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Standpunkt | Absolute Ungerechtigkeit

MEINUNGEN

Wie reagieren Sie, wenn Sie am Morgen aus dem Radio hören: »Ihr geltender Arbeitsvertrag ist nicht mehr zeitgemäß und wird abgeschafft«?

Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Tages auf und hören im Radio einen Minister, der verkündet: »Weihnachtsgeld ist nicht mehr zeitgemäß und wird abgeschafft. Rechtlich wird das wasserdicht, wir haben nämlich die besten juristischen Experten.«

Und wenn Sie dann, noch ganz verschlafen, murmeln: »Aber das geht doch nicht, das können die mit mir nicht machen!« - dann wird es vielleicht eine andere (innere) Stimme geben, die antwortet: »Aber wieso denn nicht? Mit den Beamten haben sie es doch auch gemacht, und mit den Lehrern und mit den Eisenbahnern und mit ...« Und dieselbe innere Stimme wird fragen: »Und was hast du damals gemacht? Nichts? Siehst du, wer soll dir jetzt helfen ...?«

Sehen Sie, und genau das ist der Punkt. Es gibt heute viele Menschen, die glauben, Solidarität sei eine ethisch-moralische Kategorie, auf die »vergessen« worden sei, oder so ähnlich.

Bertolt Brecht hat es 1932 am Besten formuliert, worum es geht:

»Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsre Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nie vergessen
Die Solidarität!«

Dies ist die simple Wahrheit: Solidarität ist das Füreinander-Einstehen, ist das Prinzip »Und was du ihm tust, das tust du auch mir« und das wiederum macht die Kampfkraft der arbeitenden Menschen aus. Sobald aber einer sagt: »Aber bitte sehr, die haben doch Privilegien, die haben zu viel Urlaub und die verdienen zu viel und die haben das und die anderen jenes« - sobald dieses Denken aufkommt, sobald es den anderen gelingt, uns arbeitende Menschen gegeneinander auszuspielen, da haben sie auch schon gewonnen. Ist doch einleuchtend. Oder?

Und glauben Sie bitte nicht, das obige Zitat aus Ministermund sei völlig frei erfunden. Sie müssen für Weihnachtsgeld nur Dienstrecht der Eisenbahner einsetzen, denn so war es wörtlich von Infrastrukturminister Hubert Gorbach zu hören. »Solche Leute brauchen wir nicht!« erklärte die nunmehrige Ex-FPÖ-Chefin und Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer über Hauptverbandspräsident Hans Sallmutter bei der Neujahrskonferenz der FPÖ am 21. Jänner 2001.

Damit war unter Gejohle und jubelndem Beifall das Halali auf Sallmutter eröffnet. Am 30. Jänner 2001 hat Sozialminister Herbert Haupt den Präsidenten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger abgesetzt. Sallmutter wehrt sich und erweist sich, wie man im Volksmund sagt, als harter Steher. Im Juli 2001 beschließt der Nationalrat eine Reform des Hauptverbandes.

Die Arbeitgeberkurie wird aufgewertet, wodurch Schwarz-Blau im Verwaltungs-(=Aufsichts-)Rat eine 9:5-Mehrheit erhält. Durch eine Unvereinbarkeitsregelung, die gegen Leute wie Sallmutter geradezu maßgeschneidert ist, werden Spitzenfunktionäre aus Gewerkschaften und Kammern ausgeschlossen. Sallmutter als GPA-Chef muss damit aus dem Verwaltungsrat des Hauptverbandes weichen. Auch Eisenbahner-Chef Wilhelm Haberzettl wird wegen der Unvereinbarkeitsregeln nicht zugelassen und erhält einen entsprechenden Bescheid des Sozialministeriums. Er erhebt Einspruch beim Verfassungsgericht (VfGH).

Am 10. Oktober dieses Jahres ergeht der Spruch des VfGH. Sowohl Unvereinbarkeitsregeln als auch Strukturreform sind verfassungswidrig. Die »Reparaturfrist« wird sehr großzügig bemessen: Bis 31. Dezember 2004 ist Zeit zur Umgestaltung des Hauptverbandes. Der Kläger Wilhelm Haberzettl darf trotz dieses Urteils aus juristischen Gründen nicht in den Hauptverband einziehen. Als völlige Blamage der schwarz-blauen Regierung und Beseitigung einer »himmelschreienden Ungerechtigkeit« hat Wilhelm Haberzettl die Aufhebung der Hauptverbandsreform durch den Verfassungsgerichtshof bezeichnet. »Mein Glaube in den Rechtsstaat ist wieder gefestigt«, erklärte er den Medien. Die Regierung habe jetzt den Auftrag »und es wird ihr ja nicht viel übrig bleiben, als zu den alten bewährten Strukturen der Selbstverwaltung zurück zu kehren«.

Die alten Strukturen seien »nicht nur billiger gewesen, sondern haben auch mit Sicherheit mehr Effizienz gehabt als die jetzigen«. Die Sachkompetenz sei unter der jetzt aufgehobenen Hauptverbandsreform zurückgegangen.

Die absolute Ungerechtigkeit sei nun aufgehoben, »demokratisch gewählte Funktionäre aus der Selbstverwaltung auszuschließen«.

Liebe Betroffene: Wenn Sie die Augen schließen, können Sie vielleicht noch das Echo des Gejohles hören, als verkündet wurde: »Den brauchen wir nicht!«

Wir Lohnabhängigen wissen aber, wen wir brauchen und wen nicht.

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