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Lohnquoten und Lohnstückkosten in Österreich
Bereinigte Lohnquoten in EU-Ländern und den USA
Bereinigte Lohnquote und Arbeitslosenquote in Österreich sowie reale Lohnstückkosten und Arbeitslosenquote in Deutschland

Lohnquote sinkt seit zwei Jahrzehnten

SCHWERPUNKT

Über den Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen Der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen (Lohnquote) wird als Indikator für die funktionelle Einkommensverteilung verwendet, er soll die relative Wohlfahrtsposition messen. Ein Sinken der Lohnquote wird als soziale Umverteilung zulasten der Arbeitnehmer interpretiert.

Vor einigen Jahrzehnten war viel von der Lohnquote die Rede. In der Hochblüte des Keynesianismus wurde vor allem von den Gewerkschaften streng darauf geachtet, dass der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Volkseinkommen zumindest konstant blieb, um die Kaufkraft der Arbeitnehmer zu erhalten.

Heute ist es ziemlich still geworden um die Lohnquote. Im Internet finden sich nur relativ wenige Einträge zu diesem Thema, wissenschaftliche und statistische Untersuchungen gibt es noch weniger. Vielmehr ist heute die Rede von der Entwicklung der realen Lohnstückkosten, das heißt, der Reallohnveränderung gemessen an der Produktivitätssteigerung.

Nun lässt sich mathematisch zeigen, dass die Konzepte der bereinigten Lohnquote und der realen Lohnstückkosten nahezu identisch sind 1). Wir sollten deshalb keinem Politiker trauen, der uns verspricht, die Lohnstückkosten zu senken und gleichzeitig die Lohnquote zu erhöhen. Der große Unterschied zwischen den beiden Konzepten liegt im Ziel: Früher wollte die Wirtschafts- und Sozialpolitik mit einer stabilen Lohnquote die Nachfrage festigen, heute versucht die vorherrschende Angebots- und Standortpolitik die Lohnstückkosten zu senken, um die nationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Der Konkurrenzkampf zwischen den Nationen steht im Vordergrund, nicht mehr die Entwicklung der Nachfrage im gesamten Wirtschaftsraum. Das Hervortreten der Lohnstückkosten gegenüber der Lohnquote spiegelt nicht nur die zunehmende Bedeutung der Standortpolitik im Zuge der Globalisierung, sondern auch die Zurückdrängung der Verteilungsfrage durch die hohe Arbeitslosigkeit in Europa wider.

»Durch steigende bzw. hohe Arbeitslosigkeit lässt sich die Einkommensverteilung zugunsten der Unternehmen verschieben.«

Die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen WIFO-Studie 1) zum Thema Lohnquote wollen wir in diesem Artikel kurz darstellen.

Die Entwicklung der Lohnquote zeigt in den letzten Jahrzehnten ein charakteristisches Muster: Die bereinigte Lohnquote2) geht seit den frühen achtziger Jahren kontinuierlich zurück. Dieser Trend gilt nicht nur für Österreich, sondern für alle EU-Staaten. Der internationale Einklang deutet bereits darauf hin, dass die Entwicklung nicht auf »willkürliches« Gewerkschaftsverhalten in einzelnen Ländern, sondern auf gemeinsame Ursachen zurückgeht.

In Österreich ist die unbereinigte Lohnquote seit 1982 zurückgegangen: von 76% auf 73% im Jahr 2000. Diese Entwicklung hat jedoch nur eine relativ geringe Aussagekraft, weil sie mit einer starken Verringerung des Anteils der Selbständigen - besonders in der Landwirtschaft - verbunden war. Verteilungspolitisch aussagekräftiger ist die Entwicklung der bereinigten Lohnquote. Diese weist seit 1982 eine wesentlich steilere Tendenz nach unten auf: Sie ging 1982 bis 2000 um 8 Prozentpunkte zurück, um fast einen halben Prozentpunkt pro Jahr. Noch stärker war die Verringerung der Netto-Lohnquote (nach Steuern). Darin spiegelt sich das Postulat der Angebotspolitik wider, dass die Unternehmen steuerlich besonders entlastet werden sollen, damit Investoren im internationalen Standortwettbewerb angelockt werden.

