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Die Risken des EU-Beitritts

HINTERGRUND

Die Mitgliedschaft in der EU ist nur ein erster Schritt: Für die meisten EU-Beitrittskandidaten ist es erklärtes Ziel, auch möglichst rasch den Euro einzuführen. Doch der Termin und die Umstände sind heikle Entscheidungen.

Die Vor- und Nachteile des Euro-Beitritts entsprechen grundsätzlich denen in den jetzigen EU-Mitgliedstaaten, aber es verschieben sich die Akzente aufgrund der historischen Entwicklung und des wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsstands.Viele Kritikpunkte gegen die Politik der Europäischen Zentralbank EZB und das Institutionengefüge der EU-Wirtschaftspolitik gelten bei der Erweiterung in gesteigertem Maße: Maastricht und der Pakt für Stabilität und Wachstum (»Stabilitätspakt«) setzen der Wirtschaftspolitik enge Grenzen. Aufholende Ökonomien brauchen aber, was Inflation und Investitionen in Infrastruktur und Umweltsanierung betrifft, mehr Spielraum.

Wechselkurs als Ventil

Der Geldwechsel stellt eine letzte zumindest psychologische Schutzhürde für die heimischen Märkte dar. Andrerseits dürfte der Wunsch, vollwertiges Mitglied im Klub zu sein, stärker als in den nunmehrigen Euroländern ins Gewicht fallen. Dort ging ja die Einführung des Euro auch mit einer Diskussion um das Identitätsstiftende einer nationalen Währung einher. Doch abgesehen von dieser psychologischen Seite hat die Diskussion handfeste wirtschaftspolitische Bedeutung. Ein Instrument der nationalen Wirtschaftspolitik wird aufgegeben, um im gemeinsamen Europa, wenn auch eingeschränkt, mitgestalten zu können. Bedeutung hat die eigene Währung vor allem für kleine offene Volkswirtschaften, die stark vom internationalen Zinsenniveau abhängen, vor allem als eine Art Druckventil: Treten Handelsungleichgewichte auf, kann durch eine Abwertung der Währung kurzfristig gegengesteuert werden. Fehlt dieses Ventil, trifft die Anpassungslast vor allem den Arbeitsmarkt. Zu oft eingesetzt, verpufft allerdings die Wirkung.

Sozialpartnerschaftliche Kultur

Für Österreich hat sich diese Frage nie gestellt, weil der Schilling über die Bindung an die deutsche Mark bereits über Jahrzehnte Schattenmitglied im Europäischen Währungssystem (EWS) war. Das Motiv Österreichs in den siebziger Jahren, den Schilling an die DM zu binden, war ähnlich wie jenes der heutigen Transformationsländer: Import von Preisstabilität und Glaubwürdigkeit der größeren bzw. härteren Währung und damit auch ein niedrigeres Zinsniveau.

Andere Länder mussten sich mit dem Gedanken an die Aufgabe des Wechselkurses als Ausgleichsventil erst anfreunden. Nicht ganz zufällig sind in mehreren Ländern Pakte zwischen Regierung, Gewerkschaft und Unternehmen (Triparität) geschlossen worden, die dazu dienen, in den Lohnverhandlungen zu einer gesamtwirtschaftlichen Orientierung zu kommen. Dies setzt freilich eine sozialpartnerschaftliche Kultur voraus.

Konvergenz, aber welche?

Unbestritten ist, dass für eine erfolgreiche Teilnahme am Euro Konvergenz, also ein vergleichbarer Entwicklungsstand und -pfad, unabdingbare Voraussetzung ist. Von welcher Konvergenz man spricht und wie man zu dieser kommt, macht den Unterschied schlechthin aus. So wie im »Konvergenzeuropa« der neunziger Jahre diskutiert der Mainstream eigentlich nur über Bedingungen nach Maastricht und Stabilitätspakt. Die Maastrichter Kriterien verlangen von den Beitrittskandidaten das Erreichen des Inflationsziels, des Zinsziels und der Haushaltsziele und des Wechselkursziels. Andere Ziele und Größen (Wachstum, Arbeitsmarkt, Sozial- und Umweltstandards) finden keine oder keine ausreichende Berücksichtigung. Auch wird das Inflationsziel nicht zu Entwicklungsstand und Preisniveau in Relation gesetzt, was zu größeren inneren Widersprüchen führt.

