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Deregulierung ist Umverteilung nach oben

HINTERGRUND

Der Abbau von Arbeitnehmerrechten führt nicht zu mehr Beschäftigung in Europa: Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Auswirkungen einer breiten Deregulierung der Arbeitsmärkte auf die Situation der Arbeitnehmer und beleuchtet gewerkschaftliche Strategien für eine sozial regulierte Wirtschaft.

Uns allen sind die Stichworte des neoliberalen Zeitgeistes seit Jahren bestens bekannt: Mehr Flexibilisierung, Deregulierung und Abbau angeblicher bürokratischer Hemmnisse werden der Bevölkerung als Erfolgsrezepte für eine boomende Wirtschaft und mehr Beschäftigung dargestellt. Besonders beliebt ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf den vermeintlich verkrusteten Arbeitsmarkt, der es Arbeitgebern nicht erlaube, flexibel auf die Marktgegebenheiten zu reagieren. Eines muss man den neoliberalen Ökonomen und der Wirtschaftslobby neidlos zugestehen: Sie haben seit Jahren die Meinungsführerschaft übernommen und ihre Deregulierungskonzepte zum Dogma erhoben, das mittlerweile als fast unantastbar gilt. Es ist kein Zufall, dass Vertreter differenzierter Standpunkte, die in Werten wie sozialer Sicherheit und (in Jahrzehnten erkämpften) Arbeitnehmerrechten mehr sehen als überflüssige Hindernisse einer freien Wirtschaftsentwicklung, als »rückwärtsgewandt« oder als »ewige Bremser« diffamiert werden. Doch was ist mit der stereotypen Forderung nach »Deregulierung« überhaupt konkret gemeint? Sind die angeblich positiven Auswirkungen auf den Abbau der Arbeitslosigkeit und für eine dynamischere Wirtschaftsentwicklung tatsächlich so unumstritten?

Der pauschale Ruf nach Flexibilisierung der europäischen Arbeitsmärkte wird zumeist im Sinne eines Rundumschlages gegen alle Einrichtungen des Sozialschutzes der Arbeitnehmer erhoben: So werden auch Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme unter dem Stichwort »mehr Eigenverantwortlichkeit« im Sinne einer privaten Übernahme der Kosten und stärkerer Druck auf Arbeitslose gefordert. Im Ergebnis streben die Deregulierer stets eine Verbilligung des Faktors Arbeit auf Kosten des Schutzniveaus der Arbeitnehmer an. Mit anderen Worten: Soziale Umverteilung zu Gunsten der Wirtschaft.

Prinzipiell versteht man unter der Regulierung des Arbeitsmarktes jene - nicht nur staatlichen - Eingriffe, welche die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im weitesten Sinne regeln und somit der Vertragsfreiheit Grenzen setzen. Hierzu gehören zum Beispiel Regelungen über Arbeitszeit, befristete Arbeitsverträge, Kündigungsschutz, aber auch über die Arbeitsverhältnisse von Leiharbeitnehmern, um geordnete Beziehungen im Arbeitsleben herzustellen und die Beschäftigten nicht der Willkür des Unternehmers auszusetzen, der sich typischerweise in der wesentlich stärkeren Verhandlungsposition befindet. Sinnvollerweise wird darüber hinaus den Arbeitnehmervertretern auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene (Betriebsräte und Gewerkschaften) die Möglichkeit gegeben, die sie betreffenden Angelegenheiten mit den Unternehmern bzw. deren Interessenvertretungen weitgehend autonom zu regeln. Dies kann durch Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen geschehen. All diese Instrumente werden vom neoliberalen Mainstream als marktfeindlich abgelehnt, da sie angeblich zu Effizienzverlusten auf dem Arbeitsmarkt führen.

Österreich ist nicht überreguliert

Dahinter steht die theoretische Vorstellung, Arbeitnehmer als austauschbare Einheiten des Arbeitsangebotes und Betriebe als konkurrierende Nachfrager würden über eine freie Lohnfindung ein Marktgleichgewicht und somit letztlich Vollbeschäftigung herstellen. Deshalb stehen besonders jene Regelungen in der Kritik der Wirtschaftslobby, die die willkürliche Austauschbarkeit von Arbeitnehmern beschränken, insbesondere ein wirksamer Kündigungsschutz und die Beschränkung befristeter Arbeitsverträge, um diesen Kündigungsschutz nicht zu umgehen. Auch die Beschränkung von Leiharbeit in einigen EU-Staaten wird als Hemmnis kritisiert, Arbeitslose wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren.