Der Mainstream der Ökonomie, wie er sich in den akademischen Journals, der OECD und der EU-Kommission präsentiert, forderte nicht nur eine steuerliche Entlastung der Unternehmen, sondern er gab auch der Lohnpolitik den Rat, die Reallohnsteigerungen hinter die Produktivitätssteigerungen zu-rückfallen zu lassen. Das würde nach dem neoklassischen Modell zu einem Anstieg der Beschäftigung und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit führen. Denn erstens sollten die höheren Gewinne nach dieser Theorie zu verstärkter Investitionstätigkeit führen und zweitens sollten die niedrigeren Reallohnsteigerungen die Substitution von Arbeit durch Kapital verlangsamen.

»Die bereinigte Lohnquote ist in den letzten zwei Jahrzehnten um rund 8 Prozentpunkte gesunken. Der Hauptgrund lag in der steigenden Arbeitslosigkeit, sie schwächte die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerseite.«

Die Politik hat sich an diese Forderungen gehalten:

Die realen Lohnstückkosten entwickelten sich definitionsgemäß ähnlich wie die bereinigte Lohnquote. Sie gingen in Österreich seit 1980 um 15%, seit 1990 um 9% zurück (siehe Grafik 1: »Lohnquoten und Lohnstückkosten in Österreich«). Der Rückgang fiel etwas stärker aus als in Deutschland und im EU-Durchschnitt (-12% seit 1980). Die Realeinkommensteigerungen der Arbeitnehmer sind also in beiden Jahrzehnten deutlich hinter dem Fortschritt der Arbeitsproduktivität zurückgeblieben, wie vom Mainstream der Ökonomen gefordert worden war. Die davon erhoffte Verringerung der Arbeitslosigkeit blieb jedoch aus. In Deutschland, wo besonders lautstark über die hohen Lohnkosten als Ursache der steigenden Arbeitslosigkeit geklagt wird, sanken die realen Lohnstückkosten seit 1980 um 13%, seit 1990 um 7%. Trotz dieses markanten Zurückbleibens der Reallöhne hinter dem Produktivitätsfortschritt war die Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland enttäuschend.

In Europa wird weiters immer geklagt, dass die Reallöhne stärker stiegen als in den USA. Die Lohnpolitik sei für die schwache Beschäftigungsentwicklung in Europa verantwortlich, lautet das Vorurteil. In den USA hätten dagegen rückläufige Reallöhne ein hohes Beschäftigungswachstum bewirkt. Ein solcher Vergleich zwischen Ländern macht nur Sinn, wenn man die Reallohn- zur Produktivitätsentwicklung in Beziehung setzt. Denn die Produktivitätsentwicklung bestimmt ja den Reallohnspielraum bei unveränderter Einkommensverteilung. Diese Relation - die reale Lohnstückkostenposition - ist in Europa seit 1980 wesentlich stärker als in den USA zurückgegangen (siehe Grafik 2: »Bereinigte Lohnquoten in EU-Ländern und den USA«).

Die Verteilungsposition der Arbeitnehmer verschlechterte sich also in Europa weit stärker als in den USA. Die Verteilungspolitik gibt also keinen Anlass für die weit ungünstigere Arbeitmarktlage Europas verglichen mit den USA. Offenkundig sind nicht Kostenfaktoren, sondern das raschere Wirtschaftswachstum in den USA für die günstigere Arbeitsmarktentwicklung verantwortlich. Der technologische Vorsprung der USA, insbesondere in den Informationstechnologien, und die expansivere Grundhaltung der Wirtschaftspolitik sind für diesen Wachstumsvorsprung der USA entscheidend.

Innerhalb der Europäischen Union waren die Trends in den einzelnen Staaten überraschend ähnlich: In den meisten Ländern sanken die realen Lohnstückkosten in den neunziger Jahren um rund 6%. Am stärksten war der Rückgang dank hohem Produktivitätswachstum in Finnland und Irland, relativ kräftig auch in Italien infolge von Reallohneinbußen zur Erfüllung der Maastricht-Kriterien. Die Unterschiede in der Entwicklung der Lohnstückkosten werden primär vom Produktivitätsfortschritt geprägt. Dieser weicht von Land zu Land weit stärker ab als die Reallohnveränderung. In Irland, Finnland und Schweden stieg die Produktivität in den neunziger Jahren beispielsweise um 25% bis 30%, die Realeinkommen nahmen dagegen ähnlich wie im EU-Durchschnitt (5% bis 10%) zu.

