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Lohnquoten 1991-2001

Arbeit & Wirtschaft - Interview | Wilfried Leisch spricht mit Dr. Otto Farny: Eine Luftblase, die sich immer mehr aufbläht

SCHWERPUNKT

Dr. Otto Farny, Leiter der Abteilung Steuerpolitik in der AK-Wien, über die Nachteile des Kapitaldeckungsverfahrens

Arbeit&Wirtschaft: Obwohl die private Pensionsvorsorge mit Hilfe des Kapitaldeckungsverfahrens ihre Versprechungen nicht halten kann und den Versicherten Verluste beschert, gilt in der heutigen Politik dieses System als zukunftsträchtig und wird entsprechend beworben. Warum?
Otto Farny: Die Wissenschaft nennt zwei Gründe für eine kapitalgedeckte Pensionsvorsorge: Erstens, dass es dadurch zu einer Belebung des Kapitalmarktes kommt. Zweitens: Wenn das Kapitaldeckungsverfahren lange genug angewandt wurde, dann spielt die Verzinsung des Kapitals in der Finanzierung eine entscheidende Rolle. Auf einen langen Zeitraum gesehen übernimmt der Zins etwa ein Drittel der Finanzierung. À la longe kann der Zins das Niveau der Beiträge senken, das man braucht, um die Altersvorsorge zu finanzieren.

»Das Kapitaldeckungsverfahren birgt einige große Risiken. Das hat zu Pensionskürzungen bis zu 20 Prozent geführt.«

A&W: Soweit die Theorie. Wie schaut die Praxis aus?
Farny: Da werden viele Illusionen erzeugt. Eine davon ist, dass das Kapitaldeckungsverfahren das so genannte demographische Problem, dass in Zukunft immer mehr Menschen in Pension sein werden, lösen könne. Das ist nicht der Fall. Das Problem trifft das private Kapitaldeckungsverfahren genauso wie das derzeitige staatliche Umlagesystem. Gerade bei den privaten Pensionskassen zeigt sich, dass infolge der Umstellung der Sterbetafeln aufgrund der steigenden Lebenserwartung die durchschnittliche Pension, die aus diesem System kommt, geringer wird.

A&W: Wie steht es um die Wertbeständigkeit der Privatvorsorge?
Farny: Zusätzlich birgt das Kapitaldeckungsystem einige große Risiken. Erstens ist die Bemessungsgrundlage dieses Verfahrens immer der Wert des angesparten Kapitals. Doch dieser kann extrem schwanken. So ist etwa der Wert der deutschen Aktien in den letzten drei Jahren um mehr als 50 Prozent gefallen! Das hat in Einzelfällen zu Kürzungen der laufenden Pension von bis zu 20 Prozent geführt. Die zweite große Gefahr ist die Hyperinflation, wie wir sie z. B. in Österreich Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatten. Auch dadurch wird der Wert des Kapitals vernichtet. Hätten wir damals ein kapitalgedecktes Pensionssystem gehabt, wäre es zur Gänze vernichtet worden.

A&W: Kann das im Umlagesystem auch passieren?
Farny: Nein, praktisch können dort solche Schwankungen nicht auftreten, weil die Bemessungsgrundlage die Lohnsumme ist. Diese schwankt erfahrungsgemäß auch in Krisenzeiten nicht um 20 Prozent. Es gibt zumindest im ganzen 20. Jahrhundert kein Beispiel, wo die staatlichen Pensionen in diesem Ausmaß gekürzt wurden. Allerdings bekommen wir auch im Umlageverfahren in Zukunft das angesprochene demographische Problem. Man kommt auch in diesem System nicht umhin, die Beiträge zu erhöhen. Aber im Umlageverfahren ist der Werterhalt weitestgehend gesichert. Was sich aber in den letzten 20 Jahren abzeichnet ist, dass sich die Bemessungsgrundlage des Umlagesystems - die Lohnsumme - durch Sinken der Lohnquote verringert (siehe Grafik 1). Da könnte eine Wertschöpfungsbesteuerung eine Verbesserung bringen, indem man neben der Lohnsumme auch die Faktoren Gewinn, Abschreibungen und Fremdkapitalzinsen in die Berechnungsbasis einbezieht. Das wäre die korrektere und gerechtere Basis. Etwaige Beitragserhöhungen würden dann geringer ausfallen.

