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Geplante Pleite | Wie ein Wiener 1200 Baufirmen gründete

HINTERGRUND

Gastronomie, Fuhrwesen und Bau werden von organisierten Schwarzunternehmern regelrecht unterwandert. Ging es bislang vor allem um das Problem nicht angemeldeter Arbeitnehmer, so ist der Sozialbetrug - vor allem am Bau - heute fast ein Wirtschaftszweig für sich.

Vordergründig ist alles legal, die Arbeiter werden bisweilen sogar bei der Krankenkasse angemeldet. Durch die Finger schauen sie nach getaner Arbeit dennoch. Das Gesetz ist nicht nur machtlos, sondern straft mitunter sogar den Betrogenen.

Für Mehmet kam das Inserat gerade zur rechten Zeit: »Für Demontagen und Abbrucharbeiten tüchtige, verlässliche Hilfskräfte zum sofortigen Arbeitseintritt gesucht. Mehmet nennt sich in Österreich Michael. Der Herr, der sich unter der im Inserat angegebenen Handy-Nummer meldete, nannte sich »Herr K.«. »Herr K.« trug Sonnenbrille und Aktentasche und erinnerte Mehmet-Michael an »Mann wie aus Film«. Der junge Bulgare raucht Kette, weil »viel Probleme«, und wirft, wenn er lacht, sein Gesicht in tiefe, lustige Falten. Trotz seines Pechs lacht er viel, auch über sich selbst und das, was ihm passiert ist.

Ohne Wissen umgemeldet

Er mietete ein kleines Zimmer im zweiten Wiener Gemeindebezirk, doch die Erfüllung seines Traumes, Frau, Sohn und Tochter aus der Einzimmerwohnung am Stadtrand von Sofia an den Donaukanal zu holen, hat er jetzt wieder in die Zukunft verschoben. Er war einer von 36 Bauarbeitern, die sich im vorigen Jahr auf das Inserat meldeten. Für die Firma »M. Haslinger Bau- und Transport KEG« - so glaubte er zumindest - schleppte er wochenlang Rigipsplatten und montierte sie mit je 12 Schrauben pro Platte an Wände. »Viele Tausend Schrauben, vielleicht«, sagt er und surrt zur Illustration wie ein Akkuschrauber. Drei Monate schufteten er und seine Kollegen auf vier Wiener Baustellen, Vermittler war Herr K. gewesen. »Ich habe vieles gesehen«, meint Mehmet rückblickend, vieles, »nur kein Geld.«

Die 36 Arbeiter werden derzeit von der AK Wien vertreten, um ihnen gerichtlich zu ihrem Lohn von insgesamt 60.000 Euro zu verhelfen. (Siehe Interview mit Herbert Tumpel). Sie würden, ohne ihr Wissen, der Reihe nach auf die Subfirmen »L. Angelovic Bau- und Transport KEG«, »M. Köstlbauer Bau- und Transport KEG« und »F. Leermüller Bau- und Transport KEG« umgemeldet. Diese Firmen sind bereits in Konkurs gegangen oder stehen unmittelbar davor. Sie haben vom Generalunternehmen, für das sie als Subunternehmen tätig waren, kassiert. Die Arbeiter wurden um den Lohn betrogen.

Täglich drei Scheinfirmen

»Das sind keine Einzelfälle, sondern das ist Betrug mit System«, sagt AK-Präsident Herbert Tumpel. »Acht von zehn Baufirmen, die in Konkurs gehen, sind schon solche Scheinfirmen. Jeden Tag werden drei solcher Firmen gegründet. Da werden Arbeitnehmer systematisch um ihr Geld betrogen, und Millionen an den Krankenkassen vorbeigewirtschaftet - Millionen, die für das Pensions- und das Gesundheitssystem dringend notwendig wären.«

Ein regelrechter »Gründerwahn« scheint die Baubranche befallen zu haben. Ein einziger Wiener hat gar 1200 Baufirmen gegründet. Gegen ihn ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Einziges Unternehmensziel der auf Vorrat aus dem Boden gestampften Subunternehmen von Subunternehmen: Abkassieren und Auflösung der Firma.

Die Gründungsgeschichte - immer nach dem gleichen Muster - hat die AK Wien aufgezeichnet. Kapitel eins: Eine oder mehrere Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GesmbH) werden gegründet. Die Notare sind - merkwürdig! - immer dieselben. Ihnen kann nicht vorgeworfen werden, dass sie im Moment der Firmengründung die Steuerhinterziehungsabsicht nicht erkannt haben. Belangt werden können sie, wie im Fall des emsigen Gründers, höchstens wegen Verletzung berufsrechtlicher Normen. Etwa wenn die Gründung im Wirtshaus oder ohne beeideten Dolmetsch erfolgt. Das gesetzliche Mindeststammkapital von 35.000 Euro wird durch eine simple Bankbestätigung nachgewiesen, ein Vertrag mit den Geschäftsführern wird vorgelegt.

Das Szenario

Im Kapitel zwei wird der Betrug vorbereitet: Der Kredit wird zurückgezahlt, der gewerbe- und der handelsrechtliche Geschäftsführer legen ihr Mandat zurück. Herbert Tumpel: »Im Haftungsfall gibt es kein Vermögen. Büro ist keines da, höchstens irgendeine schmuddelige Wohnung.«

Kapitel drei: Ein Auftrag wird an Land gezogen. Christoph Klein, Leiter des AK-Bereichs Soziales: »Ein Subauftrag wird übernommen, meist von einem durchaus renommierten Unternehmen. Die Dauer des vereinbarten Bauabschnitts, zum Beispiel Fassadenarbeiten, deckt sich in etwa mit der Lebensdauer des Unternehmens.« Nun werden die Arbeiter angeheuert. Von einem »Herrn K.« und ähnlichen Mittelsmännern, von denen nur der Vorname bekannt ist. Herbert Tumpel: »Neu und vielleicht verblüffend ist, dass Arbeitnehmer - manchmal - sogar bei der Sozialversicherung gemeldet werden.« Nicht ganz so verblüffend, wie sich in den folgenden Kapiteln herausstellt: Es wird fleißig gebaut, ohne Nebenkosten. Wenn überhaupt, wird der Lohn direkt ohne Buchführung ausgezahlt. Programmgemäß geht die GesmbH anschließend pleite. Erst nach drei Monaten darf die Krankenkasse, bei der keine Beiträge für die gemeldeten Arbeitnehmer eingelangt sind, den Konkursantrag stellen. Wieder vergehen Wochen bis zur gerichtlichen Konkurseröffnung. Die Krankenkasse zahlt dem Masseverwalter 4000 Euro. Der stellt schließlich die Vermögenslosigkeit des Unternehmens fest und meldet die Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung ab.

Vermögen und Verantwortliche sind verschwunden. Es bleibt der Schaden: Allein in Wien zehn Millionen Euro an hinterzogenen Sozialversicherungsabgaben pro Jahr. Nicht bezahlte Löhne und Steuern nicht eingerechnet.

Halbherzige Verfolgung

Selbst wenn Drahtzieher oder deren Hintermänner ausfindig gemacht werden, ist noch lange nicht sicher, ob sie strafrechtlich belangt werden können. So wird etwa Krida seit der Strafrechtsreform von Justizminister Böhmdorfer nur noch verfolgt, wenn sie grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Etwa durch leichtsinnige Vermögensverschleuderung oder astronomische Kredite, oder wenn der Bankrott »in betrügerischer Absicht« erfolgt ist. Ersteres ist selten der Fall, Letzteres schwer nachzuweisen.