Schon mit diesen typischen Beispielen lässt sich belegen, dass der österreichische Arbeitsmarkt auch im europäischen Vergleich keineswegs überreguliert ist. So bietet der allgemeine Kündigungsschutz zwar eine Handhabe gegen sozialwidrige Kündigungen, jedoch keineswegs einen übermäßig starken Schutz vor einem Arbeitsplatzverlust. Vielfach leisten die Arbeitsgerichte diesem Trend Vorschub, indem sie Kündigungsschutzverfahren zu einer Art »Abfertigungshandel« degradieren, an dessen Ende sich der Arbeitgeber auch bei rechtswidrigen Kündigungen von der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers »freikaufen« kann.

Generelle gesetzliche Beschränkungen von unbefristeten Arbeitsverträgen, die meist zur Umgehung des Kündigungsschutzes abgeschlossen werden, kennt das österreichische Arbeitsrecht ebenfalls nicht, obwohl es für diesen Bereich eine - von den europäischen Sozialpartnern im Rahmen des Sozialen Dialoges ausgehandelte - EU-Richtlinie gibt, die den unbefristeten Arbeitsvertrag als Regelfall ansieht und Befristungen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Diese Richtlinie wurde in Österreich bislang nicht gesetzlich umgesetzt, es existiert lediglich eine vage Rechtsprechung, die mehrfache Befristungen ohne sachlichen Grund (so genannte »Kettendienstverträge«) als unzulässig ansieht. Im Bereich der Leiharbeit wird auf europäischer Ebene gegenwärtig ebenfalls an einer Regelung gearbeitet, die das Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« auch für die Arbeitskräfteüberlassung vorschreibt. Insofern dient das österreichische Modell hier gewissermaßen als Vorbild, da sowohl Gesetz als auch Kollektivvertrag die Gleichbehandlung der Leiharbeiter verwirklichen.

Es zeigt sich aber, dass das Wehklagen der Wirtschaft über eine zu starke Regulierung in Wirklichkeit ein ideologisches Kampfargument ist, mit dem der Sozialabbau auf Kosten der Arbeitnehmer weiter vorangetrieben werden soll. Bei näherer Betrachtung der einzelnen Regelungsbereiche zeigt sich, dass der heimische Arbeitsmarkt keineswegs verkrustet ist, sondern einen Ordnungs- und Schutzrahmen vorgibt, der stets genug Handlungsspielräume - auch durch kollektivvertragliche Regelungen - für die beteiligten Akteure freilässt.

Führt nun eine breite Deregulierung, also eine Senkung des Schutzniveaus der Arbeitnehmer, tatsächlich zu mehr Beschäftigung? Dieses Standardargument der Wirtschaft und ihr nahe stehender Institutionen wird trotz ständiger Wiederholung nicht richtiger. Auf der Grundlage zahlreicher Studien, zuletzt
z. B. durch die Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS), lässt sich heute feststellen, dass die Belege für den Einfluss der Beschäftigungsregulierung auf die Schaffung von Arbeitsplätzen uneinheitlich und relativ begrenzt sind.

Nicht mehr Beschäftigung?

Es konnte kein Nachweis erbracht werden, dass Arbeitnehmerschutzgesetzgebung und kollektive Mindestlohnfestsetzung grundsätzlich zu niedrigeren Beschäftigungsniveaus beitragen. Selbst einer umfangreichen Untersuchung der OECD aus dem Jahr 1999 zufolge werden die negativen Auswirkungen des Beschäftigungsschutzes auf den Arbeitsmarkt vielfach überschätzt. Dies gilt selbst dort, wo Deregulierung noch am ehesten zu Arbeitsplätzen führen könnte - nämlich im lediglich geringe Qualifikation erfordernden Teil des Dienstleistungssektors.