A&W: Wenn die Nachteile auf der Hand liegen, warum forciert die Politik dann das Kapitaldeckungsverfahren?
Farny: International forcieren die USA, Großbritannien usw. mit allen Mitteln dieses Verfahren deshalb, weil sie damit bereits große Probleme haben. Denn immer wenn das Kapitaldeckungsverfahren in eine Reifephase kommt, also Auszahlungen anstehen, droht die Nachfrage nach immer neuen Aktien zu erlahmen. In dieser Situation sind die USA jetzt. Das heißt, man muss immer mehr Nachfrage erzeugen. Deshalb versuchen sie kapitalgedeckte Pensionsfonds in der ganzen Welt als Standardsysteme zu etablieren. Damit soll die Nachfrage nach eigenen Aktien gestützt werden. Im Endeffekt ist das eine große Luftblase, die sich so immer mehr aufbläst. Wenn die Nachfrage nicht da ist, und so schaut es derzeit aus, dann kommen diese Systeme in geradezu existenzbedrohende Probleme, weil sich eine Unterdeckung des erforderlichen Anspruchsvolumens ergibt.

A&W: Und bei uns?
Farny: Da gibt es offensichtlich ein paar Gruppen, die mit so einer privaten Veranlagung viel Geld verdienen können: das sind die Banken und Versicherungen. Deshalb sind diese Lobbys auch bei uns sehr daran interessiert gute Stimmung für das Kapitaldeckungsverfahren zu machen.

A&W: Woher kommt das Geld dafür?
Farny: Von den Versicherten. Der Verdienst für die Banken und Versicherungen liegt darin, dass diese privaten kapitalgedeckten Systeme durchwegs teurer sind als die staatliche, umlagefinanzierte Pensionsversicherung. So wird in diesen Systemen viel Werbung betrieben, um das Geschäft überhaupt ankurbeln zu können. Die Veranlagung in Aktien ist wesentlich aufwendiger und daher teurer als die bloße Pensionsauszahlung über ein Umlagesystem und überdies eben extrem risikoreich.

Deckungsrate der Gesamtaufwendungen
der Pensionsversicherung durch Bundesmittel
gesamte
Pensionsversicherung
davon
ASVG GSVG BSVG
FSVG
1970 31,27% 26,85% 64,99% 76,50%
1971 31,16% 25,86% 69,07% 66,03%
1972 30,82% 24,01% 71,54% 74,35%
1973 29,81% 22,78% 68,73% 74,89%
1974 31,22% 23,57% 71,01% 78,03%
1975 33,86% 26,30% 72,08% 79,78%
1976 32,31% 24,29% 74,12% 81,54%
1977 34,04% 25,55% 74,08% 81,14%
1978 25,57% 15,85% 68,65% 79,32%
1979 25,85% 16,15% 66,51% 80,07%
1980 22,27% 12,33% 66,86% 74,57%
1981 22,26% 11,70% 71,65% 76,14%
1982 26,15% 16,25% 73,06% 78,10%
1983 29,60% 20,38% 73,86% 78,87%
1984 28,87% 20,55% 68,57% 75,10%
1985 27,70% 19,47% 66,63% 74,58%
1986 27,86% 20,29% 60,42% 75,22%
1987 30,20% 22,22% 68,85% 75,42%
1988 29,79% 21,98% 68,46% 73,82%
1989 28,88% 20,91% 68,21% 74,53%
1990 25,92% 16,99% 69,53% 76,22%
1991 26,39% 17,39% 69,84% 77,22%
1992 24,98% 15,91% 67,25% 77,39%
1993 24,73% 15,44% 68,26% 77,08%
1994 23,92% 14,39% 67,72% 76,99%
1995 25,09% 15,96% 67,02% 76,73%
1996 24,42% 15,75% 64,03% 75,56%
1997 24,23% 16,35% 58,12% 74,39%
1998 24,06% 16,49% 56,39% 73,44%
1999 24,48% 17,15% 55,49% 73,74%
2000 21,93% 14,11% 55,97% 74,30%
2001 21,45% 15,03% 40,80% 74,03%
2002 24,18% 17,09% 52,83% 75,03%
2003 27,53% 21,15% 52,87% 74,54%
2004 25,86% 19,25% 52,02% 75,11%
2005 25,70% 18,99% 52,80% 75,36%
2006 25,58% 18,87% 52,95% 75,58%
2007 25,53% 18,82% 53,15% 75,85%

