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Niedrigstpensionen: Zum Sterben zuviel

SCHWERPUNKT

Die Pensionsreform 2003 wurde zwar - nach heftigem Widerstand der Arbeitnehmervertreter - etwas entschärft. Die Kürzung um mehr als 1,5 Monatspensionen im Jahr trifft besonders Bezieher von Kleinpensionen. Vor allem Frauen. Der dringend nötige Ausbau einer eigenständigen Alterspension für weibliche Beitragszahler wurde damit ins Gegenteil verkehrt.

Wissen Sie«, sagt der Leiter des Pensionistenverbandes eines Wiener Gemeindebezirks, »die Leute mit den Niedrigstpensionen, die kommen nicht zu uns. Die können sich die Beiträge ja gar nicht leisten. Geschweige denn die Ausflüge. Und falls einer bei uns ist, der nicht so viel hat, dann spricht der nicht darüber. Die schämen sich. Das ist das Problem.«

Frau Helga Sachse1) ist daher eine Ausnahme. Sie findet sich auch gar nicht geeignet, »in der Zeitung zu stehen, weil ich bin ja mit meinem Leben zufrieden«. Man fragt sich, wie sie mit dem Geld auskommt, 693 Euro und 20 Cent pro Monat. Eigentlich wäre Frau Sachse der Regierung für eine Werbekampagne, Arbeitstitel »herzeigbare Kleinpensionisten oder wie man eine Zwiebel zweimal brät« zu empfehlen. Dass sie in einer ostdeutschen Kolchose aufgewachsen ist und schon als Kind für zehn Leute gekocht hat, wird man verschweigen müssen, zugunsten eines großen Farbfotos von Frau Sachse, das die 70-Jährige zeigt, wie wir alle uns unsere Senioren und vor allem Seniorinnen vorzustellen haben: Schlank, wie reife 50er und voll aktiv.

Glückliche Seniorinnen

Es geht also auch so. Und hier der Leitfaden zum glücklichen Altwerden mit der Mindestpension für Frauen, zum Beispiel in Wiens zweitem Bezirk: Samstag Mittag am Karmelitermarkt das Gemüse kaufen, wenn die Händler zusammenpacken (»fast geschenkt«), Wochenplan fürs Kochen schreiben (»nichts verkommen lassen«), Nähen lernen (eigenes Gewand, plus ein paar Euro Zusatzverdienst im Freundeskreis), drei gute Kinder erzogen haben. Abmachung: »Wir schenken einander nichts mehr. Nur die Kinder lassen sich’s nicht nehmen, und so darf ich heuer wieder nach Bad Waltersdorf fahren«. Weiters, hart im Nehmen sein. 20 Jahre hat Frau Sachse, nach ihrer Übersiedlung aus dem damaligen Ostdeutschland nach Wien, als Drogistin gearbeitet und wie sie sagt, dem Wiener Schlendrian in einem Familienbetrieb auf die Sprünge geholfen. Als Angestellte wurde sie, obwohl sie »richtigen Drogistendienst« geleistet hat, trotzdem nicht angemeldet, »nur als Arbeiterin, und entsprechend war auch die Bezahlung damals«. Und, nicht zuletzt, Humor bewahren. »Dafür bekomme ich nach meinem verstorbenen Mann auch keine Witwenrente, weil ich mich nämlich kurz vor seinem Tod scheiden ließ. Aber zum Glück bin ich rezeptgebührenbefreit, sonst könnte ich mir meine acht Medikamente nicht leisten«, sagt sie und lacht.

Fit bleiben

Frau Sachse hat leicht lachen. Sie ist fit, trotz Herzschrittmacher relativ gesund und macht »dreimal die Woche Gymnastik«. Außerdem liegt sie über dem als Armutsgrenze geltenden Ausgleichszulagenrichtsatz für Einzelpersonen in der Pensionsversicherung (2002: 630,92 Euro). Die durchschnittliche Alterspension betrug im Dezember 2002 914 Euro. Männer erhielten im Schnitt 1197 Euro und Frauen 695 Euro.

»Insbesondere die Frauenpensionen sind beschämend niedrig. Und, entgegen der Ankündigung der Regierung, kleine Pensionen zielsicher zu berücksichtigen, gibt es für Niedrigstpensionisten keine Ausnahme bei den Kürzungen im Rahmen der Pensionsreform«, meint AK-Expertin Gabriele Schmid, »unabhängig von der zu erwartenden Pensionshöhe beträgt das Kürzungsmaß zehn Prozent, inklusive Anpassungsverlust 12 Prozent. Im Jahr also eine Kürzung von eineinhalb Monatspensionen«.