Die als Ergebnis einer Deregulierung des Arbeitsmarktes geschaffenen Arbeitsplätze erweisen sich zumeist als qualitativ minderwertig: schlecht bezahlt, unsicher und mit schlechten Aufstiegschancen. Doch darüber hinaus dürfen die Auswirkungen auf bereits bestehende Arbeitsverhältnisse nicht übersehen werden. So kommt es zu einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten regulierter und besser bezahlter Arbeitsplätze, der in einem Nullsummenspiel gipfeln kann: Es sind zwar insgesamt nicht mehr Arbeitsplätze entstanden, aber das Schutzniveau und die Entlohnung haben sich im Durchschnitt massiv verschlechtert. Dies zeigt sich insbesondere an der abnehmenden Arbeitsplatzsicherheit und Zunahme so genannter instabiler Beschäftigungskarrieren als Folge der Deregulierung (Aufweichung des Kündigungsschutzes). Diese negativen Flexibilisierungsfolgen sind typischerweise sozial strukturiert und betreffen hauptsächlich gering qualifizierte »Randbelegschaften«, also eine ohnehin schon benachteiligte Gruppe. Dies führte vor allem in den USA und in Großbritannien zur Herausbildung eines sozial ungeschützten Niedriglohnsektors, in dem Arbeitnehmer trotz Erwerbsarbeit unterhalb der Armutsgrenze bleiben (»Working Poor«).

Drehtüreffekt

Mittelfristig ist somit als Folge zunehmender Deregulierung zwar kein Beschäftigungswachstum, aber sehr wohl eine Verstärkung sozialer Ungleichheit nachzuweisen.

Die typischen Verdrängungstendenzen durch Deregulierung lassen sich auch am Beispiel der Leiharbeit gut darstellen, wie sie gerade in Deutschland im Rahmen der »Hartz-Reform« diskutiert wird. So wurde von Arbeitgeberseite eine generell niedrigere Bezahlung von Leiharbeitnehmern gefordert, um - so die offizielle Begründung - Langzeitarbeitslosen den Weg zurück in das Berufsleben zu erleichtern. Im Ergebnis käme dies einer Aushebelung der Tarifverträge durch die Hintertür gleich, da langjährig Beschäftigte durch billigere Leiharbeitnehmer ersetzt werden könnten, die nicht dem Kollektivvertrag im Beschäftigerbetrieb unterliegen (»Drehtüreffekt«). Es würde also eine Entwicklung noch verstärkt werden, die vielen Betriebsräten aus ihrer Praxis schon jetzt bestens bekannt ist. Wie bereits erwähnt, geht man in der EU zurzeit den entgegengesetzten Weg und versucht, in einer Richtlinie das Gleichbehandlungsprinzip verpflichtend zu verankern.

Überhaupt steht eine breite Deregulierung der Arbeitsmärkte, verbunden mit einer Senkung der sozialen Schutzniveaus und Ausweitung ungesicherter Beschäftigungsverhältnisse, nicht im Einklang mit der im März 2000 verabschiedeten Strategie des Europäischen Rates von Lissabon. Das Ziel dieser Strategie, die Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, soll durch dauerhaf-
tes Wirtschaftswachstum sowie die Schaffung von mehr und qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen und größeren sozialen Zusammenhalt erreicht werden.

Gefragt sind europäische Standards

Dies ist als klare Absage an neoliberalen Sozialabbau zu verstehen. Notwendig sind gemeinsame europäische Sozialstandards, die gerade auch in den Problembereichen der Arbeitswelt, den atypischen Beschäftigungsverhältnissen, gestaltend eingreifen. Anfänge dazu sind in den letzten Jahren auf europäischer Ebene mit diversen Richtlinien gemacht worden. Auch Informations- und Anhörungsrechte von Betriebsräten wurden europarechtlich verbindlich verankert.