A&W: Warum steigt dann überhaupt jemand auf diese private, kapitalgedeckte Pensionsvorsorge ein?
Farny: Einerseits aus der Angst heraus, weil das jetzige staatliche Pensionssystem andauernd schlecht gemacht und außerdem als unfinanzierbar hingestellt wird. Andererseits, weil bei der Bewerbung der privaten Vorsorge mit dem Trick der Geldillusion gearbeitet wird. So wird gesagt, wenn du jetzt 1000 Euro einzahlst, dann bekommst du in zwanzig Jahren eine bestimmte Rente. Die Leute sehen das und sagen dazu super. Dass das aber nur ein Betrag zum heutigen Wert ist, der mir erst in zwanzig Jahren zur Verfügung steht, dann aber wesentlich weniger Kaufkraft besitzt, nicht vergleichbar ist mit einer heutigen Pension oder einem heutigen Einkommen, wird nicht dazu gesagt.

A&W: Geht uns das Geld für das staatliche Pensionsystem aus?
Farny: Es gibt derzeit kein wirkliches aktuelles Finanzierungsproblem der ASVG-Pensionen, die ja 90 Prozent der Pensionen ausmachen. Die im ASVG
(§ 79a, Anmerkung der Redaktion) vorgesehene Ausfallshaftung des Bundes bis zu 30 Prozent, sollte es zu Finanzierungsproblemen in der Pensionsversicherung kommen, ist bei den ASVG-Pensionisten nie erreicht worden. Und 2002 betrug der Bundesbeitrag bloß 17 Prozent (siehe Grafik 2). Bei Gewerbetreibenden und Bauern hingegen ist der Bundesbeitrag erheblich höher und lag 2002 bei fast 55 Prozent bzw. 75 Prozent. In Wirklichkeit werden hier Budgetmittel, also Steuergelder, die zu 80 Prozent von den Arbeitnehmern stammen, zu den Selbständigen umverteilt. Aber: Wegen der Pensionen gibt es kein Budgetproblem, es sei denn, man will umverteilen. So hat ja Finanzminister Grasser bereits angekündigt, dass er bei der zweiten Etappe der Steuerreform die Körperschaftssteuer um mindestens 3 Prozentpunkte senken will. Das kostet ca. 1 Milliarde Euro, die einer Lohnsteuersenkung für die Arbeitnehmer so entzogen werden. Um diese und andere Maßnahmen für die Unternehmer zu finanzieren, macht die Regierung Sofortmaßnahmen im ASVG-Bereich, um sich das Geld zu besorgen und nicht deswegen, weil die Pensionen unfinanzierbar sind. Bezeichnend ist, dass immer von »Entlastungsbudget« geredet wird. Leider wird nie nachgefragt: Entlastung für wen? Die erste Etappe der Steuerreform, das kann man klar nachweisen, ist eine Entlastung ausschließlich für eine kleine Gruppe von Unternehmern gewesen. Für alle anderen war diese »Entlastung« eine Belastung.

I N F O R M A T I O N

Abkürzungen:
PV = Pensionsversicherung (allg.)
ASVG = Angestellte
GSVG/FSVG = Gewerbetreibende/Selbständige/neue Selbständige
BSVG = Bauern

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