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Die EU folgt dem falschen Leitbild

HINTERGRUND

Den hier abgedruckten Vortrag über »Fragen zur Zukunft der europäischen Identität« hielt Werner Muhm kürzlich im Europa Klub Brüssel.

12. Juni 1994, Volksabstimmung über den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft: 66,5 Prozent Zustimmung bei 81 Prozent Wahlbeteiligung. Ein wahrhaft historischer Tag für Österreich; ein großer politischer Erfolg, an dem viele mitgewirkt haben, vor allem auch die Arbeiterkammern und der ÖGB. Ich bedauere, dass dieses überwältigende Votum heute einer gewissen Reserviertheit und Skepsis in großen Teilen der Bevölkerung gewichen ist, was sich besonders gegenüber dem Euro und der Erweiterung manifestiert. Aber ich verstehe es auch: Das Tempo der Reformen und die Sparpakete der letzten Jahre stehen in krassem Widerspruch zu den Versprechungen gegenüber den Arbeitnehmern für die Zeit nach dem EU-Beitritt.

Ich halte diese wachsende Skepsis in vielen EU-Staaten für gefährlich, weil wir gerade jetzt die Zustimmung der Menschen für das europäische Projekt brauchen. Es gibt keine sinnvolle Alternative zur Einigung Europas, aber erheblichen Handlungsbedarf, wenn Europa im globalen Systemwettbewerb bestehen will.

Europa Weltmacht Nummer Eins?

Der Historiker Paul Kennedy veröffentlichte 1993 ein Buch mit dem Titel »In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert.« Im Kapitel »Europa und die Zukunft« zitiert er den US-Professor Samuel Huntington: »Sollte die Europäische Gemeinschaft sich politisch zusammenschließen, hätte sie die Bevölkerung, die Ressourcen, den ökonomischen Wohlstand, die Technologie und die potentielle militärische Stärke, die herausragendste Macht des 21. Jahrhunderts zu werden. Japan, die USA und die Sowjetunion sind hochspezialisierte Länder: Japan in der Investition, die Vereinigten Staaten im Konsum und die Sowjetunion in der Bewaffnung. In Europa sind diese drei Elemente ausbalanciert. Es investiert weniger seines Bruttosozialprodukts als Japan, aber mehr als die Vereinigten Staaten und sehr wahrscheinlich viel mehr als die Sowjetunion. Es konsumiert weniger seines BSPs als die Vereinigten Staaten, aber mehr als Japan und die Sowjetunion. Es rüstet weniger als die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, aber mehr als Japan. Man kann sich auch eine europäische ideologische Ausstrahlung vorstellen, welche der amerikanischen vergleichbar wäre. In der ganzen Welt stehen Menschen vor den Türen amerikanischer Konsulate Schlange, die um Einwanderungsvisa nachsuchen. In Brüssel stehen ganze Länder Schlange, die der Europäischen Gemeinschaft beitreten wollen. Eine Union von demokratischen, wohlhabenden, sozial unterschiedlichen Gesellschaften mit gemischten Wirtschaften, wäre eine mächtige Kraft auf der Weltbühne. Wenn das nächste Jahrhundert kein amerikanisches mehr sein sollte, dann wahrscheinlich ein europäisches.«

Amerikas Konkurrenzvorteile

Ist diese These zehn Jahre später noch aufrecht zu erhalten? Nicht im Sinne einer unilateralen Weltsicht nach dem Motto »Der Starke ist am mächtigsten allein«, sondern im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Gesellschaftsmodells? Auch wenn der Historiker Todd kürzlich ein Buch mit dem Titel »Weltmacht USA. Ein Nachruf« veröffentlichte, hatten in der nahen Vergangenheit unbestritten die USA die bessere Performance.

Zentral für diese Entwicklung scheint mir die US-amerikanische Technologieführerschaft, aber auch die intelligentere und konsistentere Makropolitik. Ich möchte aber betonen, dass der Performance-Unterschied nicht so groß ist, wie die BIP-Daten suggerieren. Das BIP pro Kopf (in Kaufkraftparität) ist in den USA im Vergleich zu Österreich um ein Drittel höher, das BIP pro Arbeitsstunde liegt in Österreich jedoch bei etwa 95 Prozent des amerikanischen, weil die Arbeitszeiten um 17 Prozent kürzer sind und Österreich eine um sechs Prozent geringere Erwerbsquote hat. Für mich ist das eine klare Aussage: Europa hat einen anderen Mix zwischen Freizeit und Arbeit. Die Europäer wollen nicht auf Kosten der Freizeit wettbewerbsfähiger sein! Und ich halte das für richtig.

Amerikas Schwachpunkte

Aber: Die US-Performance muss vor dem Hintergrund der großen ungelösten Probleme des Landes bewertet werden! Dazu gehören:

  • ein gewaltiges Leistungsbilanzdefizit,
  • eine niedrigere Sparquote,
  • eine große Abhängigkeit vom Zufluss von Finanzmitteln,
  • ein neuerdings erhebliches Haushaltsdefizit,
  • gewaltige Ungleichgewichte im Einkommen, aber auch im Gesundheitsbereich (13 Prozent des BIP fließen in das Gesundheitssystem, aber nur 75 Prozent der Amerikaner sind krankenversichert),
  • große Mängel in der Infrastruktur (Stichwort: Stromausfälle).


Dies kann und darf nicht der europäische Weg sein! Ziel der Europäischen Union muss die Sicherung des äußeren Friedens zwischen den Völkern Europas durch Zusammenarbeit und die Sicherung des inneren Friedens zwischen den Bürgern durch wirtschaftlichen Wohlstand mit sozialer Integration sein.

Hier sehe ich klare Vorteile gegenüber den USA: Europa mit seinen Regionen und kulturellen Traditionen hat zumindest vier gemeinsame Elemente, die es vom US-System unterscheiden - ich spitze durch Verkürzung natürlich zu:

  1. Das Privateigentum als Basis-Institution jeder Gesellschaft ist in Europa verbunden mit sozialer Verantwortung - sowohl in der christlich-sozialen Philosophie als auch im sozialdemokratischen Gedankengut. In den USA ist es Fundament für individuelle Autonomie ohne Begrenzung.
  2. In Europa gibt es einen Sozialkontrakt, der alle Bürger umfasst, und eine lange Tradition der Solidarität mit den Armen und Schwachen. In den USA verstößt Umverteilung von Einkommen gegen amerikanische Werte - hier herrscht die Idee der freiwilligen Wohltätigkeit.
  3. Der öffentliche Sektor - die res publica - ist in seiner Ausprägung in allen europäischen Staaten mehr oder minder ähnlich. Er hat in den USA eine signifikant geringere Bedeutung (außer in der Zeit von Präsident Roosevelts »New Deal« in den Dreißigerjahren).
  4. Große Unterschiede gibt es auch bei der Rolle des Staates: In der US-Wahrnehmung ist der Staat Widersacher des Bürgers, in Europa steht seine unterstützende Funktion im Vordergrund

Konsens als Trumpf

Sie sehen: Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen dem Beziehungsgeflecht »Privat-Öffentlich-Markt-Staat-Zivilgesellschaft« im Vergleich USA - Europa. Die Frage ist: Kann sich das europäische Modell im globalen Wettbewerb behaupten? Ich bin - mit Blick auf Dänemark, Schweden, Finnland und die Niederlande, die wirtschaftlich erfolgreichsten Staaten in der EU in den letzten Jahren - optimistisch. Das Gemeinsame all dieser Länder war:

  • Eine Reform des Sozialstaates, ohne ihn abzubauen;
  • die Forcierung der Technologie- und Innovationspolitik;
  • ein relativ hohes Steuerniveau;
  • eine relativ egalitäre Einkommensverteilung und
  • ihre politische Ausprägung als Konsensgesellschaften.

Ich habe eingangs von erheblichem Handlungsbedarf gesprochen, wenn Europa im globalen Systemwettbewerb bestehen will. Tatsache ist, dass die gesamteuropäische Dynamik seit Jahren zu schwach ist. Europa braucht Wachstum und Beschäftigung, sonst droht uns ein Teufelskreis, der Europa zerreißen könnte. Ich denke an die Finanzierungsprobleme des Wohlfahrtsstaates, hohe Arbeitslosigkeit, Verschärfung der innereuropäischen und innerstaatlichen Verteilungskämpfe, begrenzte Aufholchancen Osteuropas, beschleunigte Wanderungsprobleme, xenophobe Tendenzen.

Wer kennt sich da noch aus?

Die Europäische Union hat darauf eine richtige strategische Antwort entwickelt - die Strategie oder den Prozess von Lissabon, der darauf abzielt, die Union zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Doch er ist gerade dabei, zu scheitern - im Spannungsfeld zwischen Makroökonomie und Strukturpolitik und im Wirrwarr der rund hundert Indikatoren, die wahllos Ziel- und Instrumentenvariablen aneinanderreihen. Und im Spannungsfeld der anderen Prozesse. Wer außer uns hier kann denn noch den Überblick über die verschiedenen Prozesse bewahren, die auf europäischer Ebene laufen, Luxemburg-, Cardiff-, Köln- und Lissabon-Prozess?

Selbst wenn man den Pessimismus des Scheiterns nicht teilt, sind manche Teilziele in den Bereich der europapolitischen Wunschvorstellungen einzuordnen, etwa die Erhöhung der Forschungsquote auf drei Prozent bis 2010. Auch wenn die Dynamik durch die neuen Mitglieder hoffentlich zunimmt, trägt die EU-Erweiterung dazu bei, dass sich die Gemeinschaft von den angestrebten Kennzahlen entfernt. Um so entscheidender ist daher die Zukunftsdebatte auf europäischer Ebene und die in einigen Tagen beginnende Regierungskonferenz, auf der der Verfassungsentwurf des Konvents behandelt wird. Dieser setzt mit der Verankerung der Grundrechtscharta, dem Ziel der Vollbeschäftigung, dem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, der Anerkennung der Rolle der Sozialpartner und des sozialen Dialogs wichtige Impulse zur Absicherung des Europäischen Gesellschaftsmodells.

Widersprüchige Signale

Aber die Signale und der Befund sind für mich sehr widersprüchlich, wie sich am Beispiel des Grünbuchs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zeigt. Der Begriff ist eine Neuschöpfung, zuvor sprachen wir von öffentlichen Dienstleistungen und Gütern. Jetzt suggeriert der Begriff eine Gleichwertigkeit von privat und öffentlich. Es ist zwar ein nicht marktwirtschaftliches Angebot erlaubt, aber der Markt setzt den Standard.

Was bedeutet das? Der Trend zur Ökonomisierung aller Lebensbereiche setzt sich fort. In Österreich drückt das wachsende Nützlichkeitsdenken an den Universitäten die Geisteswissenschaften an den Rand.

Der falsche Schwenk

Es gibt doch im menschlichen Leben Dinge außerhalb von Angebot und Nachfrage. Im 20. Jahrhundert haben entfesselte Nationalstaaten Europa ins Unglück gestürzt. Im 21. Jahrhundert könnten die entfesselten Märkte nicht nur Europa, sondern die ganze Welt ins Unglück stürzen!

Der globale Ideologiewettkampf unter der Marke »Modernisierung - Globalisierung« lässt die EU auf einen Weg einschwenken, der völlig im Gegensatz zu den Proklamationen steht. Nämlich Unterschiedlichkeit und Vielfalt in Europa zu erlauben und zu fördern. Wahrscheinlichstes Ergebnis ist das, was man den Washington-Konsens nennt. Diese Konzeption schlägt sich konsequent in den wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Kommission nieder. Gerade sie führen zur Schwächung des europäischen Gesellschaftsmodells, weil sie nicht Wachstum generieren.

Die Europäische Union hat jene zusätzlichen Freiheitsgrade, die ihr der Euro und die Wirtschafts- und Währungsunion zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung eröffnet haben, nicht ausreichend genutzt.

Positiv ist sicher, dass die Bedeutung des Euro als Weltreservewährung kontinuierlich gestiegen ist, auch seine Bedeutung als Transaktionswährung. Aber eine Politik für Wachstum und Beschäftigung erfordert mehr als Preisstabilität und Strukturpolitik, bei der meist die Liberalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarkts im Vordergrund steht. Denken Sie an das Phänomen der »working poor« in den USA und Großbritannien.

Die Defizite der EU

Eine Lohnspreizung von 1:5 wie in den USA hat sicher auch Beschäftigungseffekte. Aber sind solche Einkommensunterschiede auf Dauer mit europäischen Vorstellungen vereinbar, wo die Spreizung derzeit im Durchschnitt 1:2,5 beträgt?
Lassen Sie mich die wahren Defizite der Europäischen Union aufzählen:

  • Wir haben keinen Konsens über den zweiten Teil des Stabilitäts- und Wachstumspakts, nämlich den Wachstumspakt. Der Pakt muss generell mit Flexibilität gehandhabt werden. Das heißt nicht, dass ich für überbordende Budgetdefizite eintrete, es ist aber nicht entscheidend, ob man das Kriterium bei 3 oder 3,5 Prozent ansetzt. Ich bin auch dafür, Investitionen für Forschung und Entwicklung aus dem Pakt auszunehmen.
  • Wir haben keinen Konsens auf europäischer Ebene, was unter einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik zu verstehen ist. Gerade die Lohnhöhe ist neben den Investitionen ein wesentliches Element bei der Steigerung der Binnennachfrage.
  • Es ist nicht gelungen, das Einstimmigkeitsprinzip bei den Steuern zu kippen. Damit zeichnet sich nach der Erweiterung ein neuer Steuerwettlauf ab, der das europäische Sozialmodell unter Druck setzen wird. Das europäische Sozialstaatsmodell ist mit einem Niedrigsteuerstaat nicht leistbar.
  • Wir haben kürzlich die Technologieführerschaft beim Mobilfunk durch eigenes Verschulden an Japan verloren.
  • Die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen sind auf einem Tiefstand.
  • Auf dem Faktor Arbeit liegt fast die gesamte Last der sozialen Sicherheit.
  • Wir übernehmen relativ widerstandslos US corporate governance (Basel II, amerikanische Bilanzierungsvorschriften und ähnliches).
  • Vor allem fehlt neben der notwendigen Strukturpolitik auch eine konsistente Makropolitik unter Einbeziehung der EZB und der Sozialpartner.

Die berühmte Historikerin Barbara Tuchman definiert in ihrem Buch »Die Torheit der Regierenden« politische Torheit als gegeben, wenn drei Kriterien erfüllt sind. Torheit herrscht, wenn eine Politik zu ihrer Zeit und nicht erst im nachhinein als kontraproduktiv erkannt wurde, wenn es eine praktikable Alternative gab und wenn die Politik von einer Gruppe und nicht einem einzelnen Regierenden betrieben wurde und über die politische Laufbahn eines einzelnen hinaus Bestand hatte. Alle Kriterien der Torheit treffen auf die gegenwärtige Wirtschaftspolitik der EU zu und es ist höchste Zeit, gegenzusteuern. Die Schwachstellen der europäischen Politik beschränken sich leider nicht auf die Wirtschaftspolitik:

  • Wir sind - siehe englische und polnische Truppen im Irak und äußerst bescheidene Erfolge am Balkan - mit einem enormen Glaubwürdigkeitsdefizit in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik konfrontiert.
  • Wir haben eine gescheiterte WTO-Runde hinter uns.
  • Die jüngste Euroabstimmung in Schweden zeigt die Kluft zwischen den Bürgern und den Eliten.
  • Wir wissen nicht, wie es mit dem EU-Budget und der Agrarpolitik 2006 weitergeht.

Die missbrauchte Erweiterung

Und dies alles angesichts der bevorstehenden Erweiterung. Sie war und ist ein zentrales Thema der Arbeitnehmervertretungen in Österreich. Wir begrüßen die Erweiterung als zentralen Schritt bei der Einigung Europas und anerkennen, dass gerade Österreich von der Ostöffnung profitiert und erhebliche Wachstumsimpulse erzielt. Aber jetzt liegen die Mühen der Ebene vor uns. Es sind vor allem zwei Kritikpunkte, die wir an der Position der Europäischen Kommission zur Erweiterung auszusetzen haben:

  • Wir kritisieren, dass die Erweiterung als ein Instrument zur Flexibilisierung der Arbeitsmärkte in den Mitgliedsstaaten missbraucht wird.
  • Und wir werden das Gefühl nicht los, dass den EU-Beamten und Experten hier vor Ort sehr bewusst ist, dass tausende Seiten Regeln im Vertragswerk in den neuen Beitrittsländern wirklich nur auf dem Papier bestehen.

Außerdem haben wir die Sorge, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung (wobei in den Beitrittsländern viel vom US-System, etwa im Pensionssystem, übernommen wurde) und der Erfolg der Erweiterung ein Prozess mit offenem Ausgang ist, wenn diese Länder in die Stabilitätsziele bei Preisen und Budget eingebunden werden. Gerade Länder im Aufholprozess brauchen höhere Inflationsraten und Budgetdefizite.

Negativbeispiel Österreich

Das Gelingen der Erweiterung ist in hohem Ausmaß auch von der Akzeptanz der Bevölkerung in den alten und neuen Mitgliedsländern abhängig. Unsere Hauptkritik richtet sich daher gegen die österreichische Bundesregierung und die mangelhafte innerösterreichische Vorbereitung, die viele ArbeitnehmerInnen mit ihren Problemen im Regen stehen lässt. Das zeigt sich beim notwendigen Ausbau der Infrastruktur, bei Aus- und Weiterbildung, bei der sozialen Absicherung (Erweiterungsverlierer, sozial Schwächere) und vor allem beim Thema Wanderung und Pendlerbewegung.

Bratislava liegt 66 km von Wien entfernt, der durchschnittliche Monatslohn am Bau beträgt dort 324 Euro, der durchschnittliche Monatslohn in Wien 1.953 Euro. Während 160 km östlich von Wien, in der Slowakei, der Durchschnittlohn auf dem Bau 211 Euro beträgt, beläuft er sich im angrenzenden Burgenland auf 1628 Euro. Die höchsten Einkommen werden in Bratislava im Kreditwesen bezahlt, 620 Euro. Bankbedienstete in Wien verdienen über 2.367 Euro. Die durchschnittlichen Löhne und Gehälter liegen in Budapest bei 390 Euro, in Györ bei 280 Euro, in der Region um Brünn bei 300 Euro und in Prag bei 450 Euro (zu Wechselkursen). Wobei ausschließlich die Hauptstadtregionen Löhne über dem Gesamtlandesdurchschnitt aufweisen.

Vertiefung und Erweiterung

Zusammenfassend stellt sich für mich die Frage: Mutet sich Europa nicht zuviel zu? Wo hört die Erweiterung auf, bei der Türkei, der Ukraine und so weiter? Ist eine Politik der gleichzeitigen Vertiefung und Erweiterung der Union glaubwürdig? Sollten wir nicht in realistischen Schritten an die nächsten Etappen der Erweiterung herangehen? Schon Kant sagte: »Doch wer zuviel will, will nichts.«

Ich bin trotz der Vielfalt der Herausforderungen optimistisch im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des europäischen Gesellschaftsmodells. Allerdings hängt alles davon ab, welche Schritte wir setzen und welches Zukunftsbild wir vor Augen haben. Die Gruppe für prospektive Analysen der EU hat für 2010 fünf Szenarien entworfen: »Triumph der Märkte« oder »Die Dominanz des amerikanischen Marktwirtschaftsmodells.« Zweitens: »Hundert Blumen oder die Zersplitterung in die Vielfalt.« Drittens: »Verantwortungsgemeinschaft oder das europäische (ökosoziale) Marktwirtschaftsmodell.« Viertens: »Die kreative Gesellschaft oder die Gegenbewegung zum wirtschaftlichen Rationalismus.« Fünftens: »Chaos vor der Haustür oder Festung Europa.«

Wir bewegen uns klar in Richtung Szenario 1 und 2. Ich meine aber, dass Europa nur dann eine globale Ausstrahlung erreichen kann, wenn es den Weg zu einer Verantwortungsgemeinschaft schafft. Die Verantwortungsgemeinschaft muss europäisches Leitbild bleiben und in der realen Politik Umsetzung finden!


R E S Ü M E E
Entfesselte Märkte zügeln
Nach der überwältigenden Zustimmung zum EU-Beitritt am 12. Juni 1994 macht sich auch in Österreich immer mehr EU-Skepsis breit - so wie in vielen anderen Ländern. Dies ist gefährlich, denn es gibt keine Alternative zur EU. Europa hat sehr gute Chancen im globalen Wettbewerb der Systeme, aber auch erheblichen Handlungsbedarf, um seine Defizite zu beseitigen. Europa muss vor allem die entfesselten Märkte zügeln und die soziale Sicherheit festigen. Es muss sich aber auch fragen, ob Vertiefung und weitere Erweiterung zugleich möglich sind. Die EU muss eine Verantwortungsgemeinschaft bleiben.

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(C) AK und ÖGB

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