Das Niveau der Lohnquote in der EU weicht von jener in den USA und in Japan relativ wenig ab. Im Durchschnitt der Jahre 1995 bis 2000 betrug die Lohnquote in der EU knapp 69%, in den USA 70,5% und in Japan 73%. Südeuropa hat sehr niedrige Lohnquoten, dafür ist der hohe Anteil der Landwirtschaft bzw. der Selbständigen verantwortlich. Die höchsten Lohnquoten weisen die skandinavischen Länder auf, dazu trägt auch der große öffentliche Sektor in diesen Ländern bei.

Gründe für den Rückgang der Lohnquote

In der WIFO-Studie konnte gezeigt werden, dass vor allem die steigende Arbeitslosigkeit langfristig zur Verringerung der bereinigten Lohnquote geführt hat. Der Umverteilungspolitik der Gewerkschaften ist durch die Arbeitslosigkeit Grenzen gesetzt. Hohe und steigende Arbeitslosigkeit schwächt die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer. Die Realeinkommen konnten nicht mit der Produktivitätssteigerung mithalten, nicht nur wegen der schwächeren Verhandlungsposition der Gewerkschaften, sondern auch wegen der fehlenden Lohndrift auf Betriebsebene.

Der steigende Trend der Lohnquote in den siebziger Jahren und der fallende Trend in den achtziger und neunziger Jahren passt gut mit der Entwicklung der Arbeitslosenquoten zusammen (siehe Grafik 3: »Bereinigte Lohnquote und Arbeitslosenquote in Österreich« und Grafik 4: »Reale Lohnstückkosten und Arbeitslosenquote in Deutschland«). In den siebziger Jahren hat die niedrige und sinkende Arbeitslosigkeit zum Anstieg der Lohnquote beigetragen, in den letzten beiden Jahrzehnten drückte dagegen die steigende Arbeitslosigkeit die Lohnquote. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist längerfristig freilich mit einer zunehmenden Knappheit an Arbeitskräften und einem Abbau der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Dies sollte zu einer Stabilisierung bzw. einem Anstieg der bereinigten Lohnquote führen.

Seit Anfang der achtziger Jahre ist der Trend der bereinigten Lohnquote eindeutig rückläufig. Dies könnte auch mit der Globalisierung und dem verstärkten Gang der Unternehmen an die Börse zusammenhängen. In ihrem Gefolge orientieren sich die Unternehmen immer mehr am Shareholder-Value. Die Finanzmärkte reagieren unmittelbar auf schlechte Quartalsbilanzen, viel rascher als die kreditgewährenden Banken. Die Rationalisierungswellen und Kündigungen von Mitarbeitern auf dem Weg zum schlanken Unternehmen drängten die Gewerkschaften durch hohe Arbeitslosigkeit in die Defensive. Der Staat federte diese Strategien durch Früh- und Invaliditätspensionen bzw. Altersteilzeit ab.

Neben der Arbeitslosigkeit hat auch die Konjunktur spürbaren Einfluss auf die Lohnquote: Ein Wirtschaftsaufschwung drückt die Lohnquote, eine Rezession hebt sie an. Die Lohnquote schwankt also antizyklisch. Wenn man die Entwicklung der Lohnquote im Zeitverlauf interpretieren will, sollte man deshalb Jahre mit ähnlicher Konjunktursituation vergleichen (z. B. 1982 und 2000).