Die AK-Experten stießen auf besondere juristische Spitzfindigkeiten. So scheitert zum Beispiel die Anwendung der auf den ersten Blick einschlägigen Tatbestände wie Betrug nach § 146 Strafgesetzbuch oder Nichtweiterleitung einbehaltener Dienstnehmerbeiträge nach § 114 ASVG an Auslegungsfragen bei der Staatsanwaltschaft. Ein Unternehmer, der Arbeitnehmer zwar bei der Krankenkasse anmeldet, aber keine Beiträge für sie zahlt, ist vom Gesetz her noch lange kein Betrüger: »Für die Staatsanwaltschaft«, so Christoph Klein, »ist die Irreführung, nämlich die Kasse glauben gemacht zu haben, es handle sich um einen ordnungsgemäß angemeldeten Arbeitnehmer, nicht kausal.« Selbst wenn keinerlei Beiträge entrichtet wurden, denn: »Nicht die betrügerische Absicht des Schwarzunternehmers verursacht - nach Ansicht der Staatsanwaltschaft - den Schaden, sondern die gesetzliche Pflicht der Sozialversicherung, den Arbeitnehmern die Versicherungsleistung zu erbringen.«

Der Betrogene zahlt

Spitzfindigkeiten, die im Falle Bogdans nicht zur Anwendung kamen. Er erhielt eine Anzeige, nachdem er bei der Renovierung eines Wohnhauses ertappt wurde. Er war nicht, wie viele Kollegen, beim Erscheinen der Kontrolleure beim Hinterausgang hinaus- und kurz auf einen Kaffee gegangen. Denn dass sein Arbeitgeber ihn schon Wochen zuvor von der Sozialversicherung abgemeldet hatte, hatte er nicht gewusst. Er wurde wegen Schwarzarbeit bestraft. »Da wird ein Missstand im System auf das schwächste Glied abgewälzt«, meint Johannes Denk von der AK Niederösterreich. Dringend an der Zeit sei es daher, eine Bestimmung zu schaffen, wonach auch die Arbeitnehmer informiert werden müssen, wenn sie ihr Dienstgeber von der Krankenkasse abmeldet.

Arbeit & Wirtschaft - Interview

Christian Spitaler spricht mit Herbert Tumpel

»Schwarzunternehmern das Handwerk legen«

Gefängnis für Sozialbetrüger: Der organisierte Sozialbetrug durch Schwarzunternehmer muss endlich konsequent verfolgt werden, verlangt Herbert Tumpel. Der AK-Präsident fordert ein Gesetz gegen Schwarzarbeit.

A&W: Ist der organisierte Sozialbetrug wirklich zum Massenphänomen geworden?
Herbert Tumpel: Ja, und wir verlangen rasche Maßnahmen. Schwarzunternehmer gibt es, seit es Unternehmer gibt. Früher hat es immer geheißen, das seien ja nur einige schwarze Schafe. Das organisierte Schwarzunternehmertum wurde viel zu lange als Kavaliersdelikt bagatellisiert. Dabei geht es hier um Betrug im großen Stil. Betrug an den Arbeitnehmern, die um ihren Lohn geprellt werden, für den sie hart gearbeitet haben. Betrug am Staat, dem jedes Jahr Hunderte Millionen verloren gehen. Geld, das im Pensionssystem und im Gesundheitssystem fehlt. Es ist auch ein Betrug an den seriösen Unternehmern, die sich an die Spielregeln halten. Dem muss jetzt ein Riegel vorgeschoben werden.

