sowohl im Service für Arbeitslose wie auch für Unternehmer. Ich glaube, dass das eine ganz wichtige Sache ist.

A&W: Was heißt das konkret? Wie viele Leute braucht das AMS zusätzlich?
R. Kaske: In den nächsten 3 Jahren zwischen 50 und 180 Personen. Derzeit hat das AMS 4174 Mitarbeiter, und damit es die Anforderungen erfüllen kann, geht die Personalvertretung von 180 Beschäftigten mehr aus und der Vorstand von 50 in den nächsten 3 bis 4 Jahren.

A&W: Wie steht es mit den Problembereichen, z. B. bei den Jugendlichen und den Lehrstellen, bei den Älteren, bei den Frauen und auch bei den Migranten?
R. Kaske: Frauen werden sehr oft abgedrängt in den Bereich Teilzeit- und geringfügige Beschäftigung, in eher Niedriglohnbereiche. Der Ansatz muss sein, dass die Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt erhöht werden und gleichwertig gegenüber den Männern sind.

A&W: Ist das nicht auch ein Ausbildungsproblem?
R. Kaske: Ja, es geht um Schulung und Ausbildung, aber auch um Karrierechancen. In vielen Unternehmen gibt es die »gläserne Decke«. Wo z. B. gibt es die Frau Küchenchefin? Nirgends. Die Chancen für Frauen und auch Migranten sind zu erhöhen. Nicht im Segment Billiglohnbereich, sondern im qualifizierten Bereich. Nicht im Bereich der Teilzeit- oder Geringfügigbeschäftigten, sondern bei den Vollzeitarbeitsplätzen. Wir haben eine relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit. Jeder politische Beobachter und jeder politisch Interessierte muss das mit großer Sorge beobachten. Hier ist die Kritik der Arbeitnehmerseite berechtigt, die da lautet: Jawohl, es wurden Maßnahmen gesetzt, vor allem in den letzten Monaten - die Intensivmaßnahmen für die arbeitslosen Jugendlichen haben im November und Dezember 2002 begonnen -, aber diese Maßnahmen wären früher zu setzen gewesen. Wir haben die Politik schon frühzeitig - vor dem Sommer - darauf hingewiesen.

Da sind, aus meiner Sicht, die Programme zu spät angelaufen.

Zweite Geschichte: Ein Schlagwort, das von den Politikern gerne in den Mund genommen wird. »Wir müssen etwas tun gegen Altersarbeitslosigkeit!«. Fünf Minuten später sagen dieselben Politiker, wenn sie Dienstgeber sind: »Wir müssen uns aber von soundso viel tausend Beamtinnen und Beamten trennen.« Ich sehe hier einen ziemlichen Widerspruch. Man kann nicht auf der einen Seite verlangen, dass die Menschen länger in Beschäftigung bleiben und auf der anderen Seite mit schlechtem Beispiel vorangehen, also Menschen, die länger bleiben könnten, vorzeitig aus dem Arbeitsprozess entlassen. Da sehe ich auch einen Widerspruch bei der Politik der vorigen Regierung.

»Es sind mehr als 750.000 Menschen, die pro Jahr den Job wechseln. Das sind rund 1,1 Millionen Beschäftigungsverhältnisse. Deswegen ist das AMS so wichtig als Drehscheibe für den Arbeitsmarkt.«

A&W: Jetzt will man ja besondere Geschenke an die Unternehmer machen, die für ältere Arbeitnehmer über 50 oder 55 Jahren weniger Steuern oder Abgaben zahlen sollen.
R. Kaske: Das halte ich für vollkommen verfehlt. Erstens herrscht hier wieder das Gießkannenprinzip. Was die wenigsten Leute bedacht haben bei der Geschichte bzw. kommt es auch in den Medien so herüber: »Entlastung älterer Arbeitnehmer« und automatisch glauben die Menschen, sie werden entlastet. Fakt ist aber, dass nur die Unternehmer entlastet werden. Das heißt, sie zahlen weniger Steuern und Sozialversicherungsabgaben. Wo die nächste große Gefahr lauert: Was ist, wenn diese Unternehmer entlastet werden? Was ist mit der Sozialversicherung? Die Belastung für diesen Bereich, sprich die Schulden in der Sozialversicherung, werden dadurch steigen.

