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»Irgendwie nutzlos«

HINTERGRUND

Statistiken sind nur Zahlen und daher geduldig: Aber jene, die in der Arbeitslosenquote aufscheinen, fühlen sich oft wie eine Null. Auch Teilnehmer an Kursmaßnahmen des Arbeitsmarktservice, die sich in AMS-Listen »nicht niederschlagen«, haben Gefühle wie »offizielle« Arbeitslose.

Von Arbeitslosigkeit betroffen sind Menschen in allen Branchen und Altersklassen. Egal, ob Hilfsarbeiter oder Akademiker, egal, ob in Wien oder Vorarlberg, der Druck auf dem Arbeitsmarkt belastet jeden, der unfreiwillig »freigesetzt« wird. Die Zeiten, wo der Gekündigte des Morgens mit der Aktentasche die Wohnung verließ, um den Tag bis zum Büroschluss im Park zu verbringen, sind aber vorbei. Die falsche Scham vor den Nachbarn ist realen Ängsten gewichen. Existenz- und Zukunftsängste prägen den Alltag der Menschen ohne Erwerbsarbeit.

»Am Anfang war es ganz schlimm«, erzählt Gerda Weber *, 52 Jahre und verwitwet. »Von einem Tag auf den anderen hat’s geheißen, wir sperren zu. Da sind schon Existenzängste da, denn Arbeit findest du keine. Überall heißt es: Zu alt, zu teuer, wir rufen zurück. Am Anfang habe ich viel geweint und konnte nicht schlafen. Jetzt habe ich mich ein bisschen abgefunden damit.«

»Überall heißt es: Zu alt, zu teuer, wir rufen zurück. Am Anfang habe ich viel geweint und konnte nicht schlafen.«

Insgesamt 35 Jahre war Frau Weber erwerbstätig. Das erste Mal war sie arbeitslos, als der Chef in Pension ging. Jetzt ging die Firma Pleite und sie »muss wieder von vorne anfangen«. Wenn es persönlich wird zieht Frau Weber »man« vor, das spricht sich leichter. »Man hat dort ja Jahre gearbeitet und gekämpft, schwere Kisten geschoben und gehoben. Es gab viel Staub und schmutzig war es auch. Aber irgendwie schön war es und es tut einem leid um die Arbeit.«

Viel hat sie nicht verdient in ihrem bisherigen Arbeitsleben. Hilfskräfte in den Vorarlberger Textilbetrieben können zwar schwere Kisten und Stoffballen heben, finanziell rentiert sich die Schufterei wenig. Das merkt Gerda Weber jetzt, wo sie arbeitslos ist. Knapp 700 Euro bekommt sie, und hätte sie keine Witwenpension, hätte sie »schon irgendwie aufgegeben«.

Es geht um die Existenz

Dazu, dass sie nicht aufgibt, trägt auch »Frau Renate« bei. Mit der Trainerin im »Verein zur Förderung von Arbeit und Bildung«, dem Maßnahmenträger des Arbeitsmarktservice AMS-Dornbirn, erstellt sie Bewerbungsunterlagen, meldet sich auf Zeitungsannoncen und geht zu Vorstellungsgesprächen. Seit vergangenem August bewirbt sie sich nun. In Krankenhäusern, Altersheimen, selbst als Zimmermädchen hat sie es schon versucht. »Ich muss das«, sagt sie, »denn es geht um meine Existenz.«

Bei Herbert Meusbrugger* geht es auch um die Gesundheit. Er ist zwar erst 23, ist aber »schon ziemlich bedient«. Im zweiten Jahr der Lehre als Steinmetz hat ihm der Arzt geraten, mit seinem »Traumjob« aufzuhören, weil sein Rücken rebellierte. Seine Geschichte ist ähnlich derer vieler Jugendlicher im »Ländle«, die heute auf Lehrstellensuche sind. Schnupperlehren ohne weitere Chance auf einen Lehrplatz, Vorstellen endet mit der vagen Verabschiedung »Wir melden uns«, Blindbewerbungen bleiben ohne Reaktion.