Ungarische Grenzgänger als Fernfahrer

A&W: Wie raffiniert sind denn die Tricks der Schwarzunternehmer?
Tumpel: Sie ändern sich zwar laufend, aber eines bleibt gleich: Sie betrügen uns alle. In der Gastronomie arbeiten 15.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer illegal. Es gibt Frächter, die haben 25 Lkw und setzen als Fahrer 19 Praktikanten aus Ungarn ein. So ein Frächter erspart sich jedes Jahr 290.000 Euro. Jetzt gibt es sogar Fuhrunternehmer, die haben als Lkw-Lenker ungarische Grenzgänger. Die dürften normalerweise nur im Burgenland arbeiten, fahren aber dann für die Frächter wochenlang quer durch ganz Europa. Sie fahren dabei über viele Grenzen, aber sicher nicht über die burgenländisch-ungarische. Sogar der Innenminister hat gemeint, Praktikanten dürften nicht mehr als Lkw-Lenker eingesetzt werden. Der Wirtschaftsminister hat diesen Bescheid für ungültig erklärt. Und besonders schlimm ist die Situation jetzt am Bau, da erleben wir eine völlig neue Dimension des Sozialbetrugs. Da werden Tausende Firmen jedes Jahr gegründet - allein mit dem Zweck, Arbeitnehmer und Staat zu betrügen. Diese Firmen übernehmen als Sub- oder Subsubunternehmer Aufträge von angesehenen Baufirmen, kassieren dafür, aber die Arbeiter und die Krankenkassen sehen keinen Cent. Da gibt es Zeitungsinserate: »Berufsverbot? Gründen Sie einfach eine Firma in Gibraltar. Sie können sofort in Österreich mit dem Geschäftemachen anfangen.« Allein am Bau wird nur in Wien die Sozialversicherung jedes Jahr um zehn Millionen Euro betrogen. Die Arbeiterkammer hat in Wien im Vorjahr 2400 Bauarbeiter vertreten, damit sie zu ihrem Geld kommen. In einem konkreten Fall helfen wir zurzeit 36 Bauarbeitern, die bei einer solchen Schwindelfirma gearbeitet haben - allein hier geht es um 60.000 Euro nicht bezahlten Lohnes.

Anmeldung vor Arbeitsantritt

A&W: Was muss konkret getan werden?
Tumpel: Der Adressat meiner Forderungen ist eindeutig der Gesetzgeber. Das Schwarzunternehmergesetz muss endlich beschlossen werden - mit den notwendigen Ergänzungen, um auch die neuesten Tricks und Kniffe dieser Betrüger zu unterbinden. Es darf Schwarzunternehmern nicht so leicht gemacht werden, Scheinfirmen zu gründen. Das gesamte Gesellschaftsrecht muss auf Schlupflöcher durchforstet werden. Ich verlange, dass zum Beispiel die Stammeinlage für eine Ges.m.b.H. wirklich vorhanden sein muss. Derzeit genügt es, die 35.000 Euro für eine Minute beim Notar vorzuweisen, es ist egal, was danach mit dem Geld passiert. Es gehören auch die Geschäftsführer in die Pflicht genommen. Es kann nicht sein, dass Geschäftsführer zum Schein zwanzig, dreißig oder mehr Gesellschaften führen. Oder dass Firmen sechs Monate überhaupt ganz ohne Geschäftsführer tätig sein können. Arbeitnehmer müssen noch vor Beschäftigungsantritt angemeldet werden. Wenn heute etwa auf einer Baustelle illegal Beschäftigte erwischt wurden, heißt es immer: »Morgen hätten wir ihn ja eh angemeldet.« Ich verlange, dass Arbeitnehmer angemeldet werden müssen, noch bevor sie zu arbeiten anfangen. Wir brauchen härtere, und zwar gerichtliche Strafen. Es geht um kein Kavaliersdelikt, sondern um Betrug. In Deutschland können Schwarzunternehmer ins Gefängnis wandern. In Österreich zahlen sie die Strafen aus der Portokasse - wenn sie überhaupt erwischt werden. Wir brauchen mehr Personal im Kampf gegen Schwarzunternehmer. In Bayern sind es doppelt so viele wie in Österreich. Und wir brauchen eine schlagkräftige Behörde statt zersplitterter Kompetenzen. Die Generalunternehmer müssen für die Subunternehmer haften. Jetzt können Bauunternehmen Subfirmen beauftragen, ohne Probleme zu bekommen, wenn diese Subfirmen die Arbeitnehmer und den Staat systematisch betrügen. Ich fordere, dass die Generalunternehmer künftig für alle Abgabenschulden ihrer Subfirmen haften. All diese Maßnahmen sind im Kampf gegen den organisierten Sozialbetrug dringend notwendig - und diese Maßnahmen fordere ich von der neuen Regierung.
A&W: Kollege Tumpel, wir danken für das Gespräch

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