A&W: Das heißt, die Unternehmer zahlen weniger Sozialversicherungsbeiträge. Wer zahlt das nachher?
R. Kaske: Das ist die ungelöste Frage. Dazu haben die Regierungsverantwortlichen bis heute keine Antwort gegeben. Woher sollen dann die fehlenden Beiträge kommen?

A&W: Dann sollen sie ihnen andere Steuersachen schenken und nicht solche, die dann bei der Versorgung der Arbeitnehmer fehlen.
R. Kaske: So ist es. Denselben Kritikpunkt haben wir bei der Frage der Altersteilzeit. Wir haben jetzt die Regelung der Altersteilzeit, die dem AMS relativ viel Geld kostet. Wir sind bei Vorbelastungen bis 2008 von knapp einer Milliarde EUR für rund 21.000 bis 22.000 Personen. Natürlich verstehe ich vom einzelnen Menschen her, dass der sagt: Wenn ich die Möglichkeit habe, in Altersteilzeit zu gehen, dann gehe ich. Menschlich verständlich, aber die Vorbelastung des Budgets des AMS ist für die nächsten Jahre erheblich.

Ein weiterer Kritikpunkt, den ich sehe: Es wird damit kein einziger neuer Job geschaffen. Es gibt in dieser Altersteilzeitregelung keine Klausel, dass, wenn ein Arbeitnehmer in Altersteilzeit geht, dafür ein anderer Arbeitnehmer eingestellt werden muss. Das fehlt.

A&W: Also Forderung: Klausel bei der Altersteilzeit mit der Verpflichtung zur Neueinstellung?
R. Kaske: So ist es. Außerdem muss es ja irgendwer zahlen.

A&W: Das heißt, es geht auf unsere Kosten, denn unsere Arbeitnehmergelder werden verteilt?
R. Kaske: Ja, und was auch noch gravierend ist: Es werden in Wahrheit keine neuen Jobs geschaffen.

A&W: Wie ist das bei den Jugendlichen. In einem halben Jahr gibt es ja schon wieder einen neuen Jahrgang auf Lehrplatz- oder Arbeitssuche. Hat man sich da schon vorbereitet?
R. Kaske: Na ja, ob sich die Politik vorbereitet hat - das glaub ich eher nicht. Bis jetzt hat man eher geschaut, dass die Jugendlichen relativ kurzfristig in Maßnahmen kommen. Für uns als Arbeitnehmervertreter steht im Vordergrund, dass das qualitative mittel- und langfristige Maßnahmen sind, d. h., dass die Jugendlichen die Chance haben, entweder in einen Lehrberuf überzutreten oder, wenn diese Chance nicht gegeben ist, bis zum Ende der Lehrzeit ausgebildet zu werden. Währenddessen wird getrachtet, Jugendliche in relativ kurzfristige Maßnahmen unterzubringen, die halt mehrere Monate dauern, aber es stellt sich die Frage, was ist dann danach?

A&W: Es gibt doch Lehrberufe, z. B. »Friseur«, wo rund 90 Prozent nach der Lehre nicht weiterbeschäftigt werden?
R. Kaske: Richtig. Deswegen muss man schauen, in welchen Bereichen Jugendliche künftig ausgebildet werden. Das ist ein wichtiger Qualitätsansatz. Es nützt ja nix, wenn der Jugendliche zwar kurzfristig eine Ausbildung hat, aber keine Zukunftsperspektive.

»Die Obergrenze dieser Sozialversicherungs- und Steuergeschenke ist erreicht, und das muss man den Unternehmern auch bewusst machen.«

A&W: Motto: Weg von der Straße?
R. Kaske: Das allein ist zu wenig. Es geht um die Zukunft, es geht um den beruflichen Werdegang, es geht um zukunftsträchtige Berufe. Man muss fragen: Wo macht es einen Sinn, Jugendliche auszubilden?

A&W: Da sagen mir Leute: Was wollt ihr, Arbeits- und Lehrplätze können nur die Unternehmer schaffen. Die bekommen alle diese Steuergeschenke, und es geht trotzdem nichts weiter ...
R. Kaske: Also, ich glaub, dass da eine Geschenkobergrenze bereits mehr als erreicht ist. Weil Unternehmer, die Jugendliche ausbilden, bereits sehr begünstigt sind. Wenn ich denke an die Sozialversicherung, wenn ich denke an die De-facto-Einführung eines Lastenausgleiches: Es heißt zwar nicht so, aber sie bekommen eine Beihilfe von 1000 EUR für jeden Lehrling. Das geht wieder nach dem Gießkannenprinzip. Ich glaub nicht, dass man da den Unternehmern noch mehr geben kann und auch nicht geben sollte. Sie müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein, dass sie ausbilden wollen und müssen, wenn sie in Zukunft qualifizierte Leute haben wollen. Die Obergrenze dieser Sozialversicherungs- und Steuergeschenke ist erreicht, und das muss man den Unternehmern auch bewusst machen.