In einigen Staaten, die in den achtziger und neunziger Jahren ihre Arbeitsmärkte massiv dereguliert haben, hat sogar bereits eine Gegenbewegung eingesetzt, da die prognostizierten Erfolge ausblieben und massive soziale Verwerfungen die Folge waren. So wurde in Neuseeland ein 1991 verabschiedetes Gesetz, das die Möglichkeiten der Gewerkschaften zu Kollektivverhandlungen über Lohnerhöhungen drastisch einschränkte, wieder aufgehoben. Die britische Regierung führte einen landesweit gültigen Mindestlohn ein, da der ungeschützte Niedriglohnsektor immer prekärere Auswirkungen auf größere Arbeitnehmergruppen hatte. In den Niederlanden wird versucht, den großen Anteil von Teilzeitarbeitskräften auch in jene Sozialschutzprogramme wie die betriebliche Altersversorgung zu integrieren, von denen sie bislang ausgeschlossen waren.

Regulierung als Standortvorteil

Weitgehend ausgeblendet bleiben in der öffentlichen Debatte die vielfach positiven Auswirkungen einer regulierten, durch sozialen Frieden und Ausgleich gekennzeichneten Arbeitswelt auf eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Gerade in einer immer stärker auf Wissen, Ausbildung und ständige Weiterbildung der Beschäftigten basierten Wirtschaft ist eine gewisse Stabilität der Beschäftigungsbeziehungen unverzichtbar. Arbeitsrechtliche Normen, die der Dauerhaftigkeit und Vorhersehbarkeit des Arbeitsverhältnisses dienen, können sich positiv auf die Leistungsbereitschaft auswirken, indem sie die Identifikation der Arbeitnehmer mit den Betriebszielen, die Weitergabe von Kenntnissen und Fähigkeiten, die betriebsinterne Mobilität und die Akzeptanz technologischer Veränderungen fördern. Die Bereitschaft zur ständigen Qualifizierung und Weiterbildung steigt ebenfalls deutlich mit der sozialen Ausgestaltung und Sicherheit des Arbeitsplatzes und wird in einer hoch technisierten Wirtschaft zu einem immer wichtigeren Standortvorteil.

Diese effizienzsteigernden Effekte der Arbeitsmarktregulierung bleiben jedoch vielfach unerwähnt. Dahinter steht das kurzsichtige Kalkül, die Arbeitnehmer durch zunehmenden Sozialabbau zu einer möglichst kurzfristig verfügbaren Größe zu machen, die ihre Interessen den ständig wechselnden wirtschaftlichen Erfordernissen unterzuordnen hat. Diese Forderungen der Wirtschaft, die interessanterweise in fast allen EU-Mitgliedstaaten unisono ertönen, werden regelmäßig mit den Zwängen der Globalisierung und angeblichen Wettbewerbsnachteilen gegenüber den »flexibleren« Mitbewerbern begründet. Der Staat als ausgleichende und demokratisch legitimierte Instanz wird überall immer weiter zurückgedrängt. Durch diese Strategie wird schließlich ein sozialer Unterbietungswettlauf gefördert, der staatliche Ordnungspolitik fast völlig ausschaltet.

Neben den Effizienzvorteilen, die eine sozial regulierte Wirtschaft haben kann, sind aus gewerkschaftlicher Sicht auch die angeblichen Wettbewerbsnachteile kritisch zu hinterfragen, da die EU eine Außenhandelsverflechtung von nur etwa 10 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes aufweist und somit ein relativ binnenorientiertes Wirtschaftsgebiet darstellt. Selbst hier bestehen Konkurrenzsituationen hauptsächlich mit anderen Industrieländern, viel weniger aber mit Schwellen- oder Entwicklungsländern, die typischerweise kaum wirksame soziale Regulierungen ihrer Arbeitsmärkte kennen.

RESÜMEE

Soziale Standards erhöhen!

Eine generelle Deregulierung der europäischen Arbeitsmärkte ist kein wirksames Instrument zur Erhöhung der Beschäftigungsquote. Die negativen Auswirkungen (Förderung sozialer Unsicherheit und Ungleichheit) werden gegenüber den prognostizierten Beschäftigungsimpulsen unterschätzt. Die europäische Ebene muss stärker genutzt werden, um dem Unterbietungswettlauf durch hohe soziale Mindeststandards entgegenzuwirken.

Neben der Absicherung auch atypischer Arbeitsverhältnisse muss ein Europäisches Sozialmodell die Gleichwertigkeit von Wirtschafts- und Sozialpolitik verwirklichen. Nur dann wird die Gemeinschaft auch die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung finden.

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(C) AK und ÖGB

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