Für alle, die nicht auskommen, wurde beim Bundesministerium für soziale Sicherheit ein »Härteausgleichsfonds« (zehn Millionen Euro für 2004) eingerichtet (Arbeit&Wirtschaft, Nr. 7-8, »Geldbeschaffung statt Pensionssicherung«, Seite 10). Auf die Zuwendung besteht allerdings kein Rechtsanspruch. »Beitragszahler werden so zu Bittstellern degradiert«, meint Gabriele Schmid. Viele Frauen sind von vornherein vom Härteausgleich ausgeschlossen. Denn für die Einmalzahlung aus dem Sozialministerium kommt nur in Frage, wer mindestens 30, bzw. 40, Versicherungsjahre aufweisen kann. Rechnet man mit jährlich 36.000 Personen, die die Voraussetzungen für Zuwendungen aus dem Härtefonds erfüllen, entfällt auf jeden ein einmaliger Betrag von etwas über 250 Euro. Eine »Mini-Zahlung«, kommentiert Schmid, »die nicht einmal annähernd die Pensionskürzungen im ersten Jahr ausgleichen kann, geschweige denn die lebenslangen Einbußen.«

Richtsatz

Die Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Ehepaare wird von den Arbeitnehmervertretern grundsätzlich gut geheißen. »Mit der Pensionsreform hat das aber nichts zu tun. Diese Maßnahme für die Bezieher kleiner Pensionen hilft nicht gegen die kommenden Verluste«, meint Gabriele Schmid. Die geringfügige Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Ehepaare von 965 Euro auf 1000 Euro betrifft gerade einmal 37.000 jetzt in Pension befindliche Personen.

15 Prozent der 228.558 Ausgleichszulagenbezüge (Stand: Dezember 2002) gingen an Ehepaare. Obwohl nahezu die Hälfte der Frauenpensionen unter dem Armuts-Richtsatz liegt, erhielten nur 1,9 Prozent der Frauen Ausgleichszulage. Dies vor allem deshalb, weil durch das Zusammentreffen mit der Pension des Ehemannes der Familienrichtsatz für Ausgleichszulagen überschritten wird. Die Kürzung bei den Pensionen schlägt damit in der Regel ohne Abfederung voll durch.

Steuerreform kompensiert nicht

Auch die Unterstützung der Niedrigstpensionisten durch die geplante Steuerreform ist Schönfärberei. Die AK hat die Auswirkungen der Pensionsreform (einschließlich Deckelung von zehn Prozent), Steuerreform (Lohnsteuerfreiheit bis 1000 Euro Einkommen) und Erhöhung der Krankenversicherung berechnet. Das Ergebnis: Die Summe der ab 2004 geplanten Maßnahmen ist für jene, deren Pension bis zum Deckel gekürzt wird, immer eine Belastung. Noch relativ am geringsten fällt sie für Pensionisten aus, die nach derzeitigem Recht brutto 1000 Euro bekommen. Nach der Reform wird der Bruttobezug - unter der Annahme des maximalen Verlustes von zehn Prozent und einer zweiprozentigen Valorisierung, die einmal entfällt - bei brutto 880 Euro liegen: Bei ihnen wirkt der Lohnsteuerentfall am stärksten, sie werden insgesamt »nur« 53,17 Euro weniger haben.

Die Steuerreform wirkt überhaupt erst bei Bruttopensionen von derzeit 800 Euro, weil für Einkommen darunter auch derzeit keine Lohnsteuer anfällt. Prozentuell gesehen sind die Pensionisten mit Bezügen unter 1000 Euro sogar besonders stark belastet.

Weniger wert

Die Regierung geht auch von der Regelung der jährlichen Nettoanpassung der Pensionen ab: Die Anpassung für 2004 und 2005 wird abgesagt. Stattdessen werden Pensionen bis zur Medianpension (2003: 660 Euro!) nur mit dem Verbraucherpreisindex, Pensionen darüber überhaupt nur mit einem Fixbetrag (welcher der Erhöhung der Medianpension entspricht) erhöht. Dies bedeutet, dass die niedrigsten Pensionen gerade mit der Inflationsrate abgegolten werden; Pensionen darüber wird mit dem Fixbetrag nicht einmal die Inflationsrate abgegolten.

Damit werden rund eine Million Pensionen real gekürzt. Mit anderen Worten: jede zweite Pension wird 2004 und 2005 real weniger wert. Die Regierung begründet dies als »Solidarbeitrag der Pensionisten«.

Fazit: Besonders betroffen sind die Bezieher niedrigster Einkommen, für die jeder verlorene Euro deutlich spürbar ist.

Ohne eigene Pension

Gänzlich unter den Tisch gefallen ist der Ausbau eigenständiger Pensionen der Frauen. So beziehen nach den jährlichen Berechnungen des Hauptverbandes 99 Prozent der Pensionisten eine Eigenpension, aber nur 73 Prozent der Frauen. 27 Prozent der Pensionistinnen haben im Alter nur eine Witwenpension (Männer: ein Prozent). Wer weder erwerbstätig ist noch eine Pension bezieht, wird im alljährlichen Mikrozensus als »haushaltsführend« ausgewiesen: etwa 157.000 Frauen und eintausend Männer im Jahr 2000. »Berücksichtigt man hier die Kategorie Sonstige, lässt sich sagen, dass rund 160.000 Frauen im Alter keine Pension beziehen, was einem Anteil von 16 Prozent entspricht«, meint AK-Experte Karl Wörister. Entscheidend bei der Frage nach der eigenständigen Absicherung sei nicht nur, wie viele Frauen keine Pension haben. Entscheidend sei vielmehr, wie viele Frauen keine eigene Pension beziehen - also weder eine Alters- noch Invaliditätspension.