A&W: Muss ein Arbeitsloser jeden Job annehmen? Wie ist das mit der Zumutbarkeit?
R. Kaske: Ich bin nicht für eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen, sondern für eine gezielte Förderung der Arbeitnehmer in der Aus- und Weiterbildung, damit sie eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Also nicht Zwangsmaßnahmen, sondern eine Verbesserung der Qualität der Aus- und Weiterbildung, damit die Menschen auch in andere Berufssparten wechseln oder »hineinwachsen« können.

A&W: Wie kann man da lenken?
R. Kaske: Das AMS konzentriert sich hauptsächlich auf die Vermittlung, auf dem Service für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber darüber hinaus setzt es auch Impulse für neue Beschäftigung; z. B. hat man vor zwei Jahren noch von der New Economy geredet, inzwischen haben sich viele Arbeitsplätze in diesem Bereich als Flop erwiesen, aber eines wissen wir ganz sicher - dass wir alle immer älter werden und dass im Bereich Pflege- und Gesundheitsberufe ein Beschäftigungspotential drinnen ist, das man nutzen sollte. Ich sehe die Arbeitslosenversicherung auch als »Ausbildungsversicherung«, das heißt, dass Menschen auch ausgebildet werden in zukunftsträchtigen Berufen - da wären ein Ansatz auch Gesundheits- und Pflegeberufe - wie gesagt, ein Ansatz …

Früher hat man gesagt, das AMS verwaltet, Arbeitsmarktverwaltung, es geht aber darum, Service in den Vordergrund zu stellen, die Dienstleistung in den Vordergrund zu stellen und natürlich auch den politischen Ansatz: finanzielle Mittel für neue Beschäftigung.

A&W: Was sagst du eigentlich zu der so oft grundsätzlich geäußerten Verdächtigung, dass Arbeitslose »arbeitsscheu« sind?
R. Kaske: Das ist sowohl eine beliebte Frage von Journalisten wie auch eine beliebte Stammtischgeschichte, nach dem Motto: Jeder kennt einen Arbeitslosen, der nicht arbeiten will. Dem kann man sehr wohl entgegenhalten, dass jemand, wenn er eine Beschäftigung zugewiesen bekommt und die nicht annimmt, sehr wohl strengen Sanktionen ausgesetzt ist. Da gibt es pro Jahr mehr als 10.000 Fälle, denen aus diesem Grund das Arbeitslosengeld, und noch einmal weit mehr als 20.000, denen das Arbeitslosengeld entzogen wird, weil sie Kontrolltermine nicht eingehalten haben. Insgesamt sind mehr als 60.000 arbeitslose Arbeitnehmer von Sanktionen betroffen. Grundsätzlich möchte ich jedoch bemerken, dass Arbeitslose schon an einer raschen Wiederbeschäftigung interessiert sind.

Entscheidend für die Zukunft wird die finanzielle Ausstattung des AMS sein und die Frage der Aus- und Weiterbildung. Stichwort Arbeitslosenversicherung ist auch eine Ausbildungsversicherung, das heißt, dass man Leuten, die in nicht sehr zukunftsträchtigen Bereichen beschäftigt sind, rechtzeitig die Chance gibt zum Übertritt in andere Beschäftigungsbereiche. Da braucht man natürlich auch die finanzielle Ausstattung.

A&W: Apropos Finanzen, in den erwähnten Beiträgen in diesem Heft steht, das 1,3 Milliarden EUR für das AMS verwendet wurden, aber 2,8 Milliarden, also mehr als das Doppelte, sind in das Budget geflossen.
R. Kaske: Ich bin da für eine Zweckbindung. Der Sozialstaat sollte in der Verfassung festgeschrieben sein und damit verbunden auch eine Zweckbindung der Mittel dazu.

A&W: Lieber Kollege Kaske, wir danken für das Gespräch

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum