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Nicht Hemmschuh, sondern Gewissen

SCHWERPUNKT

Rede von Bundespräsident Thomas Klestil vor den Delegierten des 15.Bundeskongresses des ÖGB am Dienstag, dem 14.Oktober 2003, im Austria Center Vienna

Herr Bundeskanzler,
Mitglieder der Bundesregierung,
Herren Präsidenten des Nationalrats,
Herr Bürgermeister,
Herr Präsident des ÖGB,
meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr gerne habe ich die Einladung angenommen, auch an diesem 15. ÖGB-Bundeskongress wieder teilzunehmen - ist diese Großveranstaltung doch zum einen ein Beweis für die Bedeutung des ÖGB im öffentlichen Leben unseres Landes - und findet sie zum anderen in einer politisch hoch bewegten Zeit statt.

Als ich heute hierher zu Ihnen gefahren bin, habe ich daran gedacht, wie dieser Stadtteil Wiens in meiner Jugendzeit ausgesehen hat. Da gab es keine Donauinsel als einzigartiges Erholungsgebiet; da gab es keine Platte, unter der eine der wichtigsten Verkehrsadern Wiens, ja übrigens des Donauraumes, hindurchführt. Und wo wir jetzt sind - nämlich im Austria Center neben der UNO-City und in Nähe der modernsten Bürotürme - befanden sich seinerzeit ungepflegte Wiesen, heruntergekommene Kleinwerkstätten, ja sogar auch Mülldeponien. Ich erinnere mich auch, dass nicht weit von hier das traditionsreiche Gemeindebad »Gänsehäufel« liegt - und dass wir es damals als bemerkenswerte urbane Leistung angesehen haben, wie der Stadtteil »Kaisermühlen« errichtet wurde.

Aufbauarbeit

Wenn wir uns heute den Kontrast zwischen der dynamischen Donaucity hier - und dem beschaulichen Gänsehäufel dort - bewusst machen, dann wird uns aber auch die ungeheure soziale, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung bewusst, die hinter uns liegt. Keine Stadtregion in Österreich scheint mir so eindrucksvoll ein Symbol für die enormen Veränderungen zu sein wie gerade diese Quadratkilometer rundum. Keine Zone ist auch so dafür geeignet, über die grandiose Aufbauarbeit zweier Generationen Auskunft zu geben: Jener, die 1945 mit ungeheurem Optimismus gemeinschaftlich ans Werk ging, um die Trümmer des Zweiten Weltkriegs wegzuräumen - und jener, die durch Fleiß, Klugheit - sowie den Willen zur Zusammenarbeit - Österreich auf die wirtschaftliche Überholspur gebracht und in das zusammenwachsende Europa geführt hat.

Deutlich gesagt

Unvergessen und unverzichtbar war und ist dabei der Beitrag der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. Denn diese ist längst auch ein unverzichtbarer Teil unserer modernen Demokratie.

Wobei ein modernes Land, das seinen Gewerkschaften keinen Handlungsspielraum zubilligt, eines von beiden nicht mehr ist: entweder nicht modern oder keine Demokratie.

Ich sage das so deutlich, weil manchmal der Eindruck vermittelt wird, die Gewerkschaften wollten ihre Interessen gegen den Willen der Mehrheit der Gesellschaft durchsetzen; oder es wird behauptet, einzelne Arbeitnehmergruppen würden eine Politik auf dem Rücken der so genannten Allgemeinheit betreiben - jedenfalls aber immer zu Lasten der Wirtschaft.

Damit wird meines Erachtens der Grundgedanke einer modernen Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern verkannt. Nein - die Behauptung ist schlicht unzulässig, die so genannte »Öffentlichkeit« würde auf der einen Seite, die Gewerkschaften auf der anderen Seite stehen.

Ganz im Gegenteil war und ist gerade die überparteiliche Gewerkschaftsbewegung immer ein staatstragendes Element der Zweiten Republik und ein unverzichtbarer Faktor im Zusammenleben der Menschen Österreichs gewesen.

Das gute Recht des ÖGB

Das war so und ich meine: Es ist auch heute so.

So ist es auch das gute Recht des ÖGB, gesellschaftspolitische Vorstellungen jener Lebensbereiche zu entwickeln, die erst auf den zweiten Blick mit der Welt der Arbeit zu tun haben.

  • Oder hängen Fragen der Kindererziehung, der Schul- und Erwachsenenbildung - aber auch der Freizeitgestaltung - nicht mit der Arbeitswelt zusammen?
  • Ist Gesundheits- und Umweltpolitik nicht eng mit der Leistungsfähigkeit und Lebensqualität der arbeitenden Menschen verbunden?
  • Und sollten Pensionssicherung, Generationenvertrag, Lebensarbeitszeit etwa keine zentralen Anliegen für eine moderne Interessenvertretung sein?

Ich danke Ihnen daher auch für die ÖGB-eigene Zukunftsdiskussion, deren Ergebnisse diesem Kongress vorliegen.

In den Berichtsbroschüren findet sich ja eine Unzahl von höchst eindrucksvollen und innovativen Vorschlägen, die öffentliche Diskussion verdienen - aber beweisen, wie ernsthaft der Gewerkschaftsbund seine staatspolitische Verantwortung wahrnimmt.

Ausmaß und Tempo der Veränderungen in unserer Zeit führen in gewisser Hinsicht zu einer nachhaltigen Verunsicherung. Viele Menschen - und hier nicht nur ältere - bekommen mehr und mehr den Eindruck, von den globalen Entwicklungen ausgeschlossen zu sein. Viele fürchten, sich nicht mehr selbst helfen, geschweige denn in den Gang der Dinge irgendwie eingreifen zu können.

Mit ihren Sorgen wenden sich viele Menschen auch an den Bundespräsidenten. Wobei es vor allem zwei Themen sind, die in der letzten Zeit an mich herangetragen wurden.

Da ist erstens die Frage der EU-Erweiterung. Werden nicht Arbeitsplätze verloren gehen, wird es nicht zu einer bedrohlichen Wanderungsbewegung kommen - und wie steht es um die Kriminalität im Fall von offenen Grenzen?

Nun habe ich im Ergebnisbericht Ihres Zukunfts-Arbeitskreises »Erweiterung und Globalisierung« gelesen, dass auch Sie die EU-Erweiterung als eine ganz große historische Chance sehen, um die Spaltung Europas endgültig zu überwinden. Mittel- und langfristig besteht auch kein Zweifel daran, dass gerade Österreich enormen wirtschaftlichen Vorteil aus der Erweiterung ziehen wird. Und es ist richtig, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Arbeitslosigkeit und Lohndumping in gewissen Sparten und Regionen Österreichs zu verhindern.

Ich gehe aber davon aus, dass Regierung und Parlament hier entsprechende gesetzliche Maßnahmen treffen werden und bitte Sie, dass der ÖGB hiezu seine Vorschläge einbringt. Ich rufe Sie aber gleichzeitig auf, mit gestärktem Vertrauen und positivem Elan die einzigartige Chance der Erweiterung zu unterstützen. Geht es doch vor allem darum, dass das Europa der 25 eine große und starke Friedensgemeinschaft ist - und dass wir durch das Hinausschieben der Außengrenzen der EU ganz wesentlich an Sicherheit gewinnen; ebenso wie durch die zu erwartende Wohlstandmehrung bei unseren Nachbarn. Niemals - ich betone: niemals seit dem Frühmittelalter - hat es hierzulande und rund um uns 58 Jahre ununterbrochenen Frieden gegeben. Vielmehr wurde immer das mühsam Geschaffene einer Generation von den anderen zerstört.

Globalisierung

Der zweite - vermehrt an mich herangetragene - Fragenbereich betrifft die Sorge vieler, dass die öffentliche Verpflichtung zur Grundversorgung der Menschen an Gewinn, orientierte Unternehmen im In- und Ausland abgegeben wird - das heißt abverkauft werden könnte. Nun ist die so genannte Globalisierung ein weltweiter Prozess, der von einem kleinen Industriestaat allein nur schwer beeinflusst werden kann. Aber das, was man mit Recht »nationalen Schatz« nennen kann, das sollten wir Österreicher gerade in der derzeitigen weltwirtschaftlichen Situation keinesfalls abgeben. Wobei nicht nur das Wasser und andere Naturschätze zu diesem nationalen Schatz gehören. Auch Einrichtungen der Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen im Sozial- und Gesundheitsbereich sowie gewinnbringende Branchen in unserer Wirtschaft dürfen nicht zum Schaden der Bevölkerung abgegeben werden. Bedauerlicherweise werden derzeit im Rahmen der Welthandelsorganisation Vorstellungen für ein allgemeines Abkommen über Handel und Dienstleistungen entwickelt. Und dieses zielt auf die Privatisierung und Liberalisierung sämtlicher öffentlicher Dienstleistungen ab.

Privatisierung

Tatsächlich sind aber die bisherigen Beispiele aus dem Ausland alles andere als ermutigend. Ich warne daher eindringlich davor, Vermögenswerte und Einrichtungen, die unsere Vorfahren mühsam geschaffen haben, aufzugeben - weil wir sie damit jenen entziehen, die darauf angewiesen sind. Und weil wir auch für die Zukunft außer Streit stellen sollten, dass die wirtschaftspolitischen Leitmotive Österreichs auf eine Vermehrung - und nicht Verringerung - von Volksvermögen gerichtet sind.

Dass der ÖGB in diesem und anderem Zusammenhang als Mahner auftritt, verstehe ich als Sorge um das Land und seine Menschen; und ich habe großen Respekt vor dieser Einstellung. Ich sehe nicht, dass es irgendwo eine »Lust am Verhindern« gibt. Die Gewerkschaftsbewegung ist nicht der Hemmschuh einer modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik, sie ist deren Gewissen.

Denn weder über die Köpfe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinweg, noch gegen ihren Willen, kann eine nachhaltige Entwicklung zum Wohle unseres Landes stattfinden.

Seit dem ersten Bundeskongress des ÖGB vor nunmehr 55 Jahren haben Sie, der Österreichische Gewerkschaftsbund, unser Land wesentlich mitgestaltet: einmal mehr im Rampenlicht, ein andermal eher im Hintergrund. Immer aber wussten die Österreicherinnen und Österreicher, dass eine große Organisation in unserem Staat - neben der Gerichtsbarkeit und einer wachsamen öffentlichen Meinung - Kontrolle bewirkt. Kontrolle ist dabei nicht etwas, was auf Misstrauen gründen muss. Kontrolle ist ein Regulativ, das sicherstellen möchte, dass alle Bemühungen und Anstrengungen auch zu einem guten Ende gebracht werden.

Sozialpartnerschaft

Insofern sehe ich auch in der bewährten österreichischen Sozialpartnerschaft weder eine Neben- oder gar Gegenregierung noch ein politisches Auslaufmodell. Sie wissen, dass ich mich immer für diese so erfolgreiche Einrichtung ausgesprochen habe.

Es entspricht durchaus dem Geist unserer Zeit, dass auf allen Ebenen der Gesellschaft möglichst effektiv zusammengearbeitet wird. Sozialpartner sind daher für mich nicht nur füreinander Partner, sondern auch Partner der Regierung. Das anzuerkennen bedeutet, einander zu stärken, nicht zu behindern. Und das ist eine wichtige und sicherlich lohnende Aufgabe - auch der kommenden Jahre.

So danke ich Herrn Präsidenten Fritz Verzetnitsch und seinem Team für die lange erfolgreiche Tätigkeit im ÖGB - und wünsche allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 15. Bundeskongress des ÖGB erfolgreiche Beratungen.

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