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Wie Schweden das Lebenslange Lernen fördert: Bildungsausgaben, die sich lohnen

GESELLSCHAFTSPOLITIK

Neben Abba, Björn Borg und Ikea hat Schweden mit LLL noch etwas ganz Besonderes zu bieten: ein ausgesprochen attraktives Bildungssystem für Erwachsene.

Selma Lagerlöf (1858-1940), Nobelpreisträgerin für Literatur aus der schwedischen Provinz Värmland, schrieb ein Geographielehrbuch für die Schulen. Wir wissen, was daraus geworden ist: »Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen«. Kann man Kindern die Geographie besser vermitteln? Das Buch erschien 1906, brachte ihr das Ehrendoktorat der Universität Uppsala und wurde in 30 Sprachen übersetzt.

Schweden hatte eben immer schon einen »kreativen touch« in Bildungsfragen, und so romantisch wie die Reise von Nils Holgersson von Schonen bis Lappland wirkte auf viele auch der Vortrag von Robert Modlitba in der AK Wien über das LLL in Schweden1). LLL steht für Lebens Langes Lernen.

Nach genau 38 Jahren kommt Robert Modlitba zurück nach Wien, von wo er 1965 aufgebrochen ist, um Urlaub zu machen; eigentlich wollte er nach Südfrankreich, seine Freunde zog es aber in den hohen Norden, also ging er mit ihnen, und er blieb gleich dort. Eine gute Entscheidung, sagt er, er habe ja auch selbst von der schwedischen Bildungspolitik profitiert und dort ein Studium absolviert. Jetzt ist er stellvertretender Ministerialdirigent (was etwa dem stellvertretenden österreichischen Sektionschef entspricht) im Bildungsministerium in Stockholm und verwaltet ein Jahresbudget von drei Milliarden Euro.

Zwei Bildungsminister

Im Schnitt einmal pro Woche hat er einen Termin bei Ministerin Lena Hallengren, zuständig für Vorschule und Erwachsenenbildung. Schweden hat zwei Minister, die für Bildung zuständig sind, Thomas Östros ist es für Schulen und Universitäten. Das erinnert an einen Vortrag des schwedischen Ministerpräsidenten Göran Persson im Februar 2002 in Wien mit seinem Bekenntnis zu noch mehr Investitionen in Bildung: »It is not possible to over-invest in education« (»in Bildung kann man nie zu viel investieren«). Besonders hervorgehoben hat er damals die Bedeutung der Vorschule und der Erwachsenenbildung. Nach seiner Wiederwahl im Herbst 2002 hat er dann gleich Taten folgen lassen.

Modlitba ist für die »formalisierte« Erwachsenenbildung zuständig, das, was in Österreich als Zweiter Bildungsweg bezeichnet wird. Dieser hat allerdings in Schweden eine ganz andere Dimension und damit auch eine andere Qualität:

Erwachsene haben nämlich ein Recht auf Ausbildung. Ein Grundsatz des schwedischen Bildungssystems besteht darin, jedem Menschen jederzeit zu ermöglichen, in das Bildungssystem zurückzukehren.

So kann ein Erwachsener tagsüber mit staatlicher Unterstützung (also ohne daneben arbeiten zu müssen) den Pflichtschulabschluss und das Gymnasium nachholen und anschließend studieren. Dafür hat er 11 Jahre Zeit!

Zurück auf die Schulbank

Eine schwedische Schulabbrecherin und angelernte Arbeiterin könnte also mit 23 den Grundschulabschluss nachholen, das dauert zwei Jahre, dann das Gymnasium machen, weitere drei Jahre. Wenn sie will, arbeitet sie nachher wieder, und mit beginnt 33 ein Studium der Betriebswirtschaft (oder was immer), dafür hat sie sechs Jahre Zeit. Im »Zweiten Bildungsweg« (Grundschule und Gymnasium) befinden sich zur Zeit 200.000 Erwachsene. Schweden lässt sich das Programm 1,27 Milliarden Euro kosten, die Stipendien und Kredite für den Lebensunterhalt der »SchülerInnen« kommen noch einmal auf jährlich 550 Millionen Euro. Die monatliche Unterstützung beträgt 680 Euro (830 für besonders Benachteiligte), ein Teil wird als Stipendium ausbezahlt, ein Teil als Kredit, der nach dem Studium innerhalb von 20 Jahren zurückzuzahlen ist. Wer schon berufstätig war und ein Einkommen hatte, kann einen höheren Kredit beantragen. Es gibt keine Gebühren für das Studium, keine für den Zweiten Bildungsweg. (In Österreich zahlt man bei manchen Anbietern für die Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung bis zu 4000 und für das Nachholen des Hauptschulabschlusses über 700 Euro. Das Selbsterhalter-Stipendium gibt es bis 35, das Studienabschluss-Stipendium bis 38 Jahre.

Auf die Frage, warum es dieses Angebot denn nicht auch berufsbegleitend, also am Abend gibt, antwortet Modlitba: »Wann haben dann die Leute Zeit für ihre Familie?« Es wäre interessant zu untersuchen, wie viele derer, die in Österreich Schulen für Berufstätige am Abend besuchen, die Matura schaffen, und welche das sind: eher Kinderlose unter 30?

LLL beginnt in Schweden sehr früh. Die Gemeinden müssen für alle Kinder zwischen ein und sechs Jahren vorschulische Angebote bereitstellen (sofern die Eltern berufstätig sind oder studieren). Der maximale Unkostenbeitrag für die Eltern beträgt - sozial gestaffelt - 100 Euro. Der Staat wendet allein dafür vier Milliarden Euro auf!

Nach der Vorschule gibt es eine gemeinsame Grundschule für alle sieben- bis 16-Jährigen. Lernmittel, Mahlzeiten, Transport sind gratis. Wie Finnland ist auch Schweden ganz vorne in der PISA-Studie, wie in Finnland gibt es eine Ganztagsschule und keine differenzierten Schulformen bis zur Vollendung der Schulpflicht. Die hohe Qualität der schwedischen Grundschulen zeigt sich auch daran, dass 97% anschließend das dreijährige Gymnasium besuchen, das 17 Zweige aufweist (15 berufsvorbereitende und zwei allgemeinbildende).

Bildung bis ins Alter

Eine wichtige Zielsetzung der Regierung ist es, dass 50% aller SchwedInnen unter 25 ein Studium aufnehmen. Die Unterhaltspflicht der Eltern endet mit 18 Jahren, der Staat unterstützt StudentInnen mit 680 Euro pro Monat, 240 als Stipendium, 440 Euro als Kredit (auch hier ist ein höherer Kredit möglich, wenn man schon berufstätig war). Diese finanzielle Unterstützung - für die der Staat jährlich 560 Millionen Euro aufwendet - gibt es bis zum Alter von 50! Daneben dürfen noch 9300 Euro im Jahr dazuverdient werden.

Die Universitäten nehmen nur so viele StudentInnen auf, wie dem Finanzierungsschlüssel entspricht. Jedenfalls mehr als in Österreich: bei rund acht Millionen EinwohnerInnen immerhin 280.000 im Jahr 2002.

Berufliche Weiterbildung wird traditionellerweise von den Unternehmen finanziert (das betrifft vor allem die Kurskosten). Unselbständig Erwerbstätige haben Anspruch auf bis zu 240 Stunden Freistellung pro Jahr für Weiterbildung. Daneben wirkt die Forderung der AK nach zumindest 35 Stunden Weiterbildung pro Jahr bescheiden. In Österreich gibt es in einigen wenigen Kollektivverträgen Bestimmungen über bezahlte Bildungsfreistellung von einer Woche pro Jahr oder ein oder zwei Wochen unbezahlte Freistellung. Die Bildungskarenz dauert drei bis 12 Monate. Oft stimmt der Arbeitgeber nicht zu, da er sonst eine Arbeitskraft ersetzen müsste. Pro Stunde gibt es einen Lohnersatz von acht Euro, dieser ist steuerfinanziert.

Auf die Frage, ob Schwedens Modell des LLL auch einen Nachteil habe, meint Modlitba nach kurzem Nachdenken: »Nein. Vielleicht dass es teuer ist.« Es ist eine politische Entscheidung, wieviel ein Staat in Bildung investiert. Göran Persson hat jedenfalls die Linie vorgegeben.

Robert Modlitba hat seinen Kurzaufenthalt in Wien mit einem Besuch im Schweizerhaus abgeschlossen. So eine Stelze vermisse er schon in Schweden...

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(C) AK und ÖGB

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