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Kommentar | Durchbruch fünf vor zwölf

MEINUNGEN

ver.di hat sich durchgesetzt | Frank Bsirske - der neue starke Mann der deutschen Gewerkschaften?

1. Die Ausgangslage

Die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes, die am 10. Januar 2003 erfolgreich beendet wurde, hielt nicht nur ganz Deutschland, sondern auch die internationale Presse in Atem. In einer prekären finanziellen Haushaltslage von Bund, Ländern und Kommunen ging die größte Einzelgewerkschaft Deutschlands ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) mit zwei umfassenden Forderungen in Verhandlung mit der öffentlichen Hand: Eine Drei vor dem Komma bei der Nettolohnerhöhung und eine verbindliche Angleichung der Vergütung Ost- an Westniveau bis 2007. Andrerseits klagen die öffentlichen Auftraggeber seit langem, sie hätten kein Geld für höhere Löhne und Gehälter ihrer Beschäftigten. Und besonders laut wurde diese Klage während der neuen Tarifrunde. Manche meinten sogar, ihre Haushalte könnten deshalb verfassungswidrig werden und warnten vor betriebsbedingten Kündigungen.

2. Der öffentliche Druck und Berliner Sondersituation

Die »Berliner Zeitung« ermittelte in einer Umfrage eine Bevölkerungsmehrheit dafür, dass auch im öffentlichen Dienst betriebsbedingte Kündigungen möglich sein müssten. Und SPD-Landeschef Peter Strieder erklärte: »Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes werden lernen müssen, dass ein armer Staat nicht anders handeln kann als ein armes Unternehmen.« In diesem Sinne beschloss der rot-rote Berliner Senat, aus der Tarifgemeinschaft der Arbeitgeber auszutreten und damit einen Tarifabschluss zu verhindern. ver.di Berlin droht nun mit einer Klage und Streik, falls das Land Berlin den Bundestarif nicht übernimmt.

3. Die wirklichen Finanzprobleme

Der deutsche Finanznotstand kann nicht den Beschäftigten angelastet werden. Tatsache ist, dass die öffentliche Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden neben der schlechten weltwirtschaftlichen Entwicklung auch hausgemacht ist. Am 30. September 2002 hatten Bund und Länder Schulden in Höhe von 1,103 Billionen Euro. Im vergangenen Jahr erhöhten sich diese Schulden um rund 60 Milliarden Euro. Allein 24 Milliarden Euro sind auf die ausgefallene Körperschaftsteuer zurückzuführen.1)

Verglichen mit diesen Zahlen war die Forderung von ver.di winzig: Drei Prozent mehr für die Beschäftigten kosten die Arbeitgeber etwa 4 Milliarden Euro netto, also knapp 4 Promille der Staatsschulden. Auch Offenbachs Oberbürgermeister Gerhard Grandke wies Anfang Januar in der »Zeit« darauf hin: »Schlecht gehe es Offenbach nicht wegen der Tariferhöhungen für seine Beschäftigten, sondern weil die Steuereinnahmen völlig eingebrochen sind. Offenbach bekommt mehr Geld aus der Hundesteuer als aus der Gewerbesteuer. Doch gefragte Fachkräfte sind mit dem gezahlten Tarifeinkommen trotz hoher Arbeitslosigkeit nicht mehr zu finden. Eine Abkoppelung von der Privatwirtschaft hätte verheerende Folgen.«

Eine Verbesserung der Finanzlage sieht Frank Bsirske weniger in einer Lohnzurückhaltung als in einer Stärkung der Einnahmenseite der Kommunen. Gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag will er deshalb für eine Gemeinde-Finanzreform kämpfen, welche den Kommunen künftig zehn Prozent mehr von der Gewerbesteuer bringen soll.