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»Friedrich von Hayek, der Ökonom des Extremliberalismus, hat hohe Arbeitslosigkeit allerdings als wünschenswert für den »Aussiebungsprozess« - die natürliche Selektion durch den Markt - bezeichnet. Diesem Nachfahren des Sozialdarwinismus, der die Reagan- und Thatcherpolitik ideologisch vorwegnahm, werden heute in Österreich auch noch institutionelle Denkmäler gesetzt.« Keynes verkörpert
das Gegenteil -
Deficitspending zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

Die Entwicklung der Vermögenseinkommen hat ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Lohnquote. Insbesondere in den achtziger Jahren haben sich die Besitzeinkommen sprunghaft erhöht. Ihr Anteil an den gesamten Einkünften aus Besitz und Unternehmung stieg 1970 bis 1997 von 7% auf 23%. Die Hochzinspolitik trug vor allem in den achtziger Jahren wesentlich zu dieser Einkommensumverteilung bei.

Die Verschiebung der Beschäftigungsstruktur hatte dagegen im letzten Jahrzehnt per Saldo keinen signifikanten Einfluss auf die Lohnquote. Der Anteil der Arbeitnehmerentgelte an der Bruttowertschöpfung differiert zwischen den Branchen und Sektoren erheblich. Er ist in den öffentlichen Dienstleistungen mit 80% am höchsten. Überdurchschnittlich hoch liegt er auch in der Sachgütererzeugung. Dort hat er allerdings von 67% zu Ende der achtziger Jahre auf zuletzt 58% abgenommen. Der Lohnanteil in der Bauwirtschaft entspricht etwa dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt und ist ebenfalls zuletzt merklich gesunken. Deutlich niedriger liegt die Lohnquote im privaten Dienstleistungsbereich (45%). Hier ist sie niedriger als in der Sachgüterproduktion, weil der Anteil der Selbständigen wesentlich höher ist.

1) Marterbauer M., Walterskirchen E., Bestimmungsgründe der Lohnquote und der realen Lohnstückkosten, WIFO-Monographie, Juni 2002.
2) Die Lohnquote wird um die Verschiebungen des Unselbständigenanteils bereinigt, um die Verteilungsposition adäquater zu messen und nicht durch mehr oder weniger Selbständige zu verzerren.

RESÜMEE

Die bereinigte Lohnquote ist in den letzten zwei Jahrzehnten um rund 8 Prozentpunkte gesunken. Der Hauptgrund lag in der steigenden Arbeitslosigkeit, sie schwächte die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerseite. Arbeitslosigkeit ist aber nicht nur das Resultat der Wirtschaftsentwicklung, sondern auch ein Instrument der Unternehmenspolitik. Durch steigende bzw. hohe Arbeitslosigkeit lässt sich die Einkommensverteilung zugunsten der Unternehmen verschieben. Massive Rationalisierungsschübe in der Industrie (»Lopez-Effekt« in der Autoindustrie) ermöglichten eine Produktion mit immer weniger Arbeitern.

Die Verschiebung der Einkommensverteilung hat zwar die realen Lohnstückkosten gesenkt. Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Ländern brachte das aber kaum, da alle Länder diese Strategie der Lohnzurückhaltung verfolgten. Wettbewerbsvorteile konnten sich nur jene EU-Länder verschaffen, die mehr Lohnzurückhaltung übten als der internationale Durchschnitt. Gleichzeitig drückte jedoch die Verschiebung der Einkommensverteilung die Nachfrage in der EU, weil die Löhne rascher wieder ausgegeben werden als die Gewinne. Als Folge davon wurde auch die Investitionstätigkeit gedämpft, die in erster Linie von der Kapazitätsauslastung abhängt.

Die wirtschaftspolitische Erwartung des ökonomischen Mainstream, dass ein Zurückbleiben der Reallohn- hinter den Produktivitätssteigerungen das Wirtschaftswachstum beschleunigt und die Arbeitslosigkeit senkt, hat sich leider nicht erfüllt. Das Gegenteil ist eingetreten. Friedrich von Hayek, der Ökonom des Extremliberalismus, hat hohe Arbeitslosigkeit allerdings als wünschenswert für den »Aussiebungsprozess« - die natürliche Selektion durch den Markt - bezeichnet. Diesem Nachfahren des Sozialdarwinismus, der die Reagan- und Thatcherpolitik ideologisch vorwegnahm, werden heute in Österreich auch noch institutionelle Denkmäler gesetzt.

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