  • 61 Prozent der Frauen hatten eine eigene Pension. Ein Teil von ihnen bezog zugleich auch eine Witwenpension. Ein sehr kleiner Teil war daneben erwerbstätig.
  • 22 Prozent bezogen nur eine Witwenpension.
  • 16 Prozent bezogen keinerlei Pension.
  • Rund ein Prozent der Frauen war erwerbstätig ohne Pension.

Dies bedeutet, dass im Jahr 2000 vier von zehn Frauen, 380.000, im Alter keine eigene Pension bezogen.

Dass sich daran nicht allzu rasch etwas ändern wird, belegen weitere Daten des Mikrozensus.

Im Jahr 2000 wurden bei den 60- bis 64-jährigen Frauen 71 Prozent als Pensionistinnen ausgewiesen. Ein Teil davon dürften reine Witwenpensionsbezieherinnen gewesen sein, waren doch in dieser Altersgruppe bereits 18 Prozent der Frauen verwitwet. Daraus kann geschlossen werden, dass derzeit noch immer etwa jede dritte Frau im Pensionierungsalter keine eigene Pension zu erwarten hat.

Mythos Mindestpension

»Viele glauben noch immer, es gebe in Österreich eine Mindestpension; es wird kaum thematisiert, dass viele Frauen nur eine eigene Pension von etwa 200 oder 300 Euro monatlich beziehen«, klagt Karl Wörister. Die Zuerkennung einer Witwenpension setzt in der Regel den Bestand der Ehe zum Zeitpunkt voraus, zu dem der Ehegatte verstirbt. Eine Frau, die die Ehe - aus welchen Gründen immer - vor dem Tod des Ehegatten auflöst, verliert damit meist auch diese Versorgung. Viele Ehen werden nur aus diesem Grunde aufrecht erhalten.

Ein großer Teil der Frauenpensionen ist auch so niedrig, dass die Frauen auf den Unterhalt durch den Partner angewiesen sind. Insgesamt sind die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern in der Pension noch größer als bei Erwerbstätigen.

Für viele heute noch Erwerbstätige kommen in einigen Jahren große Verluste zum Tragen, wie die Berechnungen der AK zeigen. Frau Gerda Ludwig1) etwa, geboren im September 1949, kann mit 57 Jahren am 1. Jänner 2007 mit 37,5 Versicherungsjahren in Pension gehen. Nach geltendem Recht würde sie 841 Euro bekommen, nach dem neuen Pensionsrecht werden es knapp 757 werden.

Der jährliche Verlust beträgt 1177 Euro, zuzüglich weiterer zwei Prozent, weil die erste Pensionsanpassung entfällt. Noch gravierender wird die Lage bei der Arbeiterin Maria Kremer1), heute 56, ein Kind. In vier Jahren wird auch sie 37,5 Versicherungsjahre erworben haben. Nach geltendem Recht hätte sie 517,50 Euro Pension erhalten, nun werden es 469,20 Euro sein. Für sie entfällt die Ausgleichszulage, trotz dem geringen Einkommen des Mannes liegen sie zusammen über der Schwelle von 1000 Euro.

1) Namen von der Redaktion geändert


R E S Ü M E E

Bei knapp 643,54 Euro liegt der sogenannte Ausgleichszulagenrichtsatz 2003 für Niedrigstpensionisten. Die durchschnittliche Alterspension im Dezember des Vorjahres betrug 914 Euro. Dass Frauen - im Schnitt - nur 695 Euro an Pension, Männer aber 1197 Euro bekommen, ist beschämend.

Oft sind es aber die Pensionistinnen selbst, die sich schämen, mit so wenig Geld auskommen zu müssen. Daher war es auch nicht leicht, jemanden zu finden, der bereit war, aus einem Alltag zu berichten, in dem das »Cent-Umdrehen« dazu gehört. Denn sie können sich sogar selbst den geringen Beitrag für den Pensionistenverband nicht leisten. Dass viele Frauen gar keine Pension beziehen, bzw. auf den Unterhalt durch den Partner angewiesen sind, kommt noch dazu. Sie werden im alljährlichen Mikrozensus als »haushaltsführend« ausgewiesen (im Jahr 2000 etwa 157.000 Frauen und 1000 Männer). Mitzureden haben sie aber nichts. Ein Streifzug durch den Alltag von Beziehern niedriger Pensionen, in dem die Frauen die Mehrheit sind.

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