4. ver.di’s Entschlossenheit

Von Anfang an war die Tarifrunde von einer hohen Mobilisierungsbereitschaft der Beschäftigten geprägt. Einerseits war die Stimmungslage in den Betrieben aufgeheizt. In der Lohnrunde des Jahres 2000, als die Wirtschaftsaussichten rosig waren und das weltwirtschaftliche Wachstum kräftig anzog, setzten die Arbeitgeber moderate Tarifverträge mit 31-monatiger Laufzeit mit dem Versprechen durch, dass der Lohnverzicht zu mehr Arbeitsplätzen führen würde. Der Arbeitsplatzabbau hielt jedoch an, und es kam zu einem unverhältnismäßigen Anstieg unbezahlter Mehrarbeit. Gleichzeitig wurde die Arbeitnehmerkaufkraft weiter geschwächt. So kritisierte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW 2001) die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften und meinte, »das Wachstumsproblem der deutschen Volkswirtschaft sind nicht die Exporte - da ist Deutschland noch immer Vizeweltmeister -, sondern die schwache binnenwirtschaftliche Nachfrage«. Nicht verwunderlich war deshalb die Reaktion der Gewerkschaften, die mit den Lohnforderungen der IG Metall von 6 bis 6,5 Prozent die Messlatte der folgenden Tarifauseinandersetzungen setzten. So gelang bei 40 von 72 Abschlüssen im Jahr 2002 eine Lohnerhöhung von mehr als drei Prozent. Auf Frank Bsirske lastete ein hoher interner Erwartungsdruck.

5. Das Ergebnis

Angesichts der extrem schwierigen Wirtschafts- und Haushaltslage der öffentlichen Hand erzielte ver.di in dieser Tarifrunde einen guten Kompromiss. Und es wäre höchst fraglich gewesen, ob mit einem Arbeitskampf mehr als dieses Ergebnis erreicht worden wäre.

Verhindert wurde durch den Abschluss eine Nullrunde, eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit, eine Absenkung von Sonderprämien sowie die Einführung einer »arbeitsmarktorientierten Eingangsbezahlung«, d. h., abgesenkte Löhne und Vergütungen für alle Neueingestellten.

Für das Ergebnis musste ver.di auch einige Kröten schlucken: die Streichung eines Zeitausgleichtages, das weitere Einfrieren von Sonderprämien, Ostangleichung für Besserverdienende erst bis 2009 und die mögliche Verschiebung des Lohnzahlungstermins auf das Monatsende.

Erreicht wurde eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 4,4% plus Einmalzahlungen über die Laufzeit. Die Laufzeit von 27 Monaten sichert auch für 2004, ein Jahr mit angespannter Haushaltslage, eine deutliche Einkommensverbesserung. Für 2003 kommt ein Großteil der Beschäftigten an die 3% heran.

Die Ostangleichung hat nach vielen Kämpfen endlich einen verbindlichen Zeitplan - für schwache Einkommensgruppen soll sie bis 2007 durchgeführt werden, für die anderen bis 2009. Für den Westen bedeutet dies, dass die Arbeits- und Einkommensbedingungen nicht an das Tarifniveau des Ostens angepasst werden. Und zwischen Ländern wie Berlin und Brandenburg ist die Lohndiskriminierung hoffentlich bald beendet - also endlich Löhne nach Leistung und nicht nach Herkunft.

6. Der Mut hat sich gelohnt

»Bsirske hat recht - das Fehlverhalten der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik darf nicht auf den Schultern der Arbeitnehmer ausgetragen werden«, so Offenbachs Oberbürgermeister Gerhard Grandke.

Dieser Mut hat in Deutschland zum Erfolg geführt und das Image von ver.di bei seinen Mitgliedern gestärkt. Vielleicht auch ein Signal für die österreichischen Gewerkschaften, gegen das Spardogma der österreichischen Bundesregierung in den Kampf zu ziehen?

1) Die Steuerbefreiung der Veräußerungsgewinne von Kapitalbeteiligungen führte zu Milliardenverlusten bei den Steuereinnahmen.
So mussten die Finanzämter mehr als 400 Millionen EUR Körperschaftsteuer an Konzerne und Unternehmen wieder auszahlen.

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(C) AK und ÖGB

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