Vermitteln ist Knochenarbeit

»Als Kellner oder Koch ginge es vielleicht noch«, meint Herbert, »aber eigentlich möchte ich das trotzdem nicht. Vielleicht fang ich trotz allem wieder als Steinmetz an und arbeite zwei, drei Jahre in der Schweiz. Da verdiene ich gutes Geld, und dann, dann mache ich etwas anderes.«

»Es ist Knochenarbeit, die Leute unterzubringen«, berichtet Patrick Albinger, Koordinator des AMS-Vorarlberg für Bildungsmaßnahmen. »Die Jugendlichen haben große Probleme, da ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen, es gibt auch zu wenig Lehrstellen. Chancen bestehen noch im Tourismus, allerdings ist das saisonbedingt.« Um mehr als acht Prozent ist die Arbeitslosenrate bei Jugendlichen bis 19 Jahren im Vergleich zum Vorjahr in die Höhe geklettert. »Von unserem Vorhaben, 75 Prozent der Teilnehmer an den Maßnahmen zur Arbeitsaufnahme unterzubringen, müssen wir sicher abkommen«, meint Patrick Albinger. »Wenn wir 40, 50 Prozent schaffen, sind wir schon glücklich.« Zumindest eine Grundausbildung ist nötig, um auf dem Arbeitsmarkt überhaupt eine Chance zu haben.

Halil Baykal* hat keine Ausbildung, mit seinen 24 Jahren bereits eine beachtliche Reihe unterschiedlichster Tätigkeiten hinter sich und zusätzliche Probleme, die einer Arbeit im Weg stehen. Halil hat Schulden. »Viele Jugendliche haben Schulden«, sagt er, »wegen dem Handy oder manchmal machen wir einen Fehler. Raufhandel und so.« Er ist in Bregenz geboren, war aber »immer nur mit Türken zusammen«.

Patchwork-Biografie

Freizeit kann Stress sein, wenn sie dazu dient, sich behaupten zu müssen. Und sich in einer Gruppe von »Türken« in Vorarlberg zu behaupten, scheint vor allem über Materielles zu laufen. Geld war auch der Grund dafür, dass Halil gleich nach der Hauptschule auf den Bau ging. »Einfach so als Maurerhilfskraft, wegen dem Geld eben.« Von seinem letzten Arbeitgeber, einer Leasing-Firma, hat er sich verabschiedet. »Ohne Auftrag auch kein Geld. Jetzt habe ich begonnen zu denken, aber es ist zu spät. Keine Ausbildung, und jedes Monat ein paar hundert Euro Schulden zahlen. Da kann ich mir einen Job als Hilfsarbeiter gar nicht leisten.« Nun träumt er von einem Lkw-Führerschein und rasanten Fahrten durch Europa.

Auch Xaver Werner* war als ungelernter Maurer tätig. Die berufliche Biographie des 23-Jährigen ist ein Patch-work, in dem die Zeiten der Arbeitslosigkeit ein Grundmuster sind. Nach einem Berufsorientierungskurs des AMS war er - immerhin - zwei Jahre als Raumausstatter tätig. Bis die Firma in Konkurs und er aus Geldmangel wieder zurück zu den Eltern ging.

»Manche sind schon so tief unten, dass man ihnen helfen muss, nicht weiter ins schwarze Loch zu fallen.«

»Die sehen es nicht gern, wenn ich zu Hause sitze. Sie sehen aber nicht, dass ich schon so viel gearbeitet habe und jetzt einfach nichts finde«, meint Xaver. »Heute ist es schon brutal. Früher bin ich zu einer Firma gegangen und - zack - haben sie mich eingestellt. Früher habe ich als Hilfsarbeiter 1500 Euro verdient, heute sind es 900 oder 950 Euro. Da kann ich mir keine eigene Wohnung leisten.« Hilfsarbeiter will er nicht mehr sein, sondern eine Ausbildung machen. »Irgendwo im Wellnessbereich«, sagt er vage. »Friseur, Masseur ... oder so.«

»Die Jugendlichen, vor allem die Burschen, sind Träumer«, berichtet eine Trainerin. »Es geht nicht alleine darum, ihnen zu helfen, Arbeit zu finden. Man muss auch versuchen, sie auf den Boden herunterzuholen, einerseits. Andererseits: Manche sind schon so tief unten, dass man ihnen helfen muss, nicht weiter ins schwarze Loch zu fallen.«

Im tiefen Loch war Rosa Reinberger. »Man kommt sich so nichtsnutzig vor, wenn man nicht arbeitet. Obwohl mich niemand deswegen ›schneidet‹, weil ja alle wissen, dass es einen Grund hat.« Rosa ist 25, hat eine Tochter und ist derzeit in einer Maßnahme des AMS zum beruflichen Wiedereinstieg für Frauen in Dornbirn. Beruflich hat sie eine lange Reise hinter sich. Sie ist von Kärnten »herauf« gezogen, weil »es hieß«, hier gibt’s Lehrstellen.

»Als Näherin oder als Verkäuferin, da hab ich halt Näherin gemacht. Hauptsache der Lehrbrief. Das war früher gut, aber mittlerweile wandern in der Textilbranche alle ab. Einmal bin ich gekündigt worden, weil die nach Portugal oder irgendwohin in den Osten gegangen sind.

Kaputte Gesundheit

Dort sind die Leute billiger. Es sind immer die gekündigt worden, die noch nicht lange dabei waren und die, die alle Arbeiten gemacht haben.« Rosa war eine davon, die sich nicht spezialisiert hat. Akkordarbeiten konnte die 25-Jährige bald aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr durchführen. »Jetzt denke ich, Verkäuferin wäre nicht schlecht. Das Blöde ist: Wenn die beim Vorstellen »Näherin« hören, denken sie ich habe nichts im Kopf.«

Das Gefühl nichts im Kopf zu haben, macht allerdings auch vor Akademikern nicht halt. Petra Weißengruber ist eine davon. Philosophie und Rechtswissenschaften hat sie studiert und ist nebenbei als Kellnerin arbeiten gegangen. Daher bekam sie nach der Geburt ihres Sohnes auch Karenzgeld. Irgendwann ging dann auch noch ihre Beziehung in Brüche und auch ihr Traum, »wissenschaftlich zu arbeiten und zu publizieren« platzte.

»Als Verkäuferin verdient man sehr wenig. Ich möchte nicht dafür arbeiten, dass eine fremde Frau meine Kinder erzieht.«

»Die Welt zerfällt in Tatsachen«, zitiert sie Wittgenstein und lacht. Eine dieser Tatsachen heißt Sebastian und wird von ihr allein erzogen. Ihre Arbeit als Sekretärin in einer Rechtsanwaltskanzlei hat sie bereits vor einem Jahr verloren. Sie war einfach »nicht flexibel genug, was die Zeit betrifft, nicht die Arbeit an sich«. Die Arbeit »an sich«, als dreisprachige Sekretärin mit profunden juridischen Kenntnissen, hat sie »durchaus zufriedenstellend erledigt«, wie ihr Chef meint. Es täte ihm leid um sie, als Arbeitskraft.

Petra ist jetzt »in der Notstandshilfe« und ausgebildete Lebenskünstlerin mit Sinn für Verantwortung. »Für Sebastian ist Zeit wichtig, nicht Geld«, sagt sie. »Wenn ich manchmal denke, was ich alles gelesen habe und tun wollte, bin ich schon enttäuscht. Das war alles nur Theorie. Meine Praxis ist in diesem Moment: 650 Euro Notstandshilfe, abzüglich 500 Euro Fixkosten. Ich gebe privat Nachhilfe in Englisch und Französisch, davon leben wir eigentlich. Eine Arbeit, die mich wirklich geistig herausfordert, kann ich mir abschminken. Ich kann nur vormittags arbeiten oder freiberuflich. Aber dafür habe zu wenig Erfahrung und keine Kontakte. Manchmal glaube ich, dass ich nicht das Richtige im Kopf habe, für diese Zeit.«.

Diese Zeit, bis die Kinder größer sind, beschäftigt allerdings sehr viele Frauen. Bei Marieluise hat die Firma, wo sie drei Jahre war, zugesperrt. Sie konnte damals die »Arbeit nachhause mitnehmen. Das war super. Aber von einem Tag auf den anderen war es aus: Konkursverfahren«.

Ihre Kinder sind acht und zehn Jahre alt, und Marieluise ist jetzt auf der Suche und überzeugt, bald etwas zu finden. »Zweckoptimismus«, sagt sie, »weil im Prinzip weiß ich ja, dass ich gut bin, in meiner Arbeit. Es sind die Firmen, die nicht flexibel genug sind. Mir ist es wichtiger, dass meine Kinder Menschen werden. Da ist die bezahlte Arbeit zweitrangig.«

Marieluise ist geschieden, Buchhalterin von Beruf und teilt ihr Leben und das ihrer Kinder genau ein. »Ich arbeite gerne«, sagt sie, »aber wenn ich rechne, kommt es mich teurer, weil ich jemand bezahlen muss, der auf die Kinder aufpasst. Und ich bin nicht glücklich, wenn ich nicht weiß, wer das ist.«

Danuta, 28 Jahre, geht es ähnlich. »Ich möchte wirklich gerne arbeiten, aber ich bin einfach nicht flexibel genug. Als Verkäuferin verdient man sehr wenig. Ich möchte nicht dafür arbeiten, dass eine fremde Frau meine Kinder erzieht.Bei vielen Firmen brauche ich mich gar nicht einmal vorzustellen, weil ich ja aus Polen komme. Ich überlege, welchen anderen Beruf ich machen könnte, wenn meine Tochter im Kindergarten ist. Ich würde schon gerne als Verkäuferin arbeiten, aber da habe ich keine Chance, vormittags etwas zu finden. Jetzt habe ich bei den großen Ketten nachgefragt, im Lager, bei H&M oder so. Dort wollen sie mich auch nicht.«

Eigentlich ist Danuta gar nicht arbeitslos, denn sie besucht einen Kurs beim Arbeitsmarktservice. »Das Selbstbewusstseinstraining, das hätte ich gar nicht so nötig«, meint sie. »Davon habe ich genug, woran es mir fehlt, ist eine Arbeit. Eine, wo ich nachmittags bei meinem Kind sein kann und niemandem für die Erziehung bezahlen muss.«

Andere Probleme haben Männer, die sich über Erwerbsarbeit eher zu definieren scheinen. Vormals »tüchtige« Männer, die eben den Mann im Beruf gestanden haben und plötzlich dastehen, einfach so. Sie haben ihre private Beziehung aufs Spiel gesetzt, »für den Betrieb«, der ihr Leben war, weil dort waren »sie wer« und plötzlich scheinen sie »niemand mehr« zu sein.

»Die Stunden habe ich mir nie aufgeschrieben, die ich extra gearbeitet habe«, sagt Hermann Nemec, »ich dachte, wenn es dem Betrieb gut geht, geht es auch mir gut. Irgendwann gab es dann Probleme, es war ein Familienbetrieb. Alles, was wir mündlich vereinbart hatten, hat plötzlich nicht mehr gezählt. ›Sie brauchen morgen nicht mehr kommen‹, hat es geheißen und ich war arbeitslos. Ich habe zu denken begonnen: Die Zeit, die ich bei dieser Firma gearbeitet habe, die mir nicht bezahlt wurde, die gibt mir keiner zurück. Ich habe den Prozess gegen den Arbeitgeber verloren, weil ich gearbeitet habe, statt Stunden aufzuschreiben. Ich sollte alles schriftlich belegen, das geht aber nachträglich nicht.«

Hinderliche Würde

Hermann Nemec war Tischler in einem Familienbetrieb, wo Vertrauen zählte. Ohne Aufträge hilft aber auch kein Vertrauen. Jetzt ist Herr Nemec seit mehr als 14 Monaten arbeitslos und es tut ihm weh, wenn er zurückdenkt. »Wegen meiner persönlichen Würde habe ich den Prozess begonnen, denn ein vernünftiges Gespräch mit dem Chef war nicht mehr möglich.« Herr Nemec bekommt rund 300 Euro Notstandshilfe monatlich und eigentlich ist es seine Frau, die ihn erhält. Sie arbeitet als Putzfrau in einer Wiener Schule, bekommt etwas über 800 Euro monatlich und will nicht mehr, dass ihr Mann den Prozess weiter verfolgt. »Er soll arbeiten«, sagt sie »und das alles vergessen.« Herr Nemec ist 45 und sucht eine Arbeit als Tischler, die ihn auch zufrieden macht. »Irgend etwas finden könnte ich wahrscheinlich schon. Bei Ikea oder so einer Firma, wo man einfach nur Stücke zusammenbastelt. Dafür bin ich mir trotz allem zu schade.«

Zu schade war sich auch Hermine, die als Putzfrau und gute Seele bei einem Verein gearbeitet hat. Bei gleichem Lohn, hieß es plötzlich eines Tages, etwas mehr Arbeit. Nicht mit mir, sagte Hermine, und wischt viele Jahre Arbeit mit einer Träne weg. »Wenn man gekündigt hat, ist es schwer, wieder Arbeit zu finden. Die Firma ist mit den Stunden hinaufgegangen, die Bezahlung blieb gleich. Ich habe gesagt: Da mach ich nicht mit. Und so bin arbeitslos. Der Verein hat mir gesagt: Wir können den Lohn so lassen, vielleicht später, in ein paar Jahren passen wir an. Das hat mir wehgetan, das konnte ich einfach nicht akzeptieren.«

»Und wenn sie mir 700 Euro geben, ist mir das auch recht. Hauptsache, ich habe endlich meinen Traumjob.«

»Bis jetzt habe ich nie das gearbeitet, was mir gefallen hat«, sagt Selma.* »Aber ohne Arbeit ist es noch schlimmer.« Sie war im Gastgewerbe und war gekündigt worden. Den Grund weiß Selma bis heute nicht. Wahrscheinlich, so vermutet sie, »war ich zu unflexibel«. Neun und elf sind ihre beiden Kinder, die für sie das größte Problem sind, eine Arbeit zu finden.

Die Mutter, die vor mehr als 30 Jahren aus der Türkei gekommen ist, bezieht derzeit Notstandshilfe. Damit kann sie gerade Miete und Strom bezahlen. »Wenn sie auf die Kinder aufpasst und ich Arbeit hätte, könnte ich ihr etwas bezahlen«, sagt Selma. »Aber die Jobs die mir angeboten werden, sind so schlecht bezahlt, dass sich das nie ausgehen würde. Eigentlich wollte ich aus dem Gastgewerbe aussteigen. Man wird sehr müde. Aber jetzt werde ich trotzdem wieder dort arbeiten. Zumindest bis die Kinder größer sind.«

Selma will sich in einer Arbeit endlich »einmal wohlfühlen«. Sie hat in einer Elektrofirma Metallstücke zusammengelötet bis sie Rückenschmerzen bekam und kündigen musste. Jetzt bekommt sie 620 Euro Arbeitslose und will einen Beruf erlernen. Sie ist 24 und bereut es, einfach die Schule hingeschmissen zu haben. »In der Pubertät denkt man nicht. Obwohl meine Eltern wollten, dass ich etwas lerne, wollte ich das nicht. Wenn ich im Akkord 40 Stunden arbeite, habe ich höchstens 1000 Euro gehabt. Meine Schwester ist Lehrerin und hat das Doppelte in der halben Zeit und keine Rückenschmerzen.«

Auch Saime hat keine Ausbildung und war in einer Näherei, wo auch sie aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. »Mein Traumjob ist Verkäuferin und irgendwann werde ich das auch tun. Jetzt bewerbe ich mich schon, aber wenn die Chefs sehen, dass ich Näherin war, sagen sie gleich ab.«

Selma besucht einen Kurs des Arbeitsmarktservice in Dornbirn, der arbeitslosen Frauen und Wiedereinsteigerinnen helfen soll, wieder Arbeit zu finden. »Seit diesem Kurs geht es mir beim Vorstellen schon viel besser. Hätte man mich früher gefragt, welche Fähigkeiten ich habe, hätte ich das Wort nicht einmal gekannt. Ich habe geglaubt, das heißt flexibel, oder so.«

Jetzt war sie in ihrem Traumladen, dem »Yorker«, und hat es immerhin geschafft, dass ihre Unterlagen bis zur Zentrale in Wien vorgedrungen sind. Auch Saimes Eltern sind aus der Türkei und sie fühlt sich »eigentlich schon eher als Ausländerin«. Das hat ihr diesmal beim Vorstellen geholfen. »Der Chef hat mich gefragt, warum ich gerade diesen Job haben will. Ich habe gesagt, dass ich selber alles in diesem Geschäft kaufe und noch nie einen Türken hier herinnen gesehen habe. Die trauen sich da nicht herein, aber wenn eine Türkin verkauft, kommen sie wahrscheinlich eher.«

Saime macht jetzt schon Reklame für den Laden. Was sie bezahlt bekommt, falls sie den Job bekommt, hat sie vergessen zu fragen. »Und wenn sie mir 700 Euro geben, ist mir das auch recht«, sagt sie. »Hauptsache, ich habe endlich meinen Traumjob.«

* Namen von der Redaktion geändert

I N F O R M A T I O N

Hinter jeder Ziffer ein Schicksal

Insgesamt 231.117 Österreicher waren im April 2003 beim Arbeitsmarktservice gemeldet. Immerhin ein (saisonbedingter) Rückgang von 6,9 auf 6,8 Prozent im Vergleich zum April des Vorjahres. Im Tourismus und in der Baubranche ist - wie jedes Jahr - wieder »leichte Erholung« zu verzeichnen. In allen anderen Dienstleistungsbereichen aber zeigt der Statistikpfeil nach oben.

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