Nehmen wir ein Land, dessen Industrie einen hohen Außenhandelsanteil aufweist, das durch Einsatz modernerer Produktionstechnologien und effizienterer Organisation enorme Produktivitätsfortschritte erzielt und dessen Produkte rasch zum Weltmarktpreisniveau aufschließen. Die Produktivitätsfortschritte verhindern auch bei steigenden Löhnen Inflationsdruck. Die Industrielöhne ziehen aber auch die restlichen Löhne mit hinauf. Im stärker geschützten Dienstleistungsektor von den Mieten bis zu persönlichen Dienstleistungen wie Friseur sind aber geringere Produktivitätsfortschritte zu erwarten, also entsteht dort Inflationsdruck, ohne aber unmittelbar die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Dieser Effekt ist keineswegs unbekannt, selbst die deutsche Bundesbank schätzt das Ausmaß auf zwei bis vier Prozentpunkte. Wenn aber diese »Nebenerscheinung« des Aufholprozesses durch eine restriktive Geldpolitik bekämpft wird, bekämpft man nicht nur die Nebenerscheinung, sondern den Aufholprozess selbst.

»Bleiben in einem beitretenden Land Investitionen in seine Infrastruktur auf der Strecke, gefährdet dies die zukünftige Leistungsfähigkeit und den Aufholprozess.«

Defizit kontra Infrastruktur

Ein ähnliches Problem stellt sich beim Budgetkriterium. Dieses besagt, dass das Defizit des Gesamtstaates drei Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes nicht überschreiten darf. Dies hat bekanntlich auch schon in wirtschaftsstarken Ländern in Zeiten der Konjunkturflaute zu Schwierigkeiten geführt. Bleiben in einem aufholenden Land aber Investitionen in seine Infrastruktur auf der Strecke, gefährdet dies die zukünftige Leistungsfähigkeit und den Aufholprozess. Es sollten daher bestimmte öffentliche Investitionen aus dem maastricht-relevanten Budgetsaldo herausgerechnet werden. Bei den Beitrittskandidaten ist dies umso wichtiger, als ein rasches Aufschließen bei der Wirtschaftsleistung, den Umwelt- und Sozialstandards auch im Interesse der jetzigen Mitgliedstaaten liegt. Nicht nur die Folgen von Finanzkrisen und Inflation sind grenzüberschreitend - auch jene von Armut und Umweltverschmutzung.

Ein weiteres Beitrittskriterium sieht vor, dass die Länder zwei Jahre lang ohne Probleme im Wechselkursmechanismus II (WKM II) des EWS Mitglied sein müssen. Im EWS kam es in der ersten Hälfte der neunziger Jahre zu recht heftigen Krisen, die schließlich zu Reformen (verkürzt dargestellt: höhere Schwankungsbreiten, keine im Vorhinein bestimmten Interventionspunkte der Zentralbanken, Ausstiegsklausel für die EZB) im WKM II führten. Die Krisen traten deshalb auf, weil einerseits innerer und äußerer Wert der Währung (Inflation und Wechselkurs) nicht oder nicht mehr zusammenpassten, andrerseits weil die Deutsche Bundesbank eine Politik verfolgte, die zwar aus ihrer Sicht zur deutschen Situation passte, sich aber nicht mit gesamteuropäischen Erfordernissen deckte. Zudem luden genau bekannte Interventionspunkte der Notenbanken Devisenhändler geradezu zur Spekulation ein. Diesen Spannungen war der Wechselkursmechanismus nicht mehr gewachsen. Die Spekulationen gegen Lira und Pfund waren erfolgreich und brachten das europäische Währungsgefüge erheblich durcheinander. Nicht zuletzt Österreich war davon massiv betroffen, weil wichtige Handelspartner und Konkurrenten quasi über Nacht abwerteten.

Griechischer Weg

Mit zunehmender Intensivierung des Handels und der Integration der Märkte haben die Beitrittskandidaten ihre Wechselkurse mehr oder minder stark einseitig an den Euro gebunden. Ein ökonomisch »richtiger« Wechselkurs wird sehr schwer zu finden sein, noch dazu soll er ja nicht nur das »richtige Austauschverhältnis« widerspiegeln, sondern einerseits so hoch sein, dass er stabilisierend auf das inländische Preisniveau wirkt und andrerseits so niedrig, dass er die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährdet. Patentlösungen kann es dafür nicht geben. Wie schwerwiegend und nachhaltig die Folgen eines politisch erwünschten, aber ökonomisch falschen Wechselkurses (1:1 statt ca. 1:6) und das Fehlen realer Konvergenz vor der Einführung sein können, zeigen die wirtschaftlichen Probleme der »deutsch-deutschen Währungsunion«. Der Weg Griechenlands erscheint aber vielleicht auch für die Kandidatenländer als gangbar. Das Land ging mit einer Abwertung, die einen gewissen Aufwertungsdruck erzeugte, in den Wechselkursmechanismus und wehrte über Hinterlegungspflichten und nicht nur über Zinsinstrumente Spekulationen ab.

Geldpolitik: Blick aufs Ganze fehlt

Die Fixierung auf ein Ziel - wie im Falle der Europäischen Zentralbank, aber nicht nur dort - verstellt zu oft den Blick aufs Ganze. Natürlich soll eine Notenbank auf die Preisstabilität achten, sie darf sich aber nicht mit Scheuklappen auf dieses eine Ziel beschränken. Die EZB ist als EU-Institution für das Erreichen einer gesamtwirtschaftlichen Stabilität und eines nachhaltigen Wachstums in die Pflicht zu nehmen. Darüber hinaus definiert sie das Inflationsziel von null bis zwei Prozent gefährlich nahe an einem Bereich, in dem messbedingt eigentlich schon Deflation vorliegen könnte. Ist dieser Punkt einmal erreicht, verliert die Geldpolitik ihre Wirksamkeit und die Wirtschaft ist kaum noch aus Deflation, Rezession und steigender Arbeitslosigkeit herauszuführen - siehe Japan.

Darüber hinaus betrachtet die EZB richtigerweise die Inflation im ganzen Euroland. Das heißt aber: Wenn strukturelle Unterschiede zwischen Ländern in einem Aufholprozess notwendigerweise zu höheren Inflationsraten in den aufholenden Ländern führen, und wenn die EZB die durchschnittliche Inflationsrate in diesem niedrigen Bereich halten will, darf sie in den Kernländern die Inflation höchstens bei null halten.

Die Ziele der EZB sind also - auch im Vergleich mit der amerikanischen Notenbank - zu eng definiert. Darüber hinaus fehlt ihr die demokratische Legitimation, alle Ziele und Träger der Wirtschaftspolitik ihrem eng definierten Ziel - quasi als Oberschiedsrichter - unterzuordnen. Ihre Rechenschaftspflicht ist auszuweiten, der makroökonomische Dialog mit den Sozialpartnern ist auszubauen und mit Leben zu erfüllen.

Beitritt mit Risken

Die Teilnahme der Beitrittsländer am Euro ist aus Sicht der Kandidatenländer sowie aus Sicht der Mitgliedstaaten grundsätzlich wünschenswert. Die Wahl der Beitrittsdaten und des richtigen Wechselkurses, mit dem sie beitreten, fordert aber von beiden Seiten Fingerspitzengefühl und ist mit nicht unbeträchtlichen Risken verbunden.

Die Fixierung auf Inflation und Budgetziele bei der Beurteilung der Beitrittsreife birgt die Gefahr in sich, Aufhol- und Anpassungsprozesse zu blockieren und kann zu geringeren Investitionen in die Infrastruktur und damit geringerem nachhaltigem Wachstum führen. Konvergenz kann nicht nur ein Angleichen der Inflationsraten bedeuten. Unterschiedliche Inflationsraten sind zum Teil Ausdruck eines Anpassungsprozesses. Der Integrations- und Aufholprozess, von dem Europa als Ganzes profitieren soll, muss von Maßnahmen begleitet werden, die Umwelt- und Sozialdumping verhindern und die partizipative Demokratie und den sozialen Dialog zu einem unumstößlichen Teil einer modernen europäischen integrativen Entwicklung machen.

R E S Ü M E E

Euro im Ho-ruck-Verfahren?

Die Einführung des Euro wäre unter den derzeitigen Bedingungen für die EU-Beitrittskandidaten mit großen Risken verbunden. Wenn der Aufholprozess der neuen EU-Länder gelingen soll, ist vor allem ein Umdenken in der Europäischen Zentralbank EZB